Lebendiger denn je
Fijáte 244 vom 19. Sept. 2001, Artikel 3, Seite 2
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Lebendiger denn je
Die Tragödie in den Vereinigten Staaten vom 11. September hat, wie das oft geschieht, wenn wichtige Ereignisse die Weltmacht betreffen, die lokalen Realitäten rund um den Erdball, aus der Berichterstattung verdrängt. Diese Konzentration auf die USA kommt den verschiedenen PolitikerInnen zugute, die es satt haben, in ihren Ländern täglich von den Medien kritisiert werden. In unseren Zeitungen verliert das Lokale an Relevanz, während die berechtigten Ängste darüber zunehmen, wie wohl der Dschungelkönig reagieren wird, nachdem er einen Tritt an seiner empfindlichsten Stelle verpasst kriegte. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat und auch nur ein Minimum an Sensibilität besitzt, lässt sich nicht von der Trauer des US-amerikanischen Volkes bewegen. Aber man muss die Dinge aus der richtigen Perspektive betrachten, denn die Tragödie ist nicht aus dem Nichts entstanden. Mit dem US-amerikanischen Volk müssen wir uns solidarisieren, denn wir wissen, dass auch es Opfer seiner eigenen Regierungen war und ist (etwas, das wir ja aus unseren Breitengraden sehr gut kennen). Ich möchte aber daran erinnern, dass vor nicht langer Zeit das guatemaltekische Volk unter der antikommunistischen Paranoia mehrerer US-amerikanischer Regierungen zu leiden hatte. Unser Land hat sich bis heute nicht davon erholt. Diejenigen Leute, die vor den Massakern fliehen mussten und sie überlebten, haben bis heute nichts an Wiedergutmachung erfahren. Diese Massaker wurden von unserem eigenen, von den USA finanzierten und in der Escuela de las Américas ausgebildeten Militär ausgeübt. Dabei war unsere Zivilbevölkerung genau so unschuldig wie die Personen, die sich im Moment des Anschlages in den Türmen des World Trade Centers aufgehalten haben. Es stimmt: Terrorismus ist gräss-lich und muss verurteilt werden, wo immer er ausgeführt wird. Doch die Kriminellen, die ihn ausüben, kommen nicht nur von der anderen Seite des Ozeans. Wenn als 'Kriegsverbrecher' all jene gelten, die, selbst zu Kriegszeiten unakzeptierbare Greueltaten ausüben, gehören dazu auch viele Funktionäre der heutigen US-Regierung: Colin Powell, verantwortlich für die Angriffe auf Panama und den Irak und der ehemalige Präsident Bush für seine Verantwortung an der Ermordung vieler Zivilpersonen dieser beiden Länder. Bill Clinton für 78 Tage und Nächte Bombenangriffe gegen die Zivilbevölkerung Ex-Jugoslaviens, sowie gegen Somalia, Bosnien, den Sudan und Afghanistan. Ronald Reagan für die Angriffe in El Salvador, Nicaragua, Guatemala, Grenada und Li-byen. Gerald Ford für sein Einverständnis zum Völkermord in Osttimor. Auch Richard Nixon, Wesley Clark, Norman Schwarzkopf, Elliot Abrams, Casper Weinberger, Oliver North, Henry Kissinger und viele mehr, die auf höchster Ebene diejenigen unterstützt, bewaffnet und finanziert haben, die Grässlichkeiten gegen ihre eigene Bevölkerung begangen haben. Nach oben |
Plötzlich gerät das fundamentalistische Taliban-Regime in die Schlagzeilen, da vermutet wird, dass sich Osama bin Laden in Afghanistan aufhält, der Hauptverdächtige für den Anschlag in den Vereinigten Staaten. Der Terror, den die afghanische Regierung gegen die eigenen Frauen ausübt, in dem ihnen sämtliche Rechte verwehrt werden, hat aber den Weg in die internationalen Schlagzeilen nicht gefunden. Am 11. September, dem Tag der Zerstörung in den Vereinigten Staaten, hat sich in Guatemala der 11. Jahrestag der Ermordung der Anthropologin Myrna Mack gejährt, die sich ihr Leben lang für die Unterdrückten eingesetzt hat. Myrna war eines der Opfer der antikommunistischen Paranoia, die in unserem Land von der US-amerikanischen Regierung genährt wurde. Am 10. Oktober werden sich die drei der Drahtzieherschaft angeklagten Militärs, Juan Valencia Osorio, Juan Oliva Carrera und Edgar Godoy Gaitán vor Gericht verantworten müssen. Ein Prozess, geprägt von Drohungen gegen RichterInnen und ZeugInnen, geprägt von Korruption, Verzögerung, und von der Ermordung eines Kriminalbeamten. Auch in diesem Fall hat es viele, die ihre verletzlichsten Teile angegriffen sehen. Und trotz der elf Jahre seit ihrer Ermordung ist Myrna Mack lebendiger denn je in der Erinnerung all derer, die für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen. (Laura E. Asturias, Siglo XXI) |
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