Nahe bei Gott, weit entfernt von der Ökumene
Fijáte 255 vom 13. März 2002, Artikel 2, Seite 3
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Nahe bei Gott, weit entfernt von der Ökumene
Guatemala, 22. Feb. Unter dem Namen Projekt Josua führte der Evangelikale Dienst für Lateinamerika (SEPAL) letztes Jahr eine Untersuchung über die Religionszugehörigkeit der GuatemaltekInnen durch. Im Rahmen der Untersuchung wurden 19'500 Haushalte in 43 Gemeinden befragt. Dabei sind einige interessante Ergebnisse herausgekommen: Obwohl im Vergleich zur letzten Volksbefragung im Jahr 1991 die Zugehörigkeit zu einer evangelikalen Kirche leicht zugenommen hat, ist sie gesunken im Vergleich zum Jahr 1986. Daraus kann geschlossen werden, dass der evangelikale Boom der 80-er Jahre vorbei ist. 1986 gehörten 30% der guatemaltekischen Bevölkerung einer evangelikalen Kirche an, 1991 waren es 21% und 2001 waren es 25,4%, also rund ein Viertel aller GuatemaltekInnen. Die Studie ergibt, dass sowohl die katholische wie die evangelikale Bevölkerung sehr instabil ist, was ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche betrifft. Rund 11% der evangelicos und rund 13 der KatholikInnen haben in der letzten sechs Monate vor der Befragung ihre Stammkirche gewechselt. Etwa die Hälfte der evangelicos gehören der Pfingstgemeinde an, die anderen einer der unzähligen andern evangelikalen Kirchen. Im Departement Huehuetenango liegen die Gemeinden mit dem je höchsten und niedrigsten Anteil an EvangelikalistInnen im ganzen Land (San Juán Atitán mit 53,85% und San Miguel Acatán mit 10%). Die vier Gemeinden mit der höchsten Anzahl EvangelikalistInnen sind alles Indígenagemeinden. Leider gibt die SEPAL-Studie wenig Aufschluss über die Maya-Religion. Ebenfalls bedenklich ist, dass alle Religionsformen ausser dem Katholizismus und dem Evangelikalismus als 'Sekte' bezeichnet werden. Darunter fallen entsprechend die Maya-Religion, die Mormonen und die Zeugen Jehovas. Bezüglich der Frage der Maya-Religion argumentieren die Fachleute von SEPAL, dass es die von vielen Mayas gelebte Mischung verschiedener Religionen schwierig mache, die Bedeutung und den Einfluss der Maya-Spiritualität auszumachen. Viele der befragten Indígenas hätten sich als KatholikInnen oder EvangelikalistInnen bezeichnet, würden aber daneben an Maya-Zeremonien teilnehmen. (Solch religiösen Vermischungen bzw. der Einbezug von Alltags- oder Politthemen in die religiöse Praxis machen übrigens nicht nur Angehörige der Maya-Spiritualität, sondern auch KatholikInnen. Über ein anschauliches Beispiel diesbezüglich berichtete Mitte Januar die Prensa Libre: An einer Zeremonie anlässlich der Fastenwochen vor dem Karneval wurden in einer Gemeinde neben den Dorfheiligen auch eine Figur von Osama bin Laden und den Zwillingstürmen in New York mitgetragen.) Ein weiterer Schluss, den die SEPAL-Studie zieht, ist, dass von den Indígenas, die einer evangelikalen Kirche angehören, der grössere Teil AlphabetInnen ist. Erklärt wird diese Tatsache damit, dass die Leute ein Interesse hätten, lesen zu lernen, damit sie die Bibel verstehen könnten. Dies führte gar soweit, dass diverse evangelikale Kirchen überlegten, sich dem staatlichen Alphabetisierungsprogramm (CONALFA) anzuschliessen. Nach oben |
Trotz verschiedener Initiativen einer Annäherung der Religionen, glauben Fachleute nicht, dass in absehbarer Zeit eine gemeinsame Arbeit der evangelikalen und katholischen Kirche mit den verschiedenen Formen traditioneller Maya-Spiritualität stattfinden wird. Erklärt wird diese Annahme damit, dass es keine Einheit innerhalb der verschiedenen religiösen Institutionen gibt. Innerhalb der katholischen Kirche gibt es eine Strömung, die den indígenastämmigen katholischen Priestern, die sich für eine Zusammenarbeit der verschiedenen Religionen einsetzen, den Weg versperren will. Auf der anderen Seite durchlaufen Maya-PriesterInnen oft eine Identitätskrise, da sie sich gezwungen fühlen, sich zwischen dem einen oder andern Glauben zu entscheiden. Die Zersplitterung der rund 18'000 evangelikalen Kirchen hingegen wird zu einem gewissen Grad aufgefangen durch die Arbeit der Evangelikalen Allianz und der SEPAL. So ist es auch immer wieder möglich, dass Vertreter evangelikaler Kirchen in ein Regierungsamt gewählt werden. Viele WählerInnen folgen der Kampagne ihrer Kirchen, fühlen sich aber im Nachhinein oft von 'ihren' Kandidaten betrogen, wenn diese einmal an der Macht sind. Es besteht auch eine grosse Diskrepanz zwischen dem eher moderaten Diskurs nationaler Vertreter der evangelikalen Kirchen und ihren Wortführern im Landesinnern. In verschiedenen Fällen von Lynchjustiz ist bekannt, dass die evanglikalen Pfarrer und die evangelikalen Radiosender latente Konflikte geschürt hätten. Solange die evangelikalen Kirchen die Maya-Spiritualität nicht als eine Religion akzeptieren und sich die Katholische an deren Offenheit stört, wird es auch in Zukunft schwierig sein, einen gemeinsam Nenner zu finden, um eine ökumenische Arbeit voranzutreiben. |
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