Militärische Forderungen, Bedürfnisse und Funktionswillkür
Fijáte 414 vom 16. Juli 2008, Artikel 7, Seite 5
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Militärische Forderungen, Bedürfnisse und Funktionswillkür
Guatemala, 11. Juli. Zwei Ankündigungen in den letzten vierzehn Tagen liessen die Diskussion um die Institution des Militärs in der Aktualität erneut aufflammen. Ende des letzten Monats rechtfertigte der Verteidigungsminister, General Marco Tulio García, seine Forderung nach einer schrittweisen Aufstockung der Armee um letztlich zwei Bataillone. Damit will er den Norden des Landes vor der Präsenz des Drogenhandels schützen. Für diese Aufgabe bräuchte er mindestens 1´000 SoldatInnen mehr, so García und nahm Bezug auf das Angebot von Präsident Álvaro Colom vor einigen Monaten. Dieses äusserte Colom in Zusammenhang mit der Richtigstellung einer Aussage seines Vizes Rafael Espada, der im Februar ankündigte, das Militär auf 30´000 SoldatInnen zu erweitern, um das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Espada selbst zog seine Aussage jedoch kurze Zeit darauf mit dem Kommentar zurück, er sei missverstanden worden. Coloms Versuch der Schützenhilfe für seinen Vertreter bestand daraufhin in der Aussage, dass, nähme man die Friedensverträge wörtlich, die Militärinstitution über eine Truppenstärke von 21´000 SoldatInnen verfügen müsste, "aber im Moment sehen wir dafür keinen Bedarf". Das sagte Colom im Februar. "Die Armee zu vergrössern unter dem Vorwand den Drogenhandel zu bekämpfen ist nichts weiter als ein Euphemismus, um mehr Stellen zu schaffen", meint die Politanalystin Carmen Aída Ibarra von der Myrna Mack-Stiftung in Bezug auf den neuen Plan. Gleichzeitig sieht sie durchaus die Logik des Militäreinsatzes gegen den Drogenhandel als verfassungsrechtlich verankerte Funktion der Landesverteidigung gegen bewaffnete externe Bedrohungen. Denn als solche könne die Invasion des Drogenmafiaclans "Los Zetas" durchaus betrachtet werden, die Guatemala nutzen als Rekrutierungsquelle und Erholungsort für ihre Bosse, mexikanische Drogenhändler. Im Moment verfügt das Verteidigungsministerium über einen Etat von knapp 1,2 Mrd. Quetzales (ca. 162 Mio. US-$) und einen Personalbestand von 15´500 Personen. Die beantragte Aufstockung mache eine Etaterhöhung von 40 Mio. Quetzales nötig, schätzte García. Am 30. Juni war dann der traditionelle "Tag des Militärs", ursprünglich Gedenktag der Liberalen Revolution von 1871, der sich aber in den letzten Jahrzehnten immer mehr zur Selbstdarstellungsbühne der Institution entwickelt hatte und aus gewaltigen Aufmärschen und Paraden bestand. Seit 1997 war die Feier in Folge der Friedensverträge suspendiert, 2005 jedoch unter Präsident Oscar Berger und mit der Erklärung des damaligen Verteidigungsministers Aldana, eine "Botschaft der Einheit" an die Streitkräfte senden zu wollen, wieder eingeführt worden. (siehe Fijátes ¡338!, ¡389!). Heuer hatten lange im Vorfeld zahlreiche Menschenrechtsorganisationen zur Abschaffung der militärischen Zelebration aufgerufen. An ihrer Spitze forderte die Jugendorganisation H.I.J.O.S. (Söhne und Töchter für die Identität und Gerechtigkeit gegen das Vergessen und das Schweigen) stattdessen, diesen Tag den HeldInnen und MärtyrerInnen des Volkes zu widmen, die vom Staat massakriert worden seien. Zum einen fordern sie die Verurteilung und Bestrafung der Täter ein, zum anderen die Entmilitarisierung der indigenen und BäuerInnengemeinden. Eine Woche vor dem Datum wurde ein H.I.J.O.S.-Mitglied auf offener Strasse von zwei Soldaten eingeschüchtert und geschlagen und es wurde ihm gedroht, dass, wenn die Organisation nicht ihre Aktionen unterlasse, sie anfangen würden ihre Mitglieder zu töten. Tatsächlich fand am diesjährigen 30. Juni nur ein Festakt zum 137jährigen Bestehen des Militärs innerhalb der Hauptkaserne statt, wobei das Militär dies mit Sparmassnahmen begründete. Diese Veranstaltung nutzte Álvaro Colom zur Verkündung seines Projekts, die "territoriale Kontrolle" an den Grenzen Guatemalas zurückzugewinnen. Dafür will er das Etat des Verteidigungsministeriums für 2009 von 2,2 Mrd. Quetzales (ca. 300 Mio. US-$) erhöhen, was beinahe einer Verdopplung des aktuellen Haushaltes gleichkommt. Investiert werden soll dieses Geld in die Ausrüstung und Modernisierung der Armee, die es seit 1996 nicht gegeben habe. Dies habe dazu beigetragen, die Reaktionsfähigkeit des Militärs gegen das organisierte Verbrechen zu schwächen. Wie viele Armeevertreter beharrt auch der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jorge Ortega, darauf, dass die Friedensverträge eingehalten werden müssten, laut denen der Haushalt des Ressorts 0,66% des Bruttoinlandprodukt (BIP) entsprechen müsse. Derzeit belaufe sich die Proportion auf 0,33%. "Wir bitten um das, was dem Verteidigungsministerium in Bezug auf die ökonomischen Zuwendungen zusteht, um die Rechte der GuatemaltekInnen zu verteidigen", rechtfertigte Ortega