Polemik um neuen CICIACS-Vorschlag
Fijáte 353 vom 15. Feb. 2006, Artikel 1, Seite 1
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Polemik um neuen CICIACS-Vorschlag
Inmitten der apathischen Hilflosigkeit der Regierung, der völlig ausufernden Gewalt und Kriminalität zu entgegnen, die die Bevölkerung im ganzen Land in Angst und Schrecken hält und tagtäglich durchschnittlich mehr Tote am Tag fordert, als in den gewaltsamsten Zeiten während des bewaffneten internen Konflikts, startete Vizeminister Eduardo Stein Mitte Januar die ersten Lobby-Aktionen unter Abgeordneten, um deren Unterstützung für den erneuten Versuch zu finden, eine von den Vereinten Nationen unterstützte Untersuchungskommission für Illegale Körperschaften und klandestine Sicherheitsapparate (CICIACS) endlich ins Leben zu rufen. In diesen Tagen wurde der von der Regierung überarbeitete Vorschlag für die CICIACS veröffentlicht, nachdem die erste Version vor anderthalb Jahren aufgrund mutmasslicher Verfassungswidrigkeiten verworfen wurde. Nachdem Vize Stein im Dezember bei seiner Rückkehr aus New York die zugesagte Unterstützung der UNO für den zweiten CICIACS-Anlauf mitbrachte (siehe ¡Fijáte! 350), verkündete er nach seiner Reise nach Washington D.C. im Januar, dass die US-amerikanische Regierung bereits die finanzielle Unterstützung der geplanten Kommission in Aussicht gestellt habe. Teile des US-amerikanischen Kongresses betrachteten laut Stein das Projekt, das mit den UN verhandelt werden wird, mit Wohlwollen und zeigten wohl gar die Intention, den Aktionsrahmen dieser Institution auszuweiten, über die Menschenrechte hinaus hin zur Ermittlung des organisierten Verbrechens. Ob diese Perspektiven diejenigen überzeugen werden, die grünes Licht für die CICIACS geben müssen, sei dahingestellt. Der Weg bis zur faktischen Einsetzung ist steinig und, so meinen KritikerInnen, strategisch ungeschickt, sollte tatsächlich die Absicht verfolgt werden, dass die CICIACS Realität wird. Der erste geplante Schritt stellt die Zustimmung der nationalen Kongressabgeordneten und anschliessend das Einvernehmen sozialer Organisationen und des Menschenrechtsprokurats (PDH) voraus, bevor der Gegenstand überhaupt erst der Verhandlungspartnerin, den Vereinten Nationen vorgelegt wird. Es ist fraglich, wie viel von dem bisherigen Gehalt dann noch übrig ist. Schon jetzt wird die modifizierte Fassung des ersten Vorschlags von 2003 zerpflückt und konträr kritisiert. So beanstandet Mario Vásquez, Fraktionschef der Partei des Nationalen Fortschritts (PAN), dass der CICIACS-Vorschlag die nationale Souveränität verletze, indem er der Exekutive die Verpflichtung auferlegt, innerhalb eines bestimmten Zeitraums das für die CICICACS notwendige Gesetz zu verabschieden. Als "schwach" wird somit die Initiative Steins von Vásquez und seinen AnhängerInnen bewertet. Dagegen bemerkt Alba Estela Maldonado der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG), dass die Modifizierung des Originals weit über die Empfehlungen des Verfassungsgerichts hinausgehe und als viel zu weich resultiere, während Carlos López von der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) seinen Kommentar bildlich darstellt: "Sie haben der Initiative das Herz herausgerissen". Was ist nun aus dem ambitionierten Original geworden? Menschenrechtsorganisationen haben das Dokument bereits unter Augenschein genommen und stellen folgendes fest: Die Bemühung, das CICIACS-Abkommen den konsultierten Ansichten entsprechend zu verändern, öffnete die Möglichkeit, selbst grundlegende Inhalte zu verändern, die in der Befragung gar nicht genannt oder sogar als verfassungskonform bewertet worden waren. Eine schwerwiegende Modifizierung ist die Fassung der illegalen Körperschaften und klandestinen Sicherheitsapparate unter dem Konzept von "illegalen Gruppen". Auf der einen Seite öffnet dies den Aktionsrahmen, weicht jedoch gleichzeitig die Struktur- und Komplexitätsnatur der zwei Phänomen auf, die ursprünglich untersucht werden sollten. Nach oben |
