Land, Gender und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Guatemala
Fijáte 320 vom 20. Okt. 2004, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 320 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 --- Nächstes Fijáte
Land, Gender und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Guatemala
Die in manchen Regionen oftmals in grossem Ausmass und beständig herrschenden Phänomene des Hungers und der Unterernährung sind in Guatemala weder neu noch unabhängig von den strukturellen und politischen Rahmenbedingungen. Der Kampf der BäuerInnen um eine gerechte Landverteilung war in diesem Zusammenhang nicht nur eine der wesentlichen Ursachen für den bewaffneten internen Konflikt, sondern kostet noch heute manches Menschenleben, zieht die derzeitige Regierung unter Oscar Berger doch offensichtlch meistens den Weg der Gewalt vor, um von BäuerInnen besetzte Fincas zu räumen und den Dialog mit diesen zu brechen. Irma Alicia Velásquez Nimatuj erörtert im folgenden die Problematik und die besondere Benachteiligung von Frauen in diesem Zusammenhang, mit der sie sich als promovierende Anthropologin seit langer Zeit intensiv auseinandersetzt Der vorliegende Text beruht auf einem Vortrag, den die Angehörige des Volkes der Maya-K´iché Anfang Oktober bei einem u.a. von FIAN International veranstalteten Seminar zum Thema "Recht auf Nahrung von Landfrauen in Lateinamerika" gehalten hat. "Ich möchte von vornherein klarstellen, aus welcher Perspektive ich spreche. Ich bin keine ,,indigene Frau", ich bin eine Frau, die Anthropologin und indigen ist. Ich begleite im Rahmen der Anthropologie indigene ländliche Gemeinden und Personen. Seit langer Zeit arbeite ich zum Thema Land. Zu Beginn meines Vortrages möchte ich den generellen Rahmen skizzieren, innerhalb dessen sich der Kampf um die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte in Guatemala abspielt. Speziell der indigenen Völker. Anschliessend werde ich mich relativ allgemein darauf beziehen, wie die Landsituation in Guatemala aussieht. Zum Schluss möchte ich drei Fallstudien von Mam-BäuerInnen vorstellen, die ich begleitet habe. Eine entstand in San Marcos zusammen mit der Coordinadora Marquense und zwei mit der BäuerInnenorganisation CONIC in Retalhuleu. Was ich mit diesen Studien zeigen möchte ist die Erkenntnis, dass sich die Bauern und Bäuerinnen nicht immer als Opfer sehen. Sie sehen sich nicht immer als die am stärksten Ausgegrenzten, die am meisten leiden, sondern im Gegenteil: Was wir bei diesen Fällen der politischen Begleitung vorgefunden haben ist die Tatsache, dass die Betroffenen versuchen, die Opferrolle zu durchbrechen, in die sie der Staat aber auch die internationale Gemeinschaft gedrängt haben. Was uns eben die compañera Eulalia (Eulalia Elena Silvestre Hernández vom BäuerInnenbündnis Alianza de Mujeres Rurales, die Red.) über ihre Erfahrungen erzählt hat, ist ein solches interessantes Beispiel: Es sind just diese Freiräume, die sie ausnutzen: Sie sind vor dem Krieg geflohen, kommen schliesslich aus dem Exil in Mexiko zurück. Aber wie kehren sie zurück? Sie haben Lebenspläne, Beschäftigungspläne! Und sie versuchen, Gemeinden in Schwung zu bringen, noch mitten im Krieg. Genau das haben wir in vielen Regionen vorgefunden, in anderen Regionen, wo die Konzentration von Land sehr gross ist. Um nun den ersten Aspekt aufzugreifen: Der Kampf um die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte in Guatemala betrifft für gewöhnlich am stärksten die indigenen Völker. Und das