Viele Maschinen, in allen Farben und Grössen
Fijáte 322 vom 17. Nov. 2004, Artikel 1, Seite 1
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Viele Maschinen, in allen Farben und Grössen
Unter dem Titel "Die Auswirkung der Minen in den Gemeinden San Marcos" realisierte das Meinungsforschungsinstitut Vox latina eine Befragung in San Miguel Ixtahuacán und Sipakapa, zwei der am stärksten vom Goldminenprojekt Marlin des kanadischen Unternehmens Glamis Gold betroffenen Gemeinden in San Marcos. 400 Personen wurden befragt und wen wundert's 96% aller Männer und 94% der Frauen sowie 95% der indigenen und 95% der Ladinobevölkerung lehnen die Minentätigkeit in ihrer Gemeinde ab. 85.75% sind davon überzeugt, dass der Goldabbau die Zerstörung von Umwelt und sozialen Strukturen mit sich bringt, während nur 8.75% eine wirtschaftliche Bereicherung erwarten. Wirklich begrüsst wird das Projekt von bloss 4.5% der davon betroffenen Bevölkerung. Präsident Berger bezeichnet solche Umfragen als eine "ausgezeichnete Übung", ist jedoch seinerseits der Meinung, dass der Goldabbau dem ganzen Land nur Gutes bringe. Er selber könne den BewohnerInnen der beiden Gemeinden auch nicht helfen, wenn sie weiterhin in der Misere leben wollten. Unterdessen haben sich in Kanada und den Vereinigten Staaten rund 70 Organisationen und 60 Einzelpersonen in einem gemeinsamen Schreiben an Präsident Berger gewendet mit der Bitte, die Minentätigkeit in San Marcos vorläufig zu suspendieren und die betroffenen Gemeinden in den Informations- und Entscheidungsprozess einzubeziehen. Wir veröffentlichen im Folgenden den Brief eines italienischen Mitarbeiters der Kirchengemeinde in Sipakapa, welche seit Beginn die GegnerInnen des Minenprojekts begleitet und unterstützt. "Was ich hier in Sipakapa im Überfluss besitze, ist Zeit, was mir am meisten fehlt, ist die Lust zum Schreiben. Manchmal bereitet mir ein leeres Blatt Papier und die Vorstellung, es füllen zu müssen, sogar Angst. Doch dieses Mal werde ich mich überwinden und euch schreiben. Wie ihr bereits wisst, hat sich in Sipakapa ein multinationales kanadisches Minenunternehmen niedergelassen, das hier Gold abbauen will. Es gibt einen gewissen Widerstand seitens der Bevölkerung dagegen, aber es ist uns das übliche Pech beschieden, dass nämlich die "kompetenten"Leute in diesem Thema auf der Gegenseite sitzen. Seit Beginn weiss ich, dass wir auf verlorenem Posten kämpfen. Ich fühle mich wie ein Soldat, der darauf wartet, in die Schlacht geschickt zu werden, aus der er nicht mehr zurückkommen wird, oder so wie die letzten gelben Blätter, die noch an den Bäumen hängen und unweigerlich herunterfallen werden. Oder, wie es in dem Lied von Mercedes Sosa heisst: ,,Das Pferd zieht vorwärts, während die Seele zurück will". So wäre es wohl jemandem vorgekommen, der oder die als BeobachterIn das Gespräch von sieben Freunden mitgehört hätte, die über die soziale Situation der sipakapensischen Bevölkerung, die vom Herpes des Goldes befallen ist, gesprochen haben. Doch da ist noch etwas: Die Unterdrückten, weil sie die Opfer und nicht die Gründe der Ungerechtigkeit sind, befinden sich in einer vorteilhaften Situation. Zwar sind sie mit der brutalen Realität konfrontiert, aber gleichzeitig hängen sie einem illusorischen Glauben nach. Die arme Bevölkerung trotzt den Bombardierungen durch die Ideen des Systems Produzieren, Konsumieren, Schlafen und wehrt sich dagegen. Wer Ungerechtigkeit erlebt in einem ungerechten System, der oder die ist vom Leben ausgeschlossen, bzw. er oder sie wird es schwer haben, überhaupt leben zu können. Die Ungerechtigkeit schläfert ein, bremst die Freiheit, verschliesst alle Perspektiven. Der Glaube wird dann zu einer Droge. Frieden, Sicherheit und Liebe verkommen zu Putzlappen. Die sieben Freunde, Bauern und Experten in der Landarbeit, Indígenas, Träumer, Rebellen und Verlierer, kamen auf die Idee, gegen dieses multinationale Unternehmen und gegen eine bestimmte Form des Lebens zu kämpfen. Ihnen zuzuhören, in einer kleinen Küche um einen Tisch sitzend, beim Licht einer weissen Kerze und aufgewärmt von einem traditionellen Getränk, war, wie dem Gewissen dieser Welt zuzuhören. Im feuchten Atem dieser Männer spürte ich Hoffnung, in ihren Augen habe ich den Glauben an das Leben gesehen und hinter ihren rauhen, aber gut kalibrierten Worten habe ich den Willen zu einer präzisen Aktion herausgehört. Derweil bewegen sich Maschinen verschiedenen Typs, unterschiedlicher Grösse und Farbe über den sipakapensischen Boden. Sie graben, transportieren, verschieben, mahlen, bohren, verschlingen die Weichteile der Berge und bringen, nach einem mit Zyanid angereicherten Verdauungsprozess, Exkremente namens GOLD ans Tageslicht. Zu eurer Information noch eine unleugbare Tatsache: Die Minentätigkeit trägt nichts zum wirtschaftlichen Wachstum des Landes bei. Dies mag eine Erkenntnis sein, die viele überrascht, die glauben, der Reichtum des Bodens würde automatisch "Fortschritt" mit sich bringen. Wer sich die Mühe macht, eine antikapitalistische Analyse über die Anhäufung von Kapital zu machen, merkt schnell, wo der Ursprung der Ungleichheit liegt: Die Demokratische Republik Kongo (ehemals Zaire), Bolivien, Sierra Leone, Peru waren nicht per se arme Länder, sondern sie verarmten im Verlauf der Jahre durch die blutsaugenden Tätigkeiten der transnationalen Minenunternehmen. Eine grosse Auslandsverschuldung verwüstet, erstickt seit Jahren diese ärmsten Länder der Welt. Dies sind die Früchte, welche diese Unternehmen hinterliessen, die nie etwas in Nach oben |
Entwicklungs- und Subsistenzprojekte für die Armen investiert haben. Im Gegenteil, es ging einzig um Ausbeutung und Raub. Es gibt keine Beweise dafür, dass die Investition der Minenunternehmen den armen Ländern zugute kommt. Im Gegenteil, gemäss Untersuchungen der Vereinten Nationen leben die meisten an der Armutsgrenze Lebenden in Ländern, die Minerale exportieren. Die Regierungen der unterentwickelten Länder haben meist nicht die Kapazität, um die negativen Auswirkungen dieser Industrie auf die Gesundheit der Menschen vorauszusehen oder zu verhindern, dass die Wirtschaftsentwicklung rückläufig ist. Wer weiss, welch Schicksal unsere aktuelle Regierung erwartet, die ihre verlorene Seele mit schändlicher Korruption zupflastert. Ein ähnliches Schicksal werden wohl die Entscheidungsträger der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Arbeitsorganisation zu erwarten haben. Die armen Länder Lateinamerikas, die bereits die Conquista, die Plünderung und jetzt die Auslandsverschuldung haben erleiden müssen, werden nun gezwungen, diese "Entwicklungsprojekte" anzunehmen. Für die Mine in Sipakapa, deren erste negativen Konsequenzen wir schon spüren, gab die Weltbank ein Darlehen von 45 Mio. US-$ und führte dabei an, wie die marginalisierten Indígenas von Sipakapa davon profitieren könnten. Mit diesem Geld soll aber nicht der indigenen Bevölkerung der Region geholfen, diese soll vielmehr ein für alle Mal zum Verschwinden gebracht werden. Schon in der Vergangenheit haben die Menschen Minerale abgebaut. Bereits die Babylonier, die Assyrer, die Byzantiner besassen Kupfer- und Bleiminen im heutigen Südjordanien. Doch seit der industriellen Revolution nahm der Abbau und der Gebrauch von Mineralien stetig zu. In jüngster Zeit hat sich diese Entwicklung rasant beschleunigt: Im Jahr 2000 wurden rund 9,6 Mio. Tonnen Mineralien abgebaut, das ist etwa doppelt soviel wie im Jahr 1970. Die USA, Kanada, Australien, Japan und Westeuropa, die zusammen 15% der Weltbevölkerung ausmachen, konsumieren etwa 2/3 der jährlich abgebauten Minerale: Etwa 61% des Aluminiums, 60% des Bleis, 59% des Kupfers und 49% des Stahls. Pro Person werden in den USA jährlich 22 kg Aluminium konsumiert, einE DurchschnittsbürgerIn in Indien konsumiert jährlich 2 kg und einE AfrikanerIn 0,7 kg. In jüngster Zeit wurde vermehrt in die Suche nach Gold und Diamanten investiert, die mehr wegen ihres Wertes denn wegen ihrer Nützlichkeit gefragt sind. Wir wissen, wohin das führt: Schmuck für lebende Tote. Gestern Abend besuchten mich zwei Europäer, die für ein internationales Unternehmen in der Mine von Sipa- kapa arbeiten. Der jüngere, ein lockenköpfiger Ingenieur, der keine Ahnung vom Leben und viel Heimweh nach seiner Mutter hat, pflügt mit seiner Maschine die Berge um, der ältere ist ein lebensfroher Fünfzigjähriger. Die beiden erzählten mir Schlimmeres als ich bereits wusste und schlossen ihre Erzählungen mit: ,,Was können wir dafür? Wir werden bald wieder von hier weggehen. So ist nun einmal diese Welt". Die Welt? Welche Welt? Die Welt in der jedeR seinen/ihren eigenen Egoismus befriedigt und alles besitzen will, das glänzt? Alles Dummköpfe, die nichts begriffen haben! Habt ihr schon einmal einen Bauern gesehen, der mit dem Spaten sein Feld bestellt? Oder einen Maurer, der eine Lehmwand hochzieht? Habt ihr schon einmal den Tod gefürchtet? Oder die Stille der Existenz gehört? Wisst ihr, was Hunger ist? Was Leiden bedeutet... und was Glück ist? Das Leben mit allen Freuden und Leiden, die Natur mit ihrer Schönheit und Gefahren, mit allem, was uns Lachen und Weinen macht, sind unsere FreundInnen. Aber Leben heisst vor allem eines: Auf eine radikale Weise mit einem falschen System und seinen falschen Mythen brechen. Aus meinem Observatorium in Sipakapa betrachte ich aufmerksam das Auf und Ab des Lebens und gebe mir Mühe, nicht Teil von dieser Welt zu werden auch wenn ich darin leben muss." |
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