Die Wahrheit ist nichts Absolutes (Teil 2)
Fijáte 343 vom 14. Sept. 2005, Artikel 1, Seite 1
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Die Wahrheit ist nichts Absolutes (Teil 2)
Mit der Herausgabe des Berichts Nunca más und der seelsorgenden Begleitung von Angehörigen bei der Exhumierung ihrer Liebsten leistet die katholische Kirche in Guatemala einen wichtigen Beitrag zur Versöhnungsarbeit. Wie sieht es aber mit dem politischen Aspekt der Aufarbeitung aus, welche Haltung nimmt die Kirche z. B. gegenüber strafrechtlichen Prozessen gegen die Verantwortlichen von Massakern und Morden ein? Und wo sieht sie ihre Rolle in der aktuellen politischen Krise, welche die Bevölkerung in ihrem Alltag erneut mit Gewalt und Un-Sicherheit konfrontiert. Wie steht es um das Potential der katholischen Kirche, Prozesse zu begleiten, die soziale Veränderungen anstreben? Im zweiten Teil des Interviews erzählt Jesús Hernández, Theologe und Direktor von CAFCA (Zentrum für forensische Analyse und angewandte Wisschenschaften), wie die katholische Kirche in Guatemala mit einer immer komplexer werdenden Gegenwart umgeht. Frage: Wie ist die Einstellung der katholischen Kirche gegenüber der Justizfrage, gegenüber den juristischen Prozessen? Ist für sie die Sache erledigt, wenn die Exhumierung gemacht und im besten Fall das soziale Gefüge wieder hergestellt ist oder motiviert und unterstützt sie die Leute auch darin, auf juristischer Ebene Gerechtigkeit einzufordern? J.H.: Wenn wir von der Wiederherstellung des sozialen Gefüges sprechen, haben wir nicht das abschliessende Mittel oder Rezept bereit, dies auch zu erreichen. Schlussendlich obliegt es der Gemeinde, diesen Prozess durchzuführen. Wir versuchen, mit unserer Studien- und Dokumentationsarbeit über das Geschehene, dazu beizutragen. Aber die Antwort müssen sie selber finden. Wir können zu einem Versöhnungsprozess beitragen, aber wir können die Wunden nicht vollständig heilen. Niemand kann das Fehlen einer geliebten Person wiedergutmachen. Vor allem, wenn diese Person auf eine gewaltsame, ungerechte Art umgebracht wurde, wenn jemand entführt, verschwunden, gefoltert oder verbrannt wurde. Wenn wir in diesem Zusammenhang von Wiedergutmachung sprechen, müssen wir uns klar darüber sein, dass wir in erster Linie eine Wunde wieder geöffnet haben. Unser Volk ist aber nicht erst seit dem Tod einer bestimmten Person verletzt, es leidet unter einer historischen Verletzung. Wenn wir von psychosozialer Begleitung sprechen, müssen wir uns fragen, wie diese Leute während all den Jahren so viel Schmerz ertragen haben. So muss eine psychosoziale Begleitung über die Zeit einer Exhumierung hinausgehen, es muss eine grundlegende ethische Arbeit gemacht werden, damit die Leute ihr Selbstvertrauen wiedergewinnen und sich für sich und ihre Rechte einsetzen. Wir helfen den Leuten, aus ihrem Selbstmitleid und aus ihrer Opferrolle heraus zu kommen, weil wir sonst rechtfertigen würden, was die Menschenrechtsverletzer gemacht haben und würden diese in der Straflosigkeit belassen. Wir müssen die Verantwortlichkeiten aufzeigen, die Verantwortung der Oligarchie, des Militärs für all das, was geschehen ist. Womit wir zum Thema ,,Gerechtigkeit" kommen. Von der göttlichen Gerechtigkeit zu sprechen kann ich in diesem Fall nicht akzeptieren. Denn die Leute leben weiterhin mit ihren Wunden und mit ihrem Schmerz. Die Leute müssen ihren eigenen Versöhnungsprozess mit Gott durchmachen. Sie werden mit Gott zu sprechen beginnen, so wie sie bei der Exhumierung mit ihren Verstorbenen sprechen. Sie werden auf diese Art mit Gott oder dem Schöpfer kommunizieren. Das Thema der Justiz ist viel heikler. Wir müssen die verschiedenen Komponenten des Themas ,,Justiz" betrachten. Justiz/Gerechtigkeit in diesem Land bedeuten 1: Viel Geld. Der Fall von Dos Erres läuft seit 10 Jahren, Plan Sánchez dauert auch schon seine Jahre, die Genozid-Fälle vom Menschenrechtszentrum CALDH ebenfalls. Kurz und gut, um einen Prozess anzustreben und durchzuführen, braucht es einen Haufen Geld. 2: Es braucht AnwältInnen, die bereit sind, diese Fälle zu führen. In diesem Land ist es einfacher, ein Fall wegen einer Namensurkunde oder wegen eines Landtitels zu führen, als ein Genozid- oder Massakerfall. Es ist gefährlich für AnwältInnen, sich dieser Fälle anzunehmen, sie überlegen sich das zweimal bevor sie akzeptieren. Nichtsdestotrotz gibt es AnwältInnen, die mit grosser Überzeugung und Engagement solche Fälle führen. 