Sturm auf das Pavón
Fijáte 369 vom 04. Okt. 2006, Artikel 3, Seite 4
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Sturm auf das Pavón
Guatemala, 30. Sept. Noch in der Sonntagsbeilage der Tageszeitung Und es ist Giammattei, der jetzt sowohl im Rampenlicht als auch an erster Stelle der Empfänger von Morddrohungen steht, hat er doch dem Der Überraschungsangriff - der so überraschend nicht war, wurden die Sicherheitskräfte doch mit Schüssen und Molotowcoctails empfangen - hatte sieben tote Gefangene, einen verletzten Häftling und einen verletzten Polizisten zum Saldo. Ausser einer kleinen Gruppe von als zu gefährlich eingestuften Als schräg imponieren dabei sowohl der Grossteil der Berichterstattungen und Darstellungen als auch der Reaktionen ob der vermeintlichen Enthüllungen durch die Stürmung des Gefängnisses. Die "Modellfarm" war ursprünglich mit landwirtschaftlichen Produktionsprojekten konzipiert, um die Haft für die Verurteilten tatsächlich zu einem Rehabilitationsaufenthalt zu machen. 1989 wurde in Folge einer Meuterei die letzte Razzia im Pavón durchgeführt und 1996 unter Präsident Was aber - nach dem Artikel in der Prensa Libre in den Medien breitgetreten wurde, letztendlich jedoch seit Jahren bekannt ist, war der Zustand des "Staates im Staate". Neben den offiziellen, völlig heruntergekommenen Zellbaracken gibt es auf dem Terrain mehr als 300 Wohnhäuser, von Blech- und Kartonhütten, über Holz- und Steinhäuser bis hin zu mindestens einem "Chalet" im Während die staatlichen Autoritäten allein den Verwaltungstrakt - ca. 10% der Anlage - betraten und deren Aussenmauern von 70 Militärs bewacht wurde - war das COD perfekt organisiert, finanziert von "Ausseneinnahmen" sowie durch an den Insassen erhobenen "Steuern", von Generalsteuern über Vorteilssteuern bis hin zur Vergabe von Grundstücken, Bauerlaubnis und Krediten mit progressiven Zinsen. Wurden die Schulden nicht rechtzeitig gezahlt, folgte gnadenlos die Strafe, oft in Form der Forderung nach "sexuellen Gefallen", was heisst, dass der Schuldner dem Gläubiger ein weibliches Familienmitglied zur sexuellen Verfügung zu stellen hatte. Nach oben |
Die Struktur ist klar hierarchisch: Präsident, Vize, Aufseher von Operationen, Sicherheit und Logistik, 16 Sektorzuständige und mindestens 200 "Dienstleute", die die interne Bevölkerung im Zaum hielt, "Gegner" meldete und das COD über alles auf dem Laufenden hielt. Zepeda hielt derweil ein Heer an bewaffneten Bodyguards und genoss soviel Macht, dass selbst sein Sohn Samuel, der auch "im Geschäft" ist, jedoch nicht verurteilt, sich lieber im Pavón aufhält, weil er draussen Morddrohungen erhalten hat. Auch wenn das Pavón mit seinen eigenen Drogenlabors, der Schnapsbrennerei, der im letzten Jahr aufgelösten Autowerkstatt - in der, wie sich herausstellte, gestohlene Fahrzeuge repariert, Chassisnummern und Kennzeichen gefälscht und für neue Verbrechen genutzt wurden -, seiner Funktion als "Call-Center" für Erpressungen ausserhalb und der zahlreichen Verbindungen zwischen COD und draussen agierenden Entführern, Auftragsmördern, Erpressern und Drogenhändlern sicherlich ein wichtiges Operationszentrum des organisierten Verbrechens war, ist die allgemeine Entrüstung, die sich auf den Wohlstand der COD-Köpfe konzentriert, und die katastrophalen Haftumstände der grossen Masse zwar erwähnt, jedoch nicht problematisiert, fragwürdig. Durchaus wird in der Presse erwähnt, dass es die staatseigene Verantwortung sei, der seit mehr als vier Regierungsperioden das Gefängnissystem sich selbst überlassen hat. Sich von Regierungsseite auf einmal aber über die Umstände aufzuregen - wobei die meisten Mitglieder nicht erst unter Berger in den Kongress eingezogen sind, und doch erst vor wenigen Wochen das allererste Gesetz zum Gefängnissystem verabschiedet wurde, das aber immer noch des Segens der Exekutive bedarf, ist genauso scheinheilig, wie die tölpelhafte Selbstdarstellung zweier Möchtegernprotagonisten: Tatsächlich liegt es nun an allen Beteiligten, dass die Aktion nicht im Sande verläuft, soll heissen, es darf nicht bei der Kontrollübernahme des einen Gefängnisses bleiben, aber auch nicht bei dem Aufrechterhalten des gesellschaftlich verbreiteten Stigmas gegenüber Häftlingen, diese seien einmal kriminell, ergo ihre Leben lang Verbrecher. Es bedarf also einer kompletten Neuorientierung des gesamten Strafsystems, inklusive menschlicher Haftbedingungen, funktionierenden und ernst gemeinten Rehabilitationsangeboten, und darüber hinaus einer Säuberung des Justizsystems von zu Komplizen korrumpierten RichterInnen und Gefängnispersonal, angemessene Gehälter für letzteres und Präventionsmassnahmen sowie Alternativen für diejenigen, die im Verbrechen eine Überlebensstrategie sehen, die für viele gar als die einzige erscheint. Mit Hilfe der bezahlten Arbeitskraft eines Teils der "alten" Pavón-Bewohner und des Ingenieur-Korps des Militärs, soll nach Abriss der nichtbrauchbaren Konstruktionen und Rückgabe des Materials an die Besitzer bzw. Familienangehörigen, ein neues Gefängnis mit neuen Standards errichtet werden - einige der Wohnhäuser, darunter das kanadische Chalet, werden wohl zu Werkstätten umfunktioniert. Nur von wenigen wurde ein wesentlicher Umstand in Frage gestellt: drei Tage vor der Operation beschloss der Kongress - ähnlich wie wenige Wochen zuvor im Departement |
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