Post-Elektorale Überlegungen
Fijáte 398 vom 21. Nov. 2007, Artikel 1, Seite 1
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Post-Elektorale Überlegungen
Álvaro Colom ist neuer Präsident von Guatemala. Zugegeben, das Schlimmste konnte verhindert werden: die Wahl von Otto Pérez Molina und mit ihm der Rückfall in eine "Staatspolitik des Terrors". Und zugegeben, es lockt eine vage Hoffnung auf Veränderung. Aber Colom jetzt zum Hoffnungsträger der Nation hoch zu stilisieren, nur weil er vor acht Jahren Präsidentschaftskandidat der damals noch vereinten Linken war und weil er ein Parteibüchlein der Sozialdemokratischen Internationalen besitzt, ist doch etwas blau- wenn nicht gar blindäugig. Zu behaupten, dass "Guatemala erstmals seit dem Ende der Militärherrschaft - oder sogar seit dem Sturz von Jacobo Arbenz im Jahre 1954 - wieder eine Regierung links der Mitte" habe (NZZ vom 6. Nov.) stimmt zwar faktisch, politisch muss man aber diese Mitte deutlich nach rechts schieben, um dieser Aussage etwas abgewinnen zu können. Denn der Grossteil der "Linken" - in Guatemala müsste man von der "revolutionären Linken" sprechen, um ungefähr dem gerecht zu werden, was in hiesigen Verhältnissen gemeinhin unter "Links" verstanden wird - hat Álvaro Colom nicht gewählt. Im besten Fall haben sie sich mit ihrer Stimme für Colom gegen Pérez Molina ausgesprochen. Viele Linke haben ihren Stimmzettel gar nicht oder leer abgegeben im Wissen darum, dass Colom nicht die wirkliche Alternative ist, was seine Wirtschaftspolitik und sein Verhältnis zur Oligarchie betrifft. Es ist vermessen zu glauben, Álvaro Colom sei ein Präsident vom Kaliber eines Evo Morales, Rafael Correa oder Hugo Chávez, wohl nicht einmal so "links" wie Lula de Silva, Tabaré Vázquez oder Michelle Bachelet. Von Chávez und Fidel Castro hat er sich vehement distanziert, derweil seine wichtigste internationale Beziehung diejenige zu den Vereinigten Staaten sei, von denen er sich in erster Linie Unterstützung in Sicherheitsbelangen und in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens erhoffe. Zweifellos gibt es in seiner Partei, der Unidad Nacional de Esperanza (UNE), eine gewisse sozialdemokratisch angehauchte Strömung, aber der Partei als ganzer fehlt es an einer abgestützten und erfahrenen sozialdemokratischen Militanz und dem neuen Präsidenten selber an Ideologie und Charakter. Colom wurde von der indigenen Landbevölkerung gewählt, er gewann in 20 der 22 Departaments. Das ist zwar sympathisch und sicher das Resultat seines Engagements für die indigene Bevölkerung während der Zeit, als er für den Friedensfonds FONAPAZ arbeitete. Nicht gewählt wurde er jedoch in der Hauptstadt, wo die Finanz- und Politgeschäfte gemacht werden und wo die Medien sitzen, die schon während der Wahlkampagne deutlich machten, dass sie nichts von Colom halten. Ob er in der Lage sein wird, seinen Haupt-WählerInnen in Sachen Anerkennung und Umverteilung (Bekämpfung des Rassismus, Armutsbekämpfung, Landpolitik, Entwicklung) gerecht zu werden oder ob auch er dem Diktat der neoliberalen Politik unterliegen wird, ist die grosse Frage der Zukunft - deren Antwort sich leider erahnen lässt. Eine seiner ersten (vor-)amtlichen Handlungen war ein Treffen mit dem scheidenden Präsidenten Oscar Berger, bei dem es um die möglichst schnelle Umsetzung des unseligen Plans "Visión del País" ging. Dieser beinhaltet neoliberale Strategien für die Bereiche Bildung, Gesundheit, Wirtschaft und Sicherheit, welche eine Gruppe von Unternehmern unter Pseudobeteiligung einiger VertreterInnen von sozialen und kritischen politischen Organisationen erarbeitet und dem Kongress vorgelegt hat - der sie einstweilen archiviert hat. Indem Colom nun den Plan "Visión del País" wieder ausgräbt und seine Umsetzung aktiv vorantreibt, positioniert er sich auf der absoluten Gegenseite dessen, was seine WählerInnen von ihm erwarten und widerspricht seinen eigenen sozialdemokratischen Grundsätzen. Nach oben |
In den ersten Tagen nach seinem Wahlsieg lud Álvaro Colom die GeneralsekretärInnen aller Parteien zu einem Treffen ein und rief zur nationalen Einheit und zur Unterzeichnung eines Regierungsvertrags auf. Dabei unterlief ihm die Peinlichkeit "zu vergessen", seinen Wahlgegner Otto Pérez Molina von der Patriotischen Partei zu dem Treffen einzuladen. Auch mit den Wirtschaftskreisen befindet er sich bereits im ersten Clinch. Um seine Programme und Wahlversprechen umzusetzen, braucht der neue Präsident mehr Geld als das Staatsbudget für 2008 vorsieht. Colom spricht infolgedessen von einer dringend anstehenden Steuerreform. Der Unternehmenssektor, vertreten durch den CACIF, und die Handelskammer hingegen sprechen sich vehement gegen neue Steuern und die Verlängerung der Ende Jahr auslaufenden "Aussergewöhnlichen und temporären Steuer zur Umsetzung der Friedensabkommen" (IETAAP) aus. Der Kongress, der über die Verlängerung der IETAAP, die dem Staat jährlich 1700 Mio. Quetzales einbringt, abstimmen wird, ist sich in der Frage nicht einig. Im Wissen darum und im Hinblick auf die staatliche finanzielle Notlage, hat der neugewählte Präsident ein Treffen (das erste seit 2003) mit der so genannten Konsultativgruppe einberufen, von denen gemäss Meldung von Inforpress Centroamericana Nr. 1729 eine Budgetaufstockung um rund einer Milliarde Quetzales erwartet werden kann. Die Konsultativgruppe wurde nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen eingesetzt mit dem Ziel, deren Umsetzung zu verifizieren. Als geistiger Vater der Idee gilt Álvaro Colom, der diese Treffen während seiner Zeit bei FONAPAZ erstmals initiierte. Ebenfalls konnten offenbar schon Verträge über Darlehen in Höhe von rund 200 Mio. US-$ mit der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) abgeschlossen werden. Guatemala hat einen neuen Präsidenten. Er heisst Álvaro Colom und im besten Fall, mit etwas gutem politischen Willen und entsprechender Unterstützung der internationalen Gemeinschaft schafft er es, das Land nicht gänzlich in den Abgrund zu reiten. Womit man eigentlich wieder zur Tagesordnung übergehen und sich wichtigeren Fragen zuwenden kann. Zum Beispiel derjenigen, wer wohl in den USA die Präsidentschaftswahlen 2008 gewinnen wird, was für das Schicksal von Guatemala unter Umständen von grösserer Bedeutung ist als die nationale Wahl vom Colom … |
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