guatemala.de > Guatemalagruppe Nürnberg e. V. > Fijate
Fijáte
 

Revolutionäres Jubiläum

Fijáte 303 vom 11. Feb. 2004, Artikel 1, Seite 1

PDF Original-PDF 303 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte

Revolutionäres Jubiläum

Frage: Was bleibt der Linken nun also übrig? J. S.: Sein Ruf und die Einheit, und wenn nicht das, dann bleibt gar nichts übrig. Interview mit Alba Estela Maldonado Frage: Wann und wo wurde die URNG gegründet? Alba Estela Maldonado: Das weiss ich nicht. Ich weiss nicht, ob es in Nicaragua oder auf Kuba war. Ich bin im September 1980 in die Nationale Direktion des EGP (Ejército de los Pobres) gekommen. Es gab eine Verzögerung, da das Militär einige Videobänder beschlagnahmte, mittels derer wir die GenossInnen über die Gründung der Einheit informierten. Frage: Gab es einen Moment, in dem Sie die URNG als eine einzige Organisation ansahen, oder nahmen Sie sie immer als vier Körperschaften wahr, die sich zusammengetan hatten? A. E. M.: Die Absicht war, sich zu vereinen. Aber es bestand eine Regionalisierung, und jede Organisation behielt eine gewisse Besonderheit. Man muss das als Prozess betrachten, der heute stärker ist als vor zehn Jahren. Frage: Was war der wichtigste Beitrag, den die URNG zur Geschichte Guatemalas geleistet hat? A. E. M.: Dass die VGFriedensverträgeNF als ein grosser nationaler Pakt gelungen sind. Frage: Über wie viele bewaffnete Leute verfügte die URNG in ihren besten Zeiten? A. E. M.: Es gab zwei Momente. In 1979 und 1980 verbreitete sich die revolutionäre Aktion, das ist ein sehr wichtiger Moment. Und dann würde ich sagen, als die finale Offensive gestartet wurde, 1987, als das Militär versuchte, die URNG zu zerstören und wir dagegen halten konnten. Frage: Aber wie viele bewaffnete Leute hatten Sie? A. E. M.: Ich sehe das vom EGP aus, denn ich wusste nie, wie viele Leute die ORPA oder die FAR hatten. Frage: Dann war die Einheit also lediglich eine politische... A. E. M.: Nein, nein, nein.

Frage: Nein? A. E. M.: Nein. Denn die militärische Kommandantur kannte ich natürlich schon. Ich war vom Führungsgremium des EGP, aber es war alles in Unterabteilungen aufgeteilt. Frage: Welches war der wichtigste militärische Sieg der URNG? A. E. M.: In Cuarto Pueblo: Jahrelang befanden wir uns in einem konstanten Kampf um diesen Posten. Das war ein Symbol der Abnutzung bis zu dem Punkt, an dem es nicht mehr weiterging, keiner mehr konnte, und es notwendig wurde, die politische Lösung zu stärken. Frage: Wie viele Niederlagen bereiteten Sie dem Militär? A. E. M.: Unzählige. Frage: Und ist das etwas, auf das Sie vor allem stolz sind? A. E. M.: Ja, natürlich. Situationen wie jene hatten zur Folge, dass sich das Militär davon überzeugen konnte, uns militärisch nicht schlagen zu können. Frage: Zum Zeitpunkt der finalen Offensive hatte die Armee bereits vier Jahre vorher Hunderte von Dörfern dem Erdboden gleichgemacht. Fühlen Sie sich indirekt mitverantwortlich für den VGGenozidNF? A. E. M.: Die Bevölkerung verfügte über einen riesigen Kampfeswillen. Warum beteiligten sich die Leute der Ansiedlungen, der indigenen und bäuerlichen Gebiete, der ländlichen Gebiete, der ArbeiterInnen, der ganzen Bevölkerung, warum beteiligten sich die Leute so entschieden am revolutionären Kampf? Weil dieser der tief greifenden Situation der VGArmutNF, der Marginalisierung, der Entmenschlichung, der Repression, der VGDiskriminierungNF entsprach. Frage: Sahen Sie irgendwann einmal das voraus, auf das die Konfrontation hinauslief? A. E. M.: Die Massaker? Nein. Ich glaube, wir rechneten weder damit noch stellten wir uns vor, dass die Kriminalität und die Wissenschaftlichkeit des Genozids solche Ausmasse annehmen würden. Frage: Als Sie das sahen - denn Sie in den Führungsriegen haben als Erste davon erfahren ­ und als Sie neben der Dezimierung der GuerilleraKämpferInnen sahen, dass manche von diesen, die bessere Chancen zur Flucht hatten, auch die Bevölkerung massakrierten, wie haben Sie den Krieg vor sich selbst gerechtfertigt? A. E. M.: Nun, ich glaube, dass der Genozid selbst Teil der Rechtfertigung ist. Beziehungsweise, dass wir weiterkämpfen mussten, solange sie nicht alles zunichte machten. Wir konnten die Leute nicht im Stich lassen, und solange die Bevölkerung den Willen hatte, weiterzukämpfen, wollten wir bei den Leuten sein, bei den Menschen aus der Bevölkerung. Frage: Meinen Sie damit, dass die Menschen starben, weil sie nicht bewaffnet waren? A. E. M.: Nein, die Anzahl der... Frage: Oder hatten sie zumindest den Willen, gegen das Militär zu kämpfen? A. E. M.: Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, ja. Der sympathisierte oder... es war eine Art der Sympathie, der Zustimmung zum Kampf, manchmal explizit, manchmal stillschweigend. Frage: Als die Intensität der Massaker abnahm, welche Entscheidung trafen Sie? Warum sollte angesichts des Terrors weitergemacht werden? A. E. M.: Ich glaube, dass es eine richtige Entscheidung war... Frage: Würden Sie es wieder so machen? A. E. M.: Unter der Voraussetzung, eine Menge Dinge zu verändern, auf jeden Fall - Gut, man müsste das genau untersuchen, aber ich glaube, wenn... Nun, es wurden Fehler begangen... Unter bestimmten Umständen... Denn die Sache, die Entscheidung für den bewaffneten Kampf zu fällen, ist weder eine sehr romantische noch unbegründet. Sie geht vielmehr auf Umstände zurück, in denen es keinen anderen Ausweg gibt. Frage: Als die Friedensverträge verhandelt wurden, welches war der wichtigste Erfolg der URNG in dieser Verhandlung? A. E. M.: Ich glaube, das war die Unterzeichnung des Friedens. Frage: Die Unterzeichnung selbst? A. E. M.: Geholfen zu haben einen Prozess zu öffnen, in dem wir uns heute befinden, der mit gewisser politischer Freiheit erlaubt, sich zu organisieren, sich zu versammeln, wieder aufzubauen, was zerstört wurde, von einem anderen Winkel aus für das zu kämpfen, was unser Volk ist. Frage: Inwieweit spiegelte die Auf-

