Die Friedensverträge - immer noch eine gute Idee?
Fijáte 376 vom 10. Januar 2007, Artikel 5, Seite 5
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Die Friedensverträge - immer noch eine gute Idee?
Zum Abschluss eine Analyse, den Leitartikel aus dem Bericht Guatemala Nr. 58, der 14-täglichen Internetzeitschrift der Stiftung DESC. (http://www.fundadesc.org/InformeG/index.htm) Am 29. Dezember wurde die erste Dekade der Unterzeichnung der Friedensverträge feierlich begangen, die 40 Jahre der internen bewaffneten Konfrontation beschlossen. Diese war gekennzeichnet durch den unverhältnismässigen Gebrauch repressiver Methoden, um den sozialen Protest zu unterdrücken und die politische Dissidenz, selbst die moderate, zu hemmen. Die Abkommen übertrafen das traditionelle Format des Waffenstillstandes in anderen Ländern und wurden vorgeschlagen als Roadmap für die sozio-politische Modernisierung Guatemalas. Mit ihnen sollten die Auslöser der in den 60er Jahren begonnenen bewaffneten Rebellion aus der Welt geschaffen werden, deren Hauptanliegen die Garantie grundlegende Rechte und die Umsetzung aller aus der demokratischen Periode von 1944 bis 54 herausgegangener Forderungen waren. Doch es gab nicht viele Gründe zum Feiern, die über die Anerkennung des Nicht-Wiederaufkeimen der systematischen politischen Gewalt und Zurkenntnisnahme der deklaratorischen und programmatischen Ansätze, die Abkommen in die staatlichen wie sozialen Agenden aufzunehmen, hinausgingen. Dies löste immerhin einige, noch langsame und schwache Prozesse der lokalen und nationalen Stärkung aus. Freilich gilt es auch, die überschäumende, wenn auch noch diffuse Dynamik von AkteurInnen zu erwähnen, die die "gesellschaftliche Vielfalt" in der Politik vertreten. Bisher konnten auf diese Weise die Machtverhältnisse jedoch noch nicht verändert werden, die sich in der sozialen Mobilisierung, wirtschaftlichen Mobilität und im wahlpolitischen Auftrag ausdrücken. Die Last der oligarchischen Geschichte des Landes wird durch die neuen Bedrohungen der transnationalen Sicherheit, der globalen Wirtschaft, der aufgeschobenen institutionellen Staatsreform und deren ärmliche Sozialinvestition verschärft. Auch zur Lösung der Knoten im Rechtsstaat haben die Abkommen bislang noch nicht beigetragen (vielleicht dienten diese vielmehr als Vorwand, um die Vergangenheit zu immunisieren, was die gegenwärtige Straflosigkeit des Verbrechens und der schmutzigen Geschäfte gleich mit umfasst). All dies sind Aspekte, die dazu führen, dass die Mehrheit der Analysen und Friedensbilanzen in diesen Tagen von Pessimismus durchzogen sind. Doch die allgemeine Vorstellung einer weniger unterdrückten, weniger unsicheren und weniger ungleichen Gesellschaft ist in den Abkommen und spezifischen Vereinbarungen vorhanden und zeichnet sich auch heute, dreidemokratische Dekaden nach Friedensunterzeichnung, weiterhin in der Skizze eines zukünftigen reformistischen Sozialpaktes ab. Der Sieg der guatemaltekischen Armee war ein Leichtes nach einem Jahr der militärischen Offensive, die im September 1981 startete. Sie gewann in dem Sinne, dass sie die so genannte Aufstandsbedrohung erstickte und anschliessend mit der Unterstützung der politischen Parteien und den Vertretungen der Unternehmenskreise die Macht des Staates stabilisierte bis sie das wirtschaftliche Wachstum wieder erreichte und die bürgerliche Normalität wieder einkehrte. Doch sie gewann nicht im konventionellen Sinne, und zwar in der Eroberung der bedingungslosen Aufgabe des Feindes, der URNG. Die Friedensverhandlungen zogen sich über mehr als ein Jahrzehnt und stellten die explizite Einsicht dar, dass der Frieden im Wesentlichen kein militärischer, sondern ein sozialer sein müsse, was fortschrittliche Obliegenheiten