Note "mangelhaft" für´s guatemaltekische Bildungswesen
Fijáte 322 vom 17. Nov. 2004, Artikel 5, Seite 4
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Note "mangelhaft" für´s guatemaltekische Bildungswesen
Guatemala, 10. Nov. Guatemala nimmt den letzten Platz der 35 lateinamerikanischen Länder in Sachen Bildungsqualität ein, so ein Bericht des UNFonds für Bildung, Wissenschaft und Entwicklung (UNESCO), der dieser Tage in Brasilien vorgestellt wurde. Diese Untersuchung analysiert die Fort- und Rückschritte in den Bereichen allgemeine Grundbildung, Geschlechtergerechtigkeit, Alphabetisierung Erwachsener und Qualität der Lehre in 2001 und 2002. Die Sorge der UNESCO dreht sich vor allem um die Beständigkeit des Bildungsmangels, der u.a. im Afrika der Subsahara, in den Arabischen Staaten, in Asien, Nicaragua und eben Guatemala massive Ausmasse angenommen hat. Die letzten beiden Länder platzieren sich unter den 137 untersuchten Nationen auf den Positionen 95 bzw. 98. Eine der Ursachen für diese Situation könnte die geringe Investition in den Bildungssektor sein, die in Guatemala 1.87% des BIP beträgt. Brasiliens BIP-Anteil für Bildung macht derweil 4,2% aus, in Südafrika werden 5,5% des Bruttoinlandsproduktes in die lernenden Generationen gesteckt. Dabei entsprechen die UNESCOEinschätzungen bezüglich Guatemala durchaus Resultaten anderer Evaluationen durch internationale Organisationen, Nichtregierungs-Organisationen, vom Bildungsministerium (MINEDUC) selbst und dem Entwicklungsprogramm der UN (PNUD), welches darauf hinweist, dass die herrschende Armut keine Entschuldigung dafür sei, ein so niedriges Bildungsniveau beizubehalten. Das Resümee des UN-Ressorts spiegelt zudem die Ergebnisse wider oder unterstreicht sie vielmehr, die wenige Tage zuvor als "Bildungstragödie" betitelt, den Wissensstand der guatemaltekischen SchülerInnen der Mittleren Reife in den Fächern Sprache und Mathematik kundtaten. Eine vom MINEDUC und der Universität San Carlos erarbeitete landesweite Prüfung hatte erschreckende Bilanzen zur Folge: Von den 61´157 SchülerInnen, die den Abschluss im Schultyp "diversificado" anstreben und an der Untersuchung teilnahmen, bestanden 9´658 die Prüfung im Fach Sprache/Literatur und 8´926 das Matheexamen. Das sind 17 bzw. 16% der Prüfungsteilnehmenden oder auch etwa jedeR Sechste. Weitere Daten machen das Ausmass des Missstands deutlich: In Mathe wird nur rund ein Drittel von dem gelernt, was laut Lehrplan gewusst werden sollte, im Fach Sprache ist es weniger als die Hälfte des eigentlichen Lernprogamms. Wem ist nun der Schwarze Peter zuzuschieben? Liegt es an den LehrerInnen, die ihre "Mission" nicht erfüllen und verantwortungslos den nachfolgenden Generationen die Qualifizierung vorenthalten, die für den Fortschritt des ganzen Landes nötig ist, die gleichzeitig jedoch wenig Möglichkeiten haben, sich selbst soweit fachlich oder methodisch zu qualifizieren, dass sie ihr Wissen überhaupt weitergeben könnten? Erst wenn es brennt, bequemen sich die Regierenden zu handeln, wenn auch erst einmal mit versichernden Stellungnahmen, dass unbedingt etwas passieren und eine Bildungsreform hermüsse, so Präsident Berger als Antwort auf die Meldung. Er benennt die fehlende Aktualisierung der Curricula, das Fehlen von Technologie in den Klassenräumen und die schlechten Zustände der Schulinstallationen als Hauptursachen des Problems. Dabei besteht schon seit längerer Zeit eine integrale Reformkommission, die zudem diverse Verbesserungsvorschläge erarbeitet hat. Doch Bildungsministerin María del Carmen Aceña verfolgt lieber ihre eigenen Ideen, mit denen sie jedoch meist auf Widerstand stösst. Nach oben |