nahme der Sichtweisen der einen und anderen Seite in den Text die Wechselbeziehung zwischen militärischer und politischer Macht wider? A. E. M.: Die internationale Aufmerksamkeit begünstigte die Verträge. Hätte das unter einer Wechselbeziehung mit anderen, widrigen internationalen Mächten stattgefunden, sähe die Demokratisierung in Guatemala anders aus... Frage: Warum schafft es die Guerilla in Guatemala nicht, sich in eine entscheidende politische Kraft zu wandeln? A. E. M.: Ich glaube, dass das ein Prozess ist, der sich auf weltweiter Ebene abspielt, in erster Linie... Frage: Weder in VGEl SalvadorNF noch in Nicaragua zum Beispiel... A. E. M.: Nun, da herrschen bestimmte Umstände... Aber auf weltweiter Ebene doch. Ein fundamentaler Bezugspunkt ist verloren gegangen: das sozialistische Lager. Das markiert schon eine schwierige Etappe. Es gibt Fallen, in denen wir uns verfangen, ich spreche für die URNG, nicht für den Rest der Linken; sehr grosse Fallen. Eine davon ist die Demobilisierung, die unter unvorstellbar prekären Bedingungen durchgeführt wurde. Der Bauer beispielsweise: was findet der vor? Wenn er zu seinem Heimatort zurückkehrt, findet er... Frage: Viel schlechtere Lebensbedingungen... A. E. M.: Die kleine Parzelle der Familie ist aufgeteilt worden, und er hat kein Land mehr. Die Familie ist zerstört, und im Zweifelsfall muss er die Knochen derselben suchen. Oder die Ehefrau hat sich in der Zwischenzeit der vielen Jahre ein neues Zuhause aufgebaut. Frage: Haben Sie jemals daran gedacht, sich als Abgeordnete in das System zu integrieren? A. E. M.: Niemals. Frage: Wie rechtfertigt Alba Estela Maldonado vor der zwanzigjährigen ,,Lola", dass sie Dekaden später einen Kongresssitz übernehmen würde? A. E. M.: Ich würde ihr sagen, dass ich alles tat, was ich konnte, um eine tief greifende Transformation der Gesellschaft zu erreichen. Wir hatten nicht die Fähigkeit, alles zu erreichen. Gewissermassen sehe ich das Abgeordnetenamt nun als eine revolutionäre Aufgabe.


PDF Original-PDF 303 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte