Früher warst du Kommunistin, heute bist du Terroristin
Fijáte 308 vom 21. April 2004, Artikel 8, Seite 6
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Früher warst du Kommunistin, heute bist du Terroristin
Die Menschenrechtsaktivistin Helen Mack zum Thema Sicherheit Frage: Wie sieht das Sicherheitskonzept der neuen Regierung aus? Helen Mack: Die neue Regierung verfolgt bisher keine klare Linie in Sachen Sicherheit. Es bestehen vielmehr Widersprüchlichkeiten. Auf der einen Seite wurde General Otto Peréz Molina zum Kommissar für Sicherheit ernannt, der, um die Gewalt einzudämmen, Massnahmen ergriffen hat, die nicht unbedingt einer integralen Sicht von Sicherheit entsprechen, wie z.B. die kombinierten Militär-Polizei-Truppen, die auf der Strasse patrouillieren. Doch bereits die FRG-Regierung hatte bewiesen, dass diese Massnahme nicht hilft, um die Gewalt auf der Strasse zu verringern. Es wird viel über das umstrittene "Mara-Gesetz" diskutiert, derweil die strukturellen Ursachen der Gewalt nicht in Angriff genommen werden. Berger hat zwar öffentlich verkündet, die Mitglieder von Jugendbanden in Rehabilitierungsprogramme zu stecken, aber wirklich unternommen wurde bisher nichts. Es wurde ein Dekret verabschiedet für die Schaffung des BeraterInnenrats für Sicherheit (CAS), der aus VertreterInnen der Zivilgesellschaft zusammengesetzt werden soll. Seine Aufgabe ist, mittelfristige Sicherheitskonzepte auszuarbeiten, um die Transformation von einer nationalen zu einer demokratischen Sicherheit voranzutreiben. Aber auch hier weiss man noch nichts Konkretes und vor allem wissen wir nicht, wie ernst Berger diesen BeraterInnenrat und seine Vorschläge nehmen wird. Frage: Welches sind denn die Vorschläge seitens der Zivilgesellschaft? H. M.: Wir fordern in erster Linie die Reduktion des Militärs sowie ein neues Militärgesetz, das der Rolle des Militärs in Friedenszeiten gerecht wird. Wir fordern eine Revision des Gesetzes über die Geheimdienste sowie die Schaffung eines zivilen Geheimdienstes (im Gegensatz zum militärischen). Dazu gehört auch der Zugang zu Information seitens der Bevölkerung. Das Militär ist ja bekannt dafür, keine transparente Institution zu sein. Um überhaupt eine Änderung des Militärgesetztes auszuarbeiten, muss man zuerst gewisse Informationen über das Militär haben, die zu geben die Institution jedoch nicht bereit ist. Wir fordern eine gänzlich neue Verteidigungspolitik, die klar ist bezüglich der realen Gefahren, denen eine Armee heute gegenübersteht und entsprechende Anpassungen. Damit zusammen hängt die Militärdoktrin, die unserer Meinung nach auch überdacht werden muss. Wir schlagen ein Revision der Militärjustiz und gerichte vor, einen neuen Militärkodex, denn der aktuelle datiert aus dem Jahr 1800. Frage: Wenn in Guatemala über "Sicherheit" gesprochen wird, ist immer eine militarisierte Sicherheit gemeint. Auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen beschränken sich meistens darauf. Begriffe wie Ernährungssicherheit, kulturelle oder soziale Sicherheit etc. kommen in diesen Diskursen selten vor... H. M.: Oh doch, der BeraterInnenrat für Sicherheit geht von einem integralen Verständnis von Sicherheit aus. Gerade Fragen rund um die Ernährungssicherheit sind im Moment sehr aktuell, darum ging es u.a. ja auch bei der Marcha Campesina vom 30. März (siehe ¡Fijáte! 