3. Ein Justizfall kann nur geführt werden, wenn sich die Gemeinde oder die Familie dazu entscheidet. Die zuvor beschriebene Phase der Exhumierung, der Zusammenführung, der Versöhnung ist eine Etappe. Es ist Teil unserer Arbeit, die Leute über die legalen Möglichkeiten zu informieren. Damit hört unsere Arbeit auf, die Entscheidung liegt nun bei ihnen. Von Amts wegen wäre es die Staatsanwaltschaft, die die Untersuchungen nach einer Exhumierung weiterführen müsste, doch dies passiert leider nicht. Wieviele Justizfälle gab es auf nationaler Ebene bei den drei Institutionen, die bisher zwischen 400 und 500 Exhumierungen durchführten, das Erzbischöfliche Menschenrechtsbüro ODHAG, das bereits erwähnte CAFCA und die Forensisch-Antropologische Stiftung Guatemalas, FAFG? Man kann sie an den Fingern einer Hand abzählen. Plan Sánchez, Río Negro, ansatzweise Dos Erres, die Fälle von CALDH gegen Ríos Montt und Lucas García, und damit hat sichs. Das Thema Justiz ist also noch in weiter Ferne. Frage: Jetzt sprechen Sie aber als Vertreter ihrer Institution. Wie verhält sich die katholische Kirche dazu? Wenn ich als Hinterbliebene zu meinem Gemeindepfarrer gehen und ihn um Rat fragen würde, weil ich einen Justizprozess anstreben möchte, würde er mich dabei unterstützen oder würde er mir raten, die Sache auf sich beruhen zu lassen? J.H.: Die Kirche würde Sie an eine Organisation verweisen, die zum Thema Strafjustiz arbeitet. Dazu braucht es spezialisiertes Wissen plus die drei Elemente, die ich vorhin genannt habe: Geld, einen Anwalt und den politischen Willen. Einen Prozess zu führen ist nichts einfaches, es reicht nicht, mit ein paar Beweismitteln und ZeugInnen zu kommen. Und dann beginnt der ganze politische Verschleiss, dem man sich aussetzen muss. Die katholische Kirche begleitet diese Prozesse, die Exhumierungen sind ein erster Schritt dabei. Danach arbeitet sie eng mit den Organisationen zusammen, die juristische Begleitung und Beratung anbieten. Die Kirche puscht solche Prozesse nicht, sie ist bloss Bindeglied zwischen den Gemeinden und diesen Organisationen. Sie war z. B. sehr engagiert im Fall von Candido Noriega oder ,,den Witwen von Tululché", wie ich es lieber nenne, weil ich mich nicht mit Noriega sondern mit den Witwen identifiziere. Dies ist der einzige Fall, wo die Kirche in einem Justizfall eine aktive Rolle eingenommen hat. In allen anderen Fällen hat sie Pastoralarbeit geleistet, hat die Leute auf unterschiedliche Weise begleitet. Frage: Zurück zur religiösen Praxis. Die meisten Gemeinden, die vom Krieg betroffen waren und in denen jetzt Exhumierungen stattfinden, sind MayaGemeinden mit ihren eigenen Traditionen, Riten und Zeremonien. Wie geht die katholische Kirche damit um? J.H.: Die katholische Kirche hat stark am Thema Inkulturalisierung gearbeitet. Wenn wir von Inkulturalisierung sprechen, gehen wir von den Ausdrucksformen und Erfahrungen jedes Volkes aus. Dies war eine grosse Herausforderung für die Kirche und man kann sich fragen, ob sie diesen Prozess wirklich zugelassen hat. Es geht ja um mehr als um die Übersetzung des Kirchgesangbuches in eine Mayasprache. Es geht um mehr, als dem Pfarrer eine Stola aus típico-Stoff umzulegen oder Tongefässe für´s Abendmahl zu gebrauchen. Für mich geht es im Inkulturalisierungsprozess darum zu schauen, was die Realtität von indigenen Leuten innerhalb der katholischen Kirche ist, wo das Potential dieser Kombination liegt. Es geht darum, UNSERE