¡Híjole! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Achtung, festhalten!
Fijáte 398 vom 21. Nov. 2007, Artikel 10, Seite 5
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¡Híjole! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Achtung, festhalten!
Das Gute an unserer Demokratie ist, dass nach der Aufregung um die Wahlen alles in die alten Fahrwasser zurückfliesst. Von einem Tag auf den anderen verändert sich die von den Medien skizzierte Landschaft wieder: Wo uns die aufdringliche Sensationslust die Sicht versperrt hat, sehen wir nun wieder den Horizont der Ordnung bzw. die Versprechen der zukünftigen Regierung. Wir erleben "als Nation" die Befriedigung der erfüllten BürgerInnenpflicht. Der Verliererkandidat akzeptierte seine Niederlage und versprach, eine konstruktive Opposition zu stellen. Wir können uns beglückwünschen, denn nach der vorangegangenen Aufregung ist das Wahlprozedere problemlos über die Bühne gegangen. Unsere Institutionen haben funktioniert … Was bleibt, sind die Wandschmierereien der Wahlpropaganda und der Abfall der Plastikfähnchen, die unsere Landschaft verschmutzen. Dies ist, das wissen wir alle, ein Ausdruck unserer nationalen Nachlässigkeit. Bleibt wirklich nur dies übrig? Trotz des Versuchs der Medien, ein Klima freier Meinungsäusserung zu verbreiten, verstummten viele Menschen gegenüber diesem irrealen Szenario oder behielten ihre Meinung für sich. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung gab ihre Stimme bei den Wahlen nicht ab. Dies war schon immer so, seit die USA uns nach 1954 ihre Militärdiktaturen aufgezwungen haben. Der tatsächliche Müll, den uns diese Wahlen hinterlassen, besteht nicht in den bemalten Wänden und Steinen und auch nicht in den farbigen Plastikfähnchen. Die Umweltverschmutzung ist nur einer der tödlichen Schäden, die mächtige Gruppen und Einzelpersonen dem Staat zufügen. Schauen wir uns die weiteren etwas genauer an: 1. Unser Vizepräsident, Eduardo Stein, sagte: "Wenn wir nicht zu drastischen Massnahmen greifen, sind wir dazu verdammt, uns in einen Drogen-Staat zu verwandeln." Klingt einleuchtend. Nichtsdestotrotz bleiben auch nach diesen Wahlen die verdächtigen Figuren in der Regierung, im Kongress, im Justizsystem und an den Parteispitzen. So weiss man beispielsweise vom Generalsekretär der UNE und persönlichen Anwalt Coloms, dass er mit dem Drogenhandel verfilzt ist. Demgegenüber bleibt das "Drastische" von Herrn Stein unwirksam und unterstreicht nur den bekannten Diskurs der USA, mit dem Schlagwort "Bedrohung der Region durch Drogenkartelle" andere geostrategische Interessen zu überdecken, die weniger gern eingestanden werden. 2. Nach einer schwierigen Geburt macht endlich die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) ihre ersten Gehversuche. Doch es ist alarmierend, wenn der Generalstaatsanwalt vorschlägt, dass diese Kommission sich in dem Fuchsbau der Staatsanwaltschaft einrichten soll. Was beabsichtigt er mit seinem Angebot, Personal, Finanzen und Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen? Es ist weithin bekannt, dass die Staatsanwaltschaft von der Mafia infiltriert ist, die zu bekämpfen genau die Aufgabe der CICIG ist. In den Jahren nach der Ermordung von Bischof Gerardi fungierte innerhalb der Staatsanwaltschaft die berüchtigte Oficinita, eine Struktur ohne Organigramm, die sich der Aufgabe widmete, das Ermittlungsverfahren zu behindern, Beweisstücke verschwinden zu lassen, Tatorte zu verändern und ZeugInnen einzuschüchtern - sprich: den Verantwortlichen zur Straflosigkeit zu verhelfen. Der damalige Berater der Oficinita war der heutige Generalstaatsanwalt Juan Luis Florido! Entsprechende Beweise legte Edgar Gutiérrez (damaliger Mitarbeiter des Menschenrechtsbüros des Erzbischofs - ODHAG, die Red.) bereits vor acht Jahren vor. Ein weiteres Beispiel: Vor ein paar Wochen verschwand aus den Büros der Staatsanwaltschaft der private Computer von Oberst a.D. Giovanni Pacay Paredes - am selben Tag war er ermordet worden. Pacay, enger Mitarbeiter von Otto Pérez Molina, war im Jahr 2003 Informationschef des Verteidigungsministeriums, und es ist unschwer zu vermuten, dass er über viele kompromittierende Informationen bezüglich der Mafiastrukturen innerhalb der Armee verfügt hat. Dies nur als kleine Kostproben des modus operandi der Oficinita. 3. Nach dem Freihandelsabkommen mit den USA steht uns bereits das nächste mit Kanada bevor. Dabei werden wir nicht einmal mehr gefragt, was wir davon halten, dass dieses Land unsere Ressourcen zu Bedingungen ausbeutet, die unsere nationale Souveränität verletzen. Nach oben |