Eine zweite gravierende Änderung ist die Beschränkung des Aktionsradius der CICIACAS, indem die Ermittlungen auf die Strukturen begrenzt werden, die als verantwortlich für die Angriffe gegen eine Reihe von MenschenrechtsaktivistInnen und Justizangestellte gelten. Dabei bleibt das Dokument ungenau. Der ursprüngliche CICIACS-Text dagegen präzisierte vom ersten Moment an das Ersuchen, dass die Ermittlung bis auf die individuelle Ebene der Verantwortlichen führe und beschränkte die Ermittlung nicht auf die Illegalen Körperschaften und klandestinen Sicherheitsapparate (CIACS). Nun dürfen Verdächtige, gegen die die Institution ermittelt, also nicht namentlich im Abschlussbericht der Kommission stehen. Auch wenn die Befugnis beibehalten wurde, dass die CICIACS ermitteln darf, belässt die explizite Nichterlaubnis, einen Strafprozess anzuführen bzw. vor der Staatsanwaltschaft das mögliche Begehen von Verbrechen anzuzeigen, die Kommission gefährlich nah in dem Stand einer Wahrheitskommission, da sie von Dritten abhängig ist. In diesem Passus des Dokuments gibt es ebenfalls inhaltliche Widersprüche. Auch wenn alle Aspekte im Zusammenhang mit der Teilnahme am Strafprozess als Nebenklägerin ursprünglich als verfassungskonform deklariert worden waren, wird nun just diese Teilnahme untergraben. Dies schränkt die Optionen für das Einreichen von Einsprüchen ein. Bevor die CICIACS nun als Nebenklägerin auftreten darf, muss sie belegen, dass es sich in dem bestimmten Fall auch wirklich um eine Verletzung der Menschenrechte handelt. Erfahrungsgemäss ist es ein Leichtes für die verteidigenden Anwälte, Organisationen mit diesem Status von dem Prozess auszuschliessen. Die Eliminierung der Ermächtigung zur Ermittlungsverfahrensführung bzw. spezieller Nachforschungsberechtigungen, hat zur Folge, dass im Falle von rechtlichen Behinderungen im Ermittlungsprozess der CICIACS die Hände gebunden sind. Diese Befugnis hatte die UNO expressis verbis in ihrem fachlichen Gutachten beantragt und entsprach nicht dem ursprünglichen Antrag der Regierung Guatemalas. Mit der Beschränkung der Verpflichtung seitens der Regierung zur Informationsweitergabe, wird die CICIACS in die gleiche Kategorie gesteckt wie die Historische Wahrheitskommission CEH. Als bestes Beispiel dafür dienen aktuell die Archive der Nationalpolizei (PN), die schriftlich vom Präsidenten der Republik negiert worden waren und heute mit all ihrem Inhalt ans Tageslicht kommen. Gestrichen ist die Immunität für nationales CICIACS-Personal, was dessen Beteiligung einschränkt und damit ein grosses Risiko darstellt. Die Kommission bedarf nationalen Personals sowohl zur administrativen Unterstützung sowie für das Auftreten als Nebenklägerin, beschränkt das Gesetz diese Option doch auf guatemaltekische AnwältInnen. Gestrichen ist die Verpflichtung, einen speziellen Kontakt innerhalb der Staatsanwaltschaft (MP) aufzubauen, über den die Verbindung gehalten wird, auch werden keine speziellen Abteilungen innerhalb des MP genannt. Gestrichen ist zudem die mögliche Anstellung von polizeilichem oder militärischem Personal als ExpertInnen. Somit wird der UNO nicht erlaubt, eine dieser Institutionen damit zu beauftragen, sich um die Sicherheit der CICIACS-Angehörigen zu kümmern, die aufgrund ihrer Arbeit in ständiger Gefahr sein werden. Und schliesslich ist auch die absolute Unabhängigkeit der Kommission verwässert, indem nun unerwähnt bleibt, dass sie keine Anweisungen weder von irgendeiner Regierung noch von anderer Quelle akzeptieren dürfe. Die Öffnung des Verhandlungsprozesses wird zeigen, ob es möglich ist, einige der Zähne, die der CICIACS mit dem jetzigen Vorschlag gezogen wurden, wieder einzusetzen, denn, so das bildliche Resümee der AnalystInnen, was sie jetzt hat, ist eine schlecht sitzende Prothese, die beim ersten Schlag herausfällt. |
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