Frauen im Gefängnis
Fijáte 363 vom 5. Juli 2006, Artikel 1, Seite 1
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Frauen im Gefängnis
Über die unmenschliche und gewalttätige Situation in den guatemaltekischen Gefängnissen, über die Bandenkriege zwischen den die Gefängnisse bevölkernden maras und die Machtlosigkeit der guatemaltekischen Regierung gegenüber dem organisierten Verbrechen, das bis in die Gefängnisse hinein, bzw. aus den Gefängnissen heraus operiert, berichten wir im ¡Fijáte! regelmässig. Im nachfolgenden Artikel möchten wir speziell über die Situation der Frauen berichten, die etwa 5% aller Gefangenen ausmachen. Die Informationen und Zahlen im Text sind aus den beiden Studien "Mujeres y prisión" (2004) und "Cifras de Impunidad del Crimen Policial contra Mujeres" (2005), beide herausgegeben vom Institut für vergleichende Strafwissenschaften (IECCP). Das guatemaltekische StrafvollzugswesenIn Guatemala gibt es kein eigentliches Gesetz, mit dem das Strafvollzugswesen reguliert wäre. Die einzigen diesbezüglichen gesetzlichen Grundlagen sind in der Verfassung zu finden. Dort heisst es im Artikel 19 sinngemäss: Der Strafvollzug hat die Erziehung und soziale Reintegration der Gefangenen zum Ziel, unter Berücksichtigung folgender minimaler Normen: a) die Gefangenen sollen wie menschliche Wesen behandelt werden, d.h. würdevoll und ohne Diskriminierung irgendwelcher Art; b) die Gefängnisse sollen von zivilem und spezialisiertem Personal betreut werden und c) den Gefangenen soll das Recht zugestanden werden, mit Familienangehörigen, AnwältInnen, ÄrztInnen, etc. zu kommunizieren. Weiter heisst es, dass Untersuchungs- oder Präventivgefangene nicht am selben Ort untergebracht werden sollen wie bereits Verurteilte, die ihre Strafe absitzen. Spezielle Regelungen für weibliche Gefangene sind im Artikel 46 der Strafprozessordnung zu finden, wo es heisst, dass Frauen ihre Freiheitsstrafe in speziellen Anstalten verbüssen müssen und, falls keine entsprechenden Einrichtungen vorhanden sind, um schwangere Frauen zu betreuen, diese für die Geburt und die post-natale Phase unter Aufsicht in ein adäquates Gesundheitszentrum gebracht werden müssen. Das Fehlen gesetzlicher Grundlagen über den Strafvollzug, schlecht ausgebildetes Gefängnispersonal und veraltete Infrastrukturen führen dazu, dass nicht einmal diese in der Verfassung festgelegten Minimalbedingungen eingehalten werden können, was wiederum Korruption, Willkür und Machtmissbrauch Vorschub leistet. Die guatemaltekischen Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt und jährlich nimmt die Anzahl Gefangener zu: Während im Jahr 1996 insgesamt 5245 Gefangene in den guatemaltekischen Gefängnissen sassen (davon 298 Frauen) waren es im Jahr 2004 bereits 9181, davon 463 Frauen. Das heisst, die Anzahl weiblicher Gefangenen hat in diesen acht Jahren um 55% zugenommen. Dies ist viel und trotzdem machen Frauen im Vergleich zu den Männern bloss 5% aller Gefangenen aus. Unterschiedliche kriminologische SichtweisenErklärungsversuche für dieses Phänomen gibt es viele, je nach Gesichtspunkt sind sie sehr verschieden und reichen von rein biologistischen Erklärungen ("die Straffälligkeit der Frau hat mit ihrem Hormonzyklus zu tun") bis zur unterschiedlichen Sozialisierung von Männern und Frauen. Es macht auch ein Unterschied, ob diejenigen Faktoren untersucht werden, die eine Person dazu bringen, delinquent zu werden oder ob, wie in der kritischen Kriminologie, die Art und Weise untersucht wird, wie der Strafvollzug mit den als delinquent klassifizierten Personen umgeht und welche Auswirkungen dies wiederum auf die sog. StraftäterInnen hat. Aus einer solch "kritischen" Perspektive heisst z.B. die Tatsache, dass die Gefängnisse mit armen Leuten überfüllt sind nicht, dass arme Leute grundsätzlich krimineller sind als reiche, sondern sie sagt etwas darüber aus, welche Menschen vom Strafvollzug eher erfasst werden als andere. Aus einer solchen Sichtweise bekommen auch geschlechtsspezifische "Delikte" wie z.B. Abtreibung oder Prostitution eine