Eskalation des Transportproblems in der Hauptstadt: Chronologie der Ereignisse
Fijáte 210 vom 10. Mai 2000, Artikel 3, Seite 3
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Eskalation des Transportproblems in der Hauptstadt: Chronologie der Ereignisse
Guatemala, 24.-28. April. Am 24. April trat die vom hauptstädtischen Bürgermeister Fritz García-Gallont (PAN) angeordnete Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Busverkehr in Kraft. Ein Klima von Unsicherheit und Protesten prägte den ersten Tag der Fahrpreiserhöhung. Aus Angst vor der Reaktion der Bevölkerung auf die Massnahme, liessen viele Busunternehmen ihre Fahrzeuge in der Garage stehen, was jedem von ihnen eine Busse von 2500 Quetzales (rund 350 US-$) seitens des Bürgermeisters bescherte. Vor der Stadtverwaltung begann eine Gruppe von elf StudentInnen der juristischen Fakultät der Universität San Carlos (USAC) einen unbefristeten Hungerstreik. Gegen Mittag des zweiten Tages kam im Stadtzentrum eine Atmosphäre der Angst auf, als die mobilen StrassenhändlerInnen begannen, ihr Waren einzupacken und die Geschäfte früher als gewöhnlich schlossen. Am Nachmittag begannen die ersten Beschädigungen an Autobussen, vor der Stadtverwaltung wurde die Flagge der Hauptstadt verbrannt. Die Zivile Nationalpolizei (PNC) griff ein, verhaftete sieben Personen und vertrieb die restlichen mit Tränengas. Von der USAC her setzte sich ein Demonstrationszug von etwa 3000 StudentInnen Richtung Innenstadt in Bewegung, wo er sich vor dem Nationalpalast den Feierlichkeiten zum zweiten Todestag von Erzbischof Juan Gerardi anschloss. Die Unruhen gingen weiter und um 22 Uhr betrug der Saldo ein angezündeter und neunzehn beschädigte Autobus(se), 58 Verhaftungen und zahlreiche Beschädigungen öffentlicher Anlagen und Gebäude. Der Zusammenschluss der ElendsviertelbewohnerInnen (FREPOGUA) schloss sich den hungerstreikenden StudentInnen an, ebenso solidarisierten sich SchülerInnen von diversen Colegios mit den StudentInnen. Am Ende des Tages fuhren keine öffentlichen Autobusse mehr, der Schulunterricht in der Hauptstadt wurde bis auf weiteres suspendiert. Nach wie vor bestand Bürgermeister García-Gallont darauf, dass ohne staatliche Subvention die Fahrpreiserhöhung nicht rückgängig gemacht werden könne. Kongresspräsident Ríos Montt verkündete, eine Subvention käme nicht in Frage, der Vizepräsident Francisco Reyes López forderte als Bedingung, dass sich die Regierung überhaupt mit dem Problem beschäftige, den Rücktritt des Bürgermeisters. Präsident Alfonso Portillo weilte in Costa Rica... Am Mittwoch spitzten sich die Ereignisse im Stadtzentrum zu. Die Gewerkschaftseinheit der ArbeiterInnen Guatemalas (UNSITRAGUA) blockierte den Verkehr in der Nähe der Stadtverwaltung, Angehörige der Gewerkschaft der Universität verschlossen den Zugang zum Unigelände mit Stacheldraht und zündeten Autoreifen an. Kongressabgeordnete der Parteien FRG und ANN verabschiedeten (in Abwesenheit der VertreterInnen der PAN) einen gesetzgebenden Beschluss, in dem sie die Fahrpreiserhöhung verurteilten. Sie forderten die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit der Multisektoriellen Kommission, die gebildet wurde, um das Transportproblem zu analysieren und Lösungen zu suchen. García-Gallont reagierte nicht darauf. Die URNG verurteilte das Verhalten sowohl der Regierung wie des Bürgermeisters und forderte die sozialen Organisationen sowie die Bevölkerung dazu auf, sich den Protesten anzuschliessen. Nach oben |