der staatlichen Modernisierung implizierte. Heute stellt sich die Frage, warum sich die Grundprämissen dieser zentralen Erneuerungsaufgaben während der vergangenen zehn Jahre nicht erfüllt haben. Die AnalystInnen stimmen darin überein, dass die Friedensverträge, die sich bereits quer durch drei aufeinander folgende, gewählte Regierungen gezogen haben, durchaus gewissenhaft von den involvierten AkteurInnen unterzeichnet wurden, selbst von denjenigen, die gesellschaftlich gewichtig waren, jedoch nicht direkt an den Verhandlungstischen teilnahmen. Grundsätzlich lassen sich diese Vereinbarungen in drei Themen zusammenfassen: die multiethnische Nation, die Staatsreform und eine bessere Beachtung sozialer Angelegenheiten. Wenn wir heute in der guatemaltekischen Elite eine Meinungsumfrage machen würden, bestätigten sicher alle, dass diese Themen unverzichtbar sind für das wirtschaftliche Wachstum und die vorteilhafte Eingliederung in die Globalität. Unverzichtbar auch zur Festigung der Demokratie und zur Bannung zukünftiger sozialer und ethnischer Konflikte, zur Linderung der Armut und Verkleinerung der Ungleichheitskluft oder zur Absicherung des Rechtsstaates und dafür, auf einen Staat zählen zu können, der der Bilanz zwischen Markt (ohne Gesellschaft) und der Gesellschaft (ohne Markt) treu bleibt. Kurz gesagt, unverzichtbar, damit alle ein bisschen begünstigt werden, aber niemand zu schwerwiegendem Schaden kommt. Schliesslich erschien dies zumindest in der Theorie eine realisierbare, weil notwendige Formel zu sein. Doch so einfach war es nicht. Unter Berücksichtigung der Kräfte, die zusammentrafen, und dem Moment, in dem die Verhandlungen sowie die Unterzeichnung der Verträge vonstatten gingen, können wir das wie folgt zusammenfassen: Der Augenblick war aufgrund der internationalen Teilnahme und Sympathie einzigartig und unwiederholbar, obwohl das interne Kräfteverhältnis ungleich war. Das Problem bestand weder in Mehrheiten noch in harten, widerständigen Minderheiten, es betraf spezifische AkteurInnen und hatte mit der politischen Kultur zu tun. Die Beziehung zwischen den AkteurInnen spielt auf das Mass der Führungsqualitäten und der historischer Verpflichtung sowohl in der Aufstandsbewegung wie auch im Establishment an sowie auf die Hellsichtigkeit von Organisationen, die in der Lage waren, den politischen Moment zu interpretieren und ihre eigenen Forderungen und Mobilisierungen zu verwalten. Und unter politischer Kultur verstehen wir eine Einstellungsänderungen gegenüber dem Staat, die Art und Weise der Aneignung von Gütern und die Anerkennung der Existenz des/der anderen. Man kann trotz der hohen Verluste der Opposition während der Zeit des Terrors nicht absolutistisch das Fehlen von Gelegenheiten vorbringen, schmiedete doch die so genannte Gruppe Antigua (die die Spitzen aus Unternehmertum, Politik, Gewerkschaften und der sozialen Gesellschaft in sich vereinte) nach dem Treffen in El Escorial (1990) an einer Verfassungsreform, bis Präsident Jorge Serrano im Mai 1993 den Staatsstreich durchführte. Daraufhin beanspruchte die so genannte Gruppe Pyramide (Teil der Unternehmensspitze), unterstützt durch Gruppen der Zivilgesellschaft, die Rettung der Demokratie und die Definition der moralischen Begriffe der Politik für sich. Nach oben |
