Fincas, Räumungen, Dialoge
Fijáte 353 vom 15. Feb. 2006, Artikel 2, Seite 2
Original-PDF 353 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 --- Nächstes Fijáte
Fincas, Räumungen, Dialoge
Guatemala, 09. Feb. Vier Bauern wurden am 19. Jan. kurz vor Mitternacht durch Schusswunden verletzt, ausgelöst von Sicherheitskräften der Finca Nueva Linda, Champerico, Retalhuleu, wo am 31. Aug. 2004 neun Landarbeiter und vier Angehörige der Nationalen Zivilpolizei (PNC) im Zusammenhang einer gewaltsamen Räumung des Geländes getötet und zahlreiche Anwesende verletzt wurden (siehe ¡Fijátes! 318, 319). Seit dem haben sich viele der BäuerInnenfamilien von Nueva Linda am Rand der Strasse niederlassen und sich rustikale Plastikplanenhütten improvisiert, in denen sie Mitte Januar angegriffen wurden. Zusätzlich zu den bewaffneten Wachmännern, die drohten, das Wasser der nahen Flüsse zu vergiften, aus denen sich die SiedlerInnen mit Trinkwasser versorgen, überflog ein Hubschrauber das Gelände, von dem aus ebenfalls geschossen wurde. "Wir wollten im Dialog das Problem lösen, aber wurden von AK-47 attackiert", so die Betroffenen. Unterstützt wurden die BäuerInnen, die zeitweilig den Fahrweg blockierten, um die Präsenz von Personal des Menschenrechtsprokurats (PDH) und der Staatsanwaltschaft einzufordern, von hunderten von LandarbeiterInnen aus anderen Regionen und von Delegierten des Bäuerlichen Entwicklungsrats von Mazatenango (CODECA), die die Einberufung eines Rundtisches und die Aufklärung des Angriffs verlangten. Im Anschluss an ihr Engagement denunzierten einige der CODECA-MitarbeiterInnen Einschüchterungsversuche, illegale Bewachung ihres Büros und Morddrohung von bewaffneten Unbekannten in Militärkleidung. Der Konflikt auf der Finca Nueva Linda, im Besitz des Spaniers Virgilio Casados, findet seinen Ursprung 2003, nachdem der BäuerInnenanführer und Verwaltungsangestellte Héctor Reyes verschwunden ist. Dieser setzte sich für die Verteidigung der Menschen- und Arbeitsrechte der auf der Finca Arbeitenden ein, sowie für den Zugang zu Land. Die LandarbeiterInnen hegen den Verdacht, dass Reyes von den Sicherheitskräften der Finca als Geisel gehalten wird. Über seinen Aufenthaltsort ist nichts bekannt, obwohl die BäuerInnen seit drei Jahren die Autoritäten auffordern, diesen zu ermitteln. Und doch ist Nueva Linda nur ein brennendes Beispiel der Agrarpolitik der Regierung Bergers, während dessen Amtszeit bereits mehr als 100 gewaltsame Räumungsaktionen gegen Finca-Besetzende gezählt wurden und die Ankündigungen von konfliktlösenden Massnahmen, wie die Öffnung von speziellen Agrartribunalen, schliesslich doch an der Budgetverteilung scheitern und vermeintlich bedauernd auf die lange Bank geschoben werden. Ende Januar machte eine Gruppe von rund 350 BäuerInnen aus den Departements Alta und Baja Verapáz, Izabal, Quiché, Huehuetenango, Escuintla und Suchitepequez ihrem Unmut Luft und besetzte den Platz der Verfassung im Zentrum der Hauptstadt. Mit Plastikbahnen bauten sie Unterstände, um im Zweifelsfall länger auszuharren und demonstrierten damit die Brisanz ihrer Forderung nach Aufmerksamkeit der Regierung. In einer Pressemitteilung brachte die BäuerInneneinheit CUC die aktuelle Agrarsituation auf den Punkt. Während der gegenwärtigen Regierungsperiode sei die Mehrheit der in den Friedensverträgen vorgesehenen paritätischen Kommissionen beseitigt worden - darunter die Paritätische Landkommission - und spezielle Gesetze, wie das über indigenes Land, das über Landregulierung, jenes Gesetz, das das Prokurat für Landangelegenheiten schaffen sollte und ferner der Agrarkodex seien unterdessen auf halber Strecke stecken geblieben. Zu den vom CUC artikulierten Forderungen der BäuerInnen an die Regierung zählen der Aufruf nach einem agrarpolitischen Richtungswechsel und dem Stopp der "Deagrarisierung" der ländlichen Entwicklung - womit sie sich auf den Trend zur Vermarktung der Ländereien mit ausschliesslich exportorientierten Kriterien beziehen. Stattdessen sei eine integrale ländliche Entwicklung zu fördern, wozu die Ausstellung von günstigen Krediten an kleine Produzierende, die fachliche Assistenz und Weiterbildung, die Förderung der Produktvermarktung und gerechte Preise für ländliche Produkte gehören sollen. Die Ausdauer der BäuerInnen machte sich erst rund eine Woche nach Besetzungsbeginn bezahlt. Zumindest machte es einen solchen Anschein. Das CUC erhielt die offizielle Versicherung, dass ihnen zwei Fincas, die Finca El Maguey in Fraijanes, Richtung El Salvador, und die Finca San Basilio, in Río Bravo, Suchitepéquez, übertragen würden. Erstere war ihnen bereits mittels einer Regierungsvereinbarung 2003 überschrieben worden, nichtsdestotrotz wurden die Familien noch im gleichen Jahr von dem Gelände vertrieben. Obwohl selbst das Verfassungsgericht diese Aktion als rechtswidrig deklariert hatte, zog die Exekutive ihre Räumungsentscheidung nicht zurück. Nach oben |
Am 2. Februar, dem 10. Besetzungstag des Verfassungsplatzes, erreichten die BäuerInnen in einer Sitzung mit dem Generalstaatsanwalt Juan Luis Florido, der Vize-Justizministerin, Ilse Álvarez, sowie VertreterInnen des Innenministeriums und des Menschenrechtsprokurats (PDH) die Zusicherung, dass jegliche derzeit geplanten Fincaräumungen suspendiert würden, solange die eingereichten Klagen der BäuerInnen hinsichtlich doppelter Eigentumstitel geprüft und zumindest die Landkonflikte auf zehn Fincas im Dialog gelöst würden. Im Gegenzug sollten die BäuerInnen den Verfassungsplatz räumen und Abstand nehmen von den angekündigten Strassensperren. In diesem Zusammenhang hat nun der Höchste Justizhof (CSJ) zum Dialog aufgerufen, um sich der 53 eingereichten Fälle anzunehmen. Doch noch einen Tag zuvor ereilte rund 800 SiedlerInnen- und BäuerInnen-Familien just das bekannte Schicksal. Seit mehr als 55 Jahren hielten sie die Fincas San José Moca und Cabañas in den Munizipien La Tina und Senahú, respektive, im Alta Verapaz, besetzt und wurden Anfang des Monats von 1'000 Antiaufstandskräften der PNC und 105 bewaffneten SoldatInnen von den Ländereien getrieben. Leocadio Juracán, Repräsentant des BäuerInnenkomitees des Hochlands (CCDA), erklärt die Situation. Die Arbeitenden auf der Finca La Moca seien vom Arbeitgeber hintergangen worden, als dieser sie Mitte November zwang eine Einverständniserklärung zu unterschreiben, mit der sie akzeptierten, ihre Lohnzusatzleistungen in Form von Land erhalten zu haben, doch bis heute sei dieser Handel nicht eingelöst worden. Als Druckmittel besetzten die Landarbeitenden daraufhin die Finca, was wiederum die Besitzer dazu veranlasste, den rechtlichen Weg einzuschlagen und den Fall als Straftat der Besetzenden zu deklarieren. Daraufhin räumten die Sicherheitskräfte auf richterliches Geheiss hin die Finca und steckten die Hütten der BäuerInnen, Vieh, Ernten und einige Besitzgegenstände in Brand. Die Vertriebenen kehrten zwei Tage später auf die Finca Moca zurück und hielten während sechs Stunden einen Vertreter der Kommission zur Lösung von Landkonflikten (CONTIERRA) als Geisel, der bei ihrer Rückkehr Fotos gemacht hatte und sich nicht ausweisen konnte. Zudem organisierten sie noch am selben Tag eine Strassenblockade, während Mitglieder der BäuerInnenorganisationen UVOC und CNOC sich mittels einer Demonstration in Cobán mit den Betroffenen solidarisierten. Aufgrund erfolgloser Überredungsversuche von Seiten des Gouverneurs von San Marcos, sie sollten sich doch bitte friedlich bewegen, wurden schliesslich auch 150 Besetzende von Grundstücken im Munizip Ixchiguán, San Marcos vertrieben, wieder mit exzessiver Gewalt in Form von angeblich 2'000 PolizeiagentInnen und 400 SoldatInnen, die sowohl Tränengas als auch ihre Waffen einsetzten, um die Besetzenden von dem Gelände zu weisen. Gemäss dem Bürgermeisters von Ixchiguán seien auch diese bewaffnet gewesen. Die Liegenschaften wurden seit Oktober 2005 von BewohnerInnen des Dorfes Boxoncán, Munizip Tajumulco, besetzt, nachdem zahlreiche Verhandlungen zwischen den Autoritäten von Tajumulco und Ixchiguán gescheitert waren. Die EinwohnerInnen von Tajumulco erheben aufgrund von Grenzkonflikten, die auf das Jahr 1938 zurückgehen, Anspruch auf einen Teil des Grenzlandes zwischen den Munizipien. Diese Räumung fand gar zwei Tage nach dem Beginn von sektorgemischten Gesprächen über die Agrar-Gesetzgebung statt, die ganz offensichtlich nur auf Druck der BäuerInnen einberufen wurden. Die Agenda sieht vor, in den nächsten Monaten die rechtlichen Fragen zu klären, um im Juni schlussendlich die lang angekündigten Agrartribunale ins Leben zu rufen. Teilnehmende sind Zuständige des Justizsektors, der Agrarkammer und der Exekutive, vertreten durch das Präsidiale Sektretariat für Agrarangelegenheiten, sowie VertreterInnen des BäuerInnensektors. |
Original-PDF 353 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 --- Nächstes Fijáte