Darf er oder darf er nicht?
Fijáte 290 vom 30. Juli 2003, Artikel 7, Seite 5
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Darf er oder darf er nicht?
Das Urteil Guatemala, 25. Juli. Noch vor kurzem witzelte eine guatemaltekische Tageszeitung: ,,Der General hat niemand, der ihn einschreibt", in Anlehnung an Gabriel García Marquez' Buch: ,,Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt". Angespielt wurde damit auf das seit Wochen dauernde Hin und Her über die Frage, ob General Ríos Montt an den Wahlen vom 9. November als Präsidentschaftskandidat teilnehmen darf oder nicht. Mit vier gegen drei Stimmen schlug sich am 14. Juli das guatemaltekische Verfassungsgericht auf die Seite des Generals und beschloss, dessen Kandidatur zuzulassen. Das Verfassungsgericht (CC) fällte diesen Entscheid, nachdem sowohl das Wahlgericht (TSE) wie der Oberste Gerichtshof (CSJ) das Anliegen des FRG-Kandidaten abgelehnt hatten, und dieser bei der nächsthöheren Instanz Berufung einlegte. Zu Gunsten von Ríos Montt entschieden die beiden amtierenden Richter Cipriano Soto und Guillermo Ruiz Wong sowie die durch ein umstrittenes Verfahren ausgewählten beisitzenden Richter Francisco Paloma Tejada und Manuel de Jesús Flores Hernández (siehe ¡Fijáte! 289). Das Zünglein an der Waage war der Richter Cipriano Soto, Vertreter der Universität San Carlos, während Kommissionspräsident Ruiz Wong und Paloma Tejada bekanntermassen Parteigänger der FRG sind und Flores Hernández, gegen den ein Gerichtsverfahren läuft, wohl seine Haut retten wollte. Mutig und überzeugt gegen eine Beteiligung des Generals an den Wahlen sprachen sich die amtierenden Verfassungsrichter Juan Francisco Flores Juárez, Rodolfo Rohrmoser Valdeavellano und der beisitzende Richter Carlos Enrique Reynoso Gil aus. Die drei argumentierten wie die gerichtlichen Instanzen vor ihnen, dass der Verfassungsartikel 186 verbiete, dass jemand, der durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen ist, wie das bei Ríos Montt 1982 der Fall war, als Präsidentschaftskandidat antreten dürfe. Demgegenüber stand das Argument der vier befürwortenden Richter, dass mit einem Verbot der Kandidatur von Ríos Montt dessen Menschenrecht ,,zu wählen und gewählt zu werden" verletzt würde und ausserdem der entsprechende Verfassungsartikel im Jahr 1985 verabschiedet worden und nicht rückwirkend sei, Argument, das schon von der FRG zur Rechtfertigung ihres Ansinnens vorgetragen worden war. Die Reaktionen Der Entscheid des Verfassungsgerichts löste landesweit Empörung aus. Als ,,institutionellen Schaden, der das Risiko in sich birgt, unsere junge Demokratie zu zerstören" und als ,,technischen Staatsstreich" kritisieren soziale Sektoren das Urteil und befürchten, dass damit eine der letzten staatlichen Institutionen das Vertrauen der Bevölkerung verloren habe. Roberto Molina vom Zentrum für die Verteidigung der Verfassung (CEDECON) und die ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichts, Conchita Mazariegos, sind sich einig, dass das Urteil ein schwerer Schlag für die Verfassung des Landes sei, während sich Nineth Montenegro auf das in der Verfassung garantierte ,,Recht zur Rebellion" berief. Die StudentInnenvereinigung der Universität San Marcos zeigte sich beschämt darüber, dass ausgerechnet ihr Vertreter für den General gestimmt hat, war doch die Universität unter Ríos Montts Regierung selber Ziel von Menschenrechtsverletzungen. Die StudentInnen erklärten Cipriano Soto umgehend zur persona non grata. Auch internationale Organisationen und Institutionen wie die Internationale Vereinigung für Menschenrechte, der Sonderbeauftragte der UNO in Rechtsfragen, Param Cumaraswamy, sowie eine zur Zeit im Lande weilende Delegation des Europaparlaments, zeigten sich überrascht über den Entscheid und verurteilten ihn. Der US-Botschafter in Guatemala, John Hamilton, sagte, er sei ,,perplex", und es sei schwierig, an die Urteilsfähigkeit der vier Richter zu glauben. Richard Boucher, Sprecher des US-amerikanischen Aussenministeriums erklärte, sein Land könne weder normale noch freundschaftliche Beziehungen zu einem Präsidenten wie Ríos Montt aufnehmen. Einzig die FRG lobte die Entscheidung und meinte, es sei nicht bloss ein Sieg für die Partei, sondern für Guatemala, das somit der Demokratie einen Schritt näher gekommen sei. Begleitend lancierte die FRG eine Medienkampagne unter dem Motto ,,Ja zum General". Bereits am Tag nach der Urteilsverkündung, fanden in der Hauptstadt erste Proteste statt. Über 300 Personen demonstrierten vor dem Gericht und hängten an dessen Pforten vier piñatas auf, die die vier Richter verkörpern sollten, die sich für Ríos Montt einsetzten. Die piñatas wurden später angezündet. Auf den Treppen des Gerichts deponierten die DemonstrantInnen ein Marmorkreuz mit der Inschrift ,,In Erinnerung an die Glaubwürdigkeit des Verfassungsgerichts", daneben wurden Kerzen und Blumen aufgestellt als Zeichen der Trauer. Die bei der Aktion anwesende Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú rief die Leute dazu auf, Widerstand gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu leisten. Von den Parteien forderte sie, die Legalität zu verteidigen und einen Wahlbetrug zu vermeiden. Am Sonntag, 20. Juni, schlossen sich Tausende von Personen zu einer weiteren Demonstration zusammen. Damit folgten sie einem Aufruf des Präsidentschaftskandidaten der Grossen Nationalen Allianz (GANA), Oscar Berger. ,,Wegen Völkermord und Diebstahl: Im Pavón (Gefängnis) müsst ihr ihn einschreiben" lautete eine der Parolen. Selten seien so viele verschiedenen Sektoren zu einem gemeinsamen Protest zusammengekommen, hiess es seitens der OrganisatorInnen der GANA, und VertreterInnen anderer Parteien versicherten, man müsse im Moment die parteipolitischen Interessen zurückstecken und gemeinsame Sache gegen Ríos Montt machen. Wie weiter? Am selben Sonntag tagte der Oberste Gerichtshof (CSJ) und beschloss, dem Einspruch der Parteien Nationale Einheit der Hoffnung (UNE) und Revolutionäre Bewegung (MR) gegen das Oberste Wahlgericht (TSE) provisorisch stattzugeben. Aufgabe des TSE ist es, die Einschreibung des Generals als Präsidentschaftskandidaten vorzunehmen. Mit ihrer Entscheidung suspendierten sie ein weiteres Mal den Eintrag Ríos Montt's ins Wahlregister auf unbestimmte Zeit. Gleichzeitig zogen sich alle RichterInnen des Obersten Gerichtshofs von der weiteren Untersuchung des Falles zurück, mit der Begründung, sie hätten ihr (negatives) Urteil bereits am 4. Juli abgegeben und würden ihre Meinung nicht mehr ändern. Als StellvertreterInnen ernannten sie 13 Vorsitzende von Appellationsgerichten aus dem ganzen Land, die umgehend das Urteil bestätigten. Die FRG legte beim Verfassungsgericht zwei Beschwerden ein, bei denen es darum geht, dass das erneute Eingreifen des Obersten Gerichtshof gegen das Gesetz sei, weil das Verfassungsgericht darüber stehe und dessen Entscheide nicht umgestürzt werden dürften. Es scheint, dass der Fall Ríos Montt immer mehr zu einem rechtlichen Labyrinth verkommt, dessen Ausgang zu finden, noch eine Weile dauern kann. Erzürnt über die Abfuhr des CSJ erklärte Ríos Montt am Montag, 21. Juli, gegenüber der Presse: "Wir sind an einem Punkt, an dem einige Aktionen von SympathisantInnen oder anderer, die den Wahlprozess stören wollen, der Kontrolle des FRG-Exekutiv-Kommitees entgleiten können", und gab somit den Ring frei für jegliche Art von "Rechtsverteidigung", für die die FRG keine Verant- Nach oben |
wortung übernehmen will. Hauptstadt unter Kontrolle von FRG-AnhängerInnen Für folgende Informationen übernimmt die Fijáte-Redaktion keine Garantie, bis zum Moment des Redaktionsschlusses (25. Juli) waren die Informationen über das Vorgefallene noch sehr unklar und z.T. widersprüchlich, obwohl sie alle aus verlässlichen Quellen stammen: Am Donnerstagmorgen, 24. Juli, fuhren aus verschiedenen Landesteilen Dutzende von Autobussen mit Personen (von rund 3000 ist die Rede) in die Hauptstadt, um für die Kandidatur von Ríos Montt zu demonstrieren. Die Leute waren bewaffnet mit Macheten, Stöcken und Schusswaffen und wurden von mit Funkgeräten ausgerüsteten Männern angeführt. Erste Ziele waren der Oberste Gerichtshof, das Verfassungsgericht, das Wahlgericht und das Centro Empresarial, ein Bürogebäude in der Zone 10, das der Hauptsitz der Unternehmensfamilie Gutiérrez (Pollo Campero) ist. Unter anderem befinden sich in dem Gebäude auch die Büros der Tageszeitung ElPeriódico und des regierungskritischen Fernsehprogramms Libre Encuentro. Ein Journalist von ElPeriódico wurde angegriffen, seine Presseausrüstung zerstört und er wurde mit Benzin übergossen, in der Absicht, ihn zu lynchen. Der Journalist Héctor Ramírez, der für die Radiostation Sonora und für die unabhängige Fernsehanstalt Notisiete arbeitete, starb unter noch ungeklärten Umständen. Während einige Quellen davon ausgehen, dass er, nachdem er vor einer erzürnten Menschenmenge fliehen musste, einen Herzinfarkt erlitt, heisst es in anderen Berichten, er sei erschossen worden. Weitere Journalisten, die über die Ereignisse berichten wollten, wurden angegriffen und z.T. verletzt. Bis zum Mittag wurden in der Zone 10 diverse öffentliche Gebäude und Schulen evakuiert (z.T. nachdem Bombendrohungen eingegangen sind). Auch einige Botschaften hätten Sicherheitsmassnahmen ergriffen. Die in dem Stadtteil angesiedelten Menschenrechtsorganisationen hätten ihre Arbeit eingestellt und eine Krisensitzung einberufen. In einem Kommuniqué der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) wird die Bevölkerung der Hauptstadt aufgefordert, die Häuser nicht zu verlassen und sich von nichts provozieren zu lassen. Die Reaktion der Regierung auf diese Proteste war gleich null, die Polizei habe den Befehl gehabt, nicht einzugreifen, heisst es in verschiedenen Meldungen. Obwohl die ganze Zeit Helikopter über der Stadt gekreist seien, habe die Regierung erst um 15 Uhr den Einsatz der kombinierten Truppen (Militär und Polizei) angekündigt, die dann gegen 17 Uhr ausgerückt seien. Um 20 Uhr hatten diese die Situation immer noch nicht unter Kontrolle und vor dem Obersten Gerichtshof haben sich die ,,Demonstrierenden" für die Nacht bereit gemacht, Plastikplanen wurden gespannt und Essen verteilt. Obwohl die FRG jede Verantwortung für das Geschehen von sich wies, wurden in der Menschenmenge die FRG-Abgeordneten Baudilio Hichos und Juan Santacruz sowie Kongressangestellte gesehen, die der Menge Befehle erteilten. Nachdem sich die Meldung über die Situation in der Hauptstadt im Land verbreitet hatte, fanden in einigen Städten, u.a. Quetzaltenango und Huehuetenango, spontane Demonstrationen gegen Ríos Montt und seine Anhängerschaft, für transparente Wahlen und die Einhaltung der Verfassung statt. Bei den lokalen ReporterInnen der Nachrichtenagentur CERIGUA gingen Meldungen ein, KandidatInnen der FRG hätten die Leute in den Dörfern mit Drohungen oder dem Versprechen auf Entwicklungsprojekte zur Teilnahme an den Protesten in der Hauptstadt gezwungen. Versuch einer Analyse (frei nach Erwin Pérez und Enrique Alvarez, Incidencia Democrática) Noch drei Monate dauert es bis zu den Wahlen, noch ein halbes Jahr bis zur Einsetzung des neuen Präsidenten. Eine Prognose zu stellen, wer die Präsidentschaft gewinnen wird, und welche Art Regierung die nächsten vier Jahre das Zepter in Guatemala übernehmen wird, ist schwierig. Klar ist (umso mehr nach dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichts und nach dem tatenlosen Zuschauen der Sicherheitskräfte bei den Unruhen in der Hauptstadt), dass die Institutionen, die eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Friedensabkommen und als Garanten der Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit spielen müssten, weiterhin unter dem Einfluss der parallelen Kräfte und klandestinen Strukturen stehen werden. Sich diese Einflussnahme zu garantieren bzw. ihren eigenen, lukrativen Abgang zu planen, ist in nächster Zeit wohl die Hauptbeschäftigung verschiedener Akteure der FRG. Insofern kann man davon ausgehen, dass die öffentlichen FunktionärInnen und Kongressabgeordneten einen grossen Teil ihrer restlichen Amtszeit mit Wahlpropaganda verbringen werden bzw. damit, sich abzusichern für den Fall einer möglichen Niederlage der FRG. Strategisch wichtig ist dabei, sich mit den USA gut zu stellen. Entsprechend scheut Aussenminister Edgar Gutiérrez keine Mühe, die Bedingungen der Vereinigten Staaten bezüglich der Drogenbekämpfung zu erfüllen und erlaubt unter anderem das Patrouillieren von US-Truppen im guatemaltekischen Meeresraum. Ziel der offensichtlich restriktiveren Drogenpolitik ist die Re-Zer- tifizierung durch die USA, die bei Erfüllung der entsprechenden Bedingungen für September versprochen wurde und ein letzter Trumpf im FRG-Wahlkampf sein könnte. Auch das jüngste inzwischen schon wieder flexibilisierte ,,beispielhafte Vorpreschen" Guatemalas in den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TLC ist unter diesem Aspekt zu verstehen. Eine weitere persönliche Sorge diverser FRG-Leute ist, das System der Straffreiheit so weit zu etablieren und verwurzeln, dass sie auch unter einer neuen Regierung nicht befürchten müssen, für die Vergehen während ihrer Amtszeit zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dazu gehören: Veruntreuung von Geldern, Steuerhinterziehung, Geldwäscherei, Drogenhandel, etc. Auch Ríos Montt hat diesbezüglich ein Eigeninteresse: Wird er nicht zu den Wahlen zugelassen bzw. gewinnt er sie nicht, verliert er automatisch die Immunität, die er während der letzten acht Jahre als Kongresspräsident genossen hat. Dies würde bedeuten, dass man ihn vor nationalen oder internationalen Gerichten wegen Menschenrechtsverletzungen und Genozid zur Verantwortung ziehen könnte. Vorsorglich stellen sich die FRG-Abgeordneten systematisch dagegen und behindern, dass der Strafkodex des Internationalen Gerichtshofes um letztgenannte Verbrechen erweitert wird, wie es in dessen Statuten vorgesehen ist. Wird Ríos Montt zu den Wahlen zugelassen, wird es um ,,alles oder nichts" gehen, und man braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich auszumalen, dass er alle legalen und illegalen Register ziehen wird, um seinen Triumph zu garantieren. Mit den Protesten in der Hauptstadt hat er eine erste Kostprobe seiner Macht und Mobilisierungsfähigkeit gegeben. Bereits jetzt ist das Thema Wahlbetrug in aller Munde. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die über 200'000 aus der Nationaldruckerei ,,verschwundenen" Identitätskarten, die zu besitzen eine Voraussetzung ist, um seine Stimme abzugeben. Oder daran, dass sich die Armeeführung weigert, einer Liste aller Militärangehörigen an das Wahlgericht abzugeben, damit diese aus dem Wahlregister gestrichen werden, denn Militärangehörige dürfen nicht an den Wahlen teilnehmen. Gefährlich ist auch die Einstellung verschiedener Präsidentschaftskandidaten, man solle Ríos Montt nur kandidieren lassen, das Volk lasse ihn dann schon abblitzen... Viel eher sei den Oppositionsparteien geraten, sich nicht nur zu gemeinsamen Demonstrationen zusammen zu finden, sondern auch eine mittel- und langfristige Strategie zu entwickeln, um Ríos Montts Kandidatur zu verhindern und das Bewusstsein der Bevölkerung auf die es schliesslich ankommen wird zu schärfen. |
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