,,Und trotzdem, die Linke existiert weiter..."
Fijáte 321 vom 3. Nov. 2004, Artikel 1, Seite 1
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,,Und trotzdem, die Linke existiert weiter..."
Vom 8. bis 10. Oktober fand in Quetzaltenango das ,,Nationale Treffen für Frieden und Demokratie in Guatemala" statt. Teilgenommen haben über 160 Personen, die sich selber als ,,progressiv, demokratisch und links" definieren. Sie trafen sich, um einen Konsens zu finden und eine Plattform zu definieren für den Aufbau einer Gesellschaft, die sich auf Gleichheit, Gerechtigkeit und Frieden stützt. Erklärtes Ziel der OrganisatorInnen war eine Annäherung und Vertrauensbildung zwischen progressiven und demokratischen Kreisen, die Schaffung eines Raums für Analyse, Dialog, Debatte und Reflexion über die aktuelle Situation und die Rolle demokratischer Gruppierungen sowie die Diskussion über eine mögliche gemeinsame Agenda der verschiedenen sozialen Sektoren gegenüber der offiziellen nationalen Politik, sprich, der Regierung. Explizit ausgeschlossen aus den formulierten Zielen war die Frage über die mögliche Gründung einer neuen linken Partei. ,,Die Linke war und ist heute mehr denn je ein pluralistisches Gebilde mit verschiedenen ideologischen Strömungen. Die Unterschiede, die früher zwischen der revolutionären und der demokratischen Linken gemacht wurden, sind heute obsolet. Vielmehr geht es mittlerweile um die Unterscheidung zwischen der institutionellen Linken (die sich am Wahlkampf beteiligt und politische Macht aspiriert) und der sozialen Linken (die sich auf soziale Mobilisierungen konzentriert mit der Absicht, die Machtverhältnisse zugunsten der Interessen der Bevölkerung zu verändern). Anstatt die Definition der Linken in Guatemala aufgrund dieser Kriterien zu bestimmen, wird sie doch meistens in Bezug auf ihr Verhältnis zur URNG (Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas) ausgelegt. Meiner Meinung nach müssen in Vorschlägen und Visionen einer guatemaltekischen Linken nicht nur die Beziehung zur URNG reflektiert, sondern auch die Erfahrungen aller je in Guatemala existierenden linken Organisationen einbezogen werden." (Carlos Figueroa Ibarra, in der Einleitung seines Vortrags beim ,,Nationalen Treffen", www.encuentroporguatemala.org) Beim Treffen in Quetzaltenango waren sie alle vertreten: Mitglieder der Parteien URNG und der ANN (Allianz Neue Nation) (eine der HauptinitiantInnen des Treffens war die ANN-Abgeordnete Nineth Montenegro), RepräsentantInnen der sozialen Linken, aber auch ,,gemässigte", wie VertreterInnen des BürgerInnenkomitees Xel-Ju oder Mitglieder der christdemokratischen und der sozialdemokratischen Parteien sowie der katholischen und evangelischen Kirche. Anwesend waren auch VertreterInnen aus Brasilien, Ecuador, Panama und El Salvador, die über die Erfahrungen der Linken in ihren Ländern sprachen. Marcos Rodríguez aus El Salvador berichtete über die Schwierigkeiten, welche die FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) im Nachkriegskontext von El Salvador zu bewältigen hatte: ,,Es war extrem schwierig, mit politischen Differenzen umzugehen. Die Beziehung zwischen sozialen Bewegungen und einer politischen Partei ist keine arithmetische Summe, sondern der Aufbau anderer Formen von Zusammenarbeit." Und: ,,Die Armen, die Frauen und die Indígenas haben es nicht nötig, dass die Linke für sie spricht. Unsereins hat immer das Gefühl, für alle sprechen zu müssen, dabei müssten wir in erster Linie