Frieden in Guatemala bleibt eine Utopie
Fijáte 376 vom 10. Januar 2007, Artikel 2, Seite 1
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Frieden in Guatemala bleibt eine Utopie
Durch die weltweiten politischen Veränderungen öffneten sich auch in Guatemala die Spielräume, die erlaubten, mittels Dialog und Verhandlungen zu erreichen, was mit Waffen nicht möglich war… an den Ursachen, die zum Bürgerkrieg geführt hatten, hat sich jedoch nichts geändert. Von Rubén Lopez Herrera, alias Pedro oder Petúl. Am 29. Dezember 1996, nach zehn Jahren Dialog und Verhandlungen zwischen der guatemaltekischen Regierung und der Guerilla URNG, wurde das Abkommen über einen festen und dauerhaften Frieden geschlossen. Damit wurde der 36 Jahre dauernde bewaffnete interne Konflikt beendet, der Tausenden GuatemaltekInnen das Leben gekostet hat; eine blutige, unmenschliche und erbarmungslose militärische Konfrontation. Als der Verhandlungsprozess begann - wir waren damals in Campeche (Mexiko) in einem Flüchtlingslager - erhielten wir ein Schreiben von Gaspar Ilom (Rodrigo Asturias), dem Oberkommandierenden der Organisation des bewaffneten Volkes (ORPA), einer der vier Gruppen, die die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) bildeten. Darin informierte er uns über die Bereitschaft der Regierung, mit der Guerilla