Stan und die Vergangenheit
Fijáte 346 vom 26. Okt. 2005, Artikel 4, Seite 3
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Stan und die Vergangenheit
Guatemala, 13. Okt. Die starken Regenfälle, die den Sturm Stan auf seinem Weg über das Land begleiteten, verursachten nicht nur Erdrutsche, Schlammlawinen, die Zerstörung von Brücken und Strassen, sondern deckten auch ein geheimes Massengrab auf, dass die sterblichen Überreste von Personen verbarg, die mit grosser Wahrscheinlichkeit während des internen bewaffneten Konflikts ermordet wurden. Laut Informationen des Menschenrechtsprokurators Sergio Morales, wurde dieses Massengrab im Dorf Las Nubes, San Martín Sacatepéquez, im Departement Quetzaltenango, im wahrsten Sinne des Wortes an die Erdoberfläche gespült. Die PDH reichte bereits Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein, um die Ermittlungen baldmöglichst in die Wege zu leiten. Derweil sehen sich jedoch sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Stiftung Anthropologischer Forensik Guatemalas (FAFG), die mit der Exhumierung betraut wurden, vor naturbedingten Hindernissen: Das Wetter und die kaputten Wege nach Las Nubes erschweren den Zugang zum Terrain. Zweifel und Fragen bleiben an anderen Orten just von der Erde verdeckt, die die Folgen des Sturms beispielsweise über den Ort Panabaj bei Santiago Atitlán, Sololá, gebracht haben. Da wurde einerseits gemeldet, dass aus angeblich sanitären Gründen die Suche nach weiteren Überlebenden oder auch Leichen nach 72 Stunden nicht erlaubt sei, andererseits jedoch in einer Meldung noch von Bergungen am vierten Tag nach dem Unglück die Rede war, und gleichzeitig Panabaj zum Friedhof deklariert wurde. Unklar, wie viele der noch vermissten EinwohnerInnen mal wird von 400, mal von 1´400 oder gar von 2´000 Menschen gesprochen sich unter den Erdmassen befinden. Eine Luftaufnahme in der Prensa Libre zeigt im wahrsten Sinne des Wortes einen weissen Fleck anstelle des ehemaligen Dorfes aus sanitären Gründen wurde das Gebiet mit Kalk bestreut. Nach oben |
Gleichzeitig stehen zwei weitere Tatsachen im Raum: Just auf dem Gebiet von Panabaj hat es zu Zeiten des bewaffneten internen Konflikts eine Militärbasis gegeben. Auf dem Grundstück vieler anderer Kasernen wurden inzwischen zahlreiche Massengräber ausgehoben, in denen vom Militär Ermordete verscharrt wurden. Soll mit dem Sanitärargument in Panabaj etwas Bestimmtes beabsichtigt sein? Diese Frage ist insofern berechtigt, wird doch von der lokalen Staatsanwaltschaft selbst bestätigt, sie bräuchten bloss einen Antrag der Überlebenden, um die Suche fortzusetzen. Auch der Chef der Forensiker der Staatsanwaltschaft, José Mario Nájera, versichert, dass sein Team momentan nur auf die schriftlichen Anweisungen der Staatsanwaltschaft warte, um dem Wunsch der Angehörigen nachzukommen und die Bergungen weiter zu verfolgen. Sergio Morales wies derweil gar darauf hin, dass es im Fall von Katastrophen einer solchen Bewilligung gar nicht bedürfe. Die in Santiago Atitlán skandalös spät eingetroffene und unzureichende staatliche Nothilfe trägt für den Bürgermeister des Dorfes eine klare Botschaft: "Weil wir Indígenas sind". Ob es "bloss" das ist oder vielleicht auch damit zu tun hat, dass die Bevölkerung Santiagos Anfang der 90er-Jahre das Militär aus dem Dorf und aus jener Militärkaserne von Panabaj erfolgreich und für immer vertrieben hat? Vor diesem Hintergrund lehnte die lokale Bevölkerung denn auch die Anwesenheit des Militärs als Rettungskräfte ab. Im Ort Cua, Departement San Marcos, beantragten die BewohnerInnen die Fortsetzung der Suche, doch die Kommune stellte diese ein. Schliesslich wurde Sergio Morales zur Intervention gebeten, unter anderem, um zu verhindern, dass auch dieser verschüttete Ort einfach zum Friedhof erklärt würde. In Panabaj, Sololá, haben die Überlebenden inzwischen resigniert, nach dem die Sucharbeiten suspendiert wurden, doch weiterhin tauchen Leichen auf. Als Präventivmassnahme schläferten die lokalen Autoritäten unterdessen 93 Hunde ein, um zu verhindern, dass diese sich als Leichengräber betätigten. |
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