Fall Rosenberg - Chronik eines angekündigten Todes
Fijáte 452 vom 20. Januar 2010, Artikel 2, Seite 3
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Fall Rosenberg - Chronik eines angekündigten Todes
Guatemala, 13. Jan. Wer ordnete die Ermordung von Anwalt Rodrigo Rosenberg an und wer bezahlte sie? Diese Frage beschäftigte seit dem 10. Mai 2009 die guatemaltekische und auch die internationale Öffentlichkeit, die PolitikerInnen sowie die zuständigen Untersuchungsbehörden, schliesslich wurden selbst Präsident Alvaro Colom und seine Gattin Sandra Torres von Rosenberg in seinem Video für dessen Ermordung beschuldigt. Nach neun Monaten akribischer Arbeit, an der 300 FunktionärInnen aus elf Ländern beteiligt waren, die zusammen insgesamt 10'000 Dokumente studierten, 135 ZeugInnenaussagen aufnahmen, rund 100'000 Telefongespräche analysierten, gab am 12. Januar 2010 Carlos Castresana, Leiter der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) die Details bekannt, die belegen, dass Anwalt Rodrigo Rosenberg seinen Mord höchstpersönlich in Auftrag gab. Der TathergangRosenberg begann mit der Umsetzung des Planes am 4. Mai, als er seinem Chauffeur und Leibwächter Luis Eduardo López Florián den Auftrag gab, zwei Mobiltelefone zu kaufen und dabei zu vermeiden, dass Quittungen auf seinen Namen ausgestellt würden. Der CICIG gelang es, die Videoaufnahmen des Parkplatzes des Waren-hauses zu erhalten, in dem López Florián die beiden Telefone kaufte. Dieser gab später zu, diese mit Geld aus Rosenbergs Anwaltskanzlei gekauft zu haben; dort fand die CICIG auch die entsprechenden Quittungen wieder. Danach erzählte Rosenberg seinen Freunden Luis Medizábal, Mario Destarac Fuentes, einem anerkannten Verfassungsanwalt, und Jorge Briz, dem Päsidenten der Handelskammer CACIF, er erhalte vom Telefon mit der Nummer 5775-9747 erpresserische Anrufe. Die CICIG bewies dank der Rechnung, die eben doch auf den Na-men des Käufers ausgestellt wurde (hier beging der Chauffeur einen elementaren Fehler), dass diese Nummer zu einem der von López Florián gekauften Telefone gehörte. Nachforschungen, die beim entsprechenden Telefonunternehmen angestellt wurden, ergaben eindeutig, dass die Erpressungsanrufe im Hause Rosenberg sowohl ge-tätigt wie auch empfangen wurden. Diese Anfrufe erfolgten mehrmals täglich und dauerten nie länger als zehn Sekunden. Rosenberg bat die im Pharmageschäft tätigen Brüder Francisco José Váldes Paiz und José Estuardo Valdés Paiz, Cousins seiner ersten Ehefrau, um Hilfe. Er erzählte ihnen, der Erpresser wolle ihn umbringen, doch er wolle ihm zuvor kommen und ihn eliminieren. Die Brüder Váldes wiederum zogen ihren Sicherheitschef Nelson Wilfredo Santos Estrada zu Rate. Dieser kontaktierte Jesús Manuel Cardona Medina alias Memín. Memín ist gemäss Angaben der CICIG der Drahtzieher einer Killerbande, die von William Gilberto Santos Divas angeführt wird und zu der ehemalige und aktuelle Polizisten und ein Militär gehören. Die Bande verlangte 300'000 Quetzles für die Ermordung des Erpressers. Auch den Bezahlungsmodus hatte Rosenberg genau geplant. Und zwar sollte der ehemalige Kommunikations-minister Luis Alejos eine Schuld begleichen, die er bei Rosenberg hatte, und über eine Bank in Panama einen Check ausstellen lassen, der von Rosenbergs Sekretärin an die Brüder Valdes Pais weitergegeben würde. Alejos gab die Sache mit dem Check bereitwillig zu, hatte aber keine Ahnung, dass Rosenberg damit seine Ermordung bezahlen wollte. Der Check traf auch tatsächlich ein, doch mit drei Tagen Verspätung (bzw. kam er früher, konnte jedoch nicht übergeben werden, da die MitarbeiterInnen der Anwaltskanzlei an der Beerdigung von Rosenberg waren), und als ihn die Brüder Valdes erhielten, war Rosenberg tot, und sie lösten ihn nicht ein, da er Beweismaterial war und bezahlten die 300'000 Quetzales aus der eigenen Tasche. Die Killer arbeiteten mit mindestens 5 Fahrzeugen. Sie positionierten sich in der Nähe der Avenida Las Améri-cas und der 22. Calle, Zone 14. Am 10. Mai zog Rosenberg seine Sportkleidung an. Bevor er das Haus verliess, rief er Aziza Musa an, die Tochter von Khalil und die Schwester von Marjorie Musa und erzählte ihr, er begebe sich auf "eine Velotour, um etwas vom Stress runterzukommen". Ebenso rief er die Mörder an und sagte ihnen: "Der Erpresser ist mit dem