lernen zuzuhören." Alejandro Moreano beschrieb anhand der Erfahrungen der ecuadorianischen Linken mit dem aktuellen Präsidenten Lucio Gutiérrez die Gefahr, der sich die sozialen Bewegungen aussetzen, wenn sie Allianzen mit Parteien eingehen, die ihre Forderungen nicht oder nur aus wahltaktischen Gründen unterstützen. Am zweiten Tag des Treffens präsentierten drei VertreterInnen der guatemaltekischen Linken ihre Reflexionen und Überlegungen bezüglich progressiver, demokratischer und linker Gruppierungen. Einer von ihnen war Carlos Figueroa Ibarra, den wir an dieser Stelle noch einmal zitieren: ,,Wir müssen uns fragen, ob es noch einen Sinn macht, zwischen ,,links" und ,,rechts" zu unterscheiden. Der Zerfall des Sozialismus hinterliess bei der Linken auf der ganzen Welt eine Benommenheit, die dazu führte, dass sich immer mehr zu fragen begannen, ob diese Differenzierung überhaupt noch angebracht ist. Bereits seit den sechziger Jahren proklamieren einige SozialwissenschaftlerInnen das Ende der Ideologien. Nach dem Zerfall des Sozialismus wurde vom Ende der Geschichte gesprochen. Ironischerweise waren es die eher konservativen Kreise, die vom Ende der Ideologien und vom Ende der Geschichte sprachen. Mit dem Ende der Ideologien meinten sie die Obsoletheit des Marxismus, und mit dem Ende der Geschichte meinten sie in erster Linie das Ende der Konfrontationen, die das kapitalistische System und die liberale Demokratie als die beiden einzigen Lebensformen in Frage stellten. Das Ende der Ideologien und das Ende der Geschichte waren nichts anderes als die euphemistische Proklamation des Sieges EINER Ideologie und EINER Gesellschaftsform. Als der Realsozialismus, der Staatssozialismus, der sowjetische Sozialismus oder wie immer man das System nennen will, das in Osteuropa existierte, zusammenbrach, und somit die sogenannte Krise des Marxismus evident wurde, bekamen die Theorien vom Ende der Ideologie und vom Ende der Geschichte Aufwind. Welchen Sinn machte es, von einer Linken und einer Rechten zu sprechen, wenn die Vorschläge der Linken zunichte gemacht waren. Das Verschwinden des einen Pols in diesem binären System machte auch den anderen überflüssig. Nach oben |
Und trotzdem: Die Linke existiert weiter. Und die Rechte selbstverständlich auch. Obwohl die Vorherrschaft der Rechten in den letzten Jahren dermassen überhand genommen hat, dass die Linke einem manchmal tatsächlich nur noch wie eine schwache Erinnerung an die Vergangenheit erscheint." Die ,,schwache Erinnerung an die Vergangenheit" ist jedoch unter der guatemaltekischen Linken noch sehr präsent. Verschiedene Organisationen und Einzelpersonen nutzten das Treffen in Quetzaltenango als Anlass, ihrerseits die aktuelle Situation zu analysieren und Vorschläge für eine ,,neue Linke" zu machen. So zum Beispiel die elektronische Zeitschrift albedrío (www.albedrio.org): ,,Die Linke darf nicht bloss als etwas Abstraktes wie eine Denkrichtung oder ein Zusammenschluss von Organisationen verstanden werden. Es ist wichtig, präsent zu haben, dass es in erster und letzter Linie Personen sind, die durch ihr theoretisches Denken und ihr praktisches Leben, organisiert oder unorganisiert, eine direkte Verantwortung haben für die vergangene und aktuelle Krise innerhalb der Linken. (...) Es ist Zeit für eine Erneuerung, die aus der Geschichte selbst erwächst. Es geht nicht darum, einen Schlussstrich zu ziehen und neu zu beginnen, sondern es geht darum, gewappnet aus einer wertvollen und lektionsreichen