Dieser drückte sich zuletzt gar in der Forderung verschiedener Bildungsorganisationen sowohl von DozentInnen- als auch von SchülerInnen- und Studierendenseite nach dem Rücktritt der Ministerin aus. Aceña wird dabei nicht nur fachliche Inkompetenz vorgeworfen, sie reizt mit ihren Entschlüssen vielmehr die Zumutbarkeitsgrenze bis aufs Äusserste aus. Die meisten öffentlichen Bildungseinrichtungen jeglichen Niveaus, von Vor- bis zur Berufsvorbereitenden Schule, entbehren qualitativer Infrastruktur und ausreichendem Lehrund Lernmaterial. Teilweise müssen die LehrerInnen aus eigener Tasche die Zeugnisse und Klassenbücher kaufen. Gravierende Umstände herrschen gerade in Vor- und Grundschulen, von denen viele über das Programm der selbstverwalteten Schulen (PRONADE) laufen. Dieses funktioniert über die Organisation von Elternkomitees und sollte ursprünglich zeitlich begrenzte Lebensdauer geniessen. Inzwischen wird stattdessen die fortschreitende Verbreitung von PRONADE-Schulen als voranschreitende Privatisierung des Bildungssektors bewertet. Dabei stehen den verantwortlichen Komitees selten ausreichend Gelder zur Verfügung, um aufgabengemäss die SchülerInnen mit Schulutensilien, Schulspeisung und eben einer angemessenen Schuleinrichtung zu versorgen. Die meist nur in einem "Orientierungskurs" instruierten ehrenamtlich engagierten Eltern sind zudem für die Verträge mit dem Lehrpersonal zuständig, wissen dabei jedoch nicht, wie hoch das Budget im nächsten Jahr sein wird, das ihnen vom MINEDUC überschrieben wird. Der Mühen für diese Organisation entledigt, erhebt das Ministerium jedoch an dem Punkt wieder Mitspracherecht, wenn es um die nötige Qualifikation derer geht, die zur Lehre zugelassen werden. Der nahe liegende Eindruck, der von organisierten LehrerInnen geäussert wird, lässt sich nicht verwehren: Erinnert doch die individuelle Vorlage von Originalen anstelle von Kopien und die Unterziehung der AnwärterInnen unter Einstellungstests, wodurch eine "technische, objektive und transparente Selektion gemäss den Bedürfnissen und den vorhandenen Geldern" gewährt werden soll, an die Praktiken der vorherigen Regierungspartei FRG, auf diese Weise vor allem regierungsaffines Personal einzustellen. In ähnliche Richtung schien Aceñas nicht realisierter Vorschlag kurz vor Ende des Schuljahres Ende Oktober zu gehen, die GrundschullehrerInnen zu freiwilligem Einsatz zu bitten, im Rahmen des Programms "Rettet die erste Klasse", für das 38 Mio. Quetzales zu rechtfertigen waren, noch vier Wochen ehrenamtlichen Nachhilfeunterricht zu erteilen, damit die 35´000 ErstklässlerInnen auch alle versetzt würden. Die aktuelle Krise ist nicht das erste Mal, das in Guatemala über die Bildungsmisere debattiert wird, wobei sich trotz Vereinbarungen und Versprechen bislang wenig geändert hat. Vor allem hat sich rein gar nichts an der Höhe des Etats verändert, der dem Bildungsministerium zur Verfügung gestellt wird. Der Spielraum für die Ministerin ist also durchaus begrenzt. Wieder bleibt also abzuwarten, ob sich nun etwas in Bewegung setzen wird oder das Problem aufgrund von politisch "relevanterer" Prioritätensetzung weiter auf die lange Bank geschoben wird. Dies wäre immerhin für die Betreibenden der weiterführenden Schulen, die teilweise in privater Hand sind, von Vorteil, war doch ihre erste Reaktion auf die Veröffentlichung der schmachvollen Prüfungsergebnisse ihre Weigerung, dass in diesem Rahmen auch die Namen der Bildungsstätten und ihr jeweiliges Abschneiden bekannt gegeben wird. Auch dieser durchgreifende Schritt obliegt einmal mehr dem Ministerium, um der Verschleierungen auf Kosten von SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen ein Ende zu machen. |
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