deswegen, weil zwischen 60 und 70% der guatemaltekischen Bevölkerung indigen sind. Darunter werden drei Völker gefasst: das Volk der Garífuna, das der Xinca und das der Maya. Da ich die anderen beiden und ihre Kämpfe zu wenig kenne, beziehe ich mich hier auf die Maya und innerhalb dieser werde ich von dem Volk der Mam sprechen. Der Kampf um die wirtschaftlichen Rechte ist sehr alt. Es ist ein Kampf, der sich im Laufe des 20sten Jahrhunderts verstärkt hat, gerade ab 1950 an Aktivismus gewonnen hat und in Zusammenhang mit dem zivilen Krieg stand, mit dem wir konfrontiert waren. Dieser Krieg brachte die Stimme der Maya nicht zum Schweigen, obwohl es genau diese waren, die von dem Konflikt am heftigsten getroffen wurden, 83% der Toten waren Maya. Es ist ebenfalls zu konstatieren, dass mit Aufnahme der Friedensgespräche von Seiten des Volkes der Maya eine deutliche Forderung gestellt wurde, an den Verhandlungs- und Diskussionstischen teilzunehmen, doch dieser wurde nicht entsprochen. Es gab lediglich eine indirekte Beteiligung der indigenen Bevölkerung und ebendies hat viele Schwierigkeiten mit sich gebracht. Es hat vornehmlich in spezifischen Abkommen Probleme verursacht, wie zum Beispiel bei der Vereinbarung zur Identität und der Rechte der Indigenen Völker. Denn es wurde eine Vereinbarung für die indigenen Völker verhandelt, ohne dass diese anwesend waren. Auch das Abkommen über die sozio-ökonomischen Rechte: Es wurde über das Thema Land geredet, ohne dass die Indígenas direkt daran beteiligt wurden. Bei der Diskussion über das Abkommen zur Wiederansiedlung waren sie auch nicht dabei. All dies hat zu einer Serie von Lücken, einer Serie von Streitfragen geführt, mit denen wir uns heute auseinander zu setzen haben. Allein, weil die Stimmen und die Lösungsvorschläge der am meisten Geschlagenen und Bedürftigsten nicht gehört wurden. Wir stellen also fest, dass die ökonomischen, politischen und sozialen Rechte der indigenen Völker ab 1995 an Stärke gewinnen, vor allem ab Mai jenes Jahres, als das Abkommen zur Identität und der Rechte der Indígenas firmiert wird. Zum ersten Mal in 500 Jahren werden die indi- genen Völker in Guatemala anerkannt. Das gab es vorher nicht! Es werden das Volk der Garífuna, das der Xinca und das der Maya anerkannt. Dies öffnet einen politischen Freiraum für Verhandlungen auf nationaler Ebene, der ferner erlaubt, dass BäuerInnenorganisationen, indigene Organisationen, Vereinigungen von Frauen, von Männern anfangen, in die politische und öffentliche Arena Guatemalas einzutreten. Das ist nicht einfach gewesen. Denn, auch wenn das Abkommen zur Identität sie offiziell anerkennt, tut dies die Politische Verfassung der Republik noch lange nicht. Es wurden Änderungen in der Carta Magna gefordert, die bis heute nicht eingelöst worden sind. Es besteht also ein legales Vakuum. Eine andere Lücke manifestiert sich darin, dass das Abkommen zur Identität kein Staatsabkommen ist. Das bedeutet, dass die jeweilige Regierung selbst entscheiden kann, ob sie sich daran hält oder nicht. Deswegen verwundert es auch nicht, dass MINUGUA in ihren Berichten davon spricht, dass das Abkommen, das bislang am wenigsten erfüllt wurde, das zur Identität ist. Diese Beobachtung zieht sich vom ersten bis zum letzten Bericht der UN-Mission. Weil es eben kein Abkommen des Staates ist. Auf der anderen Seite wurde von Seiten sozialer Sektoren aufgeworfen, dass die kulturellen und sozialen Rechte der indigenen Völker andere seien als die wirtschaftlichen. Erst seit kurzem werden die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ethnischen Rechte überhaupt anerkannt. Und dies ist eindeutig ein Erfolg der Forderungen und Vorschläge der indigenen Völker selbst. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Maya-Organisationen, die sich auf ein bestimmtes Arbeitsfeld konzentrieren: Es gibt die Akademie der Maya-Sprachen, es gibt die Vereinigung Moloj, die sich speziell dem Kampf um die Rechte der indigenen Frauen widmet. CONIC, die Nationale Indígena- und BäuerInnenkoordination, versucht eine integrale Agenda aufzusetzen, die sowohl die Aspekte Gender, Land, den BäuerInnenkampf als auch die ethnischen Rechten umfasst. Die Analyse des bisherigen Erfolgs dieser Agenda steht noch aus. Ich möchte damit sagen, dass die Tatsache, dass es eine Reihe von MayaOrganisationen mit speziellem Engagement gibt, nicht erklärt, dass die kulturellen Rechte von den wirtschaftlichen getrennt sind. Im Gegenteil: Sie gehören zusammen. Wir haben ebenfalls festgestellt, dass seit 1997 damit begonnen wurde, zahlreiche Analysen, Studien und Berichte zu erstellen, die veröffentlicht werden und uns auf die Marginalisierung hinweisen, in der die indigenen Völker leben. Das war während der Kriegszeit nicht gemacht worden. Stattdessen gab es aufgrund der herrschenden Repression nur völlig allgemeine Berichte. Die Mehrzahl der ExpertInnen musste das Land verlassen, andere haben keine Forschung mehr betrieben. Was sagen uns nun die Berichte, beispielsweise vom PNUD, dem UN-Entwicklungsprogramm? Dass zwischen den Jahren 2000 und 2002 die Armut in Guatemala von 56 auf 57% angestiegen ist. Die CEPAL, das Polit- und Wirtschaftsforschungsinstitut, zeigt auf, dass speziell die indigenen Völker mit 86.6% von der Armut betroffen sind. Und davon wiederum tragen insbesondere die Frauen auf dem Land die grösste Last: 73% von ihnen leben in Armut. Sie leben auf dem Land und sind indigen. In Lateinamerika gibt es zwei Länder, die sich ähneln: Bolivien und Guatemala. Doch ihre politischen Kämpfe sind unterschiedlich. Derzeit erleben wir ein Bolivien, das hinsichtlich der Verfassungsrechte Fortschritte macht, sie haben es geschafft, eine neue Verfassung einzufordern. Sollten sie tatsächlich Verfassungsänderungen zu Gunsten der indigenen Bevölkerungsmehrheit erreichen, wäre dies ein ungeheuer wichtiger Präzedenzfall für Lateinamerika. Das wäre das erste Mal in dieser Region, dass eine Verfassung direkt von der Basis der indigenen Völker vorangetrieben wurde. In Guatemala haben wir das nicht geschafft. Und das lag an den Rahmenbedingungen der Ungleichheit und Exklusion, vereint im Rassismus. Guatemala ist ein enorm rassistisches Land. Es ist schwierig, im wirtschaftlichen und sozialen Kampf voranzukommen, wenn es keinen Fortschritt im Kampf gegen den Rassismus gibt. Doch das ist kaum für diejenigen Nicht-Indígenas zu verstehen, die nicht davon betroffen sind, in den unterschiedlichen Instanzen ausgeschlossen, im tagtäglichen Leben diskriminiert zu werden. In diesem Zusammenhang sind wir auf etwas gestossen, das die indigenen Völker "statistischen Genozid" nennen. In Guatemala will man den Prozentanteil der indigenen Bevölkerung an der Gesamtpopulation nicht wahrhaben. Zum Beispiel spricht der letzte offizielle Zensus von 43% Indígenas. Die indigenen Völker weisen dagegen darauf hin, dass ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung zwischen 60 und 70% liegt. Das sind genau diese Daten, die auch den Schweregrad der herrschenden extremen Armut verschleiern. Und somit werden auch