Der 28. Dezember 2003 in Jalapa - aus Wahlbeobachterinnensicht
Fijáte 301 vom 14. Jan. 2004, Artikel 1, Seite 1
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Der 28. Dezember 2003 in Jalapa - aus Wahlbeobachterinnensicht
Auch die zweite Wahlrunde am 28. Dezember 2003 wurde unter anderem von internationalen BeobachterInnen begleitet. Wir danken Julia Trautsch herzlich für ihre Bereitschaft, uns mittels ihres Berichts auch in diese, der entscheidenden Runde des Präsidentschaftswahlkampfes in Guatemala einen "direkten" Einblick zu ermöglichen, der die "¡Fijáte!- Wahlbegleitung" (siehe ¡Fijáte! 297) abrundet. Zur Stichwahl standen Oscar Berger für das Bündnis GANA - Grosse Nationale Allianz - der diese Wahl für sich entscheiden konnte, und Álvaro Colom, Präsidentschaftskandidat für die Partei Nationale Einheit der Hoffnung. Wie bereits beim ersten Wahlgang am 9. November beobachtete ich als internationale Wahlbeobachterin mit meinem dänischen Kollegen Tomas die Wahl im Departement Jalapa, im vorwiegend von Ladin@s besiedelten Osten Guatemalas. Genau wie am 9.11. fuhren wir von Wahllokal zu Wahllokal in fünf der sieben Gemeinden des Departements. Wir kannten von der ersten Runde her schon unsere Route und konnten so relativ gelassen die Wahlbeobachtung durchführen. Unsere Aufgabe bestand darin, an einem Wahltisch mindestens eine halbe Stunde das Geschehen zu beobachten und pro Tisch einen Fragebogen auszufüllen. Wenn Zwischenfälle auftreten würden, sollten wir sie notieren und schwerwiegende Fälle an die UN-Mission für Guatemala MINUGUA weiterleiten. Im Unterschied zum ersten Wahlgang war die Stimmung diesmal jedoch recht entspannt. Die letzten Tage vor der Wahl wurde kaum noch Propaganda gemacht. Das lag sicherlich nicht nur an den Weihnachtsfeiertagen, sondern auch daran, dass nur noch zwei Kandidaten zur Wahl standen, Efraín Ríos Montt nicht mehr darunter war und nur eine einzige Wahl , die des Präsidenten, stattfand. Ausnahme stellten der vier Gemeinden dar, in denen die Kommunalwahlen wiederholt wurden, da die Wahlurnen abgebrannt wurden, bevor die Stimmen ausgezählt werden konnten. Um kurz vor sechs Uhr früh standen wir auf und fuhren mit César, unserem Fahrer, zum ersten Wahllokal in Jalapa, Departement Jalapa. Als wir dort ankamen standen vor dem Wahllokal nur etwa 20 WählerInnen, die gemächlich zu den Tischen gingen, wo sich beim letzten Mal 200-300 Campesin@s drängten und in das Wahllokal stürmten, sobald dieses um 7 Uhr öffnete. Nachdem die ersten zehn Wählenden an dem von uns beobachteten Tisch ihre Stimme abgegeben hatten, konnten die WahlhelferInnen bereits die erste Pause einlegen, da der Wahlprozess wesentlich schneller ging und viel weniger Andrang war. Bei der ersten Runde waren wir in den ersten beiden Wahllokalen von örtlichen Radiosendern interviewt worden. Diesmal hingegen waren nur wenige MedienvertreterInnen zu sehen und bis abends bei der Auszählung durften wir keine Interviews mehr geben. Als wir ins zweite Wahllokal in Jalapa kamen, war schon etwas mehr los, aber die Situation war ebenfalls nicht vergleichbar mit der ersten Runde. Besonders gross war der Unterschied zwischen erstem und zweitem Wahlgang in San Pedro Pinula, wo wir als nächstes hinfuhren. Die Wahltische der Wahlzentren befanden sich dort unter den Arkaden des Dorfplatzes. Am 9. November hatten die Schlangen der wartende Wahlwilligen den gesamten Platz ausgefüllt und ihn in ein Meer von weissen Hüten verwandelt. Diesmal war der Platz wie leergefegt. Die einzige Menschenansammlung, die zu sehen war, befand sich in und vor der Kirche, wo einige Taufen stattfanden. In San Pedro Pinula konnten am 9. 11. sehr viele Menschen nicht wählen. Im Büro des Obersten Wahlgerichts (TSE) wurde uns gesagt, dass allein an zwei Tischen mit jeweils 600 eingetragenen WählerInnen rund 300 Menschen, die diesem Tisch zugewiesen waren, nicht im Wahlregister auftauchten. In der ersten Wahlrunde wurde ihnen kurzerhand ein extra Tisch zugewiesen, an dem sie wählen konnten, wenn sie Zeit und Geduld hatten, um herauszufinden, ob sie irgendwo im Register der Gemeinde oder des Departments auftauchten. Auch diesmal gab es Probleme: An dem zweiten Tisch, den wir beobachteten, konnten 31 Personen nicht ihre Stimme abgeben, obwohl sie die entsprechende Tischnummer in ihrem Identitätsausweis stehen hatten. Gegen 12 Uhr fuhren wir weiter nach San Luis Jilotepeque. Auf dem Weg dorthin fiel uns auf, dass sehr viele Menschen am Strassenrand standen, die auf Transportmittel zu warten schienen. In San Luis angekommen, drängten wir uns durch den Markt zum Wahllokal durch. Als wir hereinkamen, war ausser den WahlhelferInnen und ein paar gelangweilten WahlbeobachterInnen der nationalen Wahlbegleitungsinitiative Mirador electoral keinE einzigeR WählerIn zu se- hen. Wir gingen wieder zu dem Tisch, den wir auch das letzte Mal beobachtet hatten und unterhielten uns mit den WahlhelferInnen und den "fiscales", den BeobachterInnen der beiden Parteien GANA und UNE, deren Präsidentschaftskandidaten noch im Rennen waren. In der ersten Wahlrunde hatte hier eine hochschwangere Frau sechs Stunden in der Schlange gestanden, damit ihr am Wahltisch gesagt werden konnte, dass sie nicht in der Liste auftauche. Diesmal hatten wir Schwierigkeiten unseren Fragebogen auszufüllen, da in den 30 Minuten lediglich ein Wähler kam. Im zweiten Wahllokal in San Luis Jilotepeque sah es nicht viel anders aus. Trotz den wenigen anwesenden Menschen in den Wahllokalen, hatten erstaunlicher Weise an den meisten Tischen, die wir beobachtet hatten, fast genau so viele Wählende ihre Stimme abgegeben, wie zur gleichen Uhrzeit am 9.11.. Als wir gerade unseren Fragebogen ausfüllten, rief uns eine Kollegin von MINUGUA an, um uns zu fragen, ob wir gesehen hätten, dass Busse mit WählerInnen angehalten wurden. Sie hatte mehrere Anrufe aus Jalapa erhalten, die Beklagten, dass AnhängerInnen der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) Busse anhalten würden, um ,,Propaganda" für die UNE zu machen. Nach oben |
In Jalapa unterstützte die FRG fast einstimmig die UNE. Wir meinten einen stehenden Bus gesehen zu haben, hatten aber nicht weiter darauf geachtet. Doch unser Fahrer hatte gesehen, wie der Bus von einem Pick-up angehalten wurde, der plötzlich, als wir uns dem Bus näherten, weg fuhr, so dass der Bus weiterfahren konnte. Später erfuhren wir von einem Reporter der Tageszeitung Prensa Libre, dass er Morddrohungen erhalten habe, als er von weitem filmte, wie bekannte FRG- Mitglieder mit mehreren Autos die Landstrasse absperrten und angeblich Geld in den Bussen verteilten. Nach dem Anruf von MINUGUA achteten wir verstärkt auf entsprechend verdächtige Anzeichen, doch sahen wir in der Gegend, durch die wir fuhren, nur ganz vereinzelt Menschen und so gut wie keine Transportmittel. Unser nächstes Ziel war die Gemeinde San Manuel Chaparron. Auch im dortigen Wahllokal war wenig los. Bei der ersten Runde hatte es dort Probleme gegeben, da SympathisantInnen verschiedener Parteien Propaganda im Innern des Wahllokals machten. Diesmal blieben zwar auch ein paar ParteianhängerInnen drinnen, aber es bildeten sich keine langen Warteschlangen, wo man die Leute hätte beeinflussen können. Der Koordinator des Wahllokals forderte sie zudem schliesslich auf, das Wahllokal zu verlassen. Das geschah in der Gemeinde Las Monjas, unserer nächsten Beobachtungsstation, nicht, obwohl sich dort über 1´000 Menschen im Wahllokal aufhielten, von denen einige sogar bewaffnet waren. SympathisantInnen verschiedener Gruppen hatten sich zusammengetan und versuchten, uns jeweils von ihren Ansichten über das Geschehen zu überzeugen. Es gab wohl eine Frau, die wählen wollte, dies aber nicht realisieren konnte, da jemand anderes oder sie selbst schon für sie gewählt hatte. Andere erzählten, sie hätte einen gefälschten Wahlzettel einschmuggeln wollen. Der Unterdelegierte des obersten Wahlgerichts berichtete uns ausserdem, dass die AnhängerInnen der FRG planen würden, die Wahlurnen um 18 Uhr abzubrennen, weshalb beschlossen wurde, um 17.30 Uhr die Menschen aus dem Wahllokal zu weisen. Bereits in der ersten Runde teilte uns der lokale Wahlverantwortliche mit, man hätte ihn zweimal lynchen wollen, und die FRG würde einen Stromausfall während der Stimmenauszählung planen. Die BeobachterInnen des Menschenrechtsprokurats (PDH), von denen diesmal niemand da war, hatten uns am 9. November erzählt, dass sie wiederum vom Unterdelegierten mit Festnahme bedroht wurden, würden sie weiterhin den in den Schlangen Wartenden erklären, an welchem Tisch sie ihre Stimme abzugeben hätten, und was sie tun könnten, wenn sie in den Wahllisten der Tische nicht auftauchten. In diesem Dorf haben bestimmt nicht die staatlichen Autoritäten das Sagen, sondern die, die eine Waffe tragen und einer mächtigen Partei angehören. Beispielsweise baten uns bei der ersten Runde mehrere bewaffnete Polizisten, ob wir (zwei unbewaffnete WahlbeobachterInnen!) die Leute aus dem Wahllokal verweisen könnten, die scheinbar Minderjährige aus den Warteschlangen zogen, die angeblich mit falschen Papieren wählen gingen. Das grösste Problem in Las Monjas war bei der ersten Runde jedoch, dass nach Angaben der PDH auch hier über 1´000 Menschen nicht ihr Wahlrecht ausüben konnten, da sie nicht in den Wahllisten auftauchten. Zudem stand dem Unterdelegierten kein Computer zur Verfügung, um im Wahlregister des Departements nachzusehen und ihnen noch einen extra Tisch zuzuweisen. Aus diesem Grund wollten die KandidatInnen verschiedener Parteien die Wahlen vom 9. Nov. für ungültig erklä- ren. Wir waren mit im Zimmer gewesen, als über die Gültgkeit diskutiert wurde, da uns die KandidatInnen als ZeugInnen dabei haben wollten. Doch wir mussten bald gehen, da wir in Jalapa die Stimmenauszählung beobachten sollten. Leider habe ich bis jetzt nicht genau erfahren, wie die Diskussion ausgegangen ist, doch wurden glücklicherweise weder der Unterdelegierte des TSE gelyncht noch die Wahlurnen abgebrannt. Die Stimmenauszählung ging bei der zweiten Runde sehr schnell: um 18.30 Uhr hatten wir das Ergebnis unseres Tisches und um 20.30 Uhr waren alle Ergebnisse vom gesamten Departement Jalapa ausgezählt, zusammengetragen und per Computer an die Zentrale des Obersten Wahlgerichts geschickt. Der Direktor der Universität, in der die Auszählung stattfand, nutzte die Gelegenheit uns anzutreffen, um uns vor laufender Kamera des Unikanals Bücher über seine Universität zu überreichen und uns nach unserer Einschätzung des Wahlprozesses zu fragen. Auch die VertreterInnen des Fernsehsenders Noti7 interviewten uns. Nachdem die Stimmenauszählung in Jalapa vorbei war, fuhren wir zurück ins Hotel und sahen uns die ersten Hochrechnungen auf dem Fernsehbildschirm an. Sobald abzusehen war, dass ,,el conejo", ("das Kaninchen") wie Oscar Berger genannt wird, gewinnen würde, wurden überall in den Strassen Böller gezündet. Ich sah mir noch die Vorstellung der offiziellen vorläufigen Ergebnisse des TSE an und schlief dann, vom Gekrache der Böller begleitet, ein. |
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