Ex-Gueriller@s, Soldaten und Feuerwehrleute machen gemeinsame Sache
Fijáte 268 vom 11. Sept. 2002, Artikel 1, Seite 1
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Ex-Gueriller@s, Soldaten und Feuerwehrleute machen gemeinsame Sache
Der Einsatz von Minen und Sprengkörpern ist eine der Charakteristiken der bewaffneten Konfrontationen und Kriegen auf dieser Welt. Und ihre Beseitigung ist eines der komplexesten Probleme der jeweiligen Nachkriegszeit. In Guatemala trägt die Form, in der die Lösung dieses Problems geplant ist, aussergewöhnliche Züge: Diejenigen Parteien, die sich im bewaffneten Konflikt gegenüber gestanden haben, sind diejenigen, welche die Verantwortung für die Gefahr tragen, die die Bomben und Minen für die Bevölkerung darstellen. Und sie sind es auch, die sich um ihre Beseitigung zu kümmern haben, unterstützt von der freiwilligen Feuerwehr und der internationalen Gemeinschaft. Der Autor des Artikels, Hugo Leonel Cabrera Cifuentes, ist Mitarbeiter des Centro de Estudios de Guatemala, CEG. In Guatemala nimmt das Problem der Minen nicht die selben Ausmasse an wie in anderen Ländern. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Guerilla-Gruppen der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas, URNG, eine zurückhaltende Politik hinsichtlich des Gebrauchs von Minen und Sprengsätzen entwickelten und sich im Wesentlichen auf die Verteidigung der Kampfesfronten und die Verhinderung des Verkehrs von Militärfahrzeugen der Armee beschränkten, um möglichst wenig die zivile Bevölkerung zu gefährden. Zum anderen beschränkte die Armee ihre Bombardements auf diejenigen ländlichen Regionen, wo sich die Aufständischen mobilisierten, wobei neben den Guerilla-Gruppen vor allem nicht-kämpfende Zivilpersonen getroffen wurden. Im Zusammenhang des Friedensprozesses stehen diese Parteien als Akteure des Konfliktes in der Verpflichtung und haben die Verantwortung übernommen, sich um die Entminung des Landes zu kümmern. Am 17. Juni 1994 wurde in Oslo, Norwegen das Abkommen zur "Wiederansiedlung der aufgrund der bewaffneten Konfrontation entwurzelten Bevölkerung" unterschrieben. Dieses Abkommen erkennt die Notwendigkeit an, "dringend die Beseitigung jeglicher Art von Minen oder explosiven Artefakten in Angriff zu nehmen, die in den Gebieten, in denen sich der Konflikt entwickelt hat, eingegraben oder nachlässig verstreut liegen. Die unterzeichnenden Parteien verpflichten sich, jede Art von Zusammenarbeit bei diesen Aktivitäten zu leisten". (Titulo II, Nr.4). Sandino Asturias, einer der Ex-comandantes und Koordinator der demobilisierten KämpferInnen der URNG, die an dem Entminungsprogramm teilnehmen, erklärt, dass diese Arbeit seit dem Jahr 1995 im Gange ist, als eine Antwort auf die Risiken, mit denen die Zurückkehrenden, Demobilisierten und Vertriebenen des bewaffneten Konflikts bei ihrer Rückkehr konfrontiert waren. Zitat aus einem Dokument des Entminungsprogramms: "Anfang 1995 begann die Rückkehr der Flüchtlinge in jene Gebiete, die von der Nationalen Kommission für die Betreuung der Repatriierten, Flüchtlinge und Deplazierten - CEAR - zu diesem Zweck erworben wurden. Als Folge davon und aufgrund der Verpflichtung, der entwurzelten Bevölkerung die erwähnten Garantien zu bieten, wurde die freiwillige Feuerwehr angeworben, die von der deutschen Nichtregierungsorganisation Koordinationsstelle von Projekten zur Beseitigung von Kriegsschäden - GPC - im Aufspüren und Entdecken von Minen und Sprengkörpern trainiert wurde. Die Zerstörung der gefundenen Sprengsätze wurde von Mitgliedern des Ingenieur-Corps der guatemaltekischen Armee vorgenommen." (Entminungsprogramm Rückgabe des Lächelns und des Vertrauens an die Bevölkerung). Nach der Unterzeichnung der Friedensverträge 1996, so Asturias, hat die URNG gemeinsam mit den Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen einmalige Entminungsaktionen in der Region um den Vulkan Tajumulco durchgeführt, in der sich die Radiostation La Voz Popular befand, sowie im Departement Chimaltenango. Auf diese Weise wurden die letzten aktiven Minenfelder der URNG entschärft und insgesamt 329 Sprengsätze deaktiviert. In den folgenden Jahren wurde die Institutionalisierung des Entminungsprozesses vorangetrieben. Seit Dezember 1998 gibt es eine Entminungs-Koordinationskommission, deren ausführende Abteilung, die UCE, die Realisierung des Nationalen Entminungs- und Zerstörungsplans von explosiven Artefakten zur Aufgabe hat. Unterstützt und beraten wird sie dabei vom Entminungs-Hilfsprogamm der Organisation der amerikanischen Staaten - PADCA/OEA. Es wurde festgelegt, im Gemeindebezirk von Ixcán im Tieflandgebiet des Departements Quiché zu beginnen, da dieses Gebiet für das vom bewaffneten Konflikt am stärksten betroffene gehalten wurde. Hier waren die Front des Commandante Ernesto Guevara der URNG und die Militärzone Nr. 22 der guatemaltekischen Armee stationiert. In der Kommission vertreten sind Mitglieder des Corps der freiwilligen Feuerwehr, der Demobilisierten der URNG und des Ingenieur-Corps der Armee. Unterstützt wird das Ganze wie erwähnt von der OEA, die für die internationale Supervision und für die Logistik im allgemeinen zuständig ist. Die Zusammensetzung dieser Gruppe widerspiegelt den wichtigsten Charakterzug des Projekts: In allen Aktivitäten, von der Sensibilisierung und öffentlichen Information bis hin zur Zerstörung der Sprengsätze, sind wirklich all jene Parteien involviert, die am bewaffneten Konflikt beteiligt waren, und sie werden dabei von der internationalen Gemeinschaft unterstützt. Die politische Verantwortung trägt die Entminungs-Koordinationskommission, in der der Präsident der Friedens- und Entminungskommission des Kongresses, der Befehlshaber der freiwilligen Feuerwehr und der Verteidigungsminister sitzen. Sandino Asturias erläutert die Etappen der Arbeit: "Zuerst wird eine Sensibilisierungskampagne durchgeführt, die darin besteht, Arbeitsgruppen aus Demobilisierten der URNG und der freiwilligen Feuerwehr gemeinsam in die verschiedenen Gemeinden zu schicken, um dort mit den lokalen Behörden, den LeiterInnen der verschiedenen Organisationen und BürgermeisterInnen zu reden und um die Informationen möglichst weit zu streuen, Haus für Haus oder auch Schule für Schule zu besuchen. Dahinter steckt die Idee, das Vertrauen der verschiedenen Gemeinden zu gewinnen, damit sie sich einmischen und man sie bezüglich dieses heiklen Themas sensibilisieren kann. All dies dient der Erreichung des zentralen Ziels: die Information über die Ortung der Sprengkörper. Ausserdem sollen die BewohnerInnen wissen, was ein Sprengsatz ist und wie sie ihn erkennen können." Nach oben |
Die gemischten Gruppen aus Demobilisierten und Feuerwehrleuten kennzeichnen die Sprengkörper für ihre anschliessende Entschärfung mit Sprengladung, was dann die Aufgabe des Ingenieur-Corps der Armee ist. Ausserdem gibt es einen Notfallplan, der von einer Spezialtruppe ausgeführt werden würde, falls irgendwo auf nationalem Gebiet Minen oder Sprengsätze entschärft werden müssten. Dieser Notplan konnte jedoch nicht die zwölf bekannt gewordenen Unfälle im Zusammenhang mit Sprengsätzen in den letzten Jahren verhindern: Im November des vergangenen Jahres sind in einer Gemeinde von Huehuetenango drei Jungen gestorben, die eine Granate gefunden hatten. Diese explodierte, als die Kinder sie von der Stelle bewegen wollten. Dabei wurden vier weitere Personen verletzt. Ein weiterer Unfall ereignete sich Anfang dieses Jahres in der Nähe von Cobán, wo ebenfalls eine Granate gefunden worden war, die, heil bis nach Hause transportiert, schliesslich auf dem Küchentisch explodierte und dabei das Leben von zwei Kindern beendete und zwei weitere verletzte. Typische Fälle von Unwissenheit, gegen die nur ein intensives Aufklärungsprogramm ankommen kann. Die Rolle der internationalen Gemeinschaft im Entminungsprogramm ist fundamental; die OEA bietet die Unterstützung und die notwendige logistische Ausstattung, inklusive der Fahrzeuge, und etwas sehr Wichtiges: Sie bezahlt die Lebensversicherung der am Programm Beteiligten. Zudem ist die Hilfsmission für die Beseitigung von Minen in Zentralamerika - MARMINCA, bestehend aus Offizieren des Interamerikanischen Verteidigungsvorstandes (JID), beratend tätig. Der JID wiederum erfüllt die technisch-operative Funktion, die für die Entschärfung von explosiven Artefakten notwendig ist, sie sind also die internationalen Supervisoren, die die entsprechenden Sicherheitsnormen garantieren. Das Entminungsprogramm trägt hohe Risiken, geht langsam voran und ist in vielerlei Hinsicht kostspielig. Es liegt auf der Hand, dass die technisch-militärischen Operationen für die Beseitigung der Minen und Bomben extrem gefährlich sind und hochspezialisiertes Personal bedürfen. Aber zudem ist diese Angelegenheit politisch komplex, wird die Arbeit doch gerade in den am stärksten vom bewaffneten Konflikt betroffenen Regionen durchgeführt, in denen es zu zahlreichen Massakern und Bombardements von Seiten der Armee gekommen ist. Ausser der Demobilisierung der bewaffneten Einheiten der URNG und dem Rückzug einiger Armeeeinheiten ist es in diesen Regionen bislang zu keinen grösseren Fortschritten hinsichtlich der Erfüllung der Friedensverträge gekommen. Die sozio-ökonomischen Probleme, die den Anlass zum Konflikt gaben, bleiben ungelöst. Das Elend, das Fehlen von Arbeit und der Mangel an Aufmerksamkeit von Seiten des Staates haben sich in den letzten Jahren verschärft, und die Bevölkerung ist es längst überflüssig, was die Anwesenheit vieler Institutionen angeht. "Sie kommen, um statistische Daten zu erheben und wir bekommen im Gegenzug nichts dafür," so die Worte von Mitgliedern der Hilfsbürgermeisterei des Dorfes Sacuchum Dolores, San Pedro Sacatepéquez, San Marcos. In diesem Ort wurde am vergangenen 16. Juni das gemischte Team aus Demobilisierten und Feuerwehrleuten einen Tag lang festgehalten, als es in dem Dorf Sensibilisierungsarbeit für das Entminungsprogramm durchführen wollte. Eine Gruppe von zehn bis fünfzehn DorfbewohnerInnen begleitete den Hilfsbürgermeister und erklärte, dass sie es nicht akzeptierten, dass die VertreterInnen des Entminungsprogramms in ihrer Gemeinde arbeiteten, "denn hier gab es zahlreiche Massaker, Festnahmen, Ermordungen und geheime Massengräber, es gibt viele Kriegswitwen und -waisen, und was diese wollen, sind Taten und Hilfe." Sie wollten auch die Feuerwehrleute nicht, denn "wenn man diese um Hilfe bittet, sagen sie immer, sie hätten kein Benzin, sie kommen nur, wenn es Leichen gibt." Zum Glück gelang es in diesem Fall mit der Intervention anderer Mitglieder der Hilfsbürgermeisterei, die etwas flexibler waren, ein Übereinkommen über den Rückzug des Entminungsteams aus dem Gebiet zu treffen und die Freiheit für dieses, um zu ihrem Camp zurückzukehren. Es ist klar, dass die BewohnerInnen nicht gegen das Entminungsprogramm an sich sind, jedoch sind sie es ganz einfach satt, stets bloss wahlpolitische Angebote und Versprechen zu erhalten, die nie umgesetzt werden. Und ihr Vorgehen ist eine Form des Protestes, ein Verhalten, das sich immer mehr und im ganzen Land ausbreitet. Trotz all dieser Schwierigkeiten lassen sich dennoch Fortschritte verzeichnen: Eine Bilanz über die Teilerfolge des Programms von 1998 bis 2002 umfasst 30 Gemeindebezirke, 400 comunidades, 100'000 "sensibilisierte" Personen und 400 gefundene und entschärfte Sprengsätze. Davon sind laut Asturias 92% Bomben (bis 500 Pfund), die in den Bombardements der guatemaltekischen Luftwaffe (FAG) abgeworfen wurden, Kanonenprojektile (z.B. des Typs "105 mm"), Mörsergranaten und andere Granaten, die die Armee verwendet hat, und die nicht explodiert sind. Die restlichen 8% sind Minen und Fallen, die von der Guerilla gelegt worden sind. Diese Angaben umfassen auch Handgranaten und Claymore-Minen. Die UCE hat im August 1999 mit der Anwendung eines Spezialplans begonnen, der die Erweiterung des Programms um weitere Risikogebiete bis ins Jahr 2004 vorsieht, nachdem im Januar 2000 die Aktivitäten in der Region um Icxán beendet und ab März desselben Jahres ein einjähriges Programm im Raum Ixil (sieben Gemeindebezirke) lief. In dieser Hochlandregion des Departements Quiché befanden sich in Zeiten des Konflikts die Ho Chi Min-Front der URNG und die Militärzone Nr. 20. Die Entminungsaktionen haben bereits ansatzweise die Rückkehr in Gebiete erlaubt - und werden dies weiterhin tun - die viele Jahre lang in Vergessenheit geraten waren und beseitigen gleichzeitig eine Gefahr, die den Fortschritt und die Entwicklung in diesen Gebieten behindert. Aber immer noch gibt es eine grosse Anzahl von Explosionskörpern, die gefunden und zerstört werden müssen. Dabei ist die Beteiligung von Gemeindebehörden und kommunalen Organisationen sowie der Bevölkerung im allgemeinen grundlegend. Doch noch ist es ein langer Weg dahin, Guatemala als eine Zone erklären zu können, die frei ist von Minen und Sprengkörpern. Die humanitäre Aufgabe der Entminungsaktionen ist eine Herausforderung innerhalb des schwierigen Prozesses der Versöhnung der guatemaltekischen Gesellschaft nach den Friedensverträgen und der Beendigung der militärischen Aktionen. Das Wichtige, so Asturias, ist, dass "alle involvierten Institutionen die Gewissheit haben, dass es möglich ist, durch gemeinsame Arbeit innerhalb von kurzer Zeit die Mission zu erfüllen, die es erlauben wird, zu verhindern, dass noch mehr unschuldige Opfer sterben müssen". |
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