Und wieder mordet die Polizei
Fijáte 395 vom 10. Oktober 2007, Artikel 6, Seite 5
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Und wieder mordet die Polizei
Guatemala, 05. Okt. Fünf junge Männer zwischen 17 und 21 Jahren, darunter zwei Brüder, spielten am Freitag, 21. Sept., auf der Strasse im Viertel El Gallito Fussball, als eine Polizeipatrouille mit dem Kennzeichen der Generaldirektion hielt, alle fünf wüst beschimpfend aber ohne weiteren Kommentar auf die Ladefläche des Pick-ups schaffte und mit ihnen davon fuhr. Am helllichten Tag in der Mittagszeit und vor den Augen von Familienangehörigen, NachbarInnen und sechs Soldaten. El Gallito, in der Zone 3 der Hauptstadt gelegen, ist als "das" Drogenviertel bekannt, in dem seit einigen Jahren Betonbarrieren die Zu- und Ausfahrten einschränken und an ausgewählten Punkten das Militär Wache schiebt. Drinnen regieren indes die Drogenbosse und ihre Banden. Fünf Tage später wurden die fünf Männer lokalisiert. Jeweils mit dem Gnadenschuss getötet; insgesamt wurden 15 Patronenhülsen am Fundort sichergestellt, an dem sie allem Anschein nach auch erschossen worden waren. Das GPS-Gerät jener Polizeipatrouille ermöglicht die Nachverfolgung des Wagens exakt. Vom Gallito über die Einsatzzentrale der Schnellen Eingreifgruppe (GAR), eine besonders ausgebildete Spezialeinheit der Polizei, deren schusssichere Westen die Polizeiagenten laut ZeugInnenaussagen bei der Aktion trugen, bis zum Ort am abgelegenen Boulevard Naranjo, an dem die Leichen gefunden wurden. Die GPS-Daten einer Patrouille des Kommissariats 11, die neben einem zivilen Wagen mit verdunkelten Scheiben am Rand des Gallito-Viertels gesehen worden war, belegen auch deren Beteiligung am Geschehen. Doch lediglich die im ersten Wagen fahrenden Polizisten sind in der Zwischenzeit verhaftet worden und werden der aussergerichtlichen Hinrichtung angeklagt. Dabei handelt es sich um zwei Mitglieder der GAR, also speziell trainierte Männer, die seit zwei Monaten zu den Bodyguards des neuen Polizeidirektors Julio Hernández Chávez gehören. Dieser hatte nach dem Skandal um den Mord an drei salvadorianischen PARLACEN-Abgeordneten und ihrem Fahrer sowie deren mutmasslichen Mördern - vier Polizisten - im Gefängnis im Februar, das Amt von Erwin Sperisen übernommen. Gemeinsam mit der neuen Innenministerin Adela de Torrebiarte hat er bereits für die Entlassung von rund 1´500 PolizeiagentInnen gesorgt, darunter auch mittlere und hohe Kader. Diesen hängen entweder bereits Gerichtsprozesse an oder sie werden zumindest mit Verbrechen in Verbindung gebracht. Da Hernández sich von den Gekündigten bedroht fühlte, beantragte er Personenschutz durch die GAR - und musste nun sein Amt schon wieder niederlegen. Zum einen sei er als Vorgesetzter zuständig, kriminelle Machenschaften in der Institution zu unterbinden, argumentiert die Myrna Mack-Stiftung, die seine Entlassung forderte, auf der anderen Seite wolle er die Transparenz des Ermittlungsprozesses unterstützen und sich den Behörden stellen, da er nichts zu verbergen habe, so Hernández bei seinem Rücktritt. Sicher ist, dass wahrscheinlich noch vier weitere Personen, die wohl zur GAR gehören, an dem Verbrechen beteiligt waren aber noch flüchtig sind. Und sehr bald herausgefunden worden war auch, dass die vier volljährigen der Ermordeten bereits wiederholt straffällig geworden sind, einer von ihnen war angeblich bereits 26 Mal im Gefängnis. Vermutungen zufolge gehören sie zu einer der Drogenbanden des Gallito. So kreisen auch zwei der Hypothesen der Ermittlungen um Drogen. Laut der ersten Theorie sollen die Polizisten von einer der gegnerischen Banden als Auftragsmörder angeheuert worden sein. Dafür spräche die Tatsache, dass die Polizeipatrouille freie Zufahrt in das Stadtviertel hatte, wo die staatlichen Sicherheitskräfte für gewöhnlich mit Schüssen empfangen werden. Die zweite Hypothese mutmasst eine ausstehende Schuld von Seiten der