Südsichten zu den Anschlägen in den USA
Fijáte 244 vom 19. Sept. 2001, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 244 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 - 12 --- Nächstes Fijáte
Südsichten zu den Anschlägen in den USA
"Die Anschläge in den Vereinigten Staaten treffen uns alle", lauten die einstimmigen Kommentare in den Zeitungen weltweit. Der Grundtenor in den deutschsprachigen Medien ist: Solidarität mit dem US-amerikanischen Volk - und mit der US-amerikanischen Regierung. Auch wenn einzelne Stimmen zur Besonnenheit aufrufen, ist man sich einig, dass sich die USA 'rächen' müssen und die Regierungen sind bereit, sie dabei militärisch zu unterstützen. Unterdessen haben uns auch Kommentare aus Guatemala erreicht, die, aufgrund der jüngsten Geschichte des Landes, zu der bekanntlich die Vereinigten Staaten das ihre beigetragen haben, eine etwas andere Sichtweise einnehmen: Solidarität mit den Betroffenen - aber Kritik an der US-amerikanischen Regierung unter Hinweis auf die historischen und strukturellen Ursachen, die zu solchen Anschlägen führen können. Wir drucken im folgenden drei dieser Kommentare ab. Es tut mir leid um die OpferMir tun die 10'000 unschuldigen Opfer des World Trade Center leid, ebenso wie mir die 200'000 Verschwundenen und Ermordeten des schmutzigen Krieges in Guatemala leid tun. Es ist für mich ebenso unvorstellbar, wie die Passagiere in den als Bomben verwendeten Flugzeugen ihre letzten Augenblicken erlebt haben, wie es für mich unvorstellbar ist, was die Menschen verspürt haben, die während dem Brand der spanischen Botschaft in Guatemala ums Leben kamen. Ich teile die Verzweiflung der Familienangehörigen der Opfer, die bis heute nicht wissen, ob ihre Liebsten unter den Trümmern des World Trade Centers überlebt haben, weil ich meine eigene Verzweiflung kenne, angesichts der Ermordung und des Verschwindens meiner eigenen Liebsten in den Jahren 1968, 1978, 1982 und 1984 in Guatemala. Viele GuatemaltekInnen wissen, wie diese Verzweiflung ist, weil wir sie selber erlebt haben. Wir wissen aber auch, dass der Krieg in Guatemala, der nach 1954 ausbrach, die Konsequenz einer Invasion der Vereinigten Staaten war. Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten, die ZeugInnen und Familienangehörigen der Opfer von New York werden für den Rest ihres Lebens geprägt sein, ebenso wie meine Generation geprägt ist von der Invasion der CIA in Guatemala. Diese Invasion fand statt, weil es ein Land gibt, dessen Regierung und Bevölkerung davon überzeugt sind, dass ihr Militär immer und überall grünes Licht hat, wenn es darum geht, ihre Freiheit und ihr Recht, sich immer die grösste Scheibe von allem abzuschneiden, zu verteidigen. Wenn ich mir überlege, dass die Terroristen die Symbole der Wirtschaft, des Militärs sowie (laut Zeitungsmeldungen) den Präsidenten, angreifen wollten, kommen mir unweigerlich die Bilder in den Sinn, als vor 28 Jahren in Santiago de Chile, die Kanonen der vom CIA und Henry Kissinger unterstützten militärischen Verräter, den Palacio de Moneda bombardierten um den Präsidenten Salvador Allende zu stürzen um umzubringen. Heute erheben sich in den USA die Stimmen jener, die nach Rache rufen. Und die US-amerikanischen Politiker beugen sich dem Ruf ihrer WählerInnen und stellen 20 Milliarden US-$ für ein nächstes Massaker zur Verfügung. Nach oben |
Dazu kommt mir folgender Gedanke: Wenn die USA von einem Staatsmann und nicht von einem Cowboy mit spitzen Stiefeln und Texanerhut regiert würde, beabsichtigten sie nicht, grundlegende Freiheiten ausser Kraft zu setzten, als Folge der unwirksamen Kontrollmechanismen, die sich faschistische Hitzköpfe, sog. Sicherheitsbeamte, ausgedacht haben. Sondern sie würden Wege suchen, um weniger aggressive Umgangsformen mit dem Rest der Welt zu pflegen. Sie würden sich Politikformen überlegen, die für die anderen Länder gerechter sind, vor allem für diejenigen, die wegen ihrer Handelspolitik und durch die von ihnen unterstützten Diktaturen unterdrückt und ausgebeutet sind. Sie würden ihre bedingungslose Unterstützung der zionistischen Regierung Israels noch einmal überdenken. Sie würden die Bereitschaft zeigen, die internationalen Abkommen zur Eindämmung der Umweltkatastrophe zu unterzeichnen und ernst zu nehmen, auch wenn das bedeutet, dass sie weniger Klimaanlagen bauen könnten und sich etwas ökologischer Fortbewegen müssten. Aber die Realität beweist das Gegenteil. Alle BewohnerInnen dieser Erde werden wir die Konsequenzen der steigenden Paranoia der USA zu spüren bekommen. Zum Schluss möchte ich eines festhalten: Wenn die mächtigen Geheimdienste der USA nicht fähig waren, den Anschlag vom 11. September zu verhindern, können sie auch in Zukunft wenig gegen solche Anschläge machen. Ohne eine Veränderung der US-amerikanischen Aussenpolitik, ohne die Aufgabe ihrer unilateral übernommenen Rolle als Weltpolizei, ohne dass sie aufhören, ihre Interessen auf Teufel komm raus auf der ganzen Welt (und gegen ihre eigenen Minderheiten) durchzusetzen, kann überall auf der Welt eine soziale oder politische Bewegung wachsen, die im Terrorismus enden kann: Wo die Würde eines Volkes mit den Füssen getreten wird, sind die Grundrechte eingeschränkt, die Kultur zerstört und die Zukunft ruiniert. (José Cruz, La Tertulia) |
Original-PDF 244 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 - 12 --- Nächstes Fijáte