Prostitution an der Grenze Guatemala - Mexiko
Fijáte 368 vom 20. September 2006, Artikel 1, Seite 1
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Prostitution an der Grenze Guatemala - Mexiko
Die Landesgrenze als örtlich markierte Linie der Überwachung von Personen und Waren scheint zunehmend einem zeitlich und örtlich unbegrenzten Kontrollregime zu weichen. Doch entstehen laufend neue Grenzorte, die - wie zwischen Mexiko und Guatemala - Folge einer überregionalen Migrationspolitik sind. Als Ausdruck des gewalttätigen Umgangs mit Migration scheinen sich hier Prostitution, Sexismus und Rassismus wieder zu verdichten. Der folgende, leicht gekürzte Artikel von Kathrin Zeiske, ist in der Zeitschrift iz3W vom September 2006 erschienen. Wir danken der Autorin für die Autorisierung. Die guatemaltekisch-mexikanische Grenzregion lag noch vor zwei Jahrzehnten weitab des Weltgeschehens. Heute stellt sich die Fernstrasse Interamericana als ein Raum dar, über den konzentriert Waren ausgetauscht werden und Personen migrieren, zumeist in Richtung Norden, oft mit dem Ziel USA. Die staubigen Grenzorte in der Pazifikebene von Guatemala und Mexiko leben von den Menschen, die sie durchlaufen: HändlerInnen, Fernfahrer, MigrantInnen, Soldaten, Polizeibeamte und narcotraficantes, DrogenhändlerInnen, die sich kurz- oder langfristig hier aufhalten. Diese vorrangig männlichen Gruppen haben zu einer enormen Ausdehnung der Rotlichtzonen an der Grenze beigetragen. In den zahlreichen Bars, Bordellen und Table Dance-Shows arbeiten Frauen aus den unterschiedlichsten Motiven bzw. Zwängen heraus. Eine Gemeinsamkeit verbindet sie jedoch: keine von ihnen kommt ursprünglich aus dieser Region. Die meisten sind Migrantinnen aus Honduras, El Salvador, Nicaragua oder anderen Landesteilen Guatemalas. Viele in der Prostitution arbeitende Frauen erwägen in Regionen zu migrieren, die bessere Einkommensmöglichkeiten bieten. Dabei müssen sie ihre Kinder zumeist bei ihren Eltern zurücklassen, was widersprüchlich erscheint, geht es den meisten Migrantinnen doch gerade um die Sicherung des Familieneinkommens. In den zentralamerikanischen Ländern steigt die Zahl der alleinerziehenden Mütter, die es vorziehen, eigenes Geld zu verdienen, statt sich an einen Mann zu binden. Diese Einstellung ist Ausdruck eines enormen Wertewandels in den patriarchisch strukturierten Gesellschaften Mittelamerikas. Er fand seinen Ausgangspunkt in der zunächst fast ausschliesslich männlichen Arbeitsmigration in die USA, die viele Familien in Zentralamerika ohne Ehemann und Vater zurückliess. Frauen wurden notgedrungen selbst zu Familienoberhäuptern, und in dieser Funktion migriert heute auch ein steigender Prozentsatz von ihnen in die Städte, auf Plantagen nach Südmexiko oder Costa Rica oder eben auch in die USA, um ihre Familien ernähren zu können. Die junge weibliche Generation vollzieht den Wandel der Rollenbilder nun bewusst und kritisiert dabei gleichzeitig häusliche Gewalt und Polygamie der Männer. Trotzdem bleibt eine weibliche ökonomische Unabhängigkeit in den zentralamerikanischen Ländern ein schwieriges Unterfangen. Die Unternehmen in den Freihandelszonen Zentralamerikas bieten seit der Einbindung der Region in den Weltmarkt eine der wenigen formellen Arbeitsquellen für Frauen. Während Männern als ungelernten Arbeitern noch verschiedene Einkommensmöglichkeiten offen stehen, können Frauen sich neben der Arbeit in den Maquilas höchstens noch im informellen Sektor über Wasser halten, etwa als Strassenverkäuferin. Daneben ist die Sexarbeit eine der wenigen Chancen, um als Frau, die keine Ausbildung vorweisen kann, selbständig Geld zu verdienen. So migrieren viele Frauen innerhalb der zentralamerikanischen Region in tourismus- und Handelszonen, wo sich in den letzten Jahren grosse Rotlichtbezirke etablieren konnten. Eine solche Zone stellt eben