Fahrrad unterwegs und wird sich für eine Pause auf den Pannenstreifen der Avenida Las Américas hinsetzen." Gemäss CICIG hielt sich Rosenberg genau an diesen Ablauf, setzte sich hin, hörte mit seinem Walkman Musik und wartete auf seine Mörder, die keine fünf Minuten später ihren Auftrag ausführten und ihn mit fünf Schüssen niederknallten. Die elf Mitglieder dieser Bande sind seit vergangenem September im Gefängnis, die drei von ihnen, die mit der Staatsanwaltschaft kollaborieren und als Kronzeugen auftreten, bestätigten laut Castresana bloss die bereits kriminalistisch belegten Beweise. Gegen die Brüder Valdés Paiz wurde laut Castresana ein Haftbefehl wegen Mordes ausgestellt. Die Brüder verliessen bereits am 2. Dezember das Land Richtung Honduras, offensichtlich wurden sie gewarnt. Die beiden Unternehmer wussten nicht, dass der vermeintliche Erpresser in Wirklichkeit Rosenberg selber war, der "sein Leben opferte, um das Land auzurütteln", wie Castresana sagte. Das Video, das Rosenberg vor seinem Tod aufgenommen hatte und das einen Tag nach seiner Ermordung verbreitet wurde, sollte "eine Veränderung bewirken, quasi ein politisches Erdbeben auslösen". Das Video, das Rosenberg vor seiner "Erselbstmordung" aufgenommen hatte, enthält laut Castresana zwar erhellende Informationen, aber keine Beweise. Rodrigo Rosenberg erwähnt darauf weder die Banrural, Anacafé Fedecogua noch die Präsidentengattin explizit, sondern bezieht sich auf die Zeit des Jahreswechsels 2008/09, als Präsident Colom den damaligen Innenminister Francisco Jiménez durch Salvador Gándara ersetzte (¡Fijáte! 426). Rosenberg spricht vielmehr über die Vergabe des Auftrags zur Ausstellung der neuen Identitätskarten, führte er doch als Anwalt im Namen von Luis Mendizábal einen Prozess gegen das Unternehmen Easy Marketing von Grogorio Valdez, offenbar mit finanziellem Rückhalt von Banrural. Mendízabal hatte sich ebenfalls um diesen Auftrag beworben und sah sich durch die Entscheidung, den Auftrag an Easy Marketin zu vergeben, benachteiligt. Rosenberg gewann für Mendízabal den Prozess, dessen Unternehmen heute - mit beachtlichen Problemen allerdings - die guatemaltekischen Identitätskarten ausstellt (¡Fijáte! 437). Was hat Rosenberg dazu getrieben, sich auf diese Weise umbringen zu lassen?Gemäss Castresana ging es Rosenberg emotional sehr schlecht. Er hatte vor kurzem seine Mutter verloren, seine (zweite) Ehefrau verliess ihn und nahm die Kinder nach Mexiko mit, und er verlor Mitte April die Frau, mit der ihn eine gefühlsmässig starke Beziehung verband: Marjorie Musa. In einem E-Mail an einen nahen Freund schrieb er: "Ich bin am auseinanderfallen, am sterben." Am 21. April kaufte er zwei Särge, einen für Marjorie Musa und einen für sich. Wenige Tage später liess er sich von seiner Sekretärin das Testament aufsetzen und sprach mit einem Priester seines Vertrauens. Am 4. Mai zog er sich aus der Anwaltskanzlei zurück. Zwei Tage später überschrieb er sämtliche administrativen und juristischen Rechte an seinem Vermögen und Besitz an die zwei Kinder, die er aus erster Ehe hatte, und nahm das explosive Video auf. Er hoffte, damit genügend Aufruhr zu generieren, damit die Ermordung der Musas untersucht würde und nicht im üblichen Sumpf der "Impunidad" verschwinden würde. Umbringen lassen hat er sich zudem - wohl nicht zufällig - am 10. Mai, Muttertag. Nach oben |
Effekte und NebeneffekteDank der Ergebnisse der Untersuchungen der CICIG sind der Präsident Alvaro Colom, seine Frau Sandra Torres sowie sein Privatsekretär Gustavo Alejos vom Verdacht befreit, mit der Ermordung von Anwalt Rosenberg etwas zu tun zu haben. Was aber gemäss Castresana unbedingt weiter untersucht werden muss, ist ihre Rolle im Fall der Ermordung von Khalil Musa und dessen Tochter Marjorie. Colom berief sofort eine Pressekonferenz ein, die er mit folgenden Worten einleitete: "Mein tiefer 58 Jahre alter katholischer Glaube hat mich gelehrt, dass das Gute immer über das Schlechte siegt." Das Abhören der Telefone der materiellen Täter trug dazu bei, dass der Mord an Bandenmitglied Idelmo López sowie eine Entführung und ein Banküberfall verhindert werden konnten. Ebenfalls belegten die Untersuchungen, dass der ehemalige Innenminister Salvador Gándara die Gunst der Stunde nutzte, um der Patriotischen Partei von Otto Pérez Molina eins