Bilanzvorlage 2006
Fijáte 377 vom 24. Jan. 2007, Artikel 6, Seite 4
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Bilanzvorlage 2006
Guatemala, 19. Jan. Óscar Berger hat drei von vier Jahren seiner Regierungszeit hinter sich gebracht und greift nun auf eine eher unübliche Form zurück, seinen Jahresbericht vorzulegen: im Fernsehen und nicht persönlich vor dem Kongress. Stattdessen schickte er seine Sprecherin mit dem Dokument ins Parlament, die sich beschränkte darauf hinzuweisen, dass die Berichterstattung per Verfassung Exekutivpflicht sei, die persönliche Überbringung desselben jedoch nicht. Für Erwin Pérez bewertet diese Haltung in seinem Leitartikel in incidencia democrática als klare politische Entscheidung, male doch der Bericht die Verbesserung im Land in den schönsten Farben. Demnach haben sich in den letzten drei Jahren die Staatsinstitutionen wieder erholt, das Thema Soziales sei zu Gunsten der GuatemaltekInnen gestärkt worden, die prekäre Wirtschaftslage habe sich bis zu einem Wirtschaftswachstum von über 4,5% verbessert (in 2004 lag es bei 2,7%), alles Dank der enormen Arbeit der Autoritäten. Die Steuereinnahmen seien seit langem die höchsten, die Steuerbehörde habe erfolgreich die Kontrolle über Häfen und Zollstationen übernommen und generell habe es grosse Erfolge gegeben, Transparenz in die Mittelbewirtschaftung zu bringen. Derweil, so Pérez, zeichnet die Regierung in den Bereichen Bildung und Gesundheit Erfolge, die denken liessen, dass Guatemala tatsächlich vorankommt. Wenig glaubwürdig, aber gut beschönigt, behaupte der präsidiale Bericht, dass die innere Sicherheit gestärkt wurde durch den Kauf von Ausrüstung und die Anstellung von mehr PolizistInnen. Während seines ausführlichen Berichts im Fernsehen, der begleitet wurde von schönen Bildern der getätigten Regierungsarbeit, beobachtet Pérez den Präsidenten als gelassen und zufrieden. Die erste Antwort auf die Frage, warum er nicht im Kongress vorstellig geworden ist, findet der Politanalyst in der realistischen Vermutung, dass jeder aufgezählte Erfolg ein "aber..." nach sich zieht. Am Sonntag, dem 14. Januar, dem Tag der Sitzungseröffnung des Parlaments, zu dem traditionell der präsidiale Bericht gehört, führte eine Gruppe von LehrerInnen und GewerkschafterInnen eine friedliche Demonstration im Stadtzentrum an, dessen Ziel es war, zu verhindern, dass der Präsident seinen Bilanz verlese. Auch wenn schon am Tag vorher bekannt war, dass Berger nicht auftauchen würde, waren Hundertschaften der Polizei angerückt, ausgestattet mit Antiaufstandsausrüstung und begleitet von Leuten der Präsidialen Sicherheit, die keine Hemmungen hatten, ihre Gerätschaften gegen die DemonstrantInnen einzusetzen, die Opfer von Aggressionen, Gummigeschossen und Tränengas wurden. Die Sicherheit des Präsidenten wäre im Zweifel also gesichert gewesen, die Hypothese, er sei aufgrund der angekündigten Demo nicht im Kongress erschienen, ist also eher schwach. Vielmehr, so vermutet Pérez, schien Berger die Abgeordneten zu fürchten und das, was ihm im Parlament passieren könnte. Schliesslich verfügt die Regierungspartei schon längst nicht mehr über die notwendige Rückendeckung, um den Amtsträger verteidigen zu können. So sieht Pérez in Bergers Nicht-Erscheinen auf zwei Ebenen eine deutliche Unfähigkeit innerhalb der regierenden Partei. Zum einen im Kongress selbst, wo es den Regierungsparteiabgeordneten nicht gelingt, von der Opposition die Garantie zu verlangen, den Präsidenten ohne offenen Kritik und Pfeifkonzert im Kongress seinen Diskurs halten zu lassen. Zum anderen fehle es Berger an Kühnheit und Vision angesichts der Tatsache, dass er in seinem letzten Jahr am dringendsten Brücken der Verständigung und des Konsenses mit der Opposition brauche anstatt sich jetzt von den Kongressfraktionen zu distanzieren. Ab jetzt obliegt der Regierung also eine zusätzliche Aufgabe. Sie