die guatemaltekisch-mexikanische Grenzregion dar. Denn der NAFTA-Aussengrenze kommt sowohl ökonomisch wie auch kontrollpolitisch eine wachsende Bedeutung zu. Mexiko wird von den USA im Rahmen einer vielbeschworenen "gemeinsamen Sicherheitszone" dazu angehalten, MigrantInnen aus den zentralamerikanischen Ländern auf dem Weg in die Vereinigten Staaten schon auf mexikanischem Territorium abzufangen. Dies geschieht vor dem Hintergrund des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA), das beide Länder zusammen mit Kanada unterzeichnet haben, und des so genannten "Puebla-Prozesses", einer Reihe von Konferenzen, die regelmässig zwischen den karibischen, nord- und zentralamerikanischen Ländern zum Thema Migration abgehalten werden. Während Reformen der Einwanderungsgesetzgebung und die Militarisierung der eigenen Südgrenze in den USA stets zur politischen Profilierung der jeweiligen Regierung genutzt werden, wird die Ausweitung der eigenen Migrationskontrolle auf das südliche Nachbarland dabei eher hinter vorgehaltener Hand betrieben. Mexiko beugt sich dem Druck des mächtigen Vertragspartners in der Hoffnung auf GastarbeiterInnenprogramme für die eigenen StaatsbürgerInnen und verwandelte sich so im letzten Jahrzehnt in einen vertikalen Grenzraum für seine südlichen NachbarInnen. Mit dem so genannten "Plan Sur" wurde im Bundesstaat Chiapas seit dem Jahr 2001 eine Kontrollzone gegen Migration errichtet. In dieser führt die mexikanische Migrationspolizei über die Hälfte aller Festnahmen von irregulären MigrantInnen durch, die im Land vorgenommen werden. Über 240'000 Menschen wurden allein im Jahr 2005 aus Mexiko in ihre - zumeist zentralamerikanischen - Herkunftsländer abgeschoben. (Im ersten Halbjahr 2006 waren es allein 40'000 GuatemaltekInnen, die Red.) Um die rasant wachsende Kontrollmaschinerie in Gang halten zu können, wurde im März diesen Jahres das wohl grösste Abschiebegefängnis Lateinamerikas in der Stadt Tapachula an der Südgrenze Mexikos fertig gestellt. Bis hierhin werden festgenommene MigrantInnen Stück für Stück zurückgeschoben, bevor sie in Bussen in ihre Herkunftsländer verfrachtet werden. Für Angehörige der Migrationspolizei, aber auch anderer polizeilicher und militärischer Einheiten, bedeuten die Festnahmen vor allem die Möglichkeit, sich persönlich zu bereichern. Wollen oder können aufgegriffene MigrantInnen sich nicht freikaufen, werden sie systematisch beraubt, bedroht, sexuell genötigt oder zusammengeschlagen. Nach oben |
Die Verschärfung der Migrationspolitik Mexikos bekommen auch die Frauen in den Bordellen der Grenzregion zu spüren. 93% von ihnen sind laut dem Colegio de la Frontera Sur undokumentierte Migrantinnen. Sie leben ohne Papiere in ständiger Angst vor Abschiebung. Die Illegalisierung von Migration durch die vorverlagerte US-amerikanische Abschottungspolitik macht Frauen und vor allem Minderjährige extrem anfällig, in gewalttätige und ausbeuterische Strukturen zu geraten. Die Übergänge zwischen freiwilliger und erzwungener Prostitution sind oftmals fliessend. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) drängt auf die Verfolgung von Frauen- und Kinderhandel in der Region. Doch nicht zu unterschätzen ist dabei die Verwicklung von Polizei und Justiz in kriminelle Strukturen im Grenzraum. Betroffene, die in einem Prozess als Zeuginnen aussagen, gehen ein hohes persönliches Risiko ein. Darüber hinaus folgt bei Prozessende automatisch ihre Abschiebung. Der in Tecún Uman ansässige katholische Orden der Hermanas Oblatas setzt stattdessen auf Bildung und Ausbildung, um Frauen und Mädchen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, eine Chance auf alternative Einkommensmöglichkeiten zu eröffnen. Ihr Frauenhaus bietet eine Rückzugsmöglichkeit zur Neuorientierung. Frauen und Mädchen sollen nach Aussage der Schwestern ihr Leben wieder selber in