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emPower - interkultureller Jugendaustausch

Fijáte 397 vom 07. November 2007, Artikel 1, Seite 1

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Meine Gruppe half mit, einen Austausch mit StudentInnen aus Serbien, Litauen, VGRusslandNF, Weissrussland und der Schweiz zu organisieren und mit ihnen Workshops zu spezifischen Themen wie z.B. Rassismus durchzuführen. Auf diese Weise lernte ich viele Menschen aus verschiedenen Ländern kennen.

Frage: Wenn du nun kurz vor deiner Rückkehr nach Guatemala Rückblick hältst, was war für dich das eindrücklichste Erlebnis in der Schweiz - im positiven wie im negativen Sinn?

Augustín: Am meisten beeindruckt hat mich die Art, wie die Schweizer Gesellschaft sozial und politisch organisiert ist. Man kann hier wirklich sagen, dass die gesamte Bevölkerung mitsprache- und entscheidungsberechtigt ist und die politischen VertreterInnen wählen kann, die ihnen entsprechen.

Beeindruckt bin ich auch vom schweizerischen Abfallwesen, von der Klassifizierung von Abfall und der je adäquaten Entsorgungsweise. Das politische System gefällt mir, ihr habt nicht bloss einen Präsidenten, der allein alle Entscheidungen trifft, sondern es sind sieben, und sie teilen sich die Verantwortung.

Was die menschliche Wärme betrifft, ist die Schweizer Gesellschaft völlig anders als die guatemaltekische. Die Menschen hier sind viel individualistischer, jeder und jede macht die Dinge auf seine oder ihre Weise und für sich allein. Auf der Strasse grüsst man sich nicht, geschweige denn, dass man auf einen Schwatz stehen bliebe. Ich stelle mir vor, die Menschen haben ihre Gründe, so zu sein - doch es scheint mir eine sehr verschlossene Kultur zu sein. Ich habe wenig menschliche Wärme oder menschlichen Kontakt erlebt.

Frage: Was hat dir am meisten gefehlt und was würdest du von der Schweiz (ausser Schokolade!) am liebsten mit nach Hause nehmen?

Augustín: Am meisten gefehlt hat mir meine Familie. Das mit dem Essen war schlussendlich überhaupt kein Problem, ich habe mich schnell daran gewöhnt. Was ich am liebsten mit nach Guatemala nehme, sind all die Erfahrungen, die ich hier gemacht habe und die ich mit meiner Familie, mit meinen FreundInnen, in meiner Arbeit und in meiner Organisation teilen möchte. Ein Kilo Schnee würde ich auch gerne mitnehmen - für Schokolade hat es in meinem Gepäck keinen Platz mehr.

Frage: Hattest du Kontakt zu SchweizerInnen in deinem Alter? Wie war das und was würdest du ihnen für einen Rat mit auf den Weg geben?

Augustín: Wie gesagt, ich hatte vor allem Kontakt zu Leuten aus verschiedenen Ländern, der Austausch mit SchweizerInnen hingegen war sehr beschränkt. Ein Problem war die Sprache, viele junge SchweizerInnen sprechen kein Englisch und ich kein Deutsch. Dazu kommt ihre Verschlossenheit bzw. ihre Hemmung, in einer Fremdsprache auf jemanden zuzugehen. Ich spürte auch kein grosses Interesse seitens der SchweizerInnen, etwas von mir und meinem Land zu erfahren.

Was ich ihnen gerne mit auf den Weg geben würde ist, dass sie sich nicht so an dem festklammern sollten, was sie sicher haben. Sie sollten sich etwas öffnen für andere Kulturen und etwas Interesse aufbringen für Menschen aus anderen Ländern. Das Zusammenleben und der Austausch sind die Grundlagen für eine interkulturelle Welt, in der Diskriminierung, Stereotypen und Vorurteile abgebaut werden können.

Frage: Vor kurzem fanden in der Schweiz Nationalratswahlen statt. Was denkst du von der rassistischen Wahlpropaganda der Schweizerischen Volkspartei (SVP)?

Augustín: Dass es im Zusammenhang mit den Wahlen stand, habe ich nicht mitbekommen, aber über die Partei mit den drei weissen Schafen, die das eine schwarze Schaf aus der Schweiz kicken, haben wir natürlich diskutiert. Für mich ist das ein Akt der Diskriminierung, der die entsprechende Stimmung in der Bevölkerung schüren hilft, um das rassistische Ausländergesetz um- und durchzusetzen. Was mit den Menschen passiert, die aus der Schweiz ausgewiesen werden, daran denkt niemand.

Frage: Hast du selber diesen Rassismus gespürt?

Augustín: Nicht direkt. Indirekt habe ich die rassistische Stimmung aber schon gespürt..

Frage: In wenigen Tagen wirst du nach Guatemala zurück reisen. Wie fühlst du dich vor der Abreise, welche Erwartungen hast du?

Augustín: Ich bin aus verschiedenen Gründen etwas verwirrt. Erstens kann ich kaum glauben, dass die neun Monate so schnell verflogen sind. Es fällt mir schwer, meinen neugewonnenen FreundInnen "Goodbye" zu sagen. Wer weiss, ob und wann wir uns wieder sehen. Aber gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass so das Leben ist: die einen kommen, die anderen gehen, nichts bleibt bestehen. Ich freue mich darauf, mit meinen Leuten am Thema der Interkulturalität weiterzuarbeiten. Ich habe während der Zeit hier gemerkt, wie wichtig es ist, Vielfalt anzuerkennen, uns bewusst zu sein, dass wir ein mehrsprachiges, multikulturelles und multiethnisches Land sind und trotzdem alle auf derselben Bühne tanzen.

Ich hätte Lust, nach meiner Rückkehr in Guatemala auf einer anderen Stufe zu arbeiten, z.B. in einem Gymnasium oder in einer ganz spezifischen Funktion innerhalb meiner Organisation. Hoffentlich bekomme ich die Chance dazu!

Frage: Wie hast du dich persönlich verändert in diesen neun Monaten?

Augustín: Die Zeit in der Schweiz hat mich stark verändert, meine persönliche Entwicklung ist in Riesenschritten vorangegangen. Nur schon was die Sprache betrifft: als ich hier ankam, sprach ich bloss wenig Englisch, unterdessen kann ich schon kleine Reden halten.

Ich habe einen Einblick bekommen in andere Kulturen, in andere Lebensentwürfe und Religionen. Ich hatte keine Ahnung, dass es BuddhistInnen oder Orthodoxe gibt oder von all den anderen Religionen. Hier habe ich davon erfahren, und wir haben sogar einige ihrer Tempel oder Glaubensstätten besucht. Ich habe gelernt, sie zu respektieren, ohne dass ich dabei meinen eigenen Glauben aufgeben musste. Ich muss dabei immer an die Worte aus der Bibel denken, wo es heisst: "Liebet einander". Aber die Menschheit hat diese Worte verdreht und hat daraus "Bewaffnet euch, die einen gegen die anderen" gemacht. (Wortspiel auf VGSpanischNF: amar = lieben, armar = bewaffnen, die Red.)

Frage: Was wäre dir lieber - bleiben oder gehen?

Augustín: Naja, was die Sauberkeit, das politische System und Bildungswesen in der Schweiz betrifft, würde ich gerne bleiben und z.B. ein paar Kurse an der Universität belegen, Französisch und Deutsch lernen.

Aber die sonstige Lebensweise ist mir zu kompliziert und gefällt mir nicht.

Vielen Dank für das Gespräch und gute Heimreise nach Guatemala!


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