Die Zukunft in Händen der LehrerInnen und der Autoritäten
Fijáte 354 vom 01. März 2006, Artikel 1, Seite 1
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Die Zukunft in Händen der LehrerInnen und der Autoritäten
Der Beginn des Schuljahres 2006 ist erneut zahlreichen Erschütterungen ausgesetzt. Noch ist nicht einmal der zweite Monat vergangen und schon haben wir wiederholt tausende von Lehrerinnen und Lehrern auf der Strasse gehabt, die ihren Unmut hinsichtlich der Entwicklung der Bildungspolitik der aktuellen Regierung demonstrieren. Währenddessen passiert die Erziehungsministerin María del Carmen Aceña die Gänge des Kongresses auf dem Weg zur "Anklagebank" im Parlamentssaal zur Fortsetzung der parlamentarischen Anfrage und eine Menge Mädchen und Jungen warten neugierig auf all das, was zu lernen ist und was ihnen erlaubt, sich zu entwickeln und ihre Horizonte zu erweitern. In der Zwischenzeit hat die Opposition im Kongress der Ministerin das Misstrauen ausgesprochen, Präsident Berger und sein ministeriales Equipe halten ihr derweil die Stange. Silvia Orozco Santisteban erläutert im ersten Teil des folgenden Artikels die Hintergründe der OpponentInnen, erschienen in incidencia democrática. Hinsichtlich des Tauziehens zwischen LehrerInnenschaft und Autoritäten muss man die Vorgeschichte kennen, um die Situation zu verstehen. Auf der einen Seite ist die Zusammensetzung des Bildungsressorts zu betrachten, angefangen bei der Ministerin selbst, die von einem Studienzentrum (Zentrum für nationale Wirtschaftsstudien - CIEN) kommt, das sich eindeutig zum Privatsektor zählt und die das Nationale Selbstverwaltungsprogramm zur Bildungsentwicklung (PRONADE) vorangetrieben hat. Dieses Programm entstand 1996 mittels einer Regierungsvereinbarung mit dem Ziel die "lokale Organisation zu stärken, um die Entwicklung der Gemeinden zu erreichen, die Beteiligung von Vätern und Müttern der Familien als Verantwortliche für die Erziehung ihrer Söhne und Töchter zu fördern sowie die Bildungsdienstleistungen zu dezentralisieren. Dabei stützt sich das Programm auf die Prinzipien der Solidarität, BürgerInnenbeteiligung, Verwaltungseffizienz und Stärkung der Demokratie und funktioniert über lokale Bildungskomitees (COEDUCAs). Diese Komitees sind gesetzlich verankert und haben die Aufgabe, das Bildungssystem in der jeweiligen Gemeinde zu verwalten, unterstützt durch das Bildungsministerium. Der Erfolg des PRONADE, die nationalweite Abdeckung der Grundschulbildung erreicht zu haben, gründet sich auf der Deregulierung der Arbeitsbeziehungen der LehrerInnen, das heisst, dass es mittels der COEDUCAs die Eltern sind, die die Verantwortung für die Verträge und Kündigungen der LehrerInnen tragen, für deren Gehälter, dafür, sie zu evaluieren und sie dabei zu unterstützen, ihre Arbeit erfolgreich zu leisten. Unterdessen wird der Staat ausserhalb jeglicher Arbeitsbeziehung mit dem Lehrkörper gehalten, der seinerseits keinerlei Zusatzleistungen erhalten und den Entscheidungen der Elternkomitees ausgeliefert ist. Dies - nur als Beispiel genannt - ist ein weiterer Rückschritt des guatemaltekischen Staates, der auf illegale Weise seine eigene Verantwortung den Eltern aufoktroyiert. Deswegen wird auch behauptet, dass die Bildung privatisiert werden soll. Aber, warum haben das Bildungsressort und speziell die Ministerin einen so guten Stand innerhalb der aktuellen Regierung? Die Antwort ist einfach: Die Ministerin hat diesen Sprung Dank der Unterstützung des grossen Unternehmertums und der Medien geschafft. Beziehen wir uns auf konkrete Aspekte, gab es keinen praktischen Erfolg, der vorzuweisen war, es handelte sich vielmehr um Kampagnen mit Unterstützung der