Gerechtigkeit, Land und Freiheit!
Fijáte 321 vom 3. Nov. 2004, Artikel 5, Seite 4
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Gerechtigkeit, Land und Freiheit!
San Marcos, 20. Okt. Anlässlich des 60. Jahrestages der als "guatemaltekischer Frühling" bezeichneten Revolution von 1944 1954, organisierte das der Plataforma Agraria angeschlossene Movimiento de Trabajadores Campesinos (MTC) von San Marcos eine 2tägige spektakuläre Aktion: Rund 900, im Grenzgebiet zu Mexiko lebende Personen suchten bei der mexikanischen Regierung um Exil an, da ihnen das Leben in Guatemala unmöglich gemacht würde. Die Familien leben auf Kaffeefincas und wurden in Folge der Kaffeekrise entlassen, ohne dass die ihnen rechtlich zustehende Entschädigung ausbezahlt wurde. In einem der Fälle wurde am 12. Januar dieses Jahres vom Arbeitsgericht zwar entschieden, dass die Campesin@s im Recht sind und entschädigt werden müssen, doch bisher kam der Fincabesitzer diesem Entscheid nicht nach und der Fall wird von Seiten des Gerichts nicht ernsthaft weiterverfolgt. Die BäuerInnen protestierten am ersten Tag ihrer Aktion vor dem Arbeitsgericht in Malacatán und forderten ihre Wiederanstellung auf den Fincas. Für den zweiten Tag luden sie zu einer Pressekonferenz in Tapachula, Mexiko, ein, wo sie der zuständigen Behörde ihr Asylgesuch einreichten. ,,Es geht uns nicht nur ums Geld", sagte der Rechtsberater des MTC, Carlos Meoño, ,,das viel grössere Problem ist, dass die Fincabesitzer Listen mit den Namen der organisierten BäuerInnen kursieren lassen und diese keine Chance mehr haben, in der Region Arbeit zu finden." ,,Durch den Erhalt des Flüchtlingsstatus erhoffen sich die BäuerInnen keine Privilegien, doch wären sie vor einer Deportation nach Guatemala geschützt und könnten in Mexiko offiziell Arbeit suchen," erklärte Juan José Monterroso vom MTC. Wir veröffentlichen im folgenden die Presseerklärung des MTC, in der sie ihren Schritt, Exil in Mexiko zu beantragen, begründen: ,,Die Revolution vom 20. Oktober 1944 bedeutete für unser Land eine Chance, sich zu modernisieren. Mit der Gründung von Institutionen, Gesetzen der öffentlichen Dienstleistungen wurde ein Guatemala ohne Sklaverei, Unterwürfigkeit und Diskriminierung geschaffen. Juan José Arévalo und Jacobo Arbenz waren zwischen 1944 und 1954 Visionäre und Promotoren eines Landes von Brüdern und Schwestern, die in Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden lebten. 60 Jahre nach Beginn dieser einmaligen Chance und 50 Jahre nachdem sie mit Hilfe der USA vereitelt und niedergeschlagen wurde, leben wir auf den Fincas und im Hochland von San Marcos wie zu den besten Jahren der Kolonialzeit. Die Interessen mächtiger Sektoren wie des UnternehmerInnenverbandes CACIF oder der in der UNAGRO zusammengeschlossenen LandbesitzerInnen, denen sich der Staat unterwirft, haben unser Sozialversicherungswesen und die Arbeitsgesetze ihrem ursprünglichen Sinn entfernt. Der Mangel an Bildung und die Militarisierung haben das ihre zu unserer Unterdrückung und Armut beigetragen. Dazu kommen die Korruption der Regierungen und die damit zusammenhängende Straflosigkeit, die den Schutz unserer Rechte als ArbeiterInnen untergraben. In den letzten Jahren haben die verschiedenen Behörden von San Marcos unser Land den Minenunternehmen zur Verfügung gestellt. Wir wurden dazu nicht befragt und uns bleiben ein paar Spiegelscherben im Tausch gegen unser Gold und Silber. Das MTC und die Plataforma Agraria rufen die Regierung und die wirtschaftlich mächtigen Sektoren zum letzten Mal auf, gemeinsam mit uns die Kaffeekrise anzugehen und nach Lösungen zu suchen, um aus den unterdrückerischen Verhältnissen, in denen wir leben, neue soziale Beziehungen zu schaffen, die Frieden und soziale Gerechtigkeit garantieren. Der mangelnde politische Wille, solche Lösungen anzustreben und die Menschenrechte einzuhalten, treiben uns in eine Spirale von Gewalt und Misere, die wir nicht länger erdulden. Als MTC und Plataforma Agraria haben wir unsere legalen Möglichkeiten ausgeschöpft. Wir haben mehrmals auf unsere Situation aufmerksam gemacht mit der Demonstration von El Tumbador im Oktober 2001, mit den beiden Congreso Campesino im Oktober 2002 und 2003 (siehe ¡Fijáte! 