Kirche, eine Kirche mit indigenem Gesicht zu konstruieren. Das heisst, es braucht Leute innerhalb der katholischen Kirche, die unsere Beziehungsformen, unsere Sichtweisen einbringen, diese als selbstverständlich leben und eine Veränderung anstreben. Tatsache ist aber, dass es die Kirche ist, die definiert, nach welchem Muster die Messe abzulaufen hat. Es dürfen Elemente integriert werden, Teile in MayaSprache gesprochen werden. Aber dies ist keine wirkliche Veränderung, es ist nichts anderes, als der herkömmlichen Messe einen Maya-Touch zu geben, ohne jedoch den christlichen Grundtenor zu verändern. Es bedeutet nicht, die Messe auf unsere Weise (um-) zu gestalten. Solche Forderungen lösten bei vielen Leuten innerhalb der Kirche eine Krise aus. Es bedeutete aber auch eine Krise für viele Leute der Basis, die begannen, das IHRE von dem Christlichen zu trennen. Ich habe an vielen Messen teilgenommen, wo eine Maya-Zeremonie vor oder nach der Messe abgehalten wurde. Oder wo ich als Pfarrer eingeladen wurde, an ihren Riten teilzunehmen, jedoch nicht, um bei ihren Riten die Messe zu lesen. Es geht dabei nicht darum, in Streit oder Kompetenz zu treten, sondern sie verstanden es einfach als zwei verschiedene Dinge, die sich nicht widersprechen. Während des Krieges wurden sämtliche Formen von Spiritualität der Indígenabevölkerung unterdrückt. Die Menschen nicht auf ihrem Land arbeiten zu lassen war eine Verletzung ihrer Spiritualität, sie um Mitternacht nicht ihre Rituale feiern zu lassen, weil ein Ausgehverbot verhängt wurde, war eine Verletzung des Rechts auf ihre Spiritualität. Die Imposition der fundamentalistischen Sekten verletzt die Spiritualität der Mayas. Es wurde ihre Art zu leben, ihre Art die Dinge zu sehen, über die Dinge nachzudenken, zerstört. Die Leute waren gezwungen, ihre Spiritualität, ihren Glauben zu verstecken, weil sie sonst als Kommunisten oder als Guerilleros verfolgt wurden und viele wechselten zum Evangelikalismus, weil sie glaubten, so vor Verfolgung geschützt zu sein. Frage: Hat sich denn heute, zum Beispiel bei den Begräbnissen nach Exhumierungen, diese Art der Inkulturalisierung verändert oder wird immer noch einfach nur ein bisschen Maya-Spiritualität in die christlichen Riten aufgenommen? J.H.: Ich glaube, nach all dem, was vorgefallen ist, wird heute die Partizipa- Nach oben |
tion mehr und besser respektiert. Bei Bestattungen, die wir begleiten, können die Angehörigen wählen, ob sie ihre Rituale feiern, eine Messe oder einen evangelikalen Kult zelebrieren wollen. Wir sind dem gegenüber offen. Es gibt Platz für die verschiedenen religiösen Ausdrucks- und Glaubensformen. Ich glaube, man muss ,,den Altar zum Volk bringen". Beispielsweise die Messe im Feld feiern, wenn sie das wünschen oder auf dem Berg. Wir müssen den grossen Tempel verlassen und zu den für sie heiligen Orten gehen. Zweifellos gibt es viele fundamentalistische Einstellungen hinsichtlich der Frage, wer die Wahrheit ,,besitzt" und dass es ausserhalb dieser einen Wahrheit keine Erlösung gibt. Aber im Falle der Begräbnisse wird diese Vielfalt auf alle Fälle respektiert. Frage: Und in der Messe? J.H.: Dies findet nicht in einer x-beliebigen Sonntagsmesse statt, sondern bei einem speziellen Anlass: Bei einer Heirat, der Taufe eines Kindes, der Aussaat, bei einer Krankheit, um um Regen zu bitten, oder eben bei einer Bestattung. In Momenten, wo die Leute ihre spirituellen Führer, sei es der Mayapriester oder der Pfarrer, oder eben beide, suchen. Frage: Ist die evangelikale Kirche auch offen für solche Prozesse? Es gibt ja massenweise Indígenas, die ,,Evangélicos" sind. J.H.: Eine Erklärung für dieses Phänomen ist sicher die Unterdrückung der Maya-Spiritualität während der Violencia. Es gibt evangelikale Priester die merken, dass es so nicht mehr weitergehen kann und die Versöhnungsprozesse begleiten. Vor allem in Gemeinden, wo es sowohl Evangélicos, KatholikInnen als auch so genannte Costumbristas