die in Aussicht gestellte Etaterhöhung. Neben der Entschädigung von einigen Militärs sowie die Ausbildung der SoldatInnen gemäss den nationalen Erfordernissen, müssten neue Technologien eingeführt werden. Denn "mit Fahrzeugen aus den 40ern, Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg und Hubschraubern aus dem Vietnamkrieg" könnte die Armee schliesslich nicht trainiert werden. "Setzen wir aufs Leben oder auf den Tod? Die Aufstockung bedeutet, uns für den Krieg zu rüsten, während dessen die wirklichen Probleme des Landes ganz andere sind!", kritisiert Menschenrechtsprokurator Sergio Morales Coloms Ankündigung: "Diese Entscheidung führt zur Militarisierung der Gesellschaft und nicht zur Menschlichen Entwicklung." Nach oben |
So lehnen auch die sozialen und Menschenrechtsorganisationen die Stärkung der Armee ab und fordern stattdessen eine breitere Unterstützung für die Nationale Zivilpolizei (PNC). Nery Rodenas, Direktor des Erzbischöflichen Menschenrechtsbüros (ODHAG), warnt davor, dass das Wiedererstarken der Streitkräfte keinerlei wesentliche Begünstigungen für die Mehrheit der Bevölkerung mit sich bringe und vielmehr zerrüttende Folgen für eine Nachkriegsgesellschaft wie die guatemaltekische haben könnte. Für Mario Polanco von der Menschenrechtsorganisation Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) versucht die Regierung lediglich, ihre eigene Position mit Hilfe der Rückendeckung durch das Militär zu stärken. Die oft erhobene Klage, die Finanzstruktur des Verteidigungsministeriums diene den jeweiligen Machthabern und einigen ihrer FunktionärInnen als "Kaffeekasse", um sich hinter dem gesetzlich statuierten Militärgeheimnis verbergen zu können, ist einer der Aspekte, die auch der Militäranalyst und Direktor der Fakultät für Politische Studien und Internationale Beziehungen an der Universität Francisco Marroquín, Pedro Trujillo, als Folgeerscheinung der unklaren gesetzlichen Funktionsbestimmung des Militärs benennt. Mit dem Verfassungsartikel, der besagt, die Aufgabe des Militärs sei es, "die Unabhängigkeit, Souveränität und Ehre Guatemalas zu bewahren, ferner die Unversehrtheit des Territoriums, den Frieden sowie die innere und äussere Sicherheit, ist sein Eingreifen in die Öffentliche Sicherheit abgedeckt. Gleichwohl habe es noch nie eine feststehende Verteidigungspolitik gegeben, ohne die eine solche Organisation aber nicht strukturiert werden kann", bemängelt Trujillo. Die Tatsache, dass keine eindeutige Richtung vorgegeben ist, führe laut dem Analysten dazu, dass die Armee selbst ihre Funktionen nicht klar habe und einfach in die verschiedenen Bereiche eingreife, abhängig von den Ansagen des jeweiligen Präsidenten. - Oder dessen Gattin, wie der derzeitige Einsatz von 160 SoldatInnen belegt, die im Zuge des Programms "Solidarische Beutel" des Kohäsionsrates, dem Coloms Ehefrau Sandra Torres vorsteht, Lebensmittelpakete an die ärmsten Familien, im Moment in der Hauptstadt bringen, nachdem sie diese zusammengepackt und in den Stadtvierteln Bedarfsinformationen erhoben haben. Im Gegensatz zu anderen aussermilitärischen Engagements, für das das Verteidigungsressorts stets einen finanziellen Aufschlag oder aber, wie bei den kombinierten Patrouillen auf den Strassen der Hauptstadt, die Finanzierung der eingesetzten 3´000 SoldatInnen vom Innenministerium einfordern, geht die Solidaritätsaktion auf das eigene Konto. Angesichts der Resultate bezeichnet der Militärspezialist den willkürlichen Einsatz der SoldatInnen als wirkungslos: In Bezug auf die soldatische Beteiligung an der offentlichen Sicherheit seit der Regierung Berger ist dies mehr ein Thema zur Manipulation der Wahrnehmung durch die Bevölkerung, denn der Effektivität. Zwar befähige die Verfassung das Militär zum Eingreifen in die innere Sicherheit, jedoch nicht zur Festnahme von Personen oder Ermittlung oder Rettung von Menschenleben. Auch im Kampf gegen den Drogenhandel seien durch das Militär keine Fortschritte erzielt worden. Dieses war zwar bei einigen Razzien beteiligt, jedoch unter Federführung des Geheimdienstes und des Drogendezernates. Als grösste Leistung der SoldatInnen nannte Trujillo die Identifikation von Orten, wo Kleinflugzeuge mit Drogen zurückgelassen worden waren. Auch in Gebieten wie der Laguna del Tigre hat sich das Militär bislang als deklarierte Umwelt- und Naturressourcenschützer auch nicht bewährt. Bislang habe sich jedoch noch kein Präsidenten dazu entschlossen, die SoldatInnen zur Bewachung der Grenzen und Küsten zu entsenden, ein Mandat, das tatsächlich in der Verfassung stehe, so Trujillo. Unterdessen fordert Iduvina Hernández, Leiterin von Sicherheit in Demokratie (SEDEM), eine Säuberung des Militärs, vor allem der höheren Ebenen, bevor der Armee eine Verantwortungsfunktion zugewiesen werde, um zu garantieren, dass diese Institution nicht (noch mehr) vom organisierten Verbrechen infiltriert wird. |
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