Die Landfrage in der Nachkriegszeit
Fijáte 207 vom 28. März 2000, Artikel 1, Seite 1
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Die Landfrage in der Nachkriegszeit
Die Nachkriegszeit ist weit davon entfernt, eine Zeit der friedlichen Lösung von strukturellen Problemen wie z.B. der Landfrage zu sein. Vielmehr hat sie sich dadurch charakterisiert, dass der Boden wieder im Besitz von Wenigen ist, das Realeinkommen der in der Landwirtschaft Arbeitenden sinkt und der Anteil der Landwirtschaft am Bruttosozialprodukt in der Mehrheit der zentralamerikanischen Länder sinkt. Die politischen Veränderungsprozesse in der Region haben einen Aufschub der für eine wirtschaftliche Konsolidierung nötigen, landwirtschaftlichen Veränderungen zur Folge. Der folgende Artikel über die Landfrage in der zentralamerikanischen Region ist Ende Februar in Inforpress erschienen. Politische Stabilität ohne strukturelle ReformenIn Nicaragua führte vor ca. 20 Jahren die Agrarreform zur Verteilung von beinahe vier Millionen Manzanas Land, was rund 50% des gesamten Landwirtschaftslandes ausmachte. Heute hat der Grossgrundbesitz wieder Aufschwung: AusländerInnen und FunktionärInnen der letzten drei Regierungen sind heute die neuen BesitzerInnen der Küsten des Nicaraguasees und ihnen gehört das beste Land in Matagalpa und Jinotega, wo der Hochlandkaffee angebaut wird. Die Anzahl der Kooperativen ist von 3000 auf 1500 zurückgegangen und die ehemaligen KooperativistInnen sind an die steilen, unfruchtbaren Hänge und in den informellen Wirtschaftssektor verdrängt worden. Diese veränderten Verhältnisse im Landbesitz sind durch illegale Aktionen und Gewalt zustandegekommen. In Guatemala fängt für den Grossteil der armen Landbevölkerung das 21. Jahrhundert so an wie bereits das 19. Jahrhundert war: Neun von zehn ländlichen Haushalten kochen mit Holz, mehr als die Hälfte hat keinen Wasseranschluss, 74% der ländlichen Bevölkerung lebt mit einem Einkommen von weniger als einem US-$ pro Tag und Person. In den letzten siebzehn Jahren verlor der Minimallohn eines Landarbeiters oder einer Landarbeiterin 30% seiner Kaufkraft. In El Salvador nimmt heute niemand die für die BäuerInnenorganisationen wichtigen Themen auf, weder die FunktionärInnen, noch die PolitikerInnen, noch die AnalytikerInnen. Wenn die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes gelöst werden sollen, muss die Frage des Landbesitzes vorrangig behandelt werden. Das Thema wurde jedoch in den Friedensabkommen von 1992 nicht angegangen. Die Tatsache, dass die Regierungspartei (ARENA) die Beschränkung des Landbesitzes aus der Verfassung streichen will, ist für die BäuerInnenorganisationen ein Beweis dafür, dass die Regierung zu einem System der Landkonzentration in wenigen Händen zurückkehren will. Für Carlos Rodriguez, Generalsekretär der nationalen LandarbeiterInnenvereinigung in El Salvador, ist diese Entwicklung gefährlich, da gerade die ungerechte Landverteilung einer der Gründe war, die zum Krieg führten. Zum Grossgrundbesitz zurückzukehren würde bedeuten, zu einem potentiellen Konflikt zurückzukehren, meint Rodriguez. In Honduras verlangten vor kurzem ca. 5000 Indigenas, BäuerInnen und Garifunas, dass der Agrarreformprozess wieder aufgenommen wird. Die Demonstration, vom Zivilkomitee der Indigenaorganisationen und verschiedenen BäuerInnenorganisationen organisiert, fand am Tag der Hispanität statt und protestierte ausserdem gegen verschiedene, kürzlich gefällte Gerichtsurteile im Zusammenhang mit Landproblemen und der Verhaftung beteiligter BäuerInnen. Aber die friedliche Demonstration wurde durch Schüsse, Tränengas und Stockhiebe aufgelöst, als sie am Präsidentenpalast vorbeizog. Zwanzig Verletzte, teils DemonstrantInnen, teils Polizisten, waren das Ergebnis. Ein weiteres, jedoch positives Resultat der Demonstration war, dass die Legislative (der Kongress) am 12. Oktober 1999 eine Verfassungsreform nicht ratifizierte, die den Verkauf von Küsten- und Grenzland für Tourismusprojekte erlauben sollte. Carlos Zuñiga, einer der honduranischen Indigenavertreter erklärte, dass genau in diesen Küstenzonen und in Grenznähe die sieben ethnischen Gruppen des Landes angesiedelt sind und dass diese beim Inkrafttreten der Verfassungsreform durch nationale und internationale InvestorInnen vertrieben würden. Nach oben |
