Die europäische Entwicklungszusammenarbeit mit Guatemala
Fijáte 282 vom 9. April 2003, Artikel 1, Seite 1
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Die europäische Entwicklungszusammenarbeit mit Guatemala
In den 80er-Jahren begann die europäische Union mit der politischen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Zentralamerika. Ausschlaggebend für diese Kooperation war das europäische Interesse, die verschiedenen Friedensverhandlungen und prozesse sowie die Integration Zentralamerikas in den Weltmarkt zu begleiten. Weiter wollte man helfen, die Bevölkerung der Region besser vor Naturkatastrophen zu schützen. Im Falle Guatemalas hat die Zusammenarbeit vor etwa 15 Jahren begonnen. Die Gewährung (oder nicht) internationaler Entwicklungsgelder ist aber gleichzeitig auch ein politisches Druckmittel (Beispiel Strukturanpassungsprogramme). Auch die europäische Gemeinschaft drohte kürzlich der Regierung Portillo mit einer Kürzung der Entwicklungsgelder, falls nicht endlich die in den Friedensabkommen festgelegten strukturellen Reformen durchgeführt würden. Der folgende Artikel über die europäische Kooperation beruht auf einem Referat, das der EU-Abgeordnete Philippe Combescot am 14. Februar 2003 in Quetzaltenango anlässlich der Durchführung des Mesodiálogo Occidente hielt. Historischer Rückblick In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre unterstützte die europäische Union die Dialoge in Zentralamerika und begleitete in den einzelnen Ländern die Verhandlungen, die zu den Friedensunterzeichnungen führten. Damals gab es noch keine Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene, sondern ausschliesslich mit der Zivilgesellschaft und sie konzentrierte sich auf die von der Gewalt am stärksten betroffene Bevölkerung. Anfang der 90er-Jahre begann die guatemaltekische Regierung, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft, eine organisierte Begleitung der entwurzelten und geflohenen Bevölkerung. In Mexiko wurden die staatlichen Flüchtlingsorganisationen CEAR und CTEAR sowie in Guatemala der Friedensfonds FONAPAZ und das Friedenssekretariat SEPAZ geschaffen. Diesen politischen Kontext nutzte die europäische Gemeinschaft, um ohne jedoch die Beziehung zur Zivilgesellschaft aufzugeben auch Projekte auf Regierungsebene zu entwickeln. Aufgrund der institutionellen Schwäche des Staates begann man eine neue Generation von ländlichen Entwicklungsprojekten zu lancieren, die in Zentralamerika als ALA-DRI-Projekte bekannt wurden. Diese Projekte wurden z.T. von der Zivilgesellschaft kritisiert, doch muss man dabei den politischen Kontext dieser Zeit im Auge behalten: Es ging darum, in möglichst kurzer Zeit und unabhängig von der jeweiligen Regierung ziemlich viel Geld in die Bereiche Gesundheit, Erziehung und Infrastuktur zu investieren. Weiter entwickelte man einkommensfördernde Projekte für die ärmsten BäuerInnen. Die Schwäche dieser Projekte liegt sicher darin, dass sie Anfang der 90er-Jahre konzipiert wurden und bis noch vor kurzem in der ursprünglichen Art durchgeführt wurden, obwohl sich in den letzten 10 Jahren der politische und institutionelle Kontext sowohl auf staatlicher wie auf zivilgesellschaftlicher Ebene stark verändert hat. Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Kooperation den jeweiligen politischen und institutionellen Szenarien anzupassen. Als Mitte der 90er-Jahre die ersten Teilabkommen unterzeichnet wurden und sich ein baldiger Friedensschluss abzeichnete, begann man in Guatemala mit Projekten, welche die Reformen vorantreiben sollten, die für die Umsetzung der Abkommen notwendig waren. So begleitete z.B. die europäische Gemeinschaft die Bildungs- und Gesundheitsreform sowie den Aufbau einer zivilen Nationalpolizei, ein Projekt, das Ende 2002 abgeschlossen wurde. Zentralamerika ist die Region der Welt, die von der europäischen Union am meisten finanzielle Unterstützung pro EinwohnerIn bekommen hat. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass es in Guatemala bis 1997 keine EU-Vertretung vor Ort gab. Damit wollte man den Regierungen ein klares Signal geben: Solange in eurem Land kein Friede ist, werden wir auf diplomatischer Ebene nicht direkt mit euch verhandeln. Die Anwesenheit europäischer VertreterInnen beschränkte sich also auf die technische Assistenz zur Durchführung der Projekte. Das Fehlen einer diplomatischen Vertretung der europäischen Gemeinschaft hatte jedoch den Nachteil, dass die Projekte zu wenig begleitet und evaluiert werden konnten. Nach der Unterzeichnung des festen und dauerhaften Friedens 1996 eröffnete die europäische Gemeinschaft ihr erstes Büro in Guatemala. In den ersten Jahren der Nachkriegszeit begegnete die internationale Gemeinschaft der Regierung noch mit einigem Goodwill. 1999, im letzten Regierungsjahr der damaligen Regierung (PAN), begann die internationale Gemeinschaft, allen voran MINUGUA, die Umsetzung der Friedenabkommen mit kritischerem Blick zu analysieren. Tatsache ist, dass auf der strukturellen Ebene, wie es die Abkommen vorsehen, sehr wenige Fortschritte zu verzeichnen sind. Auch die sozialen und politischen Akteure in Guatemala kamen bei ihren Analysen zum selben Schluss. Entsprechend konzentrierte sich die Wahlkampagne 1999 stark auf strukturelle Reformen. Die FRG versprach eine Steuerreform, eine Agrarreform, eine makroökonomische Reform, eine Reform der Sicherheitskräfte, die Demilitarisierung der staatlichen Institutionen, etc. Es wäre spannend, die damaligen politischen Versprechen der verschiedenen Parteien noch einmal zu analysieren... Die aktuelle Situation In der aktuellen Phase, die im Jahr 2000 begonnen hat, prägen folgende Ereignisse die Kooperation der europäischen Gemeinschaft mit Guatemala: Die Einsetzung der neuen Regierung unter Präsident Portillo. Die Verlängerung des Kooperationsabkommens zwischen der europäischen Gemeinschaft und der Regierung von Guatemala (der Vertrag lief 2000 aus). Die Erarbeitung einer neuen Länderstrategie für Guatemala unter Berücksichtigung der Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre. Der Beginn eines partizipativen und intersektoriellen Prozesses mit dem Namen Mesodiálogo, um die zukünftige Kooperation mit der Regierung auszuarbeiten. Grundlage für das Kooperationsprogramm 2001 2006 (unter www.ueguate.org einzusehen) ist die Implementierung der Friedensabkommen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen aber auch die europäischen Akteure den Inhalt und den Sinn der Abkommen verstehen. In Guatemala wurden mehr als zehn Teilabkommen unterzeichnet, und im Gegensatz zu Friedensabkommen in anderen Ländern, wo es einzig darum ging, den bewaffneten Konflikt zu beenden, hatte man in Guatemala die Ambition, auch die Ursachen und Gründe, die zum Krieg führten, anzugehen. Nach oben |
Die strukturellen Änderungen, die dies bedingt, sind zahlreich und komplex: die Landfrage, eine partizipative Demokratie, die Demilitarisierung der Gesellschaft, die Dezentralisierung des Staates, der Kampf gegen Ausschluss und Rassismus, etc... Die europäische Gemeinschaft hat sich mit ihrer Kooperation diesen Zielen verpflichtet und sieht in den Friedensabkommen den Grundstein für diese Veränderungen. Die Tendenz der letzten Jahre seitens einiger nationaler Sektoren, aber auch seitens einzelner "Entwicklungshelfer" war es, politische und entwicklungspolitische Strategien zur Bekämpfung der Armut zu entwickeln. Selbstverständlich tragen wir alle irgendwie dazu bei, die Armut zu reduzieren, doch ist in Guatemala die Situation etwas komplexer und nicht mit einer simplen "ökonomischen Modernisierung", der "Suche nach Handelsnischen" oder der "Sicherstellung eines funktionierenden service publique" zu lösen. In Guatemala geht es darum, und das haben die GuatemaltekInnen während zehn Jahren zäher Verhandlungen bewiesen, die Gesellschaft auf allen Ebenen und umfassend zu transformieren. Diesbezüglich sind die Friedensabkommen präzise, detailliert und überzeugend. Wir müssen deshalb auch unsere Kooperation auf diese komplexe Ambition ausrichten. Um Programme und Projekte zu erarbeiten, die dieser Vision gerecht werden, hat die europäische Gemeinschaft den Mesodiálogo einberufen. Ebenso wichtig ist es, die gemachten Erfahrungen (lessons learnt) in die Entwicklung neuer Projekte einzubeziehen. Analyse des politischen Szenarios durch die europäische Gemeinschaft Das soziale Gefüge auf Gemeindeebene ist immer noch in der Rekonstruktionsphase, nachdem es durch den bewaffneten Konflikt vollkommen zerstört wurde. 15 Jahre nach den ersten Schritten in Richtung einer Demokratisierung und 5 Jahre nach Abschluss der Friedensabkommen ist die Gesellschaft geprägt von einem starken Misstrauen gegenüber den Institutionen des Staates. Sich sozial zu engagieren wird von vielen Menschen als ein Risiko angesehen, da die repressiven Strukturen vor allem in ländlichen Gebieten noch intakt sind und eine soziale Kontrolle herrscht. In diesem Kontext ist der Versöhnungsprozess auf lokaler Ebene sehr fragil, um nicht zu sagen inexistent. Der soziale, politische und wirtschaftliche Ausschluss der indigenen Bevölkerung ist lokal wie national alarmierend. Dies ist in diversen Berichten (u.a. von MINUGUA) belegt und festgehalten. Auf lokaler Ebene manifestiert sich das in einem alltäglichen Rassismus, aber auch in einer institutionellen Diskriminierung, z.B. im erschwerten Zugang zu Bildung und Gesundheit, zum Justizwesen und zu politischer Partizipation der Indígenas. Obwohl die Regierung das Frauensekretariat eingesetzt hat, ist der politische und wirtschaftliche Ausschluss der Frauen beunruhigend. Das Frauensekretariat versucht, auf die öffentliche Politik der Regierung Einfluss zu nehmen und die Beteiligung der Frauen im politischen und privaten Umfeld zu stärken. Vor allem auf dem Land verläuft dieser Prozess aber langsam und zäh. Die Gemeinderegierungen leiden unter strukturellen Einschränkungen, die eine Modernisierung erschweren und ein Wiederbeleben demokratischer Strukturen verunmöglichen. Das politische System richtet sich nach dem Wahlrhythmus, was einen Aufbau lokaler politischer Kräfte verhindert. Die finanzielle Abhängigkeit von den zentralen Strukturen beschränken die Gemeindeautonomie. Dieses Problem ist auch mit dem neuen Dezentralisierungsgesetz nicht zur Zufriedenheit gelöst. Das Auswechseln der gesamten Gemeinderegierung (inkl. technischem Personal) alle vier Jahre, machen die Planung einer längerfristigen Entwicklungszusammenarbeit fast unmöglich. Das Fehlen wirtschaftlicher Strategien auf regionaler und Gemeindeebene machen die Initiative der Regierung und der internationalen Kooperation, die Armut zu bekämpfen, zunichte. Die Entwicklungsräte beschränken ihre Aufgabe auf den punktuellen Bau von Infrastruktur (Strassen, Schulen, Mehrzweckhallen) und verfolgen damit keine längerfristige Strategie. Auch die guatemaltekische Gesellschaft ist, ebenso wie ihre Regierung, im höchsten Mass zentralistisch organisiert. Dies verhindert den Austausch und die Koordination innerhalb der sozialen Bewegungen und schwächt sie auch gegenüber der Regierung. "Lessons learnt": Die EU-Kooperation der Zukunft Unser Kooperationsprogramm 2001 2006 konzentriert sich auf vier untereinander und mit der Umsetzung der Friedensabkommen zusammenhängender Themen: Kampf gegen die Armut, Modernisierung des Rechtsstaates, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Förderung der Demokratie und der Menschenrechte. Wir haben uns entschieden, die Entwicklungszusammenarbeit territorial auf fünfzig der insgesamt 332 Gemeinden zu konzentrieren. Wir wollen in unsere Projekte die lokalen Prozesse mit einbeziehen und sowohl die Bevölkerung mit den Institutionen des Staates in einen Dialog bringen wie auch die lokale politische Praxis mit der nationalen. Folgende Programme werden wir in den nächsten Jahren prioritär behandeln: "Stärkung der Zivilgesellschaft auf lokaler Ebene" (12 Mio. Euro), "Unterstützung des Dezentralisierungsprozesses" (20 Mio. Euro), "Unterstützung der ruralen KMU's" (8 Mio. Euro), "Gleichstellung von Mann und Frau in der öffentlichen Politik" (6 Mio. Euro), "Ländliche Entwicklung, Nahrungssicherheit und Landverteilung" (20 Mio. Euro), "Unterstützung der Justizreform" (10 Mio. Euro), "Unterstützung der Steuerreform" (8 Mio. Euro). Von der guatemaltekischen Regierung wird eine Eigenleistung von 20% der jeweiligen Projektsumme erwartet. Einzelne Projekte werden ergänzt durch Spezialprogramme wie: Aids und Bevölkerung, Umwelt und Post-Mitch-Wiederaufbau, Erziehung, Gesundheit und Wasser. Das Indígena-,,Problem" wird in allen Projekten transversal behandelt. |
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