Privatinitiative, denn man kann nicht als Fortschritt die Erkenntnisse bezeichnen, die uns allen bekannt sind: die mangelhafte Vorbereitung der LehrerInnenschaft und ebenso die Schwächen, die die SchülerInnen bei Evaluationen aufweisen. Eine grundlegende Frage würde besser lauten: Was hat die Ministerin getan, um diese schwerwiegenden Probleme zu lösen? Obendrein ist ihre mangelnde Fähigkeit hinsichtlich Gesprächen und Verhandlungen bekannt, was sie den LehrerInnen, aber auch Abgeordneten der Opposition und sogar denen der Regierungspartei gegenüber mehr als bewiesen hat. Aber dabei hat sie einen noch schwereren Fehler begangen: Sie hat die Konsultivkommission für die Bildungsreform im Prozess dieser Reform aussen vorgelassen. Diese Kommission entstammt den Friedensverträgen und hat während der Amtszeiten der Ex-Präsidenten Álvaro Arzú und Alfonso Portillo ernsthafte und wichtige Beiträge geleistet, fachlich fundiert und mit dem Mehrweit, einen weitreichenden Konsens darzustellen. Auf der anderen Seite finden sich die LehrerInnen, vertreten durch die Nationale LehrerInnenversammlung (ANM), die die Fähigkeit gehabt hat, sich als eine Instanz zu präsentieren, die einen heterogenen und vielfältigen Lehrsektor vereint, einen der wenigen fordernden Instanzen der Arbeitenden mit der Fertigkeit des Aufrufs und der Mobilisierung ihrer Leute. Doch gleichzeitig krankt sie an der Unfähigkeit, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, die es ermöglicht, dass die gemeine Bevölkerung ihre gerechtfertigten Forderungen verstehen kann. Doch dieses Leiden betrifft nicht ausschliesslich die ANM, sondern ist weit verbreitet in den sozialen Organisationen. Das Unterstützungsangebot von zahlreichen Institutionen oder Personen mit alternativen Mitteln ist in ihrer Kampfstrategie nicht in Betracht gezogen worden, schlimmer noch, sie kümmern sich noch nicht einmal um die Verbreitung ihrer Kommuniqués. Dies ist bis zu einem bestimmten Punkt verständlich, nimmt man das Gefühl des Gremiums, das sehr in ihnen verwurzelt ist, auf der anderen Seite schafft man es jedoch nicht, aufzuzeigen, welche Unterstützung andere Gremien zur Stärkung der Forderungskämpfe leisten könnten. In diesem Zusammenhang ist die erwähnte Unterstützung zu nennen, die die Ministerin Aceña von Seiten der kommerziellen Kommunikationsmittel geniesst, die auf sehr unterschiedliche Weise von den Forderungsaktionen des Lehrkörpers berichten, wenn sie sich auf Themen wie dessen Ablehnung des Freihandelsabkommens TLC berichten im Vergleich zur Darstellung von Uneinigkeiten mit der Bildungsministerin. Bis jetzt wurde der späte Vorschlag des Ministeriums, einen Rundtisch einzurichten, teilweise von der ANM abgelehnt, einige machen ihrer Teilnahme davon abhängig, wer an diesem Tisch sitzen soll. Auf dem Spiel steht nicht einfach nur, wer wen besiegt, sondern grundlegende Veränderungen im nationalen Bildungssystem zuwege zu bringen. Denn Guatemala kann nur in dem Masse aus seiner Unterentwicklung herauskommen, wie seine EinwohnerInnen eine bessere Bildung erreichen. Das MisstrauensvotumNach der anhaltenden Kritik durch den LehrerInnensektor und dessen Forderung, die Bildungsministerin solle zurücktreten, nahm sich Anfang Februar der Kongress des Themas an und unterzog Maria del Carmen Aceña einer, im Endeffekt drei Wochen anhaltenden Parlamentarischen Anfrage, mittels der Zweifel an der Arbeit der Ministerin geklärt werden sollten. Der die Anfrage initiierenden Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE) schlossen sich schliesslich zahlreiche Oppositionsparteien an. Auch die Integracionistas die das Zünglein an der Waage darstellten, liessen sich überreden, so dass