In Nebaj sind selbst die Toten nicht sicher...
Fijáte 258 vom 24. April 2002, Artikel 1, Seite 1
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In Nebaj sind selbst die Toten nicht sicher...
Das guatemaltekischse Departement
Alma Noser leitete im Februar/März 2002 eine Studienreise nach Guatemala. Im folgenden Artikel beschreibt sie ihre Eindrücke aus Nebaj, die Verunsicherung der Bevölkerung, nachdem die Pfarrei angezündet wurde und die Aussichtslosigkeit, dass die Verantwortlichen früherer wie heutiger In der Nacht des 21. Februar brannte die Pfarrei Nebaj und drei benachbarte Marktstände total aus. Vom Pfarrhaus blieben nur die verkohlten Holzsäulen des Innenhofs und die Dachbalken übrig. Unwiederbringbar verloren ist das Archiv der Pfarrei mit vielen Berichten und Interviews zu 35 Massakern aus dem Raum Nebaj, welche die Pfarrei zu Handen des Wahrheitsberichts der "Das historische Gedächtnis von Nebaj ging verloren", sagt Rigoberto Pérez, der Pfarrer von Nebaj. Dass der Brand keine Folge eines elektrischen Kurzschlusses war, sondern dass er angestiftet wurde, davon ist Rigoberto Pérez, der Pfarrer von Nebaj und einer der Promotoren des REMHI-Berichts, fast sicher. Beweise dafür hat er allerdings noch keine. Er zeigt sich zwei Tage nach dem Brand zwar erschreckt, aber auch klarsichtig und kampfesmutig. Er sei fast sicher, dass Brandstifter aus dem Umkreis von Armee oder der ehemaligen Die Pfarrei beklagt die Unfähigkeit und den Widerwillen der zuständigen Instanzen, den Fall aufzuklären. Noch am Tag des Brandes benachrichtigte sie die Staatsanwaltschaft (Ministerio Público), die einen hohen Funktionär nach Nebaj schickte. Nach kurzer Untersuchung der Brandstätte erklärte er sie für abgeschlossen und riet der Pfarrei, die Klage zurückzuziehen. Die Ueberreste des Brandes wurden weggeräumt. Rigoberto Pérez beklagte auch die Gleichgültigkeit der Polizei ( Wohl nicht zufällig trafen am Tag des Brandes bei drei Organisationen, die sich mit Exhumierungen befassen, Todesdrohungen für namentlich genannte MitarbeiterInnen ein. Viele Pfarreiangehörige befürchten, dass die Zeit der violencia, wie hier der Krieg genannt wird, wiedergekehrt sei. Einer von ihnen erlitt bei der Nachricht über den Brand einen Hirnschlag. Aber es gibt auch solche, die ins Pfarrhaus kommen, um den Padre zu trösten. "Animo, Padre", sagte ihm einer, mein Haus wurde dreimal angezündet, und dreimal habe ich es wieder aufgebaut; das werden wir auch wir auch mit dem Pfarrhaus machen". ... und noch viel weniger die LebendenÜber die gefährliche Situation in Nebaj sind sich auch Der Procurador, Marcelo Solis, nennt die aktuelle Situation besorgniserregend. Er erwähnt vor allem die Solis sieht Anzeichen dafür, dass nächstens eine "soziale Säuberung" (limpieza social) von ehemaligen Auch die Vertreterin von MINUGUA, Vilma Romero, beklagt die Zerstörungen, die der Krieg im sozialen Gefüge und in den Menschen angerichtet habe. In Nebaj sei die Situation der durch den Krieg entwurzelten Bevölkerung sehr bedenklich. Man dürfe nicht vergessen, dass die Ein Besuch im Nachbardorf von Ilom, Tzotzil, bestätigt die unhaltbare Situation der DorfbewohnerInnen: 1400 Familien, auch sie geflüchtet während des Krieges, leben zusammengepfercht auf einem kleinen, extrem steilen und steinigen Grundstück, meist drei bis vier Familien in einem Haus, während das Areal der Finca, das Tzotzil wie eine Klammer umschliesst, sich bis zum Horizont ausdehnt. Auch die |
