Die Linke nach den Wahlen
Fijáte 298 vom 3. Dez. 2003, Artikel 3, Seite 4
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Die Linke nach den Wahlen
Guatemala, 16. Nov. Das schlechte Resultat der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) bei den Wahlen vom 9. November und die Tatsache, dass die Partei Allianz Neue Nation (ANN) vor allem dank Nineth Montenegro überraschend mit sechs Sitzen im zukünftigen Kongress vertreten ist, war für viele KolumnistInnen und PolitologInnen Anlass, über die Zukunft der guatemaltekischen Linken nachzudenken. Nineth Montenegro, Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) und seit den achtziger Jahren bekannt als unerbittliche Verfechterin der Menschenrechte, hat sich in ihrer Arbeit als Kongressabgeordnete in den letzten acht Jahren darauf spezialisiert, Geldverschiebungen innerhalb der Ministerien und ungerechtfertigte Budgeterhöhungen publik zu machen. Ihr ausgezeichnetes Wahlergebnis ist der Beweis dafür, dass die Bevölkerung es durchaus zu schätzen und zu honorieren weiss, wenn einE PolitikerIn offen und transparent arbeitet. Viele PolitologInnen sehen in der ANN die neue linke Kraft, wobei bedacht werden muss, dass Nineth und die ANN ihre Stimmen vor allem in der Hauptstadt gewannen. Landesweit besetzt die ANN dagegen nur ein einziges Bürgermeisteramt. Sie vertritt also in erster Linie eine weisse, intellektuelle Linke. Die Zeit wird zeigen, wie lange die Einheit Nineth ANN dauert. Bereits während der Kampagne fiel auf, dass die einzelnen ANN-KandidatInnen ihre je eigene Wahlpropaganda veranstalteten und nie geschlossen als Partei auftraten. Vielleicht lag das daran, dass sie keinen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten hatten. Möglicherweise aber auch, weil sie die ANN nur als ein Vehikel für ihre Präsenz auf der politischen Bühne nutzten. Für die URNG haben deren Generalsekretärin Alba Estela Maldonado und der Kandidat des Departements Huehuetenango, Víctor Manuel Sales, je einen Sitz im Kongress ergattert. Ausserdem besetzt die Partei sieben Bürgermeisterämter und einen Sitz im Zentralamerikanischen Parlament PARLACEN. Im Vergleich zu dem Ergebnis der Wahlen vor vier Jahren, als sie in Allianz mit der ANN und der DIA antrat, ist dies ein jämmerlich schlechtes Resultat. Zwar wird der URNG allseits zugute gehalten, dass sie die Partei mit dem am besten ausgearbeiteten Regierungsprogramm war, stützt sich dieses doch vor allem auf die Friedensabkommen. Dass sie mit diesem Programm bei der Bevölkerung nicht angekommen ist, mag damit zu tun haben, dass für viele Leute die Friedensabkommen etwas sind, was von ,,denen da oben gemacht" wurde, und womit sich auch heute noch nur wenige wirklich identifizieren. Eine weitere Erklärung für das traurige Resultat der URNG mag sein, dass Alvaro Colom, Präsidentschaftskandidat für die Nationale Einheit der Hoffnung (UNE), der noch vor vier Jahren für die linke Wahlallianz (URNG, ANN, DIA) kandidierte, viele potentielle LinkswählerInnen auf sich zog. Auch die Tatsache, dass die Bevölkerung in dieser ersten Wahlrunde nicht für jemanden, sondern in erster Linie gegen Ríos Montt wählte, was zur Folge hatte, dass sie ihre Stimme den realistischen Konkurrenten von Ríos Montt (Oscar Berger und Alvaro Colom) gaben, hatte womöglich einen Einfluss auf das schlechte Abschneiden der URNG. Nach oben |