im entsprechenden Moment 88 Abgeordnete der Bildungsministerin das Misstrauen aussprachen, 43 dagegen stimmten und 27 Kongressmitglieder der Entscheidung durch Abwesenheit auswichen. Für die Gültigkeit - im ersten Schritt - dieses Misstrauens, bedurfte es einer absoluten Mehrheit, mindestens 80 Stimmen. Die Regierungspartei Grosse Nationale Allianz (GANA) hatte somit keinen Erfolg, ausreichend Unschlüssige mittels Verhandlungsvorschlägen in Bezug auf Gesetzesverabschiedungen oder Projekte auf ihre Seite zu ziehen. Das letzte Wort hat auf legaler Ebene dennoch der Präsident, der nach Aceñas Niederlage im Kongress, seiner Ministerin den Rücken stärkte und mit dem Aufgebot seiner gesamten MinisterInnenschaft bei einer Pressekonferenz bekannt gab, dass die Ministerin im Amt bliebe. "Heute hat der Ministerrat die einstimmige Entscheidung getroffen, den (nach einem Misstrauensvotum obligatorische, die Red.) Rücktritt von María del Carmen Aceña aus dem Bildungsministerium nicht zu akzeptieren, damit sie die Gelegenheit hat, weiterhin die Veränderungen voranzutreiben, die das Land braucht", kommentiert Óscar Berger. Der Staatschef unterstrich zudem die Notwendigkeit des Dialogs, nicht nur mit den DozentInnen, sondern mit allen Sektoren, um jene strukturellen Modifikationen zustande zu bringen, die die Lehre braucht. Nach oben |
Dabei kündigte er drei Gesetzesinitiativen an, um die Bildungsreform zu bewerkstelligen. Die Vorschläge beinhalten die Dezentralisierung der Fonds, die Verbesserung der Gehälter in diesem Ressort und die Schulinfrastruktur. Aceña zeigt sich indes tapfer: "Ich fühle mich durch den Präsidenten Óscar Berger und Eduardo Stein unterstützt. Wir befinden uns in einem transzendentalen Moment für das Land und müssen weitermachen, um die Veränderungen herbeizuführen. (…) Mein Traum ist es, viele der Albträume der GuatemaltekInnen zu überwinden; ich ziehe es vor, diese Aggressionen nicht zu spüren, denn ich glaube, das tut niemandem gut. (…) Wir insistieren mit dem Dialog, denn es gibt keine andere Form Vereinbarungen zu erreichen. Die Kommunikation wird sich verbessern, damit die DozentInnen keine falschen Botschaften erhalten. Doch die LehrerInnen bleiben hart und kritisieren die Entscheidung Bergers. "Auch wenn der Präsident und der Ministerrat María del Carmen Aceña unterstützt, vertritt sie im Bildungsressort für die LehrerInnenschaft nicht mehr die Interessen der Lehre und hat ihre Legitimität verloren", so die klaren Worte von Joviel Acevedo, Anführer der Nationalen LehrerInnenversammlung. Nicht zu negieren ist denn auch, dass die Regierung sich erst nach dem Misstrauensvotum dazu herabgelassen hat, sich mit den LehrerInnen zusammenzusetzen und sie in die Formulierung der Bildungsreform mit einzubeziehen. Dementsprechend kommentiert der Redaktionschef der Tageszeitung Prensa Libre: Der grösste politische Fehler dieser Regierung und ihrer Ministerin in ihrer Sicht des Konflikts mit dem Lehrkörper, war es zu denken, dass man die Erziehung des Landes ohne die Lehrer und Lehrerinnen ins Rollen bringen könnte. Das ist ein schwerwiegender Beweis für die politische Kurzsichtigkeit. Wenn wir verantwortungsbewusst sind, ist es notwendig in Betracht zu ziehen, dass es sich um rund 80 Tausend Mitglieder des grössten Gremiums des Landes handelt. Dieses besteht auf nationale Ebene und entgegen der oberflächlichen Anschuldigungen, haben sie tatsächlich einen Vorschlag für die Bildungsreform, die angelehnt ist am Geist der Friedensverträge. Diejenigen, die die Ministerin verteidigen, negieren die Privatisierungsabsichten der Bildung, die von diesem Ressort aus vorangetrieben wird. Das sind die Fakten. Da ist die Anstellung