"Para nunca olvidar"
Fijáte 225 vom 20. Dez. 2000, Artikel 1, Seite 1
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"Para nunca olvidar"
Die Aufarbeitung der eigenen und der kollektiven Geschichte als erster Schritt zur Versöhnung - dieser Gedanke lag sowohl der offiziellen Wahrheitskommission (CEH) wie auch dem Projekt REMHI der katholischen Kirche zu Grunde. Das Ergebnis beider Projekte waren 7'000 - 8'000 ZeugInnenaussagen, die in schriftlicher Form gesammelt wurden. Und obwohl es von beiden sog. 'Volksversionen' gibt, sind es doch eher wissenschaftliche Werke, die in der Bevölkerung wenig Verbreitung fanden. Das Projekt Para nunca olvidar schliesst an die Arbeit der Wahrheitskommissionen an und macht in Radioprogrammen einzelne ZeugInnenberichte einer breiten Bevölkerung zugänglich. Die dänische Radiojournalistin Lotte Holmen hatte zwischen Oktober 1999 und Februar 2000 die Leidensgeschichten guatemaltekischer Indígenas während des 36-jährigen Krieges gesammelt. Sie liess insgesamt 35 Personen ihre persönlichen Erlebnisse erzählen und nahm sie auf Tonband auf. Sechzehn davon machte sie nun als je 17 - 30minütige Radioprogramme der guatemaltekischen Bevölkerung und der Welt zugänglich. "Ich will den GuatemaltekInnen den Zugang zu ihrer eigenen Geschichte vermitteln, als Teil des Verarbeitungsprozesses. Da ein grosser Teil der Indígenas AnalphabetInnen sind, ist das Radio das perfekte Medium dafür", erklärte Lotte Holmen ihr Projekt. "Und auf der ganzen Welt soll man aus der Geschichte Guatemalas lernen. Die Welt wird lernen - und zwar online." Auf der Web-Site www.para-nunca-olvidar.org, die am 26. Juni, am internationalen Tag der Folteropfer, eröffnet wurde, sind Ausschnitte von acht der sechzehn ausgewählten und zu Mikroprogrammen verarbeiteten ZeugInnenaussagen zu hören und auch zu lesen. Hier ein Ausschnitt aus dem mit "Die Witwe" betitelten Interview: "Das Gemeinste und Schlimmste finde ich, dass den Leuten, die nach dem Aufenthaltsort ihrer verschwundenen Angehörigen fragen, nicht geglaubt wird. Die einzige Antwort, die sie kriegen, ist, dass die Person wohl 'in etwas' verwickelt war, das sie besser hätte bleiben lassen. Das Schlimmste für mich ist, dass die Rechte derjenigen Menschen nicht geachtet werden, die an etwas anderes glauben, von etwas anderem träumen, die spüren, dass etwas verändert werden muss. Wenn jemand für eine Veränderung kämpft, wird er oder sie gefoltert und massakriert. Gerechtigkeit gibt es nicht, und das ist das Allerschlimmste. Mein Kind hat seinen Vater verloren und ich weiss, wenn er hier wäre, wäre unsere Situation ganz anders - dies zu wissen schmerzt mich, als Frau und als Mutter. Und ich weiss, dass es auch ihn schmerzt. Wie kommt jemand auf die Idee, ein Volk, das dafür kämpft, aus der Armut, der Unterdrückung und der Ignoranz zu entkommen, einfach zu zerstören? Das ist doch nicht richtig, nicht gerecht, und das ist es, was mich am meisten schmerzt." Wie bei vielen von den beiden Wahrheitskommissionen aufgenommenen ZeugInnenaussagen war es auch für die meisten InterviewpartnerInnen von Lotte Holmen das erste Mal, dass sie ihre Geschichte erzählten. Viele hatten Angst, die noch zunahm, als Alfonso Portillo, Kandidat der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) im letzen November die Wahlen gewann. Deshalb sind die einzelnen Interviews auch anonymisiert, bzw. mit "Der Guerillero", "Die Untröstliche", "Der Überlebende" oder eben mit "Die Witwe" betitelt. Nach oben |
"Das Projekt Para nunca olvidar wurde durchgeführt als Beitrag zu einer weniger gewalttätigen Gesellschaft. Die Bevölkerung soll dazu ermutigt werden, über die Vergangenheit zu sprechen.Das eine ist, eine Vergangenheit zu haben, das andere, darüber zu sprechen und sie zu verstehen. Nur so wird man je von einer gewaltfreien Zukunft träumen können," meinte Lotte Holmen. Die Wahrheitskommissionen erhoffen sich, durch die Verbreitung von Para nunca olvidar, innerhalb der Bevölkerung Unterstützung zu bekommen, um bei der Regierung die Umsetzung ihrer Empfehlungen zu bewirken. Para nunca olvidar soll aber auch ein Tribut an die indigene Bevölkerung sein und an ihr wichtigstes Medium: Die gesprochene Sprache. Entsprechend gibt es die Programme nicht nur in Spanisch, sondern sie wurden in die verschiedenen Maya-Sprachen übersetzt. Was das Format und den Inhalt angeht, sind die von Holmen produzierten Programme für Guatemala aussergewöhnliche Radioprogramme. Sie werden unter dem Titel "Demokratisierung des Wortes" von den lokalen Sendern der Vereinigung guatemaltekischer Radioschulen (FGER) ausgestrahlt. Ebenso werden sie als CD's in den guatemaltekischen Buchhandlungen erhältlich sein und an alle Schulen in Guatemala verteilt. Unterstützt wurde das Projekt vom dänischen Zentrum für Folteropfer (RCT), das in Guatemala umfangreiche psychosoziale Projekte durchführt. Lotte Holmen führte ein ähnliches Projekt bereits 1997 in El Salvador durch. Die Mikroprogramme werden dort jedes Jahr anlässlich der Friedensunterzeichnung von Radio Cabal ausgestrahlt und sind im Museum des Wortes in San Salvador dem Publikum zugänglich. |
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