296), doch all dies wurde nicht ernst genommen. Auch der Sozialplan, durch den unsere Situation gemildert werden sollte, nützt nur etwas, wenn er mit der notwendigen Seriosität und unabhängig von parteipolitischen Interessen durchgeführt wird. Anlässlich des 60. Jahretages der guatemaltekischen Revolution manifestieren wir gegenüber dem Staat und der Internationalen Gemeinschaft: - Wir fordern die Einhaltung der verfassungsmässig festgelegten Garantie von Leben, Gerechtigkeit und Integrität der guatemaltekischen BürgerInnen, speziell der ArbeiterInnen, die von der Kaffeekrise betroffen sind. - Wir verurteilen die gewaltsamen Fincaräumungen, wie sie unter der aktuellen Regierung stattfinden und bestehen auf unserem konstitutionellen Recht zu demonstrieren und die ungerechten Zustände öffentlich zu machen, denen wir ausgesetzt sind, weil die Regierung nicht in der Lage ist, eine Antwort auf unsere Probleme zu finden. - Wir verurteilen die Politik der ,,Nahrungssicherheit", die in San Marcos klar politisch und persönlich missbraucht wird vom GANA-Abgeordneten Luis Contreras, der Gruppen bevorzugt, die nicht direkt von der Armut betroffen sind und dafür Mitglieder der Plataforma Agraria aussen vor lässt. - Wir fordern vom Arbeitsgericht in Malacatán eine strenge Einhaltung des Arbeitsgesetzes sowie die Beschleunigung unserer Fälle. Es sind insgesamt 54 Fälle, die von der Plataforma Agraria begleitet werden und die in der Bürokratie des Justizsystems blockiert werden. Wenn der Staat nicht in der Lage ist, einen ethischen Umgang mit den Arbeitsgesetzen zu finden, soll er wenigsten die Verantwortung tragen und die betroffenen Familien begleiten und entschädigen. - Wir machen den wirtschaftlichen Sektor, den CACIF, die UNAGRO und ANACAFE, in Komplizenschaft mit der Regierung, für die inhumanen Bedingungen verantwortlich, unter denen wir leben müssen und die uns dazu zwingen, in die Nachbarländer zu flüchten. - Wir verurteilen die Gier, mit der die transnationalen Unternehmen mit Einverständnis der Regierung unsere Bodenschätze abbauen, ohne auch nur im mindesten an eine Wiedergutmachung der wirtschaftlichen, spirituellen, ökologischen und sozialen Schäden zu denken, die sie verursachen. Unsere Lösungsvorschläge: - Eine grundsätzliche Reorganisierung und Modernisierung des Justizsystems und eine Interpretation des Arbeitsgesetzes, die den ArbeiterInnen zugute kommt. - Landvergabe an die von der Kaffeekrise betroffenen Familien gemäss den von der Plataforma Agraria vorgelegten Mechanismen. Die über 3´000 im MTC zusammengeschlossenen Familien fordern einen konkreten Ort, wo wir uns niederlassen können. Dies ist unser historisches Recht als ArbeiterInnen, die wir während mehr als einem Jahrhundert mit unserem Schweiss und Blut zur Bereicherung des guatemaltekischen Kaffeesektors beigetragen haben. - Der Landfonds muss dahingehend umstrukturiert werden, dass er seiner Funktion nachkommen kann und Nach oben |
nicht von Politik und Marktinteressen dominiert ist. - Wir fordern die Übergabe der leerstehenden Militärkaserne Nr. 18 in der Departementshauptstadt ans MTC, damit wir sie zusammen mit der lokalen Universität nutzen können, um die junge Generation zu Berufsleuten und HandwerkerInnen auszubilden und ihnen so alternative Einkunftsmöglichkeiten zur Landwirtschaftsarbeit zu bieten. - Wir fordern ein Überdenken der Politik und der Gesetze in Sachen Minen. Wir fordern das in San Marcos tätige Unternehmen Montana dazu auf, noch einmal über die Bücher zu gehen und bei ihren Entscheiden auch uns, die wir hier leben sowie unsere Mutter Erde mit einzubeziehen, wie das unsere Grosseltern seit Urzeiten gemacht haben. Zum Schluss teilen wir unseren guatemaltekischen Brüdern und Schwestern sowie der internationalen Gemeinschaft mit, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als in Mexiko, Kanada und anderen Ländern um Exil anzufragen, weil wir in unserem eigenen Land nicht wie guatemaltekische BürgerInnen mit den entsprechenden Rechten behandelt werden." Dem Begehren der MTC-BäuerInnen wurde jedoch seitens der mexikanischen Behörden nicht stattgegeben. Jorge Mario Rosas vom mexikanischen Konsulat in Tecún Umán meinte, es gäbe keinen Grund, um die GuatemaltekInnen als Flüchtlinge anzuerkennen. ,,Der Krieg ist zu Ende, es ist besser, sie versuchen die rechtlichen Mittel in Guatemala auszuschöpfen und den Dialog mit der dortigen Regierung zu suchen", erklärte Rosas. In Guatemala selber fühlt sich auch niemand so richtig für die BäuerInnen von San Marcos zuständig: Marta Altolaguirre, Vizeaussenministerin, meinte, ihr Ministerium kümmere sich nur um Personen, die bereits das Land verlassen hätten, nicht um diejeni- gen, die dies vorhätten. Mariel Aguilar von CONTIERRA, Instanz zur Vermittlung bei Landkonflikten, erklärte, dass es sich in diesem Fall um ein Arbeitsund nicht um ein Landproblem handle. Carlos Zuñiga von der Landwirtschaftskammer "ist das Problem unbekannt", und Präsident Berger, zum Thema befragt, meinte, es sei doch gut, dass die GuatemaltekInnen nach Mexiko zum Arbeiten gingen und ein paar mexikanische Pesos mit nach Hause brächten. Unterstützung erhielt das MTC von der Vereinigung für eine integrale Entwicklung aus Sololá, ASUDI, welche zeitgleich mit der Aktion in San Marcos eine Demonstration vor der mexikanischen Botschaft in der Hauptstadt veranstaltete. Ebenso erklärte sich der Block der unabhängigen Organisationen in Chiapas mit den BäuerInnen aus San Marcos solidarisch. Als nächsten Schritt überlegt sich das MTC, die Brücke am Grenzübergang Guatemala/Mexiko zu besetzen. |
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