von ca. 12'000 LehrerInnen, auf Vertragsbasis, ohne die minimalen Arbeitsrechte, gemäss dem Denken der Jobvergabe in Fabriken. Ein anderer Punkt ist das vom Ministerium angeregten und akzeptierten Kassieren von Einschreibgebüren, die gemäss Menschenrechtsprokurat in allen öffentlichen Schulen erhoben werden und sich zwischen 80 und 150 Quetzales belaufen, während die öffentliche Bildung laut Gesetz gratis ist. Allein diese zwei Beispiele weisen in Richtung Privatisierung der Bildung, da können sie sagen, was sie wollen. Schwerer wiegt noch, dass der Protest der LehrerInnen dargestellt wird, als käme er von wenigen. Nein, Herr Berger, es sind tausende auf nationaler Ebene. Und als Lektion der politischen Geschichte, erinnere ich nur daran, dass die ehemaligen Präsidenten Vinicio Cerezo und Alfonso Portillo die Stärke des Gremiums kennen gelernt haben, die Verunglimpfungen wie "Politisierung" oder "Manipulation" ertragen hat, doch letztendlich haben die Regierungschefs die Lektion gelernt: man kann nicht an die Bildung denken ohne die LehrerInnen, und es ist auch nicht der Moment für Experimente. Das Misstrauensvotum des Kongresses löst nicht die Dringlichkeit einer Bildungsreform, die die Friedensverträge wieder aufnimmt. Und Achtung: Der Dialog ist da für die Suche nach Lösungen und nicht, um zu versuchen, Forderungen zu entschärfen." Und so schlich sich in den aktuellen Konflikt zwischen Ministerium und LehrerInnenkollegium noch eine dritte Position, die denn auch die schärfste Kritik rund um das Misstrauensvotum hervorrief: Dem Kongress wurde vorgeworfen, die Auseinandersetzung in ein wahlpolitisches Spektakel zu verwandeln und die Figur der Bildungsministerin als Exempel zu statuieren, auf der einen Seite als Zeichen der Macht des Präsidenten als letzter Entscheidungsträger, auf der anderen Seite als Zeichen für die Schwäche desselben als Regierungschef und seiner Equipe. Trotz aller nicht zu leugnenden Fehler und Unfähigkeiten der Ministerin hat diese - nicht ohne das Zuspielen des Balles durch die anhaltenden Kritik der LehrerInnen an ihrer Administration - das Thema der Bildung auf die nationale Agenda gehoben und einen historischen Präzedenzfall geschaffen, indem sie mit der Tradition brach und sich nicht mit den Abgeordneten auf Verhandlungen über die Lehrstellenvergabe in den Departements einliess, die diese üblicherweise für ihre parteipolitischen Verpflichtungen instrumentalisiert haben. So stellt die Parlamentarische Anfrage für manche weniger die Absicht dar, tatsächlich einen möglichen Niedergang der Bildungsamtsführung zu beweisen sondern um ein Kräftemessen und den Anstieg in der politischen Gunst des LehrerInnengremiums. Trotz der Bereitschaft von Seiten einiger Kongressabgeordneten, sich zum Gespräch zu finden, bleibt fraglich, wieweit während des Restes der GANA-Regierung die Spuren der Auseinadersetzung das politische Handeln derselben behindern. Auf der Legislativagenda stecken die Diskussionen um zahlreiche, aktuell mehr als drängende Gesetze fest: das Waffen- und Munitionsgesetz, jenes zum Kampf gegen das Organisierte Verbrechen, das zur Schaffung des Nationalen Instituts für Forensik, das zu Privaten Sicherheitsunternehmen und zum Gefängnissystem. Im sozialen Bereich stehen aus die Gesetze zur Ländlichen Entwicklung und dem Schutz von Kleinst-, Kleinen und Mittleren Unternehmen. Das Justizressort entbehrt derweil einer Billigung der Reformen des Gesetzes zu Aspekten der Festnahme Verdächtiger, des Strafkodices zur Definition der häuslichen Gewalt als Verbrechen und des Strafprozesskodices, um nur die dringlichsten Entscheidungen zu nennen. |
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