1. Dezember: Stand der Dinge in Sachen HIV/AIDS
Fijáte 323 vom 1. Dez. 2004, Artikel 8, Seite 6
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1. Dezember: Stand der Dinge in Sachen HIV/AIDS
Guatemala, 23. Nov. Gemäss Aussagen von Gesundheitsorganisationen bestehen gravierende Diskrepanzen zwischen den Zahlen, die von ihnen und denen, die von den Regierungen Zentralamerikas bekannt gegeben werden und die Anzahl der von HIV/AIDS betroffenen Menschen beziffern. Auch wenn die quantitativen Angaben als Grundlage jedweder Aktion von Seiten der Gesundheitsministerien von Bedeutung sind, sehen einige AktivistInnen ein grösseres Problem in der Prioritätensetzung der angegangenen Projekte, die eher die sexuelle Enthaltsamkeit propagieren als die Benutzung von schützenden Methoden. In Guatemala sind laut Ärzte ohne Grenzen rund 70 Tausend Personen mit dem HI-Virus infiziert. Währenddessen spricht die Regierung von 7´034 Personen, die Ende Juni zu den Betroffenen gezählt wurden. Die zahlenmässige Differenz, so klärte die Nationale Gesundheitsprogrammchefin Annelise de Salazar auf, beruhe dabei lediglich auf Unterschieden in der Interpretation der Daten. Auf der Grundlage international anerkannter Erfassungsmethoden gäben die 70'000 sowohl im Ministerium als auch in anderen Organisationen tatsächlich die Höhe des Schätzwertes der Betroffenen an, derweil die kleinere Zahl die Personen erfasst, die erkrankt und im Ministerium als solche registriert sind. Die Annahme einer hohen Dunkelziffer ist also immens. Probleme der Datenerfassung und Unterschätzung liegen in der ganzen Region Zentralamerikas vor. Dies liegt vornehmlich an der Tatsache, dass der Grossteil der von HIV/AIDS betroffenen Menschen nicht medizinisch untersucht wird, solange sie keine Symptome zeigen und selbst dann bleiben viele Fälle aufgrund von finanziellen und infrastrukturellen Ursachen meist nicht-diagnostiziert. Weder gehört ein AIDS-Test zur grundlegenden medizinischen Routine noch ist er, ausser in Costa Rica, kostenfrei. Einen weiteren Aspekt der abweichenden Daten stellt die Diskrepanz zwischen den an AIDS erkrankten Personen und denjenigen Betroffenen dar, die mit antiretroviralen Medikamenten versorgt werden. Neben dem fehlenden Check auf HIV liegt dies laut Sylvie Pouit, Direktorin von Ärzte ohne Grenzen, an den Falschdiagnosen, der Diskriminierung der PatientInnen in den Gesundheitszentren und dem Informationsmangel hinsichtlich möglicher Behandlung. Gemäss dem UNO-Programm gegen HIV/AIDS ONUSIDA belaufen sich die prozentualen Anteile der mit dem Virus infizierten Erwachsenen in El Salvador auf 0.7%, in Nicaragua auf 0.2%, in Costa Rica auf 0.6%, in Guatemala auf 1.1%, in Honduras auf 1.8% und in Panama auf 0.9%. Während die Anteile der registrierten von HIV/AIDS betroffenen SexarbeiterInnen in der Region zwischen 1 und 10% schwanken, liegen die Prozentzahlen der registrierten infizierten Homosexuellen zwischen 5.7 und 18%, in Guatemala sind es rund 5% der SexarbeiterInnen und ca. 9% der Homosexuellen. Statistiken des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) gaben derweil bekannt, dass in Guatemala rund 4'800 Kinder im Alter zwischen 0 und 14 Jahren mit dem Virus infiziert sind. Auch wenn diese Daten zu belegen scheinen, dass es vor allem Risikogruppen sind, die mit dem Virus infiziert sind, bestätigen Beobachtungen, dass sich das Virus auch in der Allgemeinbevölkerung mehr und mehr verbreitet. Dee Smith, Koordinatorin des Proyecto Vida fügt hinzu, dass die Mehrzahl der Opfer des Virus zu armen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen gehört. Zu merken sei ausserdem, dass sich durch den Anstieg der durch Guatemala durchreisenden MigrantInnen in Richtung USA, die Infektionsrate unter den heterosexuellen BäuerInnen erhöht habe, so Smith. Die Aktivistin stellt immer wieder fest, dass auf lokaler Ebene kein ausreichendes Wissen um die Situation herrscht und weder Regierungen noch Bevölkerung mit mehr Nachdruck eine weitere Verbreitung vorzubeugen suchen. Aber auch für die Regierungen besteht ein grosses Problem in der finanziellen Frage des Aktionsradius. Nach oben |