Die Friedensverträge stellten eine klare Agenda dar, mit (notwendigerweise) eingeschränkten AkteurInnen, Gästen, die grundsätzlich berücksichtigt , doch auf dem Feld von AkteurInnen vereinnahmt wurden, die andere Praktiken und Erwartungen und vor allem mehr effektive Macht hatten. Die Regierung von Alvaro Arzú, die die Verträge unterzeichnete, stellte sie international als eigenen Erfolg zur Schau. Intern jedoch herrschte Argwohn gegenüber jeglichen kritischen Meinungen und Infragestellungen ihrer Amtsführung, in der sie die Umsetzung (oder deren Fehlen) der Abkommen mit Regierungsaktivitäten vermischte, wie beispielsweise mit kostspieligen Privatisierungen ohne Regulierung, mit Korruptionsgeschichten oder mit in der Straflosigkeit belassene politische Verbrechen, was man auch schon von früheren Regierungen kannte. Es wurde verpasst, eine neue, breit abgestützte politischen Führung einzusetzen und eine Institutionalität zu garantieren, die diese gestützt und ihr Kontinuität gegeben hätte. Dies liess die korporativen Gruppen erstarken, die glaubten, die Urkunde als Staatsmänner seit Mai 1993 verliehen bekommen zu haben. Entgegen dem Glauben von Arzú und seinen BeraterInnen waren die Abkommen kein Deckmantel für Privatisierungsgeschäfte sondern der Anker, der die alten oligarchischen Beziehungen verstärkte und wirtschaftlich verunmöglichte, was die Politik als Teilnahmechancen anbot. Es gab in der Praxis also weder eine zu respektierende Autorität noch eine soziale Bewegung, die sich auf der Bühne auskannte, um ein Gegengewicht zu stellen. Dieses reale Machtungleichgewicht blockierte die Umsetzung einiger Abkommen, die immer noch logisch und notwendig sind, sowie gangbar aus historischer und ganzheitlicher Sicht. Was ist nun gewonnen worden? Und welche Aussichten kann es geben? Erreicht wurden gewisse begünstigende Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau des sozialen Netzwerkes, ausreichend, um die Herausforderungen der heutigen Zeit zu erspähen. Obwohl dieser Wiederaufbau zugegebenermassen ungleich vonstatten geht und beeinträchtigt wird von den wirtschaftlichen Emigrationen als Symptom der gescheiterten Integration des Wirtschaftsmodells, das seit Mitte der 80er Jahre Form gewann. Erreicht wurden einige Themen der demokratischen Modernisierung auf der Agenda des Rechtsstaates. Die Institutionen und was wir die "soziale Marktwirtschaft" nennen können, können irrelevant werden - oder aber ihre "sozialen"Aspekte verlieren - falls man ihnen nicht den nötigen Rückhalt gibt und sich ihre Effizienz nicht zeigt. Der Abschluss dieses Friedensjahrzehnts fällt zusammen mit dem erklärten Ende des Konsens von Washington und Regierungsübernahmen reformistischen Bewegungen in Lateinamerika. Ausser der lärmenden und voreiligen Paranoia ob des so genannten Populismus, deutet alles darauf hin, dass das Pendel beginnt, sich zu Gunsten demokratischer Politiken, des Wiederaufbaus eines starken Staates (nicht eines der Stärke) und von Effizienz (nicht unbedingt grösser, sondern weniger bürokratisch) zu neigen, um die aufgeschobenen Aufgaben und die Verpflichtungen einer zivilisierten Nation in einem neuen Jahrhundert zu erfüllen. Es besteht kein Zweifel, dass diese neue Etappe den Maya-Führungsleuten eine enorme Verantwortung zur Anleitung von sozialen und politischen Prozessen auferlegt; die Frauen werden eine unabdingbare Kraft darstellen, die auch einen notwendigen Teil der sozialen und politischen Kultur transformieren kann. Die Gemeinden, die den ausgewogenen Umgang mit den natürlichen Ressourcen verteidigen, müssen gemeinsam mit den Umweltbewegungen einen langen und kämpferischen Atem beweisen, und die politischen Parteien werden genötigt sein, engagierter gegenüber ihren Gemeinden und verantwortungsvoller mit er Zukunft ihre Nation und dem Planeten Politik zu machen. Unter anderem mittels dieser AkteurInnen (sowie der mittelständischen globalisierten UnternehmerInnen, die Politik machen und der EmigrantInnen) werden die ständig überprüften Forderungen der Friedensverträge - wenn auch in niedriger Gangart - zweifelsohne direkter Referenzpunkt für andere Ziele und Utopien sein. |
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