Revolutionäres Jubiläum
Fijáte 303 vom 11. Feb. 2004, Artikel 1, Seite 1
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Revolutionäres Jubiläum
Jorge Soto und Alba Estela Maldonado, die als KommandantInnen zu den Führungsgremien der ehemaligen Guerilla gehörten, sprachen anlässlich des 22. Jubiläums der offiziellen Gründung der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) am 07. Februar mit der Tageszeitung elPeriódico. Heute sitzen beide Interviewten im Kongress. Jorge Soto, als ,,Pablo Monsanto" ehemals Chef des Guerilla-Kaders Fuerzas Armadas Rebeldes (FAR), das inzwischen nicht mehr zur URNG gehört, kandidierte bei den Wahlen im November 2003 als erster auf der Nationalen Liste der Partei Allianz Neue Nation (ANN). Alba Estela Maldonado, alias ,,Kommandantin Lola" des Kaders Ejército de los Pobres (EGP) ist heutige Generalsekretärin der Partei URNG. Die Interviews, in denen beide in etwa die gleichen Fragen beantworten, erschienen in elPeriódico am 01. Februar 2004. Interview mit Jorge Soto Frage: Von wem und wo wurde die Gründungsurkunde der URNG unterzeichnet? Jorge Soto: In Nicaragua, Ende 1980. Dort wurde das Dokument unterschrieben. Anfangs nannte sie sich noch nicht URNG sondern nur "Revolutionäre Einheit", aber sie hatte noch keinen Namen. Frage: Was war der Grund, die vier Organisationen FAR, EGP, ORPA (Organización del Pueblo en Armas) und PGT (Partido Guatemalteco del Trabajo) in der URNG zusammenzulegen? J. S.: Um die Kräfte und Ressourcen zu vereinen, über die die vier Guerilla-Gruppierungen verfügten. Frage: War das die Antwort auf den Druck des sozialistischen Blocks, der seine Unterstützung, die er leistete, besser ordnen und organisieren musste? J. S.: Das lief anders. Ich hatte Rolando Morán, den höchsten Kommandante des EGP, seit 12 Jahren nicht mehr gesehen, als ich ihn zufällig in Guatemala-Stadt traf. Meine Frau und ich waren auf Wohnungssuche und wollten uns gerade eine ansehen: Wir klingelten, und er öffnete die Tür. Aber er erkannte mich nicht. Denn als er 1964 Guatemala verliess, war ich 19. Wir gingen wieder, und als ich kurz darauf zurückkam, sprach ich ihn an: "Haben Sie mich inzwischen erkannt?" Er blickte mich an und lud mich in die Wohnung ein. Ab dem Moment fingen wir an, uns zu treffen. Anfangs nahm die ORPA nicht daran teil. Aber bei einer Versammlung 1979 ermöglichten die Kubaner ein Treffen zwischen uns und der ORPA. Und Ende 1980 begaben wir uns auf Einladung der Sandinisten nach Nicaragua. Frage: Von Druck kann also keine Rede sein. J. S.: Die Kubaner sagten uns stets, dass es das Beste sei, sich zusammenzutun, um Hilfe zu erhalten. Aber das war kein Druck, weder von den Kubanern noch von den Sandinisten. Frage: Doch unter diesen Ermahnungen gab es ja dann doch nicht so viel Spielraum. J. S.: Das stimmt, aber es war dennoch kein Druck. Sie sagten nie: "Entweder schliesst ihr euch zusammen, oder wir ziehen die Hilfe zurück." Ausserdem erhielten wir nie wesentliche Hilfe von ihnen. Frage: Wie viele bewaffnete Menschen gab es zu den besten Zeiten der URNG wirklich? J. S.: In den besten Zeiten hatte die URNG etwa 6´ oder 7´000 Bewaffnete. Das war, als wir anfingen, Waffen von Nicaragua zu kaufen. Hätten wir beispielsweise 1982 über Waffen verfügt, hätten wir zwischen 20´ und 25´000 Leute ausrüsten können. Frage: Was war die militärische Hauptaktion der URNG? J. S.: Ich könnte Ihnen sagen, dass wir - zumindest in unserem Fall der FAR - eine wichtige Operation durchführten, in der wir praktisch eine komplette Kompanie vernichtet haben. Frage: Ich fragte Sie nach der grössten Aktion? J. S.: Es gab einige. Es ist bloss so, dass die URNG nie von der zeitlichen zur räumlichen Koordination überging. Einer der Ansätze war, die Kräfte der URNG zu konzentrieren, um überzeugendere Schläge auszuteilen. Dass sich zum Beispiel 2´000 Leute zusammenfinden, um eine Militärbasis einzunehmen. Aber das wurde nie realisiert. Frage: Die URNG war nie