Gerade Immunsystem stärkende Medikamente, wie sie die Erkrankten benötigen, sind aufgrund der Patentrechte enorm teuer. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Dezember 2003 das Programm 3x5 ins Leben gerufen, das vorsieht, den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten weltweit für 3 Millionen Personen bis Ende 2005 auszudehnen. Zur Erreichung dieses Ziels werden bis 2005 schätzungsweise US-$ 10,5 Mrd. benötigt, die laut WHO bis 2007 auf US$ 15 Mrd. erhöht werden müssen. Doch gegenüber dieser Finanzinitiative verhalten sich die Länder der G8, die Hauptgeberländer, zu denen Deutschland, Kanada, die USA, Frankreich, Italien, Japan, Grossbritannien und Russland gehören, zögerlich. Vermutlich gründet sich die Skepsis auf den Plan der WHO, innerhalb des Vorhabens den Kauf von Generika zu finanzieren. Die USA planen unterdessen, in den nächsten fünf Jahren US-$ 15 Mrd. für die weltweite medizinische Behandlung von Malaria, Tuberkulose und AIDS auszugeben, US-$ 1 Mrd. sind davon für die WHO gedacht. Doch diese stehen unter der Bedingung, nur patentierte Medikamente zu kaufen. Somit können 2 Mio. Menschen während fünf Jahren behandelt werden. Würden Generika gekauft, liesse sich der Behandlungszeitraum für diese 2 Mio. auf 20 Jahre ausdehnen. Das Thema der Generika ist derzeit ohnehin ein Aspekt der zentralamerikanischen Polemik, steht doch der Eintritt des Freihandelsvertrags zwischen den USA und Zentralamerika an zu dem sich inzwischen auch die Dominikanische Republik gesellt hat, in der die medikamentöse Versorgung der von HIV/ AIDS betroffenen Bevölkerung besonders defizient ist. Mit der geplanten Öffnung der Märkte werden zugleich Bedingungen v.a. von den USA gegenüber Zentralamerika gestellt, die die Rechte auf geistiges Eigentum und somit diverse Patentrechte betreffen und grundsätzlich die jeweils nationalen Einkaufsmöglichkeiten u.a. von Medikamenten deutlich einschränken. In Guatemala gilt das Departement Izabal als am stärksten von HIV/AIDS betroffen. Doch fraglich ist gerade bei dieser Angabe, wie weit dies aufgrund der oben erwähnten Problematik der Datenerfassung der tatsächlichen Verbreitung der Infektion im Land entspricht. Offensichtlich ist das Bewusstsein über die Existenz und Gefahr der Krankheit im Land doch verstärkt vorhanden. Auf Initiative der Zivilen Allianz für den Zugang zu Medikamenten hat sich eine Reihe von sozialen Organisationen gefunden, die anlässlich des Welt-AIDSTags am 1. Dezember einen SolidaritätsFackel-Lauf veranstaltet haben. Die guatemaltekische Regierung dagegen wird offensichtlich nur auf Befehl aktiv. Ähnlich wie 2002, wo sie vom Interamerikanischen MenschenrechtsGerichtshof (CIDH) zur Übernahme der Behandlung von 12 HIV/AIDS-PatientInnen verurteilt wurde (siehe ¡Fijáte! 274), setzte eben dieses Gericht der Regierung Ende Oktober ein Ultimatum von 14 Tagen, um sich dem Schicksal von 11 erkrankten Personen anzunehmen. 2004 war auf Initiative des Zentrums für Justiz und Internationales Recht (CEJIL) die Klage von 2002 auf insgesamt 51 Personen ausgeweitet worden, von denen inzwischen 5 verstorben sind und alle ausser den elfen von Ärzte ohne Grenzen behandelt werden. |
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