gibt, sind das aber schwierige Prozesse, speziell wenn es um Fragen geht wie die Suche nach Wahrheit. Daran muss noch viel gearbeitet werden und zwar mit grosser Sorgfalt. Für viele Vertreter der evangelikalen Kirchen sind Knochen Knochen. Sie interessieren sich mehr für die Lebenden. Damit werden viele Fragen und Prozesse verdeckt und verhindert. Frage: Wenn wir die heutige Situation anschauen, die Arbeitslosigkeit, die Gewalt, die das alltägliche Leben vieler Leute dominieren, glauben Sie nicht, es wäre besser, an diesen Themen zu arbeiten, anstatt an der Vergangenheit? J.H.: Ich verstehe das als etwas In- tegrales. Politisch gesehen ist es sehr wichtig, dass die Vergangenheit bearbeitet wird, denn wir können nicht erlauben, dass sich die offizielle Version der Geschichte durchsetzt. Wer sich die ganzen Testimonios angehört hat, kann sich dem nicht einfach verschliessen. Ich bin einverstanden damit, dass wir heute viele Probleme haben, die wir angehen müssen. Aber wenn wir keine Fundamente haben, wenn wir die Geschichte nicht verstanden haben in welche Richtung stossen wir diese Gesellschaft? Wie ist es möglich, dass diejenigen, die sich heute dem Volk als politische Optionen anbieten, diejenigen sind, die für die Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich sind? Wir können nicht einfach so tun, als wenn nichts gewesen wäre und das Volk weiterhin an der Nase herumführen (lassen). Dazu kommt unser schwaches Justizsystem. Die Menschenrechtsverletzungen wurden nie untersucht. Mit der Forderung nach Aufklärung dieser Verbrechen fordern wir gleichzeitig, dass sich das Justizwesen verändert. Wir schauen nicht in die Vergangenheit, um dort steckenzubleiben. Wir schauen nicht in die Vergangenheit, um uns in unserem Opferdasein zu gefallen. Wir schauen zurück, um bessere Forderungen, bessere Vorschläge für die Gegenwart machen zu können. Die Ursachen des Krieges in unserem Land sind nichts Isoliertes. Es ging um Armut, um die Landfrage etc. Und diese Probleme sind bis heute nicht gelöst. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, was die Ursache für den Krieg war, damit die Leute sich fragen können: ,,Und was habe ich dabei gemacht?" Es ist wichtig, einen integralen Blickwinkel einzunehmen. Frage: Es gibt momentan keine politische Kraft, die sich für das einsetzt, was Sie vorschlagen. Die Leute sind verzweifelt, haben keine Hoffnung. Glauben Sie, dass die katholische Kirche diesbezüglich ein politische Rolle spielen könnte? Will sie überhaupt eine politische Rolle spielen? Hätte sie möglicherweise eine Glaubwürdigkeit, die die politischen Parteien nicht haben? J.H.: Die Leute brauchen einen Referenpunkt, sie brauchen eine glaubwürdige Führung. Und die gibt es im Moment nicht. Die grosse Herausforderung, vor der wir stehen ist, die Vergangenheit und die Gegenwart zusammenzubringen. Doch unsere Gesellschaft ist gespalten. Es gibt unterschiedliche Interessen, es gibt eine starke Individualisierung. Ich glaube schon, dass die katholische Kirche Glaubwürdigkeit besitzt, aber sie hat im Moment keinen Schwung. Vereinzelte Vertreter der katholischen Kirche wie Monseñor Ramizzini haben eine grosse politische Wirkung, ihre Meinungen werden gehört und sie zählen. Genau solche Referenzpunkte brauchen wir. Leider ist es so, dass die katholische Kirche Glaubwürdigkeit besitzt, mehr fast als die sozialen Bewegungen oder die Menschenrechtsorganisationen. SIE sollten dieses Gewicht haben und Vorschläge machen, die von der ganzen Gesellschaft unterstützt werden. Innerhalb der katholische Kirche gibt es Strömungen, die Leute wie Ramazzini schwächen und zum Schweigen bringen wollen, wie das mit Monseñor Cabrera im Departement Quiché gemacht wurde. Die katholische Kirche verteidigt zwar ihre soziale Rolle, aber sie will als Kirche agieren und duldet keine Einzelinitiativen oder Exponenten wie Ramazzini. Vielen Dank für das Gespräch! |
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