(K)ein schöner Land in dieser Zeit? Teil I
Fijáte 313 vom 30. Juni 2004, Artikel 1, Seite 1
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(K)ein schöner Land in dieser Zeit? Teil I
Zahlreiche, von Gewalt geprägte Finca-Räumungen, die Kaffeekrise, Verletzungen von Arbeitsrechten, Hunger - nur einige Aspekte, die nicht nur in der heutigen Zeit mit dem Thema Land und der Tatsache einer fehlenden Agrarpolitik in Guatemala in Verbindung stehen. Vier Wochen lang reisten drei Vertreter des Nationalen Dachverbandes der BäuerInnenorganisationen - CNOC - und vom Dachverband der Nichtregierungsorganisationen und Kooperativen - CONGCOOP durch Europa, um die Problematik bei hiesigen Regierungen und der Zivilgesellschaft einzubringen und politische Unterstützung zu ersuchen. Im folgenden Interview stellen Leocadio Juracán und Salvador Cruz Mitglieder des Politischen Rates der CNOC,sowie Helmer Velásquez, Führungsmitglied der CONGCOOP den CNOC-Vorschlag zur Integralen Agrarreform und dessen Hintergründe vor. Frage: Wie kann man sich die Organisation des CNOC vorstellen? Leocadio Juracán.: Ich gehöre bspw. zu einer lokalen Basisorganisation, dem BäuerInnenkomitee des Hochlandes, CCDA. Dieses gehört wiederum zum Indigenen- und BäuerInnenrat Kutz Bal B'ey, und dieser ist Mitglied bei der CNOC, dem Nationalen Dachverband der BäuerInnenorganisationen. Die jeweiligen Organisationen erfüllen unterschiedliche Verantwortlichkeiten auf den verschiedenen Ebenen, der departamentalen, der regionalen, bis hin zur nationalen. Ähnliches gilt für unseren compañero Helmer von der CONGCOOP, dem Dachverband der Nichtregierungsorganisationen, der eher auf regionaler Ebene tätig ist, und auch zum CNOC gehört. Frage: Was ist der Anlass ihrer Reise durch Europa? Helmer Velásquez: Wir verfolgen zwei Ziele mit unserer Tour. Zum einen wollen wir unseren Vorschlag zur Agrarreform vorstellen und präsentieren, was diesem zufolge mittelund langfristig ansteht. Der zweite Aspekt ist eine sehr konkrete Massnahme, und zwar das Treffen der Konsultivgruppe in Guatemala, das voraussichtlich im ersten Halbjahr des nächsten Jahres stattfinden wird. Diesbezüglich bitten wir die europäischen Regierungen um ihre politische Unterstützung, damit der Punkt der Agrarreform auf die Tagesordnung der Konsultivgruppe gesetzt wird. Ausserdem bitten wir die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen in Europa, dass sie uns in diesem Sinne mit Hilfe ihrer Regierungen unterstützen. Eine weitere Bitte an die europäischen Regierungen besteht in der Aufnahme von VertreterInnen der Zivilgesellschaft in die Konsultivgruppe. Dies hatten bei dem vorherigen Konsultivgruppentreffen nur Schweden und Holland gemacht. Das sind unsere konkreten Vorhaben. Im Allgemeinen wollen wir in Europa mittels unserer Reise hinsichtlich des Agrarthemas in Guatemala sensibilisieren und dabei vor allem auf die aktuelle Situation der Fincaräumungen und dem Fehlen einer Agrarpolitik aufmerksam machen. Frage: Was passiert diesbezüglich denn im Land selber, von Seiten der CNOC und ihrer Mitgliedsorganisationen? H.V.: Wir sind, gemeinsam mit FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk, Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren die Red.) Teil der internationalen Kampagne zur Landreform. Auf nationaler Ebene verfolgen wir verschiedene Aktionen zum gleichen Thema. Die nationale Mobilisierung vom 8. Juni (vgl. ¡Fijáte! 312), im August wird ein Treffen mit Jugendlichen stattfinden. Im ersten Halbjahr 2005 streben wir ein Treffen auf lateinamerikanischer Ebene an und am Ende des Halbjahres organisieren wir den III. Nationalen BäuerInnenkongress. Auf diesem werden wir unseren Agrarreformvorschlag zur Verabschiedung von Seiten der Basisorganisationen vorstellen. Derzeit finden Workshops und kleinere Kongresse auf interner CNOC- Ebene statt, auf denen der Inhalt des Vorschlags den Mitgliedsorganisationen erläutert, mit ihnen diskutiert und weiter erarbeitet wird. Frage: Welchen Zeitrahmen hat man dabei im Auge? H.V. Wir haben einen kritischen Fahrplan für die Reform aufgestellt, der 10 Jahre für die Realisierung veranschlagt, wenn jetzt mit der Umsetzung begonnen wird. Dabei gibt es eine Reihe von sofortigen Massnahmen, die sich auf den Rahmen der Friedensabkommen stützen und andere, die langfristig angegangen werden sollen. Leocadio Juracán: Seit Unterzeichnung der Friedensabkommen war die CNOC gekennzeichnet als BäuerInnenbewegung, die Vorschläge einreicht. In diesem Rahmen haben wir einen Diskussionsprozess initiiert über unseren Standpunkt u.a. zu den Themen Armut, Migration, Arbeitslosigkeit und dem Phänomen des Hungers, welches wir während des bewaffneten Konflikts nicht in dieser Form wahrgenommen haben. Aber in Zeiten des Friedens taucht die Problematik des Hungers auf, was in gewisser Weise paradox ist hinsichtlich der Perspektive, die die Firmierung der Abkommen aufzeigte. Sechs, sieben Jahre nach den Abkommen stellt sich heraus, dass die Ursachen, die den bewaffneten Konflikt in Guatemala auslösten, in keiner Weise gelöst sind. Dies war der Anlass für die CNOC für den Agrarreformvorschlag. Wir sind der Ansicht, dass es in Guatemala keine ländliche Entwicklung geben kann, so- lange der Zugang zu Land nicht gewährleistet ist. Dieser ist demzufolge zentraler Aspekt des Reformvorschlags der CNOC. Unseres Erachtens ist einer der wenigen Vorteile, die uns die Friedensabkommen gebracht haben, die Tatsache - jedenfalls bislang noch - öffentlich und offen das Thema der Agrarreform diskutieren zu können. Das war zu Kriegszeiten ein klandestines Thema, über das wir nicht reden konnten, ohne dass wir gleich mit den Guerilleros in Verbindung gebracht wurden. Frage: Wie sieht denn der Vorschlag konkret aus? L.J.: Unser Vorschlag zur Integralen Agrarreform beinhaltet kurz-, mittelund langfristige Massnahmen. Da wir der Meinung sind, dass der Zugang zu Land wirklich zu einer realen und langfristigen Entwicklung des ganzen Landes beitragen wird, beschränkt er sich nicht auf die palliative Unterstützung der wachsenden Bevölkerung, die an Hunger oder extremer Armut leidet, was die Problematik nicht lösen sondern eher verschlimmern wird. Eins der Themen ist also die Transparenz des Landeigentums. Wir glauben, dass es viele Landbesitzenden gibt, die ihre Ländereien nicht vollständig haben registrieren lassen. Es gibt folglich falsche Grössenangaben, sog. Exzesse, von Fincas. Gleichzeitig gibt es viele Fincas, die für die Bewirtschaftung geeignet sind, aber nicht genutzt werden. Aufgrunddessen verfolgen wir zwei Aspekte. Hinsichtlich der Fincagrösse fordern wir ein nationales Kataster. Die nicht registrierten Ländereien sollen an den Landfond FONTIERRAS übergeben werden, der diese neu verteilt. Auf die nicht genutzten Flächen hingegen sollten Steuern erhoben werden, die ebenfalls an FONTIERRAS gehen bzw. mittels denen Produktionsmassnahmen finanziert werden sollen, die wiederum Arbeitsplätze schaffen und zur allgemeinen Entwicklung beitragen. Frage: Die Katasterfrage ist ja nicht neu. Wie sieht die aktuelle Situation diesbezüglich aus? L.J.: In Bezug auf das Kataster haben die CNOC, die Nationale Paritätische Landkommission und die vorherige Regierung bereits einen Gesetzesvorschlag erarbeitet. Dieser schloss die eben genannten Vorschläge ein, wurde jedoch nicht verabschiedet. Derweil haben wir erfahren, dass die Agrarkammer, die die Grossgrundbesitzer vereint, ebenfalls einen Katastervorschlag eingereicht hat, der die Legalisierung der Landexzesse als ihr Eigentum anvisiert und somit eine stärkere Landkonzentration in wenigen Händen zur Folge hätte. Unser Vorschlag hingegen priorisiert den sozialen Nutzen. Und hinsichtlich einer integralen Entwicklung des Landes ist dieser Ansatz der logischste. Frage: Sie haben bereits die Finca-Räumungen und auch das Diskussionsklima in früheren Zeiten benannt. Wie nehmen Sie derzeit die Stimmung im Land in Bezug auf die Diskussion und Erarbeitung der Agrarreform wahr? L.J.: In etwas mehr als vier Monaten der neuen Regierung unter Präsident Oscar Berger wurden 27 Finca-Räumungen durchgeführt. Zudem gab es zahlreiche Festnahmen und Inhaftierungen von aktiven BäuerInnenführerInnen. Das beunruhigt uns sehr. In den letzten eineinhalb Jahren der vorhergehenden Regierung gab es gar keine Räumung von Fincas. Nicht, weil sich diese mit unserem Reformvorschlag identifizierte, sondern weil ein permanenterKonflikt zwischen der damaligen Regierung und den Grossgrundbesitzenden schwelte. So wurde in gewisser Weise sowohl von Seiten der Regierung als auch von den BäuerInnen Druck auf diese ausgeübt. Frage: Mit welchen Erwartungen hatten Sie denn dem Regierungswechsel entgegengesehen? L.J.: Bereits seit der Wahlkampagne sahen wir voraus, dass die jetzige Regierung die Grossgrundbesitzenden, die Oligarchie, repräsentiert und somit auf irgendeine Weise die Finca-Räumungen durchführen würde. Und genau so ist es passiert. Eine der ersten Räumungen fand signifikanterweise auf der Finca von einer Verwandten von Präsident Berger statt, der Tante seiner Ehefrau. Frage: Was ist der Hauptanlass für die Räumungen? L.J.: In den meisten Fällen handelt es sich primär um Arbeitskonflikte. Die BäuerInnen argumentieren mit der Kaffeekrise, was die Grossgrundbesitzenden dazu nutzen, die Arbeitenden zur Verzweiflung zu treiben, in dem sie diese nicht bezahlen und hoffen, dass die BäuerInnen freiwillig gehen. Auf diese Weise umgehen die Arbeitgebenden das Recht der Arbeitnehmenden auf Entschädigung und andere Lohnzusatzleistungen. Das ist die Strategie der Grossgrundbesitzer. Aber die BäuerInnen halten dem Stand und fordern die Auszahlung der kompletten Gehälter. Doch nach Nach oben |
Ablauf von einigen Monaten stellt dann die formelle Besetzung der Finca die letzte Option dar. Diese beinhaltet die Möglichkeit der Argumentation, dass, wenn die Arbeitgeber kein Geld haben, um sie zu bezahlen, sie den BäuerInnen stattdessen Land überlassen. Doch die Antwort darauf sind die Räumungen. Auf diese Weise verlieren die BäuerInnen sowohl Gehälter als auch Zusatzleistungen und sie werden ohne alles auf die Strasse gesetzt. Die CNOC nun begegnet den Konflikten um das Land mit dem Vorschlag eines legislativen Agrar- und Umweltabkommens zur Lösung derselben. Denn derzeit werden die BäuerInnen, die von den Räumungen betroffen sind, gemäß dem zivilen Strafgesetz verfolgt. Doch das hat überhaupt nichts mit der Agrarfrage zu tun! So landen die BesetzerInnen im Gefängnis, denn derzeit steht auf Landusurpation eine Mindeststrafe von 3 Jahren Haft. Das Unfaire an der Sache ist, dass denjenigen, die ursprünglich die Arbeitsgesetze verletzt haben, niemals der Prozess gemacht wird. Da besteht auch so ein grosser Widerspruch in der Anwendung der Justiz, in der eindeutig die Reichen bevorzugt werden. Die Lösung der Landkonflikte ist also ein weiterer Aspekt unseres Reformvorschlags. Frage: Sie erwähnten anfangs den Landfonds FONTIERRAS, der in den letzten Jahren sehr in die Kritik geraten ist. Welche Rolle soll er übernehmen und warum greifen Sie trotz allgemeiner Kritik doch auf diese Institution zurück? L.J.: FONTIERRAS ist die einzige Institution die auf Grundlage der Friedensabkommen in Funktion ist, mit der eigentlichen Aufgabe, die Umsetzung der Vereinbarungen hinsichtlich der Zugangssicherung zu Land für die BäuerInnen zu ermöglichen. Wir haben diesbezüglich eine Reihe von Problemen identifiziert. Eines der schwerwiegendsten ist eine generelle Funktionsschwäche der Institution. Seit Beginn seiner Gründung wurden massenweise Anträge auf Land eingereicht, die bislang noch nicht erfüllt oder gelöst wurden. Man muss einen umfangreichen und langwierigen bürokratischen Prozess durchlaufen, was die BäuerInnen oft abschreckt und verzweifeln lässt. Wir haben nun einige Vorschläge zur Verbesserung der Strukturen und der Funktionsweise des Fonds erarbeitet. Und wenn diese erfüllt sind, hoffen wir, dass die Institution funktionsfähig ist und ihre Aufgabe erfüllt. Es gibt nun einmal keine andere äquivalente und offizi- ell anerkannte Struktur. Und eine ganz neue aufzubauen, erfordert nicht nur Geldzuweisungen, sondern würde die gleichen Risiken in sich bergen, die FONTIERRAS gegenwärtigt. Ein wesentlicher Aspekt ist schliesslich die Tatsache, dass dem Fond noch kein einziges Mal der Etat überschrieben wurde, der ihm gemäss dem sozio-ökonomischen Abkommen zusteht und der im Jahr 300 Mio. Quetzales (ca. US-$ 3 Mio.) umfasst. In diesem Zusammenhang ist es zusätzlich problematisch, dass FONTIERRAS allein die Aufgabe hat, den BäuerInnen den Kauf von Land zu erleichtern. Ausgeschlossen davon ist jegliche Investition in produktive oder auch soziale Infrastruktur. Viele der zur Verfügung stehenden Fincas sind seit vielleicht 10 Jahren verlassen. Nun kommen die BäuerInnen ohne alles und ohne Basisinfrastruktur was sollen sie da machen? Deswegen bleiben auch sie nicht lange. Schliesslich kommen sie aus ihrem Dorf, wo sie immerhin eine Schule, Unterkunft, Wasser und Strom haben. Es ist also besser unter diesen Umständen weiterzuleben, als sich auf noch schlechtere Lebensbedingungen einzulassen. Frage: Aber wem gehörte denn das Land vorher? Und warum wurde es zur Verfügung gestellt? L.J.: Es gehörte den Grossgrundbesitzern. Für die stellte FONTIERRAS sogar einen gewissen Vorteil dar. In Guatemala gibt es eine grosse Nachfrage und wenig Angebote von Land. So konnten sie ihren Besitz zu einem guten Preis verkaufen. Auch die Kaffeekrise spielt eine Rolle. Viele Besitzer ziehen es vor, in der derzeitigen Situation ihre Fincas zu verkaufen. Viele dieser Fincas befinden sich neben den erwähnten Mängeln auch in ungünstigen Zuständen, was den Zugang zu ihnen angeht. Sie sind einfach weit ab vom Schuss. Das Anliegen von CNOC bezieht sich nun auf die Forderung, dass der gebilligte Etat auch wirklich dem Landfond überwiesen wird, damit es auch spezielle Haushaltstitel für Investitionen in Produktion und Infrastruktur geben kann, um minimale Voraussetzungen schaffen zu können und so ein Leben dort überhaupt erst zumutbar zu machen. Frage: Soll das über Kredite oder über Investitionen laufen? L.J.: Sowohl als auch. Es müssen Kredite für den Landkauf gegeben werden, aber es muss auch direkte Unterstützung von Investitionen geben. Zudem technische Beratung für die Kommerzialisierung und Weiterbildung. Wobei der Teil, der Ausgaben impliziert, wirklich subventioniert werden sollte. Und die Investitionen sollten zum Teil über Kredite laufen. Ein anderer Punkt unseres Reformvorschlags betrifft die Wiedererlangung von Ländereien mit Hilfe von Enteig- nung und Konfiszierung. Aber diese Themen sind sehr heikel zu diskutieren. Wir gehen es dennoch an. Schliesslich wurde es schon im Rahmen der Friedensabkommen diskutiert und darf nicht unter den Tisch fallen. Wir fordern nun die Enteignung oder Konfiszierung v.a. der Fincas, deren Verleihung nicht mit rechten, wenn nicht gar illegalen Mitteln zuging. Ländereien, die ursprünglich dem Staat gehörten und dann Militärangehörigen überschrieben wurden. Diese liegen vornehmlich im Transversalen Landstreifen des Nordens und im Petén. Für diese Enteignung existieren legale Mittel. Wenn es den politischen Willen der Regierung gäbe, dieser Vorschlag u.E. durchaus realisierbar. In diesem Rahmen fordern wir zudem die Enteignung der Fincas, die in Verbindung mit dem Drogenverkehr stehen. Und schliesslich die Fincas, die zur Geldwäsche genutzt wurden. Wir halten diesen Vorschlag für fachlich fundiert und haben es geschafft, eine Fachkommission zu gründen, in der HistorikerInnen, AnthropologInnen, AnwältInnen, AgronomInnen sitzen, die uns helfen einen professionell politischen Entwurf zu erarbeiten. Das ist zusammengefasst der Inhalt unseres Vorschlags zur Integralen Agrarreform. Und für diese erhoffen wir uns die politische Unterstützung, damit sie als zentrales und prioritäres Thema auf die Agenda des nächsten Konsultivgruppentreffens gesetzt wird, das für uns äusserst wichtig ist. |
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