Staatliche Kampagne zur Familienplanung schlägt Wellen
Fijáte 207 vom 28. März 2000, Artikel 11, Seite 6
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Staatliche Kampagne zur Familienplanung schlägt Wellen
Guatemala, 14. März. Das Gesundheitsministerium lanciert eine breit angelegte Kampagne über Familienplanung, Sexualerziehung und die Verbreitung verschiedener Verhütungsmittel. Das gesamte Gesundheitspersonal und alle Nichtregierungsorganisationen (NRO), die dem Kommunalen Basisgesundheitssystem (SIAS) angeschlossen sind, werden in die Kampagne einbezogen. Den zahlreichen KritikerInnen der Kampagne entgegnet Gesundheitsminister Mario Bolaños, dass sowohl Sexualerziehung, wie auch die Aufklärung über verschiedene Verhütungsmittel von der Bevölkerung sehr wohl gewünscht wird und begründet die Dringlichkeit mit der nach wie vor extrem hohen Müttersterblichkeitsrate. Er bestätigt, dass gewisse religiöse Tabus eine fortschrittliche Arbeit im Gesundheitsbereich behindern und betont, dass ohne Umdenken überhaupt nicht an gesunde Fortpflanzung gedacht werden könne. Auf die Argumente der 'Recht auf Leben'-Fraktion entgegnet er: "Wir wollen die Müttersterblichkeitsrate senken und nicht die Geburtenrate". Aus der Opposition meldet sich Mario Ríos Montt vom Menschenrechtsbüro des Erzbischoftums: "Jede Empfängnisverhütung stellt sich gegen das Leben grundsätzlich und nur die Natur weiss eine verantwortungsvolle Fortpflanzung zu steuern". Anders argumentiert César Vásquez, Vertreter der Evangelischen Allianz: Sie unterstützten grundsätzlich den Gebrauch von Verhütungsmitteln, seien aber nicht mit einer Sexualerziehung einverstanden, die Zügellosigkeit und Promiskuität begünstige. Mit der Ausrede, die Verbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern, werde ein unmoralischer Umgang mit Verhütungsmitteln, wie z.B. der Gebrauch von Kondomen, gefördert, kritisiert er. Nineth Montenegro, Präsidentin der Komission für Frau, Kind und Familie, zeigt sich erfreut über die Regierungskampagne. "Das Tabu rund um die Reproduktionsfähigkeit der Frau und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken sind alte Themen und bis heute ist keine vernünftige Bevölkerungspolitik erarbeitet worden". Daher sei es dringend nötig, Methoden zu verbreiten, die dazu beitragen, dass nur so viele Kinder gezeugt werden, wie unterhalten werden könnten, meint Montenegro. Das Fehlen jeglicher Bevölkerungspolitik zeigt sich auch in den Statistiken der letztjährigen nationalen Untersuchung von Salud Materna-Infantil (ENSMI): Jährlich sterben durchschnittlich 49 von tausend Frauen bei der Geburt oder bei Abtreibungen. Nur knapp 40% der Frauen benutzen Verhütungsmittel, während weitere 23% den Zugang zu solchen wünschen. Frauen ohne jegliche Ausbildung haben durchschnittlich 6.8 Kinder und 44.3 % der Frauen unter 19 Jahren sind bereits Mutter oder zumindest schwanger. Ausserdem kommen 30% der Neugeborenen zur Welt, bevor ihre Schwester/ihr Bruder ein Jahr alt ist. Dies alles seien wichtige Daten, die Aufschluss gäben über den Zustand des Landes, meint auch Thelma de Duarte, Direktorin der Vereinigung für das Wohl der guatemaltekischen Familie (APROFAM). In diesem Land voller Machos und Diskriminierer und ohne nennenswerte Bevölkerungspolitik, hätten sich in all den Jahren stets nur eine kleine Zahl von NRO's um dieses kontroverse Thema gekümmert. Nach oben |
Die Polemik rund um das Tabuthema Sexualität sei nichts Neues, fügt der Koordinator der Vereinigung für soziale Investition und Studien (ASIES), Carlos Gehlert Matta, an. Die Gesundheitssituation der Frauen sei schon immer Indikator gewesen für das Fehlen jeglicher Sexualerziehung und Bevölkerungspolitik. Es sei zwar augenfällig, dass sich die Gesellschaft in den letzten Jahren entwickelt hätte, dennoch sei im Sexualerziehungsbereich wenig geschehen. Zusammenfassend sagt er: "Solange den Dingen kein konkreter Namen gegeben wird, werden wir weiter den fehlenden Fortschritt bejammern". Jorge Roberto Escobeda vom lateinamerikanischen Zentrum Gesundheit und Frau (CELSAM) schliesst sich ihm an und beklagt, dass keine bisherige Regierung irgendeine langfristige Politik betrieben habe, welche den Frauen und ihrer Entwicklung zu Gute komme. Die Regierungen seien bloss an kurzfristigen Projekten interessiert. CELSAM wird noch diesen Monat in allen Departementen Guatemalas eine Aufklärungskampagene zu Verhütungsmethoden und Familienplanung starten. Zudem installiert sie eine Gratisnummer für telefonische Beratung, sowie eine Internetseite. Escobedo, Gynäkologe bei CELSAM ist überzeugt, dass die Sterberate von Frauen durch bessere Information und Verbreitung von Verhütungsmitteln relativ einfach gesenkt werden könnte, denn über 6000 Frauen sterben in Lateinamerika jährlich aufgrund von Abtreibungen. APROFAM rechnet pro zehn Schwangerschaften mit drei Abtreibungen. Die Daten der letztjährigen Statistik weisen einen leichten Anstieg im Gebrauch von Verhütungsmitteln aus. Spitzenreiterinnen sind nach wie vor die Pille (3.4%), das Beobachten des Zyklus (3.8%), und die Sterilisation (12%). Als Gründe gegen den Gebrauch von Verhütungsmitteln gibt Victor Solárzano, Chef der Departementskliniken von APROFAM, vor allem Zweifel an der Wirksamkeit und die oft unbezahlbaren Kosten für Kondome oder die Pille an. |
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