die nötige öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf die betroffene ländliche und indigene Bevölkerung verweigert und der soziale Ausschluss kaschiert. Womit beschäftigt sich der Grossteil der ruralen und indigenen Bevölkerung in Guatemala? Die meisten widmen sich der Landwirtschaft. In Guatemala gibt es schätzungsweise 4 Mio. indigene Frauen. Und 80% von diesen sind in unterschiedlicher Form an das Land, an die Landwirtschaft gebunden. Doch diese Zahlen werden im Zensus nicht berücksichtigt, da die Frauen keinen Lohn erhalten. Als ökonomisch aktive Bevölkerung werden eben nur die Personen anerkannt, die ein Einkommen haben. Dabei widmen sich die Frauen beispielsweise dem Kleinhandel, sie stellen in kleinem Umfang Webarbeiten her oder engagieren sich in anderen Bereichen, die aber auch keine offizielle Anerkennung geniessen. Auf diese Weise werden die Frauen in den offiziellen Daten übergangen, vergessen. Als ökonomisch aktiv werden derzeit in Guatemala nur 1,7 Mio. Arbeitende bezeichnet. Die wirkliche Zahl liegt dagegen wesentlich höher. Und wie sieht es mit dem Landbesitz aus? Der Agrarzensus von 2003 der vorherige wurde 1979 durchgeführt, es dürften also deutliche Unterschiede in den Angaben zu erwarten sein was sagt er uns? Die Zahlen sind fast die gleichen geblieben! Die Konzentration des Landes liegt weiterhin in wenigen Händen. 93% der Fincas, die kleiner als 10 manzanas (7 ha, die Red.) sind, liegen auf 21% des anbaufähigen Landes. Währenddessen umfassen 1.9% der Fincas, die grösser als eine caballería (45 ha, die Red.) sind, 57% des anbaufähigen Landes. Die Landkonzentration in Guatemala überwiegt also deutlich. Stellen Sie sich die Proportion dieser Reichtumsverteilung in Deutschland vor! Dass 1,9% der Bevölkerung 60% des Reichtums des Landes besitzen würden. Ich glaube, das ist kaum vorstellbar. Diese sind die Probleme in Guatemala, die strukturellen Probleme. Demzufolge ist es schwierig, Erfolge zu erzielen, wenn das System nicht in Frage gestellt wird und Transformationen erreicht werden. Diese Probleme der Exklusion, der Armut, der Marginalisierung der indigenen Völker, des Rassismus, dem sie ausgesetzt sind, hat durchaus zur Folge gehabt, dass am 29. Dezember 1996 die Dokumente des Friedens unterschrieben wurden. Doch dieser Friede ist im wirklichen Leben nicht angekommen! Anfang 2002 sah sich Guatemala einer indigene Bewegung gegenüber, bestehend aus mutigen Männern, Frauen, Kindern und Alten, die in die Hauptstadt einmarschierten und jeden mögliche Spielraum ausnutzten, um ihre Forderungen zu artikulieren. Gleichzeitig wurde eine Reihe von Fincas besetzt, vornehmlich in den Verapazes, teilweise an der Südküste des Departements Quetzaltenango und in einigen Regionen von Retalhuleu. Die Absicht dieser Aktionen bestand zum einen darin, arbeitsrechtliche Gerechtigkeit einzufordern. Es wurden Fincas besetzt, deren Arbeitende be- Nach oben |
reits seit 20, 25 Jahren dort tätig waren und noch nie irgendeine Dienstleistung noch Erstattung für ihre Arbeit erhalten hatten. Es gab sogar Fälle, in denen die Arbeitenden seit einem Jahr keinen Lohn bekommen hatten. Sie schlugen vor, ihnen die Ländereien als Teil ihrer Gehälter zu überlassen. An anderen Orten gab es Fincas, auf denen einige Felder nicht genutzt wurden. Und die, die eher ausserhalb lagen, wurden von den BäuerInnen besetzt, um sie für den Eigengebrauch zu bepflanzen. Es gibt also eine gewisse Kraft der CONIC, es gibt eine Kraft der BäuerInnenvereinigung CNOC, es gibt eine Kraft