Am Donnerstag, dem vierten Protesttag, beschädigten Gruppen infiltrierter 'Maras' (Banden) während Stunden die Geschäfte und private Fahrzeuge im Stadtzentrum. Die Polizei, obwohl sie Unmengen von Tränengas versprühte, konnte die Situation nicht unter Kontrolle bringen. Vor dem Bürgermeisteramt solidarisierten sich rund 4000 Personen mit den sich immer noch im Hungerstreik befindenden StudentInnen und forderten den Rücktritt des Bürgermeisters. Auch die Maras mischten sich unter die Menge und provozierten die Polizei, mit dem Ziel, dass diese die Hungerstreikenden verhafte. Dies konnte verhindert werden dank der Vermittlung des staatlichen Menschenrechtsbüros, welches alles daran setzte, dass zwischen 'friedlichen' und 'randalierenden' DemonstrantInnen differenziert wurde. Die gewalttätige Eskalation konnte jedoch nicht verhindert werden. Laut der Tageszeitung Prensa Libre kamen bei den Unruhen insgesamt fünf Personen ums Leben, darunter ein Fotograph dieser Zeitung. Weiter gab es neunzehn Verletzte, 105 Verhaftungen und unberechenbare ökonomische Schäden. Der Pressefotograph Roberto Martínez Castañeda war dabei, Fotos randalierender Maras zu machen, als er von einem Privatpolizisten erschossen wurde. Die Polizei verhaftete den Schützen sowie einen anderen Privatpolizisten. Gegen Abend kündigte die Vereinigung der städtischen Busunternehmen (AEAU) eine Verbilligung der Fahrpreise um 25 Centavos an (von 1.50 Quetzales auf 1.25 Quetzales, während der frühere Preis 1.10 Quetzales betrug). Diese Verringerung sei provisorisch für 30 Tage gültig, während derer das Transportproblem gelöst werde sollte. Diese Ankündigung steigerte die Wut der demonstrierenden Bevölkerung. Am Abend forderte Präsident Portillo über Radio und Fernsehen die Transportunternehmen dazu auf, wieder die vor der Preiserhöhung gültigen Preise zu verlangen und somit dazu beizutragen, dass sich die Situation 'normalisiere'. Bei Nichtbefolgung dieser Anweisung kündigte er für 12 Uhr des kommenden Tages die Ausrufung des Nationalen Notstandes an. Ausserdem rief Portillo für den nächsten Tag zu einer Sitzung der Multisektoriellen Kommission auf. Endlich willigte auch García-Gallont zu einem solchen Treffen ein und sprach sich für eine Teilnahme der Regierung und des Kongresses aus. Nach vier Tagen Protest und Gewalt kehrte am Freitagmorgen, 28. April, wieder relative Ruhe in der Hauptstadt ein. In einzelnen Vororten kam es noch zu Protesten, Autoreifen wurden angezündet und einige Läden geplündert. Die HändlerInnen der 22 Märkte der Hauptstadt veranstalteten eine Demonstration und verurteilten die Vorkommnisse der letzten Tage. Die StudentInnen brachen ihren Hungerstreik ab. Die Busunternehmen nahmen ihre Arbeit wieder auf, forderten aber von der Regierung, ihnen zu helfen, die (durch die Unruhen verstärkte) ökonomische Krise zu bewältigen. Die Multisektorielle Kommission traf sich zu einer ersten Sitzung. Nach diesem ersten Treffen der Kommission sah es nicht so aus, als ob sich die verschiedenen Positionen einander annähern würden: Die Transportunternehmen forderten weiterhin eine Unterstützung des Staates von 9 Millionen Quetzales monatlich (ca. 1,2 Millionen US-$). Für Bürgermeister García-Gallont liegt die Ursache des ganzen Problemes im niedrigen Einkommen der Bevölkerung. Für Vizepräsident Reyes López, der in der Kommission die Regierung vertritt, ist nach wie vor García-Gallont der Hauptschuldige. Der Vertreter der Gewerkschaften innerhalb der Kommission, Daniel Vásquez, hat sicher recht, wenn er behauptet: "Ohne politischen Willen aller Beteiligten und die Bereitschaft, über innerparteiliche Differenzen hinwegzusehen, ist keine Lösung des Problemes in Sicht." |
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