die Hand nehmen können und dabei Land und Ort des Neuanfangs frei wählen. Migrantinnen aus den zentralamerikanischen Ländern werden in der Grenzregion oft per se als Prostituierte wahrgenommen. Davon ausgenommen sind in der Regel indigene Frauen aus Guatemala. Sie kommen traditionell in die Grenzstädte Mexikos, um dort in Haushalten zu arbeiten. Nicht nur reiche Familien haben hier eine Angestellte; diese verdienen neben Kost und Logis so wenig, dass ein solches Arbeitsverhältnis auch in der Mittelschicht weit verbreitet ist. Viele Familien diesseits und jenseits der Grenze sind so schon seit Generationen miteinander verbunden: kehrt eine Hausangestellte nach einigen Jahren nach Guatemala zurück, dann übernimmt beispielsweise ihre jüngere Schwester den Platz bei ihren ehemaligen ArbeitgeberInnen. Mexikanische Familien, die nicht auf ein derartiges soziales Netzwerk zurückgreifen können, müssen in Tapachula, dem Handels- und Verkehrszentrum der Grenzregion, nur sonntags auf den zentralen Platz der Stadt gehen. Dort treffen sich guatemaltekische MigrantInnen, die in der Stadt leben. Hierher kommen auch Neuankömmlinge auf der Suche nach einer Anstellung. Auf eben diesem Platz zeigte sich im letzten Jahr eine ganz neue Form der Prostitution: junge Mädchen in traditioneller Kleidung wurden dort mit dezenten Gesten von älteren Frauen feilgeboten. Dieses Phänomen ist bislang eine Ausnahme geblieben, und indigene guatemaltekische Frauen werden in der Öffentlichkeit weiterhin als "Hausmädchen" wahrgenommen. Anders sieht die öffentliche Wahrnehmung der mestizischen MigrantInnen aus El Salvador, Honduras und Nicaragua aus. Diese sind im Stadtbild so nicht sichtbar, werden aber dafür regelmässig in der Lokalpresse abgebildet: als "gefallene Mädchen" in den gerne skandierten Rotlichtzonen. Damit bestätigt sich das rassistische Vorurteil quasi von selbst, das die zentralamerikanischen NachbarInnen als Armutsflüchtlinge annimmt, die so marginalisiert seien, dass alle Männer kriminell und alle Frauen Prostituierte wären. Rassistische Zurückweisung und exotische Anziehung verbinden sich dann auf einer sexistischen Ebene, wenn gerade Frauen aus Honduras aufgrund einer tendenziell helleren Haut- und Haarfarbe und mit Gesichtszügen, die eher alten Kolonialherren als indigenen Vorfahren ähneln, als besonders schön und begehrenswert gelten. Diese sich überlagernde Fremdwahrnehmung bewirkt auf alle Fälle eins: Migrantinnen werden in der Genzregion generell als "putas" (Huren) stigmatisiert. Für Frauen aus Zentralamerika, die eine Arbeit ausserhalb der Rotlichtzonen suchen, ein kaum zu überwindendes Hindernis: Laut Umfragen, die das mexikanische Ministerium für soziale Entwicklung bezüglich Diskriminierung durchführte, schneiden "Prostituierte" am schlechtesten ab, wenn gefragt wird, an wen man auf keinen Fall einen Job ergeben würde. Tief verwurzelt ist in Mexiko die gesellschaftlich im machismo verankerte Bipolarität von "Heiligen und Huren", die von Frauen entweder die vollkommene Anpassung an ein prüdes, von der Mutterrolle geprägtes Frauenbild fordert oder sie zu Geächteten erklärt. Auch wenn Prostitution in Zeiten der Globalisierung eine der wenigen selbständigen Einkommensmöglichkeiten für Frauen ohne Ausbildung darstellt, so basiert das Gewerbe doch auf der hohen Ausbeutungsspanne, die den beteiligten Migrantinnen stets nur einen minimalen Bruchteil der von ihnen erarbeiteten Gewinne zugesteht. So bietet die Prostitution an der Grenze Guatemala-Mexiko eine von Gewalt und Gewinninteressen stark eingeschränkte Emanzipationsmöglichkeit. Für die hier arbeitenden Frauen bedeutet sie zumeist eine alternative Form der Sicherung ihrer Existenz, solange in ihren Herkunftsländern grosse Teile der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleiben. |
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