fünf Ermordeten bei den Polizisten oder der Weigerung der Jugendlichen, diesen einen Schutzzoll zu entrichten. Und die dritte Theorie vermutet hinter dem Verbrechen nicht nur den Einfluss des organisierten Verbrechens, sondern Altkader der Polizei, die sich für ihre Entlassung an Hernández Chávez rächen wollten. Auch kommt man nicht umhin, diesen erneuten Polizeiskandal als weiteren Versuch zu deuten, kurz vor den präsidialen Stichwahlen die anhaltende Schwäche des gesamten Staatsapparates offen zu legen, während die Permanenz und Dominanz des organisierten Verbrechens die Oberhand behalten. Schon längst ist keine Rede mehr von dem Verbleib und Prozess um den ehemaligen Innenminister Carlos Vielmann und den angeblich in der Schweiz weilenden Sperisen - oder gar von Javier Figueroa, dem ehemaligen Kriminalpolizeichef, der sich kurz nach dem PARLACEN-Fall mit seiner Familie seelenruhig nach Costa Rica aufmachte und sich seit dem nicht mehr blicken liess. Dabei waren er und der berühmt-berüchtigte Berater des Innenministeriums, Víctor Rivera, Mutmassungen zufolge zuständig erklärt worden für je eine Todesschwadron innerhalb des Ressorts. Rivera ist ohne Konsequenzen immer noch im Amt. Laut Analyst Edgar Gutiérrez in inforpress centroamericano besteht gar eine extreme Abhängigkeit der aktuellen Innenministerin Torrebiarte von Rivera. Nach oben |
Während gegen Ex-Polizeichef Hernández Chávez Hausarrest verhängt worden ist - "unerhört", laut der Tageszeitung La Hora in dem Sinne, dass gegen jemanden, der (wie Hernández) überhaupt keine Verbindungen zu höheren Sphären habe, so vorgegangen wird, während Figueroa und Sperisen erlaubt wird "das Land zu verlassen, wie ein Köter seine Hütte" - wurde der Plan bekannt, dass auf die zwei im Untersuchungsgefängnis sitzenden Polizisten angeblich ein Kopfgeld von je 100.000 Quetzales ausgesetzt ist. Da dahinter ein weiterer Bruder der zwei ermordeten Brüder vermutet wird, der seit Mai in diesem Gefängnis ist, wurde dieser jetzt verlegt. Eine Razzia in der Haftanstalt brachte 14 Mobiltelefone zum Vorschein, aber keine einzige Waffe. Unterdessen gab der Vizepolizeichef bekannt, dass in den letzten Tagen 8 bis 10 PolizeiagentInnen den Dienst quittiert hätten, nähere Angaben zu deren Motiven wurden derweil nicht bekannt. Zum neuen Polizeichef wurde Isabel Mendoza Agustín ernannt, ein Polizist mit 35 Jahren Berufserfahrung. Hernández Chávez gehörte 23 Jahre der Institution an. Als Teil der Regierungsübergabe oblag es just dieser Tage Adela Torrebiarte und Verteidigungsminister Ronaldo Cecilio Leiva, VertreterInnen der an den Stichwahlen teilnehmenden Parteien UNE und Patriota eine Bilanz in Sachen Sicherheit vorzulegen. Angesichts der nicht gelösten Probleme blieb die Liste der Fortschritte kurz. So dominieren die Penetration des staatlichen Gefüges durch das organisierte Verbrechen, die mangelnde Kontrolle der Jugendbanden, die fehlende Säuberung des Polizeiapparates von weiteren 300 AgentInnen und das Fehlen von Ressourcen sowie Spezialausrüstung der Streitkräfte. Nicht zu sprechen vom Drogenhandel, den ständigen Überfällen auf Busse des Personentransportes, Autodiebstahl, Geiselnahmen und Schmuggel. Es bleibt zu hoffen, dass die Schlussfolgerung eines den Stand der Dinge resümierenden Dokumentes kurzfristig Konsequenzen für die öffentliche Sicherheit tragen wird, denn dort heisst es: "Die fast permanente Beteiligung des Militärs in Aufgaben der Sicherheit der BürgerInnen ohne eine angemessene Planung, die die Information des polizeilichen Geheimdienstes und Mechanismen ständiger Evaluierung beinhaltet, ist wenig effektiv und generiert die Wahrnehmung einer Militarisierung der Gesellschaft". Vergleichen zufolge hat die Aussendung kombinierter Patrouillen auf die Strasse zu keiner dämmenden Auswirkung auf den anhaltenden Anstieg der Kriminalitätsraten - inklusive Mord - geführt. |
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