der Organisationen von indigenen Bäuerinnen, die versuchen, den Landbesitz als Thema auf den Diskussionstisch des Staates zu bringen. Dennoch gibt die Regierung keine Antwort darauf. Diese vertritt derzeit den Standpunkt: ,,Den einzigen Ausweg, den wir haben, sind der Landfond FONTIERRA und CONTIERRA, die Kommission, die versucht, die Landkonflikte zu lösen. Die einzige Option, die FONTIERRA den BäuerInnen bislang bot, war, dass diese Land kaufen konnten. Land in schlechtem Zustand, Felder, auf denen Baumwolle oder Kaffee angepflanzt worden war. Die Kaffeekrise hat ihrerzeit dazu beigetragen, die prekäre Situation der BäuerInnen zu verschärfen. Der Kaffeepreis begann zu fallen. Sie alle wissen, dass die zentralamerikanischen Länder Kaffee- und Bananenländer sind. Seit Jahrhunderten blieb uns nichts anderes übrig, als diese Früchte anzupflanzen. Als der Kaffeepreis auf dem internationalen Markt fiel, konnte Guatemala nicht überleben. 5% des Bruttoinlandprodukts bestanden aus Einnahmen der Kaffeeproduktion und die sind verloren. Vietnam ist in den internationalen Kaffeemarkt eingestiegen. Ich beschuldige Vietnam nicht. Wir haben es einfach mit den Strategien des riesigen Weltmarktes, der Preise und Produkte zu tun. Wenn schon in Guatemala ein äusserst niedriger Kaffeepreis im Gegenzug von Sklavenarbeit und dem Nichtzahlen von Löhnen erreicht wurde, wie muss man sich erst die Arbeit in Vietnam vorstellen? Ich denke, dass die Arbeitssituation dort noch schwieriger sein muss, um auf dem Weltmarkt ein noch günstigeres Produkt anbieten zu können. In Guatemala haben diese Umstände zu einer realen Ernährungskrise geführt. Ende 2002 gab es allein im Departement San Marcos 120'000 Familien, die an Hunger litten. In diesem Departement lagen die meisten Kaffeefincas und die meisten Fincas, die geschlossen wurden. Diese 120'000 Familien erhielten keinerlei Hilfe von der Regierung. Es waren die Landpastorale und andere Organisationen, die versuchten, die prekäre Situation zu lindern. Und diese Unterstützung hält immer noch an. Im Jahre 2002 gingen 66'000 Arbeitsplätze verloren. Im folgenden Jahr waren es schon 176'000, also rund 100'000 mehr. Ähnlich problematisch sah es mit den Gehältern aus. Der offizielle Lohn betrug 28 Quetzales täglich, also etwa US-$ 3,50. Aber der reale Lohn auf den Fincas betrug zwischen US-$ 1,80 und 2,20 für eine sechsköpfige Familie. Das war unmöglich, dass eine Familie damit leben konnte. Ebenso war es unmöglich, von den Leuten zu fordern, die Fincas nicht zu besetzen. Das war eine Alternative, ein Ausweg. Zum Schluss möchte ich nun die drei Fallstudien vorstellen, die ich begleitet habe. Die erste Studie wurde in El Paraíso erhoben. Dieser Ort liegt in San Marcos und ist Teil der Marquensischen Dachorganisation Madre Tierra. Das ist ein interessanter Fall. Hier leben BäuerInnen, die seit Generationen organisiert sind. Sie haben wirklich auf die Unterzeichnung der Friedensverträge gewartet und haben sich viel von dem sozioökonomischen Abkommen versprochen. Als diese Vereinbarung firmiert war, sagten sie: ,,Jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir auf legale Weise Land bekommen können und nicht mehr auf gewalttätigem Wege." Zuallererst schafften sie es, die Marquensische Dachorganisation zu gründen, denn sie suchten eine Art Schirm, eine departamentale Koordinationsstelle, die ihnen als Dach diene. Nachdem diese formiert war, gingen sie in ihre Gemeinden und begannen, jede einzelne von diesen zu organisieren. Die Leute aus El Paraíso, ein