Erfahrung zu lernen. (...) Dies soll keine Show sein, bei der die Köpfe derer rollen, die das Schiff nicht zu lenken wussten, dessen Steuer sie im Alleingang übernommen haben. Die Personen werden von selber verschwinden, wenn sie nicht rechtzeitig ihr Verhalten ändern oder ihre irrtümlichen Positionen aufgeben. Es besteht die Notwendigkeit einer Veränderung von Form und Inhalt, was nicht zu verwechseln ist mit einer simplen Mutation, wie es die Linke in anderen Ländern gemacht hat." Unter dem Titel ,,Ein anderes Guatemala ist möglich" veröffentlichte das Kollektiv der sozialen Organisationen COS eine Analyse der Situation des Landes seit der Übernahme der Regierung durch Oscar Berger und die GANA. Das COS ruft die demokratischen und revolutionären Kreise, die Indígenas, die Frauen, die sozialen, BäuerInnen und Menschenrechtsorganisationen, die Kirche, die Studierenden, die Gewerkschaften und den informellen Sektor auf, persönliche und sektorielle Interessen zurückzustecken und gemeinsam eine ,,Frente Popular Libertador" zu bilden. In verschiedenen Arbeitsgruppen diskutierten die TeilnehmerInnen des Treffens in Quetzaltenango die ,,Gefahren und Chancen" der Linken. Der Vorschlag der indigenen VertreterInnen, eine separate Arbeitsgruppe zum Thema ,,Indígenas" zu bilden, wurde von einigen TeilnehmerInnen abgelehnt mit der Begründung, dadurch eine Spaltung herbeizuführen. Das Problem wurde gelöst, indem die Indígenas sich zu einer Strategiediskussion trafen, bevor sie sich auf die einzelnen Arbeitsgruppen aufteilten und so ihre Thematik überall hineintragen konnten. Dies gelang anderen Sektoren wie den Frauen oder der Jugend nicht gleich gut. Obwohl auch ihre spezifischen Themen und Forderungen präsent waren und in die Schlussresolution aufgenommen wurden, vertraten sie ihre Anliegen nicht mit derselben Vehemenz und Energie wie die Indígenas. Aus diesen Arbeitsgruppen stammen einige sehr selbstkritische Stellung- nahmen, wie z.B., dass Ausschluss und Hegemonie, Autoritarismus und Intoleranz dazu geführt hätten, dass die Linke für viele Leute nicht attraktiv sei. Oder, dass es der Linken an Bezug zur multikulturellen und alltäglichen Realität der Bevölkerung fehle und sie das in den Gemeinden und Gemeinschaften vorhandene Wissen nicht zu nutzen gewusst habe, um Alternativen zu entwikkeln. In ihrer Schlusserklärung resümierten die OrganisatorInnen des Treffens ihre Erwartungen als mehr als befriedigt. Auf eine reife Weise habe man die Verschiedenheit, die Vielfalt, aber auch die Marginalisierung der demokratischen, progressiven und linken Kräfte in Guatemala erkannt. Man habe auch die notwendigen Qualitäten und Charakteristika erkannt, auf die eine neue politische Epoche ausgerichtet sein müsse. Grundvoraussetzung sei ein Zusammenschluss der Kräfte, eine Annäherung der Positionen, eine klare politische Linie, punktuelle Abkommen und strategische Allianzen. Die InitiantInnen haben vor, weitere solche Treffen zu organisieren, sie sprechen bereits von einem II Encuentro, aber auch von sektoriellen Treffen. ,,Wir möchten, dass sich die Debatte auch auf andere Gruppierungen ausdehnt, auf die Indígenas, die Frauen, die Jugend und dass sich Dialogkanäle öffnen zwischen den verschiedenen Tendenzen der demokratischen und progressiven Kräfte. Es soll eine Vision einer Nation entwickelt werden, die gleichzeitig die Bevölkerung und jeden einzelnen und jede einzelne GuatemaltekIn stärkt." |
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