eine einheitliche Organisation im Feld. J. S.: Die Kommandantur einigte sich darauf, dass ein Feldzug auf nationaler Ebene durchzuführen sei. Daraufhin machte jede Organisation, was sie konnte, aber es gab nie einen Konsens. Es war immer eine sehr schwache Einheit. Es gab keine Einigungsebene. Frage: Und die militärische Hauptniederlage, die Sie im Feld erlitten? J. S.: Ich denke, den schwersten militärischen Schlag versetzte die Armee der Bevölkerung, der Volksorganisation. Der Guerilla direkt nie. Frage: Hat sich der interne Krieg gelohnt? J. S.: Nun, ich glaube, wenn wir ihn aus der Distanz betrachten, hat er sich bezüglich einiger Aspekte gelohnt. Frage: Es gab mehr als 100´000 Tote, für die das Heer direkt verantwortlich ist. Fühlen Sie sich indirekt mitverantwortlich dafür? J. S.: Klar. Frage: Und wie erklären Sie sich vor ihrem eigenen Gewissen, vor Ihren Kindern, Ihrer Partnerin? J. S.: Wir waren jung und waren uns sicher, und zu der Zeit richtete sich ein grosser Teil der Menschheit an der Notwendigkeit danach. Es wurde wie eine Art Mode auf dem ganzen Kontinent. Frage: Dass eine Veränderung mit Hilfe der Waffen möglich sei? J. S. Wir verfügten alle über eine starke Dosis Idealismus. Wir hatten nie damit gerechnet, dass es so lange dauern würde. Frage: In Ihrem Alter von 58 Jahren zurückblickend: Hat es sich gelohnt? J. S.: Es hat sich durchaus gelohnt. (...) Gleichzeitig gibt es Momente im Leben, in denen man sich fragt, warum man früher nicht anders gehandelt hat. Aber wir taten, was wir glaubten tun zu müssen. Unser Traum war, mit Panzern in die Hauptstadt einzuziehen. Frage: Wann kamen Sie zu dem Schluss, dass Sie den Krieg nicht gewinnen würden und es notwendig sei, einen Ausgang per Verhandlung zu suchen? J. S.: Während des Friedensprozesses. Denn zu Beginn war die Verhandlung Teil des politischen Kampfes. Wir glaubten, dass wir uns während der Verhandlungen wieder bewaffnen und neu organisieren würden. Aber dann überschritten wir die Verhandlungslinie, von wo aus es kein Zurück mehr gab. Und ab dem Zeitpunkt verstärkte sich der internationale Druck, weiter zu verhandeln. Wir hatten keine Alternative mehr. Frage: Das heisst, als sie sich mit an den Verhandlungstisch setzten, waren Sie bereit, den Krieg fortzuführen? J. S.: Ja. Frage: Und gab es keinen Prozess der internen Reflexion? J. S.: Aber klar. Es gab sogar Loslösungstendenzen. Das EGP war am Punkt des Verschwindens. Es gab eine sehr starke interne Teilung und die Einheit diente dazu, das EGP zu retten. Zu dem Zeitpunkt waren wir nicht dafür, den Krieg aufzugeben. Das grösste Hindernis bestand darin, was schon immer zwischen den revolutionären Organisationen gestanden hatte: dieser Wettkampf darum, welche der Organisationen im Konflikt selbst die Hegemonie innehatte. Frage: Vier Jahre nach den Massakern von 1982 durchliefen Sie also einen internen Reflexionsprozess. Und dabei gelangten Sie zu dem Schluss, dass es angemessen wäre, mit dem Krieg weiterzumachen? J. S.: Ja. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Strategie zu ändern sei, dass in Verhandlungen einzutreten sei. Wir hatten gesehen, dass das Militär es geschafft hatte, die Guerilla-Kräfte zu isolieren. Frage: Warum wandelte sich die URNG nie in eine entscheidende politische Kraft? J. S.: Dem Ganzen lagen immer persönliche Interessen zugrunde. Dieser Kampf um die Hegemonie der revolutionären Bewegung. Selbst heute gibt es innerhalb der URNG nicht ein Projekt, sondern zwei oder drei. Frage: Waren Sie nicht der Auffassung, dass es notwendig sei, einen gewichtigen politischen Akteur darzustellen, um diese Projekte Realität werden zu lassen? J. S.: Von Anfang an, als sich die drei Parteien zusammenschlossen, die die Notwendigkeit sahen, die Massen zu organisieren. Aber die ORPA war der Meinung, dass das bedeutete, den Massen den Tod zu bringen. Frage: Hat Ihnen die ORPA mal die Massaker des Militärs als Vorwurf unter die Nase gerieben? J. S. Nie. Und wir hatten diese Diskussionen, in denen wir in drei Punkten einig waren, bloss in einem nicht. Aber es stellte sich heraus, dass eben dieser Aspekt essenziell war. Nach oben |