spezielle, moralisch geprägte soziale Bedeutung. Der Strafvollzug wird zu einem Abbild der sozialen Realität und trägt gleichzeitig zu dessen Reproduktion bei. Aus der Perspektive der kritischen Kriminologie heisst die Frage dann nicht mehr, weshalb Frauen weniger delinquent sind als Männer, sondern ob der Strafvollzug unterschiedlich mit Männern und Frauen umgeht? Oder mit anderen Worten: Hat die Tatsache, dass weniger Frauen in den Gefängnissen sitzen, tatsächlich etwas damit zu tun, dass Frauen weniger Straftaten begehen oder aber damit, dass der Strafvollzug geschlechtsspezifisch selektiv ist und ob, bzw. welche anderen Formen sozialer Kontrolle über die Frauen ausgeübt werden? Die informelle soziale Kontrolle über Frauen findet traditionellerweise in der Familie und über die Sozialisierung statt. Die formelle soziale Kontrolle tritt dann auf den Plan, wenn eine Frau die ihr zugeschriebene soziale Rolle verlässt. Ein Beispiel: Obwohl in Guatemala Prostitution per Strafgesetzbuch nicht verboten ist, überschreitet eine Prostituierte automatisch die ihr von der Gesellschaft als Frau zugeschriebene Rolle und verliert im Falle einer (unabhängig ob gerechtfertigten oder nicht) Anschuldigung das moralische Recht auf "im Zweifel für die Angeklagte". Einer Prostituierten traut man alles zu und sie wird zum perfekten Ziel willkürlicher Selektion seitens der Behörden. Verschiedene Studien belegen, dass Prostituierte häufig Opfer polizeilichen Übergriffs und Missbrauchs werden. Das Profil der weiblichen Gefangenen in GuatemalaIECCP befragte für die Studie Cifras de Impunidad del Crimen Policial contra Mujeres 154 gefangene Frauen im Frauengefängnis Santa Teresa, das in der Hauptstadt liegt und in dem rund 90% aller weiblichen Gefangenen ihre Strafe verbüssen. Daraus erstellte die Institution folgendes Profil der "typisch" weiblichen Strafgefangenen: Guatemaltekin (95%), jung (61% der Befragten war zwischen 18 und 28 Jahren), Mutter von 1 - 3 Kindern (84%), unverheiratet (84%), arm (76% der Befragten haben ein monatliches Einkommen unter 2000 Quetzales - 250 US$), in der informellen Arbeit tätig (88%), Ladina (75%), mit schlechter Schulbildung (62% gingen ein Jahr oder weniger in die Primarschule), religiös (82%). Menschenrechtsverletzungen an weiblichen VerhaftetenDie schlimmsten Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen werden von Mitgliedern der Zivilen Nationalpolizei begangen und finden im Moment der Verhaftung, auf der Polizeiwache oder während der Überführung ins Gefängnis statt. Gemäss der Studie von IECCP erlebten 99% der befragten Frauen im Moment ihrer Verhaftung polizeiliche Übergriffe, dazu gehören physische und verbale sexuelle Belästigungen, Folter und sexuelle Vergewaltigung. In den meisten der untersuchten Fällen (84%) wurden die Frauen ohne Haftbefehlt verhaftet, sozusagen "in flagranti" erwischt, wobei dieses "flagranti" oft von der Polizei provoziert wurde. Hier kommt wieder das oben genannte "aus der Rolle fallen" der Frauen zum Zug: Viele Verhaftungen fanden im Rahmen von Drogenrazzien in Prostituiertenkreisen statt, andere betrafen Migrantinnen ohne gültige Papiere oder Maquila-Arbeiterinnen, die ihre Arbeitsrechte einforderten. Ein weiterer Verhaftungsgrund war, dass die Frauen nicht bereit waren, Auskunft über von der Polizei gesuchte Personen zu geben. Nach oben |
Vergewaltigungen fanden ausschliesslich auf den Polizeiposten statt, was bedeutet, dass eine Verhaftung, die auf dem Polizeiposten endet, ein grosses Risiko für die sexuelle Integrität der Frauen bedeutet. Den übelsten sexuellen Übergriffen, Folter und Todesdrohungen seitens der Polizeibeamten (jeglichen Ranges) ausgesetzt waren Frauen, die wegen Drogen, Raub oder illegalem Waffenbesitz verhaftet wurden. Den meisten sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren Frauen, die in der Zone 1 (Zentrum) oder der Zone 18 (Villa Nueva) der Hauptstadt verhaftet wurden. Die meisten Frauen (57%), die bei ihrer Verhaftung oder auf dem Polizeiposten Opfer von (sexuellen) Übergriffen wurden, verzichteten