All diese denkbaren Erklärungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die URNG seit Beginn ihrer Existenz als politische Partei in der Krise steckt. Viele SympathisantInnen kritisieren, dass die Partei den Kontakt zur Basis verloren habe, dass sie für neue Mitglieder oder Allianzen mit anderen Gruppierungen verschlossen sei, dass es innerhalb der Partei Machtkämpfe gäbe, sowie dass viele KandidatInnen bei den Wahlen nur halbherzig bei der Sache gewesen seien und sich entsprechend nicht für die Partei ins Zeug legen wollten. Andere fragen sich, wo das ,,revolutionäre" der URNG geblieben sei und werfen der nationalen und departamentalen Parteileitung vor, die Partei wie eine Nicht-Regierungsorganisation oder wie ein Unternehmen zu führen: hierarchisch und nach den Interessen der ,,BesitzerInnen". Unbestreitbare Tatsache ist, dass sich die URNG seit ihrer Umwandlung der vier Guerillaorganisationen (FARC, ORPA, EGP und PGT-ND) in eine Partei vor allem mit internen Strukturen und Problemen beschäftigt hat. (Die Ablösung der ANN war eine Folge davon, die, entgegen damaliger Einschätzungen und Hoffnungen, die URNG nicht gestärkt hat.) Gelitten haben darunter ihre politischen ,,outputs": Nur in den allerseltensten Fällen hat die URNG Position zum politischen Geschehen im Land bezogen. Nie hat sie es geschafft, ein eigenes Thema auf die politische Tagesordnung zu bringen, wie das Nineth Montenegro immer wieder getan hat. Nach den Wahlen gab es URNGMitglieder, die unverdrossen optimistisch davon sprachen, in vier Jahren alles anders und besser zu machen, die von Basisarbeit, fortalecimiento (Stärkung) und ,,retten, was zu retten ist", redeten. Die Selbstkritischeren unter den URNG-Leuten raten, erst einmal eine Analyse des Geschehenen und der Partei an sich zu machen. Es gibt gar Stimmen, die bedauern, dass die Partei ,,überlebt" hat, wäre sie doch sonst gezwungen gewesen, grundsätzlich über die Bücher zu gehen. (Eine Partei braucht entweder 4% der abgegebenen Stimmen und/oder mindestens einen Sitz im Parlament, ansonsten erlöscht ihr legaler Status nach den Wahlen). Die URNGParteileitung hat sich bis heute mit Ausnahme von zwei Verlautbarungen zum Wahlsonntag, in denen sie das Resultat akzeptiert und die Gründe für ihr schlechtes Abschneiden ziemlich unselbstkritisch aufzählt nicht zu Wort gemeldet. Es ist absehbar, dass die URNGSpitze wohl die nach der Wahlschlappe übrig gebliebene Energie in die Arbeit im Kongress stecken wird. Währenddessen wird sich das mittlere Kader die nächsten Monate, wenn nicht Jahre über wohl gegenseitig vorwerfen, nicht ,,genug" gemacht zu haben. Um eine ehrliche Evaluation des Wahlprozesses wird man sich jedoch vermutlich drücken. Für Leute aus dem sympathisierenden Parteiumfeld ist jedoch klar: Die nächsten Jahre muss auf die poder local (,,lokale Macht, Stärke"), auf die politische Selbstorganisation in den Gemeinden, auf die zivilen BürgerInnenkomitees, auf die territorialen, indigenen Strukturen gesetzt werden, falls sich das politische Panorama in vier Jahren zu Gunsten der Linken verbessern soll. Ebenfalls klar ist für diese Leute, dass eine solche Arbeit nicht unter dem Namen URNG gemacht werden darf. Das Red por la Paz y el Desarrollo de Guatemala (RPDG), eine Organisation guatemaltekischer MigrantInnen in den USA, rief in einem offenen Brief die ANN und die URNG dazu auf, ihre Arbeit im Kongress zu koordinieren, als ,,progressiver Block" aufzutreten und in engem Kontakt zu den sozialen Bewegungen den BäuerInnen, ArbeiterInnen, LehrerInnen, StudentInnen, Indígenas, Frauen und allen Volks- und NichtRegierungsorganisationen zu stehen. Zudem werden die beiden Parteien aufgefordert, ihre Zwistigkeiten nicht zu vertiefen, sondern zu überwinden und sich anderen progressiven und demokratischen Kräften zu öffnen. |
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