Mit Feuer und Flamme das Schweigen beendet
Fijáte 278 vom 12. Feb. 2003, Artikel 1, Seite 1
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Mit Feuer und Flamme das Schweigen beendet
Als am 1. Januar 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA in Kraft gesetzt wurde, traten im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas zum ersten Mal die Zapatistas an die Öffentlichkeit und besetzten verschiedene Städte, u.a. San Cristóbal de las Casas. Der "Aufstand der ZapatistInnen" war (und ist) wegweisend für die seither anwachsende Antiglobalisierungsbewegung. Am ersten Januar 2003 besetzten die Zapatistas erneut für einen Tag lang San Cristóbal, ein Ereignis, über das in den hiesigen Medien eher spärlich berichtet wurde. Dazu der folgende Artikel von Anne Hild. Derweil finden in El Salvador die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und den zentralamerikanischen Staaten statt. Volks- und BäuerInnenorganisationen protestieren dagegen, doch sind die Verhandlungspositionen ihrer jeweiligen Regierungen dermassen schlecht, dass sie kaum Chancen haben, ihre Forderungen durchzubringen. Während in San Cristóbal de las Casas die letzten Truthähne ihr Leben liessen und der bürgerlichen Küche anheim fielen, wurden in Europa bereits die ersten Meldungen ins Netz gesetzt, dass mehrere Tausend ZapatistInnen die Stadt eingenommen hätten. Auch wenn Europa sieben Stunden voraus ist, schien diese Nachricht etwas verfrüht. Die Live-Übertragung des freien Radios sendete ein übliches Sylvestergelage, mit cumbias, rancheras und Grüssen aus der Nachbarschaft. Das Jahr endete gelassen und es gab sogar ein paar Stunden Schlaf. Auch in den Aguascalientes, den fünf politischen und kulturellen Zentren der ZapatistInnen, wurde getanzt, Kerzen wurden angezündet, und es wurde recht früh schlafen gegangen, denn der neue Tag versprach lang zu werden. Gegen 7 Uhr morgens versammelten sich die ersten 500 Zapatistas in der Peripherie San Cristóbals. Die Stickereien auf den Blusen verrieten, dass sie aus Polho und anderen Gemeinden aus der näheren Umgebung kamen, und die schwarzen Augenpaare hinter den Skimützen zeigten Entschlossenheit. Sie trugen Macheten und Brennspäne bei sich. Ein Auto mit zwei betrunkenen Militärs, die mit einem blinkenden Revolver fuchtelten, heizte durch die Menge. Ansonsten liess man sich ruhig die ersten Sonnenstrahlen auf die Skimützen scheinen. So vergingen Stunden um Stunden, und es kamen immer mehr ZapatistInnen aus allen Regionen Chiapas. Gegen Nachmittag zog sich der Himmel mit dramatischen Wolkenformationen zu, und über die Umgehungsstrasse kamen ganze Konvois mit ZapatistInnen angefahren. "Wir sagen Nein zum Terrorismus von Bush und Bin Laden!" "Es lebe der politische Kampf des baskischen Volkes!" "Es leben die argentinischen Rebellen!" "Es lebe die Globalisierung des Widerstands!" "Es lebe Subcomandante Marcos!" "Nieder mit der schlechten Regierung!" tönte es von den Wagen herab, während sich Tausende von Macheten und Stöcken gegen den Himmel erhoben. Der Demonstrationszug formierte sich. Die ersten Reihen waren mit Fackeln ausgestattet, dahinter ertönte das Rasseln der Macheten. Geduldig wartete man auf die compañer@s, die aus abgelegenen Regionen kamen und bis zu 15 Stunden Reise hinter sich hatten. Ab diesem 1. Januar entfallen endgültig alle landwirtschaftlichen Zölle in der NAFTA-Region. Das heisst, die mexikanischen BäuerInnen stehen in protektionsloser Konkurrenz zur US-amerikanischen Landwirtschaft, die mit 182 Milliarden Dollar subventioniert wird. Auch von den Investoren des Plan Puebla Panama (PPP) wird der Druck auf die Region erhöht. Sie wollen sehen, dass ihre Staudämme und Tourismusprojekte endlich Form annehmen. Der Demonstrationszug der ZapatistInnen nahm gegen 18 Uhr Form an und die bislang grösste Mobilisierung der zapatistischen Unterstützungsbasen setzte sich in Bewegung: ca. 20 000 Menschen marschierten in Gummilatschen, Sandalen oder Gummistiefeln, Machete in der Hand, Kind auf dem Rücken, Skimütze über dem Gesicht, und ein Funkeln in den Augen, auf das touristische Zentrum San Cristóbals zu. Von den BürgerInnen San Cristóbals war kaum etwas zu sehen: Sie hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert. Dafür hatten sich auf dem Zocalo die internationale Presse und AktivistInnen versammelt, ausgerüstet mit reichlich Filmmaterial, Batterien und Minidiscs. Das italienische Fernsehteam der Ya Bastas wartete ungeduldig darauf, mit der Live-Übertragung nach Italien beginnen zu können. In Rom hatten sich einige 1000 AktivistInnen versammelt um dem Spektakel beizuwohnen. Nach oben |
Nach und nach füllte sich der Zocalo mit Tzotziles, Mames, Tzeltales, Tojolabales und Zoques, und man hörte immer noch die Parolen aus der frisch hergerichteten Fussgängerzone. Zwischen Bühne und Kathedrale prangten Tausende von Transparenten: "Die Parteien sind eine Farce", "Die Regierung ist rassistisch". Auf einmal hiess es :"Macht's Euch bequem, jetzt kommt die Comandancia!" Die Bühne füllte sich. Allen vorweg Comandante Mister (der grösste von allen), danach Comandante Esther in ihrem blumenbestickten Schal, Tacho, Fidelia, Omar, David, und der jüngste von allen, Bruce Lee. Das fast zweijährige Schweigen der ZapatistInnen wurde an diesem Tag in jeglicher Hinsicht aufgehoben. Zweifel über eine Zerrüttung der EZLN wurden durch die sieben Ansprachen der Comandancia ausgeräumt. "Wozu sollen wir uns untereinander zanken, wenn es noch genug Feinde zum Streiten gibt?" fragte Comandante Omar. "Wir sind gekommen, um zu zeigen, dass wir da sind, dass wir noch leben und dass wir uns nicht ergeben haben. Wir sind weder entzweit noch zerstritten." Gerüchte, dass sich Subcomandante Marcos zu weit aus dem Fenster gelehnt hätte mit seinem Projekt, im Frühjahr ein Rededuell mit dem spanischen Richter Garcón zu halten und gleichzeitig einen Kongress zur politischen Einigung im Baskenland stattfinden zu lassen, wurden dementiert. "Wir kennen die Welt, denn wir kennen all die Männer und Frauen dieser Länder, die unsere Gemeinden besucht haben. Sie haben uns von ihrem Kampf und ihrer Welt erzählt. In ihren Worten sind wir gereist, wir haben mehr Länder gesehen und kennen gelernt als jedweder Intellektuelle." erzählt Mister und ruft auf zur Globalisierung der Rebellion. "Wenn Subcomandante Marcos sagt, dass er den politischen Kampf der Völker unterstützt, so spricht er im Namen aller zapatistischen Frauen, Männer und Kinder. An alle, die wir für Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit in der Welt kämpfen: Wir ZapatistInnen kämpfen an Eurer Seite, denn dieser Kampf ist auch unser Kampf. Deshalb kämpfen wir hier in Mexiko und in der ganzen Welt, bis wir einen würdigen Platz im Leben und in der Menschheit erreichen." In letzter Zeit wurde den ZapatistInnen öfter vorgeworfen, sich nur nach Europa zu orientieren und die Problematiken des eigenen Kontinents unkommentiert zu lassen. An diesem 1. Januar wurde eindeutig die Solidarität mit den argentinischen Rebellen und der Souveränität des venezolanischen Volkes ausgesprochen. Was die Beziehung zur Regierung angeht, so sprach Comandante Esther klare Worte: "Ich sage Dir (Vicente Fox): Das Volk ist enttäuscht von Deinen Betrügereien" und fragte "Wo ist der Frieden?" Es wurde heftig kritisiert, dass keine der Parteien zur Verabschiedung des Gesetzes über die Rechte der indigenen Völker beigetragen hat, "da ihnen ein Frieden in Chiapas nicht gelegen kommt", aus verschiedenen Gründen, und sei es, um wie im Falle Manuel Bartlett, einer Untersuchung über Verwicklungen im Drogenhandel zu entkommen. Mit der PRD (linksliberale Partei der demokratischen Revolution), der während der Marcha Zapatista im März 2001 noch einige Hoffnung entgegengebracht wurde, wurde endgültig abgerechnet. Auch Luis H. Alvarez (Partei der nationalen Aktion), dem offiziellen Vermittler der Regierung, wird zukünftig der Zutritt zu den zapatistischen Gemeinden verwehrt. "Er verteilt Gelder in den Gemeinden, um Zwiespalt zu säen und zu behaupten, die ZapatistInnenen wären gespalten" begründete Esther diese Massnahme. Bruce Lee rief die indigenen Völker und den Rest der Welt auf, sich zu organisieren: "Der Moment ist gekommen, uns zu organisieren und unsere autonomen Landkreise zu formieren. Nur so kann es wirkliche Demokratie auf kommunaler Ebene geben. Wir haben nicht darauf zu warten, dass die schlechte Regierung uns die Erlaubnis dazu gibt." "Es lohnt sich, das Risiko des Kampfes einzugehen, denn sie töten uns sowieso täglich. Bevor wir aufhören zu existieren, öffnen wir einen Weg auf der Suche nach einem besseren Leben für unsere Kinder. Wir sind bereit zu kämpfen, koste es, was es wolle." So Omar. Was den akuten Fall der Vertreibungen im Biosphärenreservat Montes Azules angeht, betonte die EZLN, dass es in den zapatistischen Dörfern keine friedliche Umsiedlung geben wird. Damit sind auch militärische Aktionen nicht mehr auszuschliessen. Comandante David endet seine Ansprache mit der Aufforderung an die Compañer@s, nun ihre Brennspäne anzuzünden. "Dieses Licht symbolisiert unsere Stärke in dem langen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. Lasst uns ein grosses Licht entzünden, in dem die Welt das Licht der zapatistischen Rebellion sieht." Eine harzige Duftwolke umhüllte die Massen. Die Fussgängerzone war gesäumt von kleinen Feuern, in deren Licht man die gefällten Strassenlaternen liegen sah. Während ringsum immer mehr Feuer aufflammten, zogen sich bereits die ersten Gruppen von ZapatistInnen zurück, und noch Stunden später formierten sie sich in den Strassen, um auf offenen Pritschenwagen durch die klare Nacht auf ihre autonomen Dörfer zurückzufahren. |
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