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Sturm auf das Pavón

Fijáte 369 vom 04. Okt. 2006, Artikel 3, Seite 4

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Sturm auf das Pavón

Die Struktur ist klar hierarchisch: Präsident, Vize, Aufseher von Operationen, Sicherheit und Logistik, 16 Sektorzuständige und mindestens 200 "Dienstleute", die die interne Bevölkerung im Zaum hielt, "Gegner" meldete und das COD über alles auf dem Laufenden hielt. Zepeda hielt derweil ein Heer an bewaffneten Bodyguards und genoss soviel Macht, dass selbst sein Sohn Samuel, der auch "im Geschäft" ist, jedoch nicht verurteilt, sich lieber im Pavón aufhält, weil er draussen Morddrohungen erhalten hat.

Auch wenn das Pavón mit seinen eigenen Drogenlabors, der Schnapsbrennerei, der im letzten Jahr aufgelösten Autowerkstatt - in der, wie sich herausstellte, gestohlene Fahrzeuge repariert, Chassisnummern und Kennzeichen gefälscht und für neue Verbrechen genutzt wurden -, seiner Funktion als "Call-Center" für Erpressungen ausserhalb und der zahlreichen Verbindungen zwischen COD und draussen agierenden Entführern, Auftragsmördern, Erpressern und Drogenhändlern sicherlich ein wichtiges Operationszentrum des organisierten Verbrechens war, ist die allgemeine Entrüstung, die sich auf den Wohlstand der COD-Köpfe konzentriert, und die katastrophalen Haftumstände der grossen Masse zwar erwähnt, jedoch nicht problematisiert, fragwürdig. Durchaus wird in der Presse erwähnt, dass es die staatseigene Verantwortung sei, der seit mehr als vier Regierungsperioden das Gefängnissystem sich selbst überlassen hat. Sich von Regierungsseite auf einmal aber über die Umstände aufzuregen - wobei die meisten Mitglieder nicht erst unter Berger in den Kongress eingezogen sind, und doch erst vor wenigen Wochen das allererste Gesetz zum Gefängnissystem verabschiedet wurde, das aber immer noch des Segens der Exekutive bedarf, ist genauso scheinheilig, wie die tölpelhafte Selbstdarstellung zweier Möchtegernprotagonisten: VGEfraín Ríos MonttNF, inzwischen auf internationaler Ebene des VGVölkermordesNF beschuldigt, mahnt angesichts der "Pfau-OP", es müssten doch bitteschön die VGMenschenrechteNF der Inhaftierten respektiert werden und VGOtto Pérez MolinaNF, Ex-General, der als Präsidentschaftskandidat der VGPatriotischen ParteiNF schon seit langem die "harte Hand" gegen alles Übel fordert, kritisiert die Stürmung als politische Show.

Tatsächlich liegt es nun an allen Beteiligten, dass die Aktion nicht im Sande verläuft, soll heissen, es darf nicht bei der Kontrollübernahme des einen Gefängnisses bleiben, aber auch nicht bei dem Aufrechterhalten des gesellschaftlich verbreiteten Stigmas gegenüber Häftlingen, diese seien einmal kriminell, ergo ihre Leben lang Verbrecher. Es bedarf also einer kompletten Neuorientierung des gesamten Strafsystems, inklusive menschlicher Haftbedingungen, funktionierenden und ernst gemeinten Rehabilitationsangeboten, und darüber hinaus einer Säuberung des Justizsystems von zu Komplizen korrumpierten RichterInnen und Gefängnispersonal, angemessene Gehälter für letzteres und Präventionsmassnahmen sowie Alternativen für diejenigen, die im Verbrechen eine Überlebensstrategie sehen, die für viele gar als die einzige erscheint.

Mit Hilfe der bezahlten Arbeitskraft eines Teils der "alten" Pavón-Bewohner und des Ingenieur-Korps des Militärs, soll nach Abriss der nichtbrauchbaren Konstruktionen und Rückgabe des Materials an die Besitzer bzw. Familienangehörigen, ein neues Gefängnis mit neuen Standards errichtet werden - einige der Wohnhäuser, darunter das kanadische Chalet, werden wohl zu Werkstätten umfunktioniert.

Nur von wenigen wurde ein wesentlicher Umstand in Frage gestellt: drei Tage vor der Operation beschloss der Kongress - ähnlich wie wenige Wochen zuvor im Departement VGSan MarcosNF - für das Munizip Fraijanes, Departement Guatemala, in dem das Gefängnis liegt, für acht Tage den Präventionszustand und somit erneut die Aufhebung grundlegender Bürgerrechte wie Versammlungs- und Bewegungsfreiheit sowie das Tragen von VGWaffenNF. Auch wenn diese Form des Ausnahmezustands schon nach zwei Tagen wieder aufgehoben wurde, und selbst das VGMenschenrechtsprokuratNF (PDH) trotz seiner Zweifel an der Rechtmässigkeit der gesamten Aktion aufgrund der Tatsache, dass seine Anwesenheit nicht in Betracht gezogen worden war, die Operation an sich begrüsste, waren doch alle BewohnerInnen und PassantInnen im Munizip betroffen. Der Sturm und Einsatz des Militärs waren jedoch auf das Innere der Gefängnismauern, ca. 4,2 ha, beschränkt. Besorgnis erregt, dass die Regierung offenbar nur unter besonderen Umständen und unter Zurücksetzung von allgemeinen Rechten, in Aktion tritt und sich traut für "Recht und Ordnung" zu sorgen. Und, dass sie anscheinend eher zur Rechtsaufhebung greift und sich somit gewisse Freiheiten sichert, als sich hinterher vorwerfen zu lassen, Grund- und Menschenrechte verletzt zu haben.


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