Viel länger kann nicht mehr zugewartet werden...Diese ungerechte Bodenverteilung - Grundlage für die revolutionären Befreiungskämpfe in der ganzen Region - spitzt sich heute zu durch den Bevölkerungszuwachs, die Umweltkrisen, die Tiefstpreise für traditionelle Exportprodukte und das Fehlen einer Strategie um die eng miteinander verknüpften Probleme 'Besitztum' und 'Armut' zu lösen. Während den Friedensprozessen in Guatemala, El Salvador und Nicaragua in den neunziger Jahren gelang es (durch Institutionalisierung und die notwendige politische Beteiligung), die durch interne Krisen und politische Gewalt geschwächten, sozialen Bewegungen, wieder zu stärken. In Guatemala vergingen beinahe drei Jahre ohne eine einzige nationale Kundgebung. Die erste Demonstration zu Friedenszeiten - der grosse Maya- und BäuerInnenmarsch - fand am 12. Oktober 1999 statt. 15'000 BäuerInnen aus den verschiedenen Landesteilen kamen in einem Sternmarsch in die Hauptstadt und trafen sich vor dem Nationalpalast. Dort überreichten sie den Behörden einen Forderungskatalog zu den Punkten Lohnerhöhung, Vergabe von Landtiteln und Gemeindeentwicklung. Sie erhielten von der im Abtreten begriffenen Regierung Arzu dürftige Angebote, die jeglicher Basis entbehrten. Der neue Präsident Alfonso Portillo erwähnte in seiner vielversprechenden Antrittsrede das Thema des Landbesitzes gerade in zwei Sätzen, ohne jedoch eine Lösung für die historischen Probleme vorzuschlagen. Er versprach einzig: "Wir werden der Landproblematik ihren verdienten Platz einräumen..." Während die Regierungsstelle für Öffentlichkeitsarbeit den Medien den Text der Antrittsrede verteilte, vertrieben hunderte von Polizisten zweihundert Familien von einer Finca in Santo Domingo, Suchitepequez, die sie seit acht Monaten besetzt hielten, in der Erwartung, dass ihnen das Land zuerkannt werde. Die neue Regierung stoppte den Räumungsbefehl nicht, um zuerst mit den BesetzerInnen zu verhandeln. Trotzdem zogen sich die BesetzerInnen friedlich zurück. Aber die Wirksamkeit der Mechanismen, die in der Region angewendet werden, um die Landkonflikte zu vermindern, könnte sich erschöpfen. Die Marktliberalisierung und die wirtschaftliche Globalisierung haben für den Agrarsektor keine Verbesserung eingebracht. In Costa Rica wuchsen die gesamten Importe zwischen 1992 und 1997 um insgesamt 32%. Davon entfielen allein 70% auf den Agrarsektor. In der selben Zeitspanne sank der Anteil des Agrarsektors auf dem finanziellen Markt von 50% auf 12%. Mit den Finanzkrisen der Kooperativen in El Salvador besteht die Gefahr, dass vielerorts das Land an die Banken geht, welche es wiederum an die Meistbietenden weiterverkauft. In Nicaragua provozierte dieselbe Situation viele Landverkäufe. Der Vorsitzende der Nationalen Koordination der Landkooperativen in Nicaragua (FENACOOP), Sinforiano Cáceres, versicherte, dass der grösste Teil des Landes, das der Präsident Arnoldo Alemán kaufte, durch die staatliche Nationale Entwicklungsbank (BANADES) gepfändet wurde, nachdem die ProduzentInnen Konkurs gegangen waren. Die Schulden gingen zum gefürchteten Eintreibungsbüro, Cobra genannt, durch dessen Praxis viele ProduzentInnen ihre Fincas verloren. In Honduras sind die Agrarreformen, die 1962 begannen, nach der Annahme des Gesetzes zur landwirtschaftlichen Modernisierung immer mehr verwässert worden. In der Nach-Mitch-Zeit versuchte der Kongress, die bereits erfolgten Reformen noch einmal zu verändern. Doch Volksproteste erreichten eine Verhandlung und der Kongress musste in einigen Punkten nachgeben. Doch auch in Honduras haben viele durch die Landreform begünstigte Kooperativen ihr Land wieder verkaufen müssen, wodurch die Anzahl der landlosen Familien erhöht wird. Rosalinda Hernández, Landwirtschaftsexpertin, beschreibt eine für die ganze Region beispielhafte Situation: "In Guatemala ist eine Million Familien von der Landwirtschaft abhängig, aber 70% des kultivierbaren Landes ist im Besitz von tausend Familien". |
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