muss versuchen, während eines Wahljahres mit einer Opposition zusammen zu leben, die heiss auf mehr Macht ist, und die erste Übung des Überlebens wird es sein, eine minimale Gesprächsebene mit den übrigen Parteien zu finden. Das ist unabdingbar, um grundlegende Vereinbarungen für den Anstoss von Gesetzen zu erreichen, vor allem die ausstehenden in Sachen Sicherheit. Doch das Kabinett ist ohnehin deutlich abgetakelt, haben doch nicht wenige hohe und mittlere FunktionärInnen ihr Amt bereits niedergelegt, um bei den Wahlen im September auf einen Sitz im Kongress zu spekulieren. Dieses sind Eduardo Castillo, Kommunikationsminister, zuständig für Verkehr und Infrastruktur, Marcio Cuevas, Wirtschaftsminister, Édgar Ajcip, Leiter des Friedensfonds FONAPAZ, José Gándara, Vize-Sportminister, Efraín Oliva, stellvertretender Staatssekretär, Staatssekretär Carlos Fión, der erst im letzten Jahr angetretene Gesundheitsminister Víctor Manuel Gutiérrez sowie Fraktionschef Jorge Méndez Herbruger. Noch überlegen mindestens drei andere AmtsträgerInnen, ob sie, für welche Partei auch immer, in den Kongress einziehen zu hoffen wagen sollen: die Regierungssprecherin Rosa María de Frade, Friedenssekretärin Norma Quixtán und last but not least Frank LaRue, Präsidialer Menschenrechtskommissionär. Nach oben |
Und eine weitere neue Nachricht hat die Regierungspartei Grosse Nationale Allianz (GANA) zu Beginn des Wahljahres zu verkünden. Mit "wissenschaftlicher" Methode hat sie nach den Kandidatenskandalen im letzten Jahr und der verschärften Bankenkrise (siehe separater Artikel) ihren Präsidentschaftsaspiranten gekürt: Alejandro Giammattei, inzwischen Ex-Direktor des Gefängnissystems, der sich Mitte letzten Jahres vor allem dadurch in der Öffentlichkeit einen Namen machte, das Gefängnis "Pavón" von Polizei und Militär gestürmt zu haben, wodurch dem Anschein nach die Kontrolle über die Haftanstalten generell zurück in die Hand der offiziellen Autoritäten gelangt ist. Einen Schatten trägt diese Aktion derzeit noch für Giammattei, hat das Menschenrechtsprokurat in seinem entsprechenden Bericht doch extragerichtliche Hinrichtungen und exzessive Gewaltanwendung testiert. (siehe ¡Fijáte! 375) Der damalige Direktor dementiert, muss jedoch noch gerichtlich der (Mit-)Verantwortung entlastet werden. Während er ankündigte, seine Kampagne werde nicht aus Liedchen, sondern Vorschlägen bestehen, irritieren die ersten Beobachtungen, dass bei seinen Antrittsrunden in GANA-Kreisen wiederholt öffentliche Mittel ausgegeben wurden. So wie mancher Erfolgsgeschichte Bergers von sozialen Organisationen und auch dem UN-Menschenrechtshochkommissionär widersprochen wurde, welcher entgegen des Präsidenten einen weiteren Verfall der Menschenrechte in Guatemala observiert, stimmen auch die genauen Angaben der Gewaltstatistiken von Innenministerium und Polizei (PNC) einmal mehr nicht überein. Doch die Tendenz kongruiert: In 2006 wurde die Zahl an gewalttätigen Todesfällen des Vorjahres deutlich überstiegen. Waren es 2005 noch 5´338 (PNC: 5´336), wurden im letzten Jahr bis Mitte Dezember vom Innenministerium 5´629 gewaltsam zu Tode Gekommene gezählt, die PNC gibt bis Ende des Jahres gar 5´885 Morde an, von denen 670 weibliche Opfer waren. Und die kombinierten Patrouillen werden wohl auch weiterhin - wie erwartet - keine Reduzierung dieser Zahlen mit sich bringen, sind doch allein am ersten Wochenende 2007 30 ermordete Menschen ins Leichenschauhaus gebracht worden. Zumindest soll nach offiziellen Angaben die "allgemeine Kriminalität", sprich Banküberfälle, Entführungen, Autodiebstähle und Wohnungseinbrüche zurückgegangen sein. Jedenfalls, was die angezeigten Fälle angeht, hat die Justiz doch immer noch keinen Quantensprung in Richtung Funktionieren getan und die Sicherheit für ZeugInnen ist alles andere als garantiert. |
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