Die Die Gemeinde hat heute nur noch 350 ha schlechten Boden, während die Finca 6000 ha des fruchtbaren Bodens besitzt. Der grösste Teil des Bodens von Tzotzil, der seit Generationen der Gemeinde gehörte (sie haben 110 Jahre alte Besitzdokumente), wurde vom Besitzer der Finca La Perla annektiert, während sich die Bevölkerung vor der Armee jahrelang in den Bergen versteckt hielt, ein Teil von ihnen in den Eine Tatsache, die irritiert, ist die Kumpanei der mozos colonos (auf der Finca wohnende Landarbeiterfamilien) mit dem Finquero. Sie sind Indígenas, wie die BewohnerInnen von Ilom und den umliegenden Dörfern, haben sich aber ganz auf die Seite des Finquero geschlagen. Sie tragen Waffen und bewachen die Grenzen der Finca. Eine Frau aus Tzotzil, erzählte man uns, hätte vor kurzem etwas Gras unter dem Zaun hindurch geschnitten. Sie sei erwischt, geschlagen und vergewaltigt worden. Auch wenn einer von ihnen einen Baum fälle, der auf Finca-Boden wachse, werde er von den Häschern der Finca verhaftet und ins Gefängnis auf der Finca geworfen. Der Vertreter der Gemeindebehörde sagt mit grosser Erbitterung und Wut. "Der Frieden ist etwas für die Reichen, für die Armen gibt es keinen Frieden. Wenn sich nicht bald eine Lösung abzeichnet, gibt es wieder Krieg." Womit wieder die alte These der Militärs bestätigt wäre, dass die Menschen in der Ixil-Region Subversive und Gewalttäter sind. Die aufständischen Ixiles(zitiert nach "Memoria del Silencio", Bericht der Comisión de Esclarecimiento Histórico") Die Ixiles (BewohnerInnen des sogenannten Ixil-Dreiecks) gelten schon seit jeher als subversiv, als widerständig. Sie wandten sich schon früh gegen die Autoritäten, gegen die wirtschaftlich Mächtigen und ganz generell gegen die Ladinos (Nachfahren der Spanier). Im Jahr 1924 erhob sich die Bevölkerung von Ilom gegen den Besitzer der Finca La Perla. In den dreissiger Jahren fand in Nebaj ein Aufstand statt gegen die Zwangsarbeit, die der damalige Staatspräsident, General Ubico, verordnet hatte. Es gab Verhaftungen und Massaker. Der Kampf der Landbevölkerung von Ixil für bessere Arbeitsbedingungen gipfelte im Jahr 1980 in Aufständen an der Costa Sur (Gegend der grossen Im Jahr 1980 besetzten Mitglieder des CUC (Comité de Unidad Campesina) die spanische Botschaft in Guatemala-Stadt. Die Armee griff ein und zündete die Botschaft mit den Aufständischen und einigen Botschaftsangestellten an. 39 Menschen verbrannte, darunter der Vater von Die Die Einschätzung der Armee, dass die Ixil-Bevölkerung die soziale Basis der Guerilla und ihr die Möglichkeit der Rekrutierung immer neuer Guerillakämpfer bot, war ohne Zweifel der entscheidende Faktor der Repression, um so zu erreichen, das der Guerilla der Zutritt zur Bevölkerung verunmöglicht wurde. Die äusseren Zeichen der Ixil-Identität wie Tracht und Sprache wurden oft zum Todesurteil. Viele Ixil-Frauen wurden auf ihrer Reise zur Erntearbeit an der Costa Sur ermordet. In die Hauptstadt geflüchtete Frauen mussten sich zu ihrer Rettung ihre Tracht ausziehen. Die erfolgreichen Aktionen der Armee führten zur teilweisen Vernichtung der ethnischen Gruppe der Ixiles. Die Phasen der VernichtungDer Bericht der Phase 1) Selektive Morde auf Grund Schwarzer Listen an Schlüsselpersonen in Gemeinde und Kirche (PromotorInnen, Kathecheten, Priester, Maya-Autoritäten. Die Soldaten gingen mit den Listen jeweils an Sonntagen durch die Märkte und in die Kirchen, wo die Leute versammelt waren und führten die Todeskandidaten ab Phase 2) Morde durch Hinweise von señaladores (vermummte Denunzianten). Die Bevölkerung wurde auf dem Dorfplatz zusammengetrieben. Männer und Frauen/Kinder wurden getrennt. Die señaladores zeigten mit dem Finger auf wirkliche oder vermeintliche SympathisantInnen der Guerilla, die sofort öffentlich exekutiert wurden. Oft wurde die Beerdigung der Opfer verhindert oder sogar schon Begrabene wieder ausgegraben und den Hunden zum Frass vorgesetzt Phase 3) Die Exekutionen mit señaladores wurden ersetzt durch Massaker an ganzen Dorfgemeinschaften, inklusive Frauen, Kinder und Alte. Frauen wurden oft vor der Familie oder auf öffentlichen Plätzen mehrfach vergewaltigt, schwangeren Frauen wurde der Bauch aufgeschlitzt und der Fötos herausgeholt, kleine Kinder wurden gegen Bäume oder Steine geschlagen. Mehr als 440 Dörfer, davon 90 in der Region Ixil, wurden total vernichtet (tierra arrasada). In Nebaj waren es 54, in Cotzal 10, in Chajul 26. Die Überlebenden flüchteten in die Berge und Wälder der Region, in die Hauptstadt, an die Südküste, vor allem aber über die Grenze nach |
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