Abgesang auf die goldene Ära der braunen Bohne
Fijáte 310 vom 19. Mai 2004, Artikel 1, Seite 1
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Abgesang auf die goldene Ära der braunen Bohne
Wachsende Armut in Guatemala durch Kaffeeproduktion in Vietnam Kaffee ist das wichtigste landwirtschaftliche Produkt im Handel zwischen den reichen Industrieländern und den Ländern des Südens. Die USA und Europa importieren über zwei Drittel des weltweit erzeugten Kaffees. Die fünf grössten deutschen Kaffeekonzerne (Tschibo, Jacobs, Aldi, Melitta, Dalmayr) verdienen prächtig. Sie kontrollieren 85 Prozent des nationalen Kaffeehandels. Bei einem Jahresumsatz von rund vier Milliarden Euro sind ihre Gewinne bestens gesichert. In Guatemala hingegen, einem Land mit langer Tradition im Kaffeeanbau, bedroht die Krise der niedrigen Preise auf dem Weltmarkt die Existenzgrundlage Zehntausender Kleinbauernfamilien. Der folgende Artikel wurde uns freundlicherweise von Andreas Boueke zur Verfügung gestellt. Erst nachmittags, wenn die Kaffeesträucher etwas Schatten spenden, wird die Hitze erträglich. Noch arbeiten Hunderttausende Männer, Frauen und Kinder während der Erntezeit auf den Kaffeefeldern Guatemalas. Sie tragen Plastikkörbe vor den Hüften, die sie sorgsam und geschickt mit roten, reifen Kaffeekirschen füllen. Wenn jedoch die eine oder andere Kirsche beim Pflücken auf die Erde fällt, wird sie liegengelassen. Der Kaffeepreis ist heute so niedrig, dass es nicht mehr lohnt, sich für eine Kirsche bis zum Boden zu bücken. Vor fünf Jahren kostete ein Pfund Rohkaffee auf dem Weltmarkt noch knapp 1,50 US-Dollar. Heute sind es nur 50 $Cent. Von dieser Preiskrise werden die KleinbäuerInnen in Guatemala besonders hart getroffen. Einer von ihnen ist Maximo Itzep Hernandez. Er besitzt rund fünfzig ertragreiche Kaffeesträucher. "Viele Leute vernachlässigen ihre Pflanzen, weil der Kaffee heutzutage so wenig wert ist. Aber ich habe kein Geld, um andere Setzlinge anzupflanzen. Wir müssen darauf hoffen, dass der Preis wieder steigt. Wir können unsere Pflanzen doch nicht einfach abschlagen?" Aber voraussichtlich wird der Preis in den nächsten Jahren nicht deutlich steigen. Für Länder wie Guatemala wird die Kaffeekrise ein Dauerzustand bleiben, denn auf dem Weltmarkt ist ein neuer Konkurrent angetreten: Vietnam. In dem asiatischen Land sind die klimatischen und landschaftlichen Bedingungen besonders günstig. Zudem sehen die Weltbank und andere internationale Entwicklungsorganisationen im Kaffee eine Alternative zum Mohnanbau für die Produktion der Droge Opium, der bei vietnamesischen KleinbäuerInnen besonders populär ist. So kam es zu einer massiven Förderung des Kaffeesektors. Innerhalb von zehn Jahren hat Vietnam seine Produktion vervierfacht und liefert heute zwanzig Prozent des Angebots auf dem Weltmarkt. Dadurch wurde der Preis nachhaltig gedrückt, so dass auch die vietnamesischen KleinbäuerInnen nicht mehr vom Kaffeeanbau leben können. Die britische Hilfsorganisation OXFAM bezeichnet ihr Einkommen als "Vorstufe zum Verhungern". Nach oben |
Als Reaktion auf die Krise müssten die KleinbäuerInnen in Guatemala diversifizieren, andere Produkte herstellen. Doch das ist risikoreich. Eine Umstellung kostet viel Geld und man braucht genaue Marktanalysen. Die Leute auf dem Land haben weder das eine noch das andere. So nimmt die Armut in den traditionellen Kaffeeanbaugebieten weiter zu. Der Mönch Antonio Lopez kann das seit Jahren vor den Toren seiner Kirche La Merced in der Kolonialstadt Antigua beobachten: "Den Leuten geht es wirtschaftlich immer schlechter. Wenn ein Vater nicht genug Geld verdient, um das Überleben seiner Kinder zu sichern, dann nehmen seine Alltagsprobleme an Schärfe zu. Es ist furchtbar, wenn er abends zu Bett geht, ohne zu wissen, was seine Familie am nächsten Morgen zum Frühstück essen kann. Soweit sind wir schon gekommen. Die Familien haben nicht mehr genug zu essen. Das ist keine Armut, sondern schlimmer. Das ist Elend." Wenn es bei der Kaffeeernte überhaupt noch Arbeit gibt, dann werden viele Eltern von ihren Kindern begleitet, die helfen müssen, das Auskommen der Familie zu verdienen. Die neunjährige Maria kann an guten Tagen bis zu fünfzig Pfund pflücken. Aber in der schwülen Hitze wird ihr oft schwindelig. Dann muss sie einen Moment lang im Schatten sitzen. "Tagsüber sind wir auf dem Feld", erzählt Maria. "Wenn ich abends nach Hause gehe, muss ich die Wäsche waschen. Danach essen wir und gehen schlafen. Ich arbeite, damit wir genug Geld haben, um Zucker und Bohnen kaufen zu können." Die Krise der niedrigen Weltmarktpreise für Kaffee macht es noch unwahrscheinlicher, dass sich die Lebensbedingungen der arbeitenden Kinder in Guatemala bald verbessern werden. Der guatemaltekische Sozialwissenschaftler Omero Fuentes macht dafür die kurzsichtige Politik internationaler Entwicklungsorganisationen verantwortlich: "Die Entwicklungshilfe für Vietnam, auch die aus Deutschland, hatte gravierende Auswirkungen auf die weltweite Kaffeekrise. Vietnam hat überproduziert und niemand hat den Schaden vorausgesehen. Für ein Land wie Guatemala hat das katastrophale Folgen, vor allem, weil Arbeitsplätze verloren gehen. Wenn eine Organisation in einem Land Armut bekämpfen will, dann sollte sie auch globale Zusammenhänge im Blick behalten, um nicht anderswo neues Elend zu erzeugen." Die Entscheidungen der Weltbank und anderer internationaler Finanzorganisationen orientieren sich an einem Entwicklungsmodell, das es den Kräften des Marktes erlaubt, sich ungehindert zu entfalten. Dementsprechend sollen Produkte in der globalisierten Welt dort hergestellt werden, wo es am günstigsten ist. Wenn eine Produktion unrentabel wird, muss nach Alternativen gesucht werden. So gesehen gibt es keinen Grund, warum die Weltbank Vietnam die Chance des Kaffeeanbaus verweigern sollte. Die meisten LandarbeiterInnen in Guatemala haben noch nie etwas von der Debatte um den niedrigen Kaffeepreis und die Rolle Vietnams gehört. Häufig wissen sie nicht einmal, dass der Kaffee, den sie ernten, ins Ausland verschifft wird. Für eine Pflückerin wie Eva Peréz stellt sich der Kampf ums Überleben nicht als globales Problem dar, sondern sehr konkret, Tag für Tag. "Unser Verdienst reicht nicht aus. Wir bekommen viel zu wenig Lohn. Mit dem Geld können wir nicht einmal genug Mais kaufen. Aber was sollen wir machen? Woanders als auf den Kaffeefeldern gibt es überhaupt keine Arbeit." |
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