auszuwischen, indem er einen falschen Zeugen bezahlte, der aussagte, er sei von Parteiführer Otto Pérez Molina für den Mord an Rosenberg bezahlt worden. Peréz Molina will diese Sache nicht auf sich sitzen lassen. Ungeklärt bleibt für Castresana momentan die Rolle von Banrural, über welche die sozialen Fonds der Präsidentengattin laufen. Unklar ist auch, ob und welchen Zusammenhang es zwischen Banrural, Anacafé und der Ermordung der Musas gibt. Castresana hat offenbar keine schlüssigen Beweise. "Es ist sehr schwierig irgendetwas dazu zu sagen. Wir sind erst zwei Monate nach der Ermordung einbezogen worden." Doch auch hier bleibt die CICIG dran: sie ist im Besitz von rund 6500 Daten, die analysiert werden, hatte bereits 60 Sitzungen zum Thema und nahm 25 ZeugInnenaussagen zu Protokoll. Die CICIG will nun auch Personal vom Fall Rosenberg abziehen und für den Fall Musa arbeiten lassen. "Die Beweise, die Rosenberg laut Video über die Ermordung der Musas hat, gibt es leider nicht. Es gibt einzig zwei Briefe: einen, in dem Musa seine Ernennung in den Vorstand von Banrural und Anacafé akzeptiert, und einen anderen, in dem er wieder davon zurücktritt. Beweisen tut das noch gar nichts", so Castresana. Soweit die Fakten die Carlos Castresana präsentierte, die aber jetzt noch den juristischen Weg gehen müssen. Das an der Pressekonferenz anwesende diplomatische Corps drückte Castresana seine vollumfängliche Unterstützung aus. ReaktionenDie elektronischen Foren sind voll von widersprüchlichen Meinungen "Will uns Carlos Castresana Glasscherben für Spiegel verkaufen?" heisst es seitens eines Skeptikers. Im selben Blog fordern andere User "Castresana for President". Unabhängig von all diesen Reaktionen hat sich etwas verändert. Der Anwalt, der im letzten Mai zum Helden stilisiert wurde, weil er den Präsidenten und dessen Gattin als seine Mörder bezeichnete, und damit die bisher der Straflosigkeit mit Amnesie begegnenden Bevölkerung aufrüttelte, wurde zu einem emotional angeschlagenen Mann, der absichtlich eine falsche Fährte legte, die sogar für die GuatemaltekInnen zu viel war und zu sehr den Anschein einer Telenovela trägt. Wahrheit oder Lüge? Dies herauszufinden, ist Aufgabe der Gerichte. Aber was heisst es für die Leute, die, vornehmlich aus der konservativen Mittelschicht stammend, in weisse Hemden gekleidet wohl zum ersten Mal im Leben demonstrierten, Rosenberg zu ihrem Helden machten und den Rücktritt von Präsident Colom forderten? "Unglaublich" sagt, Alejandro Quinteros gegenüber der Reporterin von Prensa Libre. Er ist einer der Jugendlichen, die im Mai vergangenen Jahres auf die Strasse gingen und heute einer Gruppe angehört, die sich "Nationale BürgerInnenbewegung" nennt, die sich aufgrund der Ermordung von Rosenberg gegründet hat. "Enttäuscht? - Nein. Viele Leute zweifeln an der Geschichte. Und unabhängig davon hat Rosenberg in vielem recht, was er sagte, zum Beispiel über die Straflosigkeit, die in Guatemala herrscht", ergänzt Quinteros. "Er wollte uns etwas Wichtiges mitteilen, aber vielleicht hat er nicht die beste Form dazu gewählt. Das einzige was wir tun können, ist, für seine Seele zu beten." "Es ist wie Hollywood" schreibt ein anderer Internetbenutzer. Offenbar gibt es eine kolumbianische Telenovela, die ganz Guatemala kennt, in der eine der Protagonistinnen ihren eigenen Mörder beauftragt. Die Filmserie endet mit dieser Szene. "Auch mich betrog er", hiess es in einem anderen Blog. Der Schreiber richtete sich mit dieser Feststellung an alle andern, die wie er "weisse Hemden getragen haben, die uns jetzt zu nichts anderem dienen, als uns damit abzuwischen." Der Analyst Edgar Gutiérrez hat mehr Fragen als Antworten. "Wie erklärt man sich, dass jemand, der emotional so durcheinander ist, so durchdacht und geplant vorgeht, sein Erbe regelt, alle finanziellen Fragen löst, Datum und Zeitpunkt genau festlegt - aber keine Sekunde an die Leute denkt, deren Ruf er durch sein Video schädigt?" Das Schlusswort sei Mario Antonio Sandoval überlassen, der am 13. Januar 2010 in seiner Kolumne in Prensa Libre schrieb: "Im besten Fall ist der zweite Akt des Dramas gelöst, der erste hingegen ist immer noch offen. Und solange die Ermordung von Khalil und Marjorie Musa nicht geklärt ist, bleibt der Fall ein Rätsel." |
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