Zu den jüngsten Schachzügen der Öl-Multis gehört die Gründung des kanadischen Unternehmens QUETZAL ENERGY. Vor Kurzem reiste eine Gruppe guatemaltekischer ParlamentarierInnen in den Norden, angeblich auf Einladung der guatemaltekisch-kanadischen Handelskammer, um sich mit den Direktoren dieses Unternehmens zu treffen. Glauben Sie, dass diese Abgeordneten irgendetwas zum Vorteil der guatemaltekischen Bevölkerung ausgehandelt hätten? Ich habe gehört, dass in den nächsten Jahren 1'633'000 Hektar Land öffentlich ausgeschrieben und zur Exploration von Ölvorkommen freigegeben werden sollen. Weshalb wird in unseren Medien nichts darüber berichtet? Weshalb erzählt man den Kindern in unseren Schulen nichts über den Ölreichtum, über Gold- und andere Edelmetallvorkommen in unserem Land? Vielleicht, weil die Herrscher des Landes sich bewusst sind, dass uns all dies gar nicht mehr gehört, weil sie es schon längst verschenkt haben? 4. Unsere Regierenden verschenken das nationale Öl, während wir gezwungen sind, dessen Derivate zu hohen Preisen wieder zurückzukaufen. Die täglichen Preiserhöhungen auf dem Öl- und Benzinmarkt gehören zu den Lieblingsnachrichten der MeinungsmacherInnen. Dahinter steckt die Absicht, ein günstiges Klima zu schaffen für den Bau von Stauseen als so genannte Alternativenergiequelle. Es erscheinen regelmässig teure ganzseitige Inserate in der Presse, die uns solches weismachen wollen. Dieser Diskurs redet uns ein, dass, wer sich gegen den Bau von Stauseen wehrt, gegen den Fortschritt sei. Gleichzeitig wird uns aber verschwiegen, dass die Anliegerdörfer der Stauseen, welche vor 25 Jahren gebaut wurden, bis heute ohne Stromversorgung sind. Dafür mussten die BewohnerInnen dieser Dörfer die Brutalität des Genozids kennenlernen, ausgeführt vom Militär, unterstützt von der Oligarchie und mit der Weltbank als Komplizin: Vier Massaker hintereinander mit über 500 Toten und unbeschreiblichem Leid für die Überlebenden in der Gemeinde Río Negro, Rabinal. Die Medien schreiben nichts über die Interessen der Unternehmen an diesen Staudämmen, nichts über die Schäden, welche die Anliegerdörfer zu tragen haben, und nichts darüber, was die betroffene Bevölkerung von der ganzen Sache hält. 5. Das Thema Genozid führt uns zu einem anderen tödlichen Laster Guatemalas: der chronischen und weit verbreiteten Straflosigkeit. Beispiele dafür sind die Verantwortlichen dieser Massaker, die heute hohe Posten innerhalb der Regierung oder der einflussreichen politischen Parteien besetzen. Diese und andere Perversionen beschränken sich aber nicht bloss auf den Staatsapparat, sondern sie betreffen uns alle: Sie bescheren uns viel unnötiges Leiden, sie enthalten uns das Minimum an würdevollen Lebensbedingungen vor, sie verführen uns zu Konkurrenzkampf und Gewalt und greifen unsere Integrität an, indem sie uns zwingen, die Erinnerung zu verbergen. Wir müssen unseren Gerechtigkeitssinn opfern und Menschen ohne Moral wählen, da sie uns als einzige Alternative zur Verfügung stehen. Wenn ich in den Medien das Foto des zukünftigen Präsidenten von Guatemala betrachte, kommt mir ein Bild in den Sinn, das ich eines Tages beim Verlassen meines Hauses vor mir sah: Ein betrunkener Nachbar versuchte die Kontrolle über sein Fahrrad zu behalten, auf dessen Gepäckträger er seinen kleinen Sohn gesetzt hatte. Ein ums andere Mal versuchte er, aufzusteigen und loszufahren, und jedes Mal sagte er zu seinem Kleinen: "Achtung, festhalten!" - Aber nie gelang es ihm, wegzufahren. Mein grosser Respekt für diesen Nachbarn mit seinem Fahrrad und für Herrn Colom - aber ich glaube, es steht uns ähnliches bevor, wenn dieser am 14. Januar seine Reise beginnt, den Staat Guatemala zu steuern. Er wird uns über die Medien ein ums andere Mal bitten: "Achtung, festhalten!" Aber wir wissen längst, dass es andere sind, die das Fahrrad lenken. |
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