13 Jahre Friedensabkommen
Fijáte 451 vom 6. Januar 2010, Artikel 3, Seite 4
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13 Jahre Friedensabkommen
Guatemala, 29. Dez. 2009. Ganz Guatemala begeht den dreizehnten Jahrestag der Unterzeichnung der Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Guerilla URNG. Ganz Guatemala? Auffällig viele glänzen durch urlaubs-, krankheits- oder sonstwie begründete Abwesenheit: Etwa der Präsident Alvaro Colom oder Monseñor Quezada Toruño, Erzbischof von Guatemala Stadt. So begnügen sich die offiziellen Feierlichkeiten mit der zweiten Garde: dem Vizepräsidenten Rafael Estrada im ersten Fall und dem Pfarrer der metropolitanischen Kathedrale im zweiten. Letzterer sowie Mitglieder anderer christlicher Konfessionen, die sich im Ökumenischen Forum für Frieden und Versöhnung zusammengeschlossen haben, erinnerten in einem Gottesdienst in der Kathedrale an die 36 Jahre Bürgerkrieg und den immerwährenden Waffenstillstand, der am 29. Dezember1996 vereinbart wurde. In Anwesenheit von VertreterInnen aus Politik, Militär und Zivilgesellschaft sparten sie nicht mit zum Teil harscher Kritik an der mangelhaften Umsetzung des Friedensabkommens. Der Pfarrer José Luis Colmenares sagte, dass ein Staat, der seine Aufgaben in den Bereichen Gesundheit, Bildung usw. erfüllen sollte, auch ausreichende Steuereinnahmen haben müsse, und rief die PolitikerInnen dazu auf, endlich eine Steuerreform durchzuführen. Vitalino Similox, Sprecher des Ökumenischen Forums, wies darauf hin, dass die Ursachen, die zum Bürgerkrieg geführt hatten, weiterhin vorhanden seien. Die Schlagzeilen in den Medien bestimmt jedoch der, der dem Namen seines Amtes nach direkt mit der Umsetzung des Friedensabkommens zu tun hat: Orlando Blanco, seines Zeichens Sekretär für Friedensfragen der Regierung. Blanco war früher einmal Mitglied der Kommunistischen Partei Guatemalas, später Menschenrechtsaktivist des Kollektivs Sozialer Organisationen (COS) und Mitglied der Demokratischen Front Neues Guatemala (FDNG). In seiner Presseerklärung zum Jahrestag erklärte Blanco, dass es zwar gewisse Fortschritte gäbe, gleichzeitig habe es jedoch in den vergangenen 13 Jahren keinerlei Verbesserungen bei der Sicherheitslage des Landes gegeben, vielmehr sei die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen Personen eher gestiegen. Damit widersprach er öffentlich dem Präsidenten, der erklärt hatte, dass die Gewalt unter seiner Regierung vermindert bzw. zumindest stabilisiert worden sei. Ein weiteres Thema, in dem es wenige Fortschritte gegeben habe, seien die Rechte der indigenen Bevölkerung. Die Mehrheit der nicht-indigenen Bevölkerung sei weiterhin teilnahmslos und desinteressiert ihren indigenen Landsleuten gegenüber. Es gebe nach wie vor keine wirkliche Anerkennung der Maya-Sprachen, und auch die angekündigte Maya-Universität sei bisher nicht realisiert worden. Gleiches und mehr kritisiert auch die Organisation Politischer Rat 13 Baktun in einer Erklärung. So würden die geschichtlichen, strukturellen und kolonialen Ursachen des Bürgerkrieges nicht angesprochen, geschweige denn angegangen. Vielmehr seien die dadurch hervorgerufenen Probleme durch chronische Unterernährung und Hungerzyklen, Umweltzerstörung, Korruption und Veruntreuung von Geldern im Kongress, Gewalt und Unsicherheit sowie Straflosigkeit potenziert worden. Entgegen der Bestimmungen über indigene Rechte im Friedensabkommen sei etwa das Gesetz über die nationalen Sprachen nicht umgesetzt worden. Stattdessen würden aber Gesetze verabschiedet, die multinationalen Konzernen erlaubten, sich indigenes Land zu nehmen und es zu zerstören. Wie die Vorkommnisse um die Minen in San Marcos zeigten, würden auch die Volksabstimmungen der betroffenen indigenen Dörfer ignoriert. Auch Menschenrechtsaktivisten wie Mario Minera, Direktor des Menschenrechtszentrums CALDH, Eduardo de Leon von der Stiftung Rigoberta Menchu Túm oder der Menschenrechtsprokurator Sergio Morales wiesen auf Defizite im Menschenrechtsbereich hin. Minero benennt die mangelnde Aufklärung der Verbrechen während der Politik der verbrannten Erde, Morales die Straflosigkeit, welche die Regel sei. De Leon wies auf eine weitere Baustelle bei den Umsetzungsarbeiten des Friedensabkommens hin: die sozio-ökomomische Struktur im Agrarbereich, kurz: die Landfrage. Nach oben |
Und wo bleibt das Positive, mag man mit Tucholsky fragen? Orlando Blanco nennt die Unentgeltlichkeit von gesundheitlicher Versorgung und Bildung, eine direkte Folge der Sozialprogramme von Präsident Colom und seiner Frau Sandra Torres. Auch bei den Menschenrechten, den Rechten der Frauen und im Justizwesen habe es Fortschritte gegeben. Auch Gustavo Porras (siehe Interview in ¡Fijáte! 443), der als einer der Verhandlungsführer auf Regierungsseite das Friedensabkommen 1996 unterzeichnet hatte, zeigte sich erfreut über den erzielten politischen Frieden, der die politische Gewalt definitiv aus der Welt geschafft habe. Zudem gebe es heutzutage ein bis dato unbekanntes Klima der intellektuellen Freiheit im Land. Diese intellektuelle Freiheit kann man in den diversen Kommentaren entdecken: Da gibt es flammende Aufrufe, die drängendsten Probleme, insbesondere die Landfrage, die die herrschende Clique anzugehen verhindere, in Angriff zu nehmen (etwa von Marielos Monzón in der Prensa Libre; Miguel Ángel Sandoval und Carlos Menocal im Diario de Centro América, Ricardo Ernesto Marroquín in La Hora, Miguel Ángel Albizures im El Periodico). Und ebenso flammende antikommunistische Hetze wie anno dazumal in der zuletzt genannten Zeitung. Sandoval hat die Situation in Guatemala treffend auf den Punkt gebracht: "In einem Land, in dem der Frieden über den Weg der politischen Verhandlungen erreicht wurde, diente der Dialog diesem Ziel. Nun aber finden Dialoge statt, um keine Lösungen suchen zu müssen, um das Gegenteil zu erreichen, um die Gegenseite ruhig zu stellen. Lösungen? - die kommen in besseren Zeiten." Hoffen wir, dass diese bald anbrechen. |
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