Frage: Was bleibt der Linken nun also übrig? J. S.: Sein Ruf und die Einheit, und wenn nicht das, dann bleibt gar nichts übrig. Interview mit Alba Estela Maldonado Frage: Wann und wo wurde die URNG gegründet? Alba Estela Maldonado: Das weiss ich nicht. Ich weiss nicht, ob es in Nicaragua oder auf Kuba war. Ich bin im September 1980 in die Nationale Direktion des EGP (Ejército de los Pobres) gekommen. Es gab eine Verzögerung, da das Militär einige Videobänder beschlagnahmte, mittels derer wir die GenossInnen über die Gründung der Einheit informierten. Frage: Gab es einen Moment, in dem Sie die URNG als eine einzige Organisation ansahen, oder nahmen Sie sie immer als vier Körperschaften wahr, die sich zusammengetan hatten? A. E. M.: Die Absicht war, sich zu vereinen. Aber es bestand eine Regionalisierung, und jede Organisation behielt eine gewisse Besonderheit. Man muss das als Prozess betrachten, der heute stärker ist als vor zehn Jahren. Frage: Was war der wichtigste Beitrag, den die URNG zur Geschichte Guatemalas geleistet hat? A. E. M.: Dass die Friedensverträge als ein grosser nationaler Pakt gelungen sind. Frage: Über wie viele bewaffnete Leute verfügte die URNG in ihren besten Zeiten? A. E. M.: Es gab zwei Momente. In 1979 und 1980 verbreitete sich die revolutionäre Aktion, das ist ein sehr wichtiger Moment. Und dann würde ich sagen, als die finale Offensive gestartet wurde, 1987, als das Militär versuchte, die URNG zu zerstören und wir dagegen halten konnten. Frage: Aber wie viele bewaffnete Leute hatten Sie? A. E. M.: Ich sehe das vom EGP aus, denn ich wusste nie, wie viele Leute die ORPA oder die FAR hatten. Frage: Dann war die Einheit also lediglich eine politische... A. E. M.: Nein, nein, nein. Frage: Nein? A. E. M.: Nein. Denn die militärische Kommandantur kannte ich natürlich schon. Ich war vom Führungsgremium des EGP, aber es war alles in Unterabteilungen aufgeteilt. Frage: Welches war der wichtigste militärische Sieg der URNG? A. E. M.: In Cuarto Pueblo: Jahrelang befanden wir uns in einem konstanten Kampf um diesen Posten. Das war ein Symbol der Abnutzung bis zu dem Punkt, an dem es nicht mehr weiterging, keiner mehr konnte, und es notwendig wurde, die politische Lösung zu stärken. Frage: Wie viele Niederlagen bereiteten Sie dem Militär? A. E. M.: Unzählige. Frage: Und ist das etwas, auf das Sie vor allem stolz sind? A. E. M.: Ja, natürlich. Situationen wie jene hatten zur Folge, dass sich das Militär davon überzeugen konnte, uns militärisch nicht schlagen zu können. Frage: Zum Zeitpunkt der finalen Offensive hatte die Armee bereits vier Jahre vorher Hunderte von Dörfern dem Erdboden gleichgemacht. Fühlen Sie sich indirekt mitverantwortlich für den Genozid? A. E. M.: Die Bevölkerung verfügte über einen riesigen Kampfeswillen. Warum beteiligten sich die Leute der Ansiedlungen, der indigenen und bäuerlichen Gebiete, der ländlichen Gebiete, der ArbeiterInnen, der ganzen Bevölkerung, warum beteiligten sich die Leute so entschieden am revolutionären Kampf? Weil dieser der tief greifenden Situation der Armut, der Marginalisierung, der Entmenschlichung, der Repression, der Diskriminierung entsprach. Frage: Sahen Sie irgendwann einmal das voraus, auf das die Konfrontation hinauslief? A. E. M.: Die Massaker? Nein. Ich glaube, wir rechneten weder damit noch stellten wir uns vor, dass die Kriminalität und die Wissenschaftlichkeit des Genozids solche Ausmasse annehmen würden. Frage: Als Sie das sahen - denn Sie in den Führungsriegen haben als Erste davon erfahren und als Sie neben der Dezimierung der GuerilleraKämpferInnen sahen, dass manche von diesen, die bessere Chancen zur Flucht hatten, auch die Bevölkerung massakrierten, wie haben Sie den Krieg vor sich selbst gerechtfertigt? A. E. M.: Nun, ich