¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Der Muttertag
Fijáte 360 vom 24. Mai 2006, Artikel 7, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Der Muttertag
Am 10. Mai haben wir den Muttertag gefeiert - der Internationale Frauentag vor zwei Monaten war dagegen unbemerkt an den Leuten vorbei gegangen. Früh am Morgen hört man in meinem Dorf das Geknatter der Feuerwerkskörper, gezündet, um die Mütter der Familien hochleben zu lassen. Alle Schulen haben im Vorfeld und mit Sorgfalt Aktivitäten zu Ehren der Mütter vorbereitet. In der Grundschule wurde den Jungen und Mädchen bei der Herstellung von Bastelarbeiten geholfen, die sie ihren Müttern schenken wollten. In der weiterführenden Schule wurden kulturelle Festakte vorbereitet und das Gebäude für die Veranstaltung geschmückt, zu dem die Mütter der SchülerInnen - und nur sie - eingeladen waren. Am Nachmittag finden wir uns mit anderen Familien auf dem Friedhof ein, zusammengerufen von unseren verstorbenen Müttern und Grossmüttern. Wir bringen ihnen Blumen und Kerzen. Hier und dort sind Männer oder Frauen, sitzen allein auf der Erde, konzentriert im Gespräch mit ihren abwesenden Müttern. Als wir vorübergehen, stimmt eine Gruppe SängerInnen mit Gitarren, die bestimmt engagiert worden ist, ein wehklagendes Lied an, das direkt vor deren Grab die tote Mutter um Verzeihung bitten soll. Etwas weiter steht eine Familie erwachsener Männer und Frauen singend vor dem Grab ihrer Mutter, alle vertieft in dasselbe Liederheft. Ihre Gesänge handeln von einer heiligen, verherrlichten Mutter, vielleicht der Jungfrau Maria. Wenige Schritte vom Grab der Grossmutter unserer Familie entfernt, stehen einige Monumente mit den Resten von verschiedenen Massakern, die die Armee in den ländlichen Gemeinden von Rabinal verübt hat. Dort befinden sich die Denkmäler an die Opfer des Dorfes Río Negro, eines davon gedenkt der 70 Kinder und 107 Frauen, gefoltert, vergewaltigt und ermordet von Männern des Militärs und der Zivilpatrouillen, die ihre Nachbarn aus dem Dorf Xococ gewesen waren. Etwas näher steht das Mahnmal der Opfer von Rancho Bejuco, 27 Kinder und Frauen. Man sieht ein grosses Bild von einem Soldaten, der sein Maschinengewehr schwingt während er einer schwangeren Frau, die am Kopf blutet, mit den Stiefeln in den Leib tritt. Als es Abend wird, gehen wir nach Hause. Mein Herz ist traurig und mein Kopf übersättigt von bitteren Gedanken: Wie viel Gewalt, Verachtung und Demütigung kann die Erinnerung der Frauen dieses Volkes aushalten? Die makabre Gewalt des Krieges war nur der Höhepunkt dessen, was immer schon an der Tagesordnung war, angefangen im häuslichen Raum bis hin zu den staatlichen Institutionen. Dennoch stellt sich die Frage: Wie viele der Gewalttäter sind vom Gesetz bislang verurteilt worden? Auch wenn man in Rabinal den Stolz der Bevölkerung spürt, erreicht zu haben, dass zumindest vier Täter, alles ehemalige Zivilpatroullisten, ihre Strafe absitzen, wurde doch keiner wegen des Verbrechens der Vergewaltigung verurteilt. Delikte gegen die Körper der Frauen gibt es nicht, dienen sie doch als Schmuck für fast alles und die Männer krönen sie zu Schönheitsköniginnen oder zu Königinnen für einen Tag, wie dem Muttertag. In den letzten sechs Jahren sind in Guatemala mehr als zweitausend Frauen ermordet worden. Trotz der Zurschaustellung des Sadismus, mit dem die Mehrheit dieser Verbrechen ausgeführt wird, ist noch nicht einmal 1% davon vor Gericht verhandelt worden. Das Nichts-Tun der Justizbehörden ist zum Verzweifeln. Und obwohl der modus operandi der Täter auf gut durchdachte und geplante Strategien hinweist, beharren die Autoritäten darauf, dass die Gewalttaten auf private Auseinandersetzungen oder Rechnungsbegleichungen zwischen Jugendbanden zurückzuführen sind. Die Verbrecher servieren ihre Freude an der Grausamkeit den Kommunikationsmedien auf dem Silbertablett, und diese bieten sich ohne Bedenken dafür an, sie en Detail zu veröffentlichen. Der Terror macht das Geschäft. Aber er macht auch bewegungsunfähig, und das weiss die geschäftstreibende Oligarchie, die in den achtziger Jahren die Strategie des Staatsterrorismus entworfen hat, ganz genau. Das ist ein weiterer Hinweis auf die Komplexität der Staatsinstitutionen. Nach oben |
Marcela Lagarde, mexikanische Feministin, Abgeordnete und Analystin, die das Verschwinden von und die Morde an Frauen in der mexikanischen Ciudad Juárez untersucht hat, schlägt den Begriff Femininizid vor, um den Genozid an Frauen zu benennen. Sie sagt: "Der Feminizid stützt sich auf die Straflosigkeit, und in dieser kommen auf kriminelle Weise das Schweigen, die Unterlassung, die Fahrlässigkeit und die Machenschaften der Autoritäten zusammen, die eigentlich für die Verhinderung und Austilgung dieser Verbrechen zuständig sind: Es handelt sich somit um ein Staatsverbrechen." Die Gewalt, der Frauen in Guatemala begegnen müssen - und die ein extremes Anhängsel der geschlechtsspezifischen Gewalt ist, die die ungleichen Machtbeziehungen auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene zur Norm macht - trägt zu Gunsten einer konservativen und neoliberalen Ordnung bei, mit dem Interesse, Andersdenkende zu besänftigen - vor allem, wenn es sich um Frauen handelt - und daran, die Menschen durch Angst zu lähmen. Dies ist eine der Hypothesen, die das Menschenrechtszentrum CALDH im letzten Jahr als Erklärungsversuch des Phänomens vorgeschlagen hat. Zurück vom Friedhof, zu Hause angekommen, überschwemmen die Lautsprecher einer Schule die Luft mit Lobgesängen an die Mütter, die an der institutionellen Veranstaltung teilgenommen haben. Aber mich bewegen andere Worte, und zwar die, die ich vor wenigen Monaten von einer jungen indigenen Frau gehört habe: "Mein Mann sagte: wenn das, was kommt, ein Mädchen ist, hab ich kein Interesse mehr an dir. Und er hat mich verlassen." Im Haus durchsuche ich einen Blätterstapel vom Internationalen Frauentag, vielleicht mit dem Wunsch, meine Frustration ein wenig zu lindern. Ich finde ein Foto von einer demonstrierenden Frau, eine Indígena, die ein Schild hochhält: DIESER KÖRPER GEHÖRT MIR, ER IST NICHT ZUM ANFASSEN, NICHT ZUM VERGEWALTIGEN, NICHT ZUM ERMORDEN. Auf dem Friedhof bleiben heute Abend die Blumen und die angezündeten Kerzen allein zurück. Der Muttertag geht schon zu Ende. |
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