auf eine Anzeige. Als Gründe dafür gaben sie an, Angst gehabt zu haben, nicht in die Justiz zu glauben oder nicht gewusst zu haben, wie man eine Anzeige macht. Bloss in 9% der Anzeigen resultierte überhaupt eine Untersuchung. Menschenrechtsverletzungen an weiblichen (Untersuchungs-)HäftlingenDas grösste Problem der Frauen in Untersuchungshaft besteht darin, dass sie oftmals ihre Rechte nicht kennen, und ihre Pflicht- oder privaten VerteidigerInnen sie nicht genügend darüber aufklären. So sind sie zum Teil über Monate in Untersuchungshaft, ohne einem Richter oder einer Richterin vorgeführt zu werden. Frauen in Untersuchungshaft haben in den meisten Fällen keine Möglichkeit, sich im Gefängnis zu beschäftigen oder weiterzubilden. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ihnen mit dem Status der Untersuchungsgefangenen erschwert. Dies angesichts der Tatsache, dass 67% der sich in Untersuchungshaft befindenden Frauen unschuldig sind. Ein grosses Problem für Frauen in Haft ist die Frage, was mit ihren Kindern geschehen soll. Da die meisten von ihnen alleinerziehend sind, müssen sie sich entscheiden, ob sie die Kinder mit ins Gefängnis nehmen wollen, oder Familienangehörigen, befreundeten Familien oder in ein staatliches Kinderheim geben sollen. Da die Lebensbedingung für Kinder im Gefängnis noch schwieriger als für ihre Mütter ist, entscheiden sich viele dafür, sich von ihren Kindern zu trennen. Intime oder sexuelle Beziehungen im Gefängnis dürfen nur verheiratete Frauen mit ihren sie besuchenden Ehemännern haben oder mit Partnern, mit denen sie seit mindestens sechs Monaten eine Beziehung haben. Da aber die meisten Gefangenen nicht verheiratet sind, wird ihnen das Recht auf die Ausübung ihrer Sexualität verwehrt und viele der verheirateten Frauen wurden von ihren Männern verlassen. Für lesbische Gefangene ist die Hoffnung auf intime Beziehungen mit ihren Partnerinnen aussichtslos. Entsprechende Gesuche wurden von den Gefängnisleitungen abgelehnt, bzw. nie beantwortet. Das Recht auf "intime Besuche" steht ausschliesslich verurteilten Frauen zu, Untersuchungsgefangenen ist es verwehrt. Indigenen Frauen werden sowohl während der Untersuchungshaft wie auch beim Absitzen ihrer Strafe diskriminiert. So bekommen sie z.B. während den Verhandlungen keineN ÜbersetzerIn, haben keinen Zugang zu gefängniseigenen Bildungsangeboten und werden mit den körperlich schwersten und unangenehmsten Arbeiten beauftragt. In diesem Zusammenhang und als "gute Nachricht" die Meldung, die zum Schreiben dieses Artikels Anlass gab: Guatemala, 20. Juni. Erstmals erreichte eine (indigene) Frau die Verurteilung von zwei Polizisten, die sie während der Untersuchungshaft vergewaltigt hatten. Julia Méndez wurde im Januar 2005 wegen dem Anpflanzen von Marihuana verhaftet und nach einem Monat Untersuchungshaft im Gefängnis von Chimaltenango unter zusätzlicher Folter von drei Polizisten vergewaltigt. Die AnwältInnen des Institut für vergleichende Strafwissenschaften (IECCP), die den Fall begleiteten, bezeichneten die Untersuchungen als sehr schwierig, da Méndez nach dem Missbrauch von den Polizisten gezwungen wurde, sich zu waschen, damit keine Spuren zurückblieben. Als die Untersuchungsgefangene am Tag darauf einem Richter vorgeführt wurde, der sie wegen dem ihr vorgeworfenen Delikt verhören wollte, erwähnte sie die Vergewaltigung, worauf das Büro für Berufsethik der Polizei (ORP) sofort eine Untersuchung einleitete. Vor einem Monat verfügte das Disziplinargericht von Quetzaltenango die sofortige Entlassung von zwei der drei angeklagten Polizisten. Gegen das übrige Personal des Polizeipostens wurde eine Untersuchung wegen Verdunkelung der Tat eingeleitet. Gemäss den Vertreterinnen von IECCP wurde zum ersten Mal öffentlich anerkannt, dass die Vergewaltigung einer Verhaftete durch Polizisten eine Form von geschlechtsspezifischer Folter ist. Julia Méndez erhalte zur Zeit psychologische Betreuung, ebenso ihr Partner, der sie voll und ganz unterstütze. |
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