glaube, dass der Genozid selbst Teil der Rechtfertigung ist. Beziehungsweise, dass wir weiterkämpfen mussten, solange sie nicht alles zunichte machten. Wir konnten die Leute nicht im Stich lassen, und solange die Bevölkerung den Willen hatte, weiterzukämpfen, wollten wir bei den Leuten sein, bei den Menschen aus der Bevölkerung. Frage: Meinen Sie damit, dass die Menschen starben, weil sie nicht bewaffnet waren? A. E. M.: Nein, die Anzahl der... Frage: Oder hatten sie zumindest den Willen, gegen das Militär zu kämpfen? A. E. M.: Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, ja. Der sympathisierte oder... es war eine Art der Sympathie, der Zustimmung zum Kampf, manchmal explizit, manchmal stillschweigend. Frage: Als die Intensität der Massaker abnahm, welche Entscheidung trafen Sie? Warum sollte angesichts des Terrors weitergemacht werden? A. E. M.: Ich glaube, dass es eine richtige Entscheidung war... Frage: Würden Sie es wieder so machen? A. E. M.: Unter der Voraussetzung, eine Menge Dinge zu verändern, auf jeden Fall - Gut, man müsste das genau untersuchen, aber ich glaube, wenn... Nun, es wurden Fehler begangen... Unter bestimmten Umständen... Denn die Sache, die Entscheidung für den bewaffneten Kampf zu fällen, ist weder eine sehr romantische noch unbegründet. Sie geht vielmehr auf Umstände zurück, in denen es keinen anderen Ausweg gibt. Frage: Als die Friedensverträge verhandelt wurden, welches war der wichtigste Erfolg der URNG in dieser Verhandlung? A. E. M.: Ich glaube, das war die Unterzeichnung des Friedens. Frage: Die Unterzeichnung selbst? A. E. M.: Geholfen zu haben einen Prozess zu öffnen, in dem wir uns heute befinden, der mit gewisser politischer Freiheit erlaubt, sich zu organisieren, sich zu versammeln, wieder aufzubauen, was zerstört wurde, von einem anderen Winkel aus für das zu kämpfen, was unser Volk ist. Frage: Inwieweit spiegelte die Auf- nahme der Sichtweisen der einen und anderen Seite in den Text die Wechselbeziehung zwischen militärischer und politischer Macht wider? A. E. M.: Die internationale Aufmerksamkeit begünstigte die Verträge. Hätte das unter einer Wechselbeziehung mit anderen, widrigen internationalen Mächten stattgefunden, sähe die Demokratisierung in Guatemala anders aus... Frage: Warum schafft es die Guerilla in Guatemala nicht, sich in eine entscheidende politische Kraft zu wandeln? A. E. M.: Ich glaube, dass das ein Prozess ist, der sich auf weltweiter Ebene abspielt, in erster Linie... Frage: Weder in El Salvador noch in Nicaragua zum Beispiel... A. E. M.: Nun, da herrschen bestimmte Umstände... Aber auf weltweiter Ebene doch. Ein fundamentaler Bezugspunkt ist verloren gegangen: das sozialistische Lager. Das markiert schon eine schwierige Etappe. Es gibt Fallen, in denen wir uns verfangen, ich spreche für die URNG, nicht für den Rest der Linken; sehr grosse Fallen. Eine davon ist die Demobilisierung, die unter unvorstellbar prekären Bedingungen durchgeführt wurde. Der Bauer beispielsweise: was findet der vor? Wenn er zu seinem Heimatort zurückkehrt, findet er... Frage: Viel schlechtere Lebensbedingungen... A. E. M.: Die kleine Parzelle der Familie ist aufgeteilt worden, und er hat kein Land mehr. Die Familie ist zerstört, und im Zweifelsfall muss er die Knochen derselben suchen. Oder die Ehefrau hat sich in der Zwischenzeit der vielen Jahre ein neues Zuhause aufgebaut. Frage: Haben Sie jemals daran gedacht, sich als Abgeordnete in das System zu integrieren? A. E. M.: Niemals. Frage: Wie rechtfertigt Alba Estela Maldonado vor der zwanzigjährigen ,,Lola", dass sie Dekaden später einen Kongresssitz übernehmen würde? A. E. M.: Ich würde ihr sagen, dass ich alles tat, was ich konnte, um eine tief greifende Transformation der Gesellschaft zu erreichen. Wir hatten nicht die Fähigkeit, alles zu erreichen. Gewissermassen sehe ich das Abgeordnetenamt nun als eine revolutionäre Aufgabe. |
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