Ortsteil der Departementshauptstadt von San Marcos, handelten einen Kredit bei FONTIERRA über die 7 Mio. aus, die die Finca kostete. Doch interessanterweise liessen sie es nicht zu, dass der Landfond bestimmte, welche Finca sie bekommen sollten. Sie holten drei, vier bis zu fünf Angebote ein, und als sie sich für eine Finca entschieden hatten, die ihres Erachtens die beste der Verfügbaren auf dem Markt war, liessen sie sich auf die Verhandlung ein. Und sie haben eine gute Finca gekauft. Sie kauften eine Finca in Catarina San Marcos, zwanzig Minuten von der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko entfernt. Seitdem sind sie vereint. Sie haben eine sehr interessante interne Organisation mit sechzehn eigenen Kommissionen. Und sie haben ein sehr dynamisches Team von Frauen. Zu Beginn kamen unterstützende Organisationen, die den Frauen vorschlugen, Hühner zu züchten. Daraufhin meinten die Frauen: ,,Einverstanden, wir werden Hühner züchten, aber bloss für sechs Monate. Denn die Hühner bringen uns keinen Gewinn, das ist nicht rentabel. Wir wollen einen viel grösseren Kredit, der es uns ermöglicht, Vieh zu kaufen. Denn die Kühe werden sich rentieren." Sie schafften es also, sich nicht einfach in diese Gender- und Geschlechterrollen-Schemata einordnen zu lassen und das zu machen, was am wenigsten kostet. Und es geht diesen Frauen ziemlich gut. Sie produzieren am Tag mehr als 100 Liter Milch, die sie kollektiv vermarkten. Das Dorf hatte keine Brükke über einen der Flüsse, der auf dem Weg zur Finca liegt. Also konstruierten sie selbst diese Brücke. Sie hatten beim Staat diesbezüglich angefragt, doch dieser hatte ihnen nicht geholfen. 55´000 Quetzales (ca. US-$ 6´875,-, die Red.) hat sie diese Brücke gekostet. Und sie haben es geschafft, sie zu bauen. Das ist eines der besten Beispiele. Aber es ist auch eine Falle, denn es scheint so, dass der Markt es doch erlaubt, dass die BäuerInnen einfach eine Finca kaufen und aus der Armut herauskommen können. Auf der einen Seite stimmt das. Auf der anderen Seite ist dieser Erfolg sehr stark auf die interne Organisation dieser Gemeinde zurückzuführen. Es sind 120 Mam-Familien und 40 Familien aus anderen Regionen Guatemalas, die sich ihnen angeschlossen haben. Sie haben es geschafft, sich intern zusammenzutun und voranzukommen. Der zweite Fall ist der der Finca Tlán in Retalhuleu. Auf dieser Finca wurde zu erreichen versucht, dass 85 Familien ihre Arbeitsrechte ausgezahlt würden. Es lag nicht an dem Arbeitgeber, der ihnen bereits die Finca als Zahlung ihrer Lohnzusatzleistungen angeboten hatte. Doch als dieser starb, wurde ihnen die Finca dennoch nicht überlassen. Stattdessen begannen die Familien einen Gerichtsprozess, um sie zu erwerben. Das zog sich über fünf Jahre. Schliesslich wurde ihnen die Finca zugesprochen, doch der Staat intervenierte und behauptete: ,,Wenn ihr die Finca haben wollt, müsst ihr sie kaufen. Da führt kein Weg dran vorbei. Wir können euch eure Lohnzusatzleistungen für diese Finca nicht gewähren. Das geht nicht!" Und sie akzeptieren es, die Finca zu kaufen, eine ausgelaugte Finca in schlechtem Zustand. Doch sie sind dort und kämpfen. Sie versuchen weiterzukommen und pflanzen Sesam und Mais an. Mais, um die Ernährung zu sichern und den Sesam zur Vermarktung. Und die Frauen sind ebenfalls organisiert und züchten in kleinem Umfang Tiere. Wenn die Klimaepochen günstig und die Ernten gut sind, kommen sie voran, wenn das Wetter schlecht ist, verlieren sie alles. Sie sind also sehr vom Verlauf des Jahres abhängig, vom Klima, den Ernten, den Preisen. Sie hatten kleinere interne Organisationsprobleme, aber es geht ihnen nicht so schlecht. Sie haben Schritt für Schritt die Schulden bezahlt. Der letzte Fall ist der in Nueva Castela, vielleicht ist es international der bekannteste, denn die Mam-Frauen ha- ben sich dem Militär auf der Plaza Central in der Hauptstadt entgegengestellt, sie wurden geschlagen, beschimpft, verletzt. Sie forderten die Rückerstattung einer Finca von 1910, die ihnen der damalige Präsident von Guatemala übereignet hatte. Doch danach wurde sie ihnen nicht überlassen. Also forderten die Frauen die Übergabe dieser Finca. Und der Staat sagte auch in diesem Fall: ,,Der einzige Weg besteht darin, dass ihr die Finca kauft. Wir können sie euch nicht einfach so geben." Und sie akzeptieren den Kauf, aber nicht den der Finca, die ihnen 1910 vom Präsidenten zugesprochen worden war, sondern sie kauften eine, die im allerschlechtesten Zustand ist. Hier war Baumwolle angepflanzt worden. Dieser Landerwerb hatte zur Folge, dass sich die Organisation gespalten hat. Gespalten in Bezug auf die Frage ob der Form der Legalität der Finca. 60% der BäuerInnen hatten sich entschieden, dass sie Individualtitel haben wollten. 40% dagegen wollten kollektive Besitztitel. Dies brachte die Gemeinde gegeneinander auf. Dann kam auch noch der Hurrikan ,,Mitch" und zerstört all ihre Ernten. Sie verlieren alles und können noch nicht einmal die wenigen ausstehenden Kredite zurückzahlen. Ein Viertel der Gemeinde emigrierte in die Vereinigten Staaten als eine Form, die Krise zu meistern. Die übrigen sind zurückgeblieben und kämpften weiter. Als sie die Individualtitel erhielten, verkauften die, die es konnten ihren Anteil, und verliessen den Ort, denn sie konnten die Felder nicht erhalten, die nährstoffarm und unfruchtbar sind. Zusätzlich bestanden die internen Problemen in der Gemeinde weiter fort. Diejenigen BäuerInnen mit kollektivem Landtitel blieben und führen den Kampf fort in einer Gemeinde ohne die minimalen Dienstleistungen. Das ist der schlimmste Fall trotz aller politischen Kämpfe, die ausgetragen worden sind. Wir sehen an diesen drei Fällen, dass der einzige Weg zum Landbesitz für die BäuerInnenorganisationen in Lateinamerika über den Markt läuft. Egal, um was für einen spezifischen Fall es sich jeweils handelt. Zwei der Fälle entsprachen nicht den Bedingungen des Marktes. In El Paraíso schon, die beiden anderen aber nicht. Es gibt also eine Reihe interner Probleme in Guatemala. Solange die Besonderheiten der einzelnen Fälle nicht analysiert werden, wird die Stabilität des Landes nur schwer zu erreichen sein. Ich glaube, wir sind mit einem grossen Problem konfrontiert. Während ich mit den ländlichen Gemeinden gearbeitet habe, habe ich sie gefragt, was sie von der Agrarreform halten. Die Mehrheit sieht die Sache folgendermassen: Die Agrarreform ist notwendig, aber sie wird das Problem nicht lösen. Die BäuerInnen sehen die Agrarreform als Teil einer viel umfassenderen ländlichen Entwicklung. Ich glaube also, dass hier eine Möglichkeit des Engagements besteht. Eine Möglichkeit der Begleitung, der Analyse und der Schaffung einer Perspektive für die ländlichen Gebiete. Eine Agrarreform allein wird nicht funktionieren. Doch als Teil einer ländlichen Entwicklung, die die Aspekte Gender, Ethnie, Klasse und auch die Rolle des Staates umfasst, könnte eine Alternative sein. Vielen Dank." |
Original-PDF 320 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 --- Nächstes Fijáte