Erneute Besetzung der Finca Nueva Linda
Fijáte 321 vom 3. Nov. 2004, Artikel 7, Seite 6
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Erneute Besetzung der Finca Nueva Linda
Guatemala, 29. Okt. Rund 150 mit Stöcken und Macheten bewaffnete BäuerInnen haben am 28. Oktober die am vergangenen 31. August gewaltsam geräumte Finca Nueva Linda erneut besetzt. Die Anführer der Besetzung sind gemäss der Tageszeitung elPeriódico Töchter und Söhne des seit über einem Jahr verschwundenen Finca-Administrators Héctor Reyes. Ihre Forderung ist dementsprechend die Freilassung des Vaters bzw. Auskunft über dessen Schicksal. Bei der Besetzung nahmen die BäuerInnen 19 Sicherheitsbeamte der Finca als Geiseln. Diese wurden aber nach zweistündiger Verhandlung mit dem Menschenrechtsprokurat mitsamt ihren Waffen an die Polizei übergeben. Von den weiteren angebotenen Verhandlungen der BesetzerInnen will der Fincabesitzer, Carlos Sandoval, jedoch nichts wissen und droht damit, die Finca erneut räumen zu lassen. Auch Präsident Berger teilt diese Meinung: ,,Unsere Aufgabe ist der Schutz des Privatbesitzes. Wenn geräumt werden muss, lassen wir räumen." Derweil ist die Menschenrechtskommission des Kongresses noch mit der ersten Räumung der Finca beschäftigt. Sie reiste nach Champerico, um eine Rekonstruktion des Tathergangs zu erstellen und sich ein eigenes Bild der Geschehnisse zu machen. Begleitet wurden die Kongressabgeordneten vom stellvertretenden Menschenrechtsprokurator von Retalhuleu. Dessen Vorgesetzter nahm nicht an der Begehung des Geländes teil, da er im Vorfeld Todesdrohungen erhielt. Der 33-seitige Bericht der Menschenrechtskommission liest sich wie ein Krimi. Bei der Beschreibung der Vorgeschichte, also der Geschehnisse zwischen dem 5. September 2003, dem Tag, an dem Héctor Reyes verschwand, und dem 31. August 2004, dem Tag der Räumung, dekken die Kongressmitglieder viele ungeklärte und widersprüchliche Tatsachen auf. Auffallend, wenn auch von den VerfasserInnen des Berichts nicht explizit hervorgehoben, ist, wie das Beispiel der Ehefrau des entführten Verwalters zeigt, wie Frauen in solchen Konflikten durch ihre emotionalen Bindungen an ihre Liebsten, durch die ökonomische Abhängigkeit und durch ihre spezifische Verletzbarkeit auf sexueller Ebene, von allen Seiten ausgenutzt werden können. So erstattete Floridalma Toledo Chávez, Ehefrau von Reyes, im Januar 2004 bei der Polizei Meldung, weil sie telefonisch erpresst wurde. 30'000 Quetzales forderten die Erpresser für die Freilassung ihres Mannes, eine Forderung, die ihrer Meinung nach aus den Sicherheitskreisen des Fincabesitzers kam. Im Juni machte sie eine notariell beglaubigte Aussage, die Fincabesetzung habe sich von einem anfänglichen Protest gegen die Entführung ihres Mannes in eine regelrechte Invasion gewandelt mit dem Ziel, Land zu erhalten. Sie selber, bzw. die Entführung ihres Mannes, diene nur noch als Vorwand. Davon wolle sie sich distanzieren, ebenso vom Anführer der BesetzerInnen, der (wie aus einem Nebensatz zu erfahren ist) sich ihre 15-jährige Tochter zur Partnerin genommen habe. Nach oben |
Unterdessen war sie sich auch der Nichtbeteiligung des Fincabesitzers an der Entführung ihres Mannes sicher, weshalb sie von ihm eine ,,humanitäre Unterstützung" von 40'000 Q akzeptiert hatte. Diese Entlastungsaussage, die sich der Fincabesitzer eine ganze Stange Geld kosten liess, diente den Behörden als eine der Begründungen der Fincaräumung: Das Verfahren gegen den Fincabesitzer bezüglich der Entführung seines Angestellten sei eingestellt worden, entsprechend verliere die Besetzung jegliche Legitimität. Und dann wurde aufgeräumt (siehe ¡Fijate 318). Klar und deutlich fallen die Schuldzuweisungen und Forderungen der parlamentarischen Menschenrechtskommission aus. Als erstes wird in dem Bericht betont, dass die Geschehnisse auf der Finca Nueva Linda nicht als Einzelfall behandelt werden dürfen. Auch wenn er nicht wie in den meisten Fällen die Folge eines Land- oder Arbeitskonflikts sei, müsse er klar in den Kontext der politischen Situation und der miserablen Lebensbedingungen der Landbevölkerung gestellt werden. Weiter wird auf die Verfassung verwiesen, die den Schutz des Lebens als oberstes Menschenrecht festschreibt. Im vorliegenden Fall gäbe es einen Widerspruch zwischen dem Recht auf Demonstrationsrecht, Meinungsfreiheit und gewaltlosem Widerstand und dem Schutz des Privateigentums. Solche Widersprüche gäbe es leider immer wieder, vorgeworfen wird jedoch den zuständigen und involvierten Behörden und Einzelpersonen, dass sie keine oder falsche Prioritäten gesetzt hätten beim Schutz dieser verschiedenen Rechte. Bei einer Entführung stehe der Schutz des Lebens der entführten Person eindeutig an erster Stelle. Im Bericht werden die befehlshabenden Polizeioffiziere, die Staatsanwaltschaft, der Gouverneur des Departements Retalhuleu, der Friedensrichter und, in letzter Instanz, die Regierung unter Präsident Berger, zur Verantwortung für den gewaltsamen Ausgang der Räumung gezogen. Gefordert wird von der Kommission u.a. die Einsetzung eines unabhängigen Staatsanwaltes, die Absetzung des Gouverneurs, sofortige Bemühungen um die Freilassung von Héctor Reyes, die (Aus)Bildung von speziellen Verhandlungsteams, die bei Fincabesetzungen den Dialog führen können, eine Regelung über die Kompetenzen privater Sicherheitskräfte sowie alle drei Monate ein Bericht des Innenministeriums und der Staatsanwaltschaft über den Verlauf der weiteren Untersuchungen. |
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