307). Da ist die Forderung nach gesundheitlicher Sicherheit, nach Arbeits- oder nach juristischer Sicherheit: Was ist zu machen, damit die Justiz für alle gleich angewendet wird? Der CAS, der zusammengesetzt sein wird aus sieben VertreterInnen der Zivilgesellschaft, stellt genau diese Fragen. Im Moment findet noch das Auswahlverfahren statt, um Mitglieder des CAS vorzuschlagen, die dann vom Präsidenten ausgewählt und ernannt werden. Frage: Es ist positiv zu werten, wenn der CAS diesen breiten Sicherheitsbegriff verfolgt, aber wer ist denn sein Gegenüber innerhalb der Regierung? An wen werden die Vorschläge gerichtet? H. M.: Auch staatlicherseits gibt es einen Sicherheitsrat. Darin vertreten sind das Verteidigungsministerium, das Sekretariat für strategische Analysen (SAE), das Innen- sowie das Aussenministerium und das Wirtschaftsministerium. Nach oben |
Konsequenterweise müsste aber auch die Justiz, sprich das Gefängniswesen, die Staatsanwaltschaft, die Polizei und die Gerichtsinstanzen mit einbezogen werden. Frage: Wie beurteilst Du die Ernennung von Otto Peréz Molina zum Kommissar für Sicherheit? H. M.: Diese Ernennung hat Anlass zu vielen Diskussionen gegeben. Leider müssen wir heute zugeben, dass Peréz Molina bisher ziemlich effizient gearbeitet hat, vor allem was die Manipulation der Medien betrifft. Er hat sogar Präsident Berger die Show gestohlen und alle Welt glaubt ihm, dass er die Gewalt im Griff hat. Frage: Wobei er ja vor allem oberflächliche Massnahmen getroffen hat wie z.B. die kombinierten Patrouillen... H. M.: Klar sind es oberflächliche Massnahmen, die in keiner Weise das Problem an der Wurzel angehen. Doch da die Leute nach Sicherheit schreien, kann Peréz Molina machen, was er will, er hat die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung. Vom öffentlich-politischen Standpunkt her ist das natürlich beunruhigend. Frage: Was ist von einem Sicherheitskonzept zu erwarten, das ideologisch und finanziell von den USA unterstützt wird? H. M.: Die USA sind an punktuellen Aspekten sehr interessiert, z.B. dem Kampf gegen den Drogenhandel, oder der Straflosigkeits-Frage. Bei dieser geht es ja genau um die juristische Sicherheit, was wiederum Grundvoraussetzung dafür ist, dass der Handel vonstatten gehen kann und ins Land investiert wird. Deshalb sind die USA auch so an der CICIACS, der Untersuchungskommission von illegalen Körperschaften und geheimen Sicherheitsapparaten, interessiert, weil dies eine Stärkung der staatlichen Institutionen bedeutet. Guatemala ist an US-amerikanischer Unterstützung interessiert in der Frage der Reduktion des Militärs. Dahinter versteckt sich das Interesse an einer Wiederaufnahme der Militärhilfe. Frage: Von welcher Sicherheit sprechen wir also? H. M.: Von einer Sicherheit, die die ganze Hemisphäre betrifft, und die zu einem grossen Teil den Interessen der USA gehorcht... Frage: Was ist Deine grösste Sorge in Sachen Sicherheit in Guatemala? H. M.: Am meisten Sorgen machen mir das Militär, der Staat und die GuatemaltekInnen selber. Wir haben nichts aus der Geschichte gelernt. Wir nehmen unsere Verantwortung nicht wahr bezüglich dessen, was im bewaffneten Konflikt passiert ist. Die damalige Sicherheitsdoktrin gilt auch heute noch: Früher warst du Kommunistin, heute bist du Terroristin. Solange das Militär nicht lernt, dass man Konzepte nicht immer wortwörtlich nehmen darf, sehe ich gar die Gefahr eines Rückschritts in die Vergangenheit. Früher haben die USA ihre Sicherheitsdoktrin auf unsere Länder angewendet, heute applizieren sie sie im eigenen Land. Ich bin besorgt darüber, dass sich dies verschärft, dass unser Militär aus der Vergangenheit nichts gelernt hat und es zu einer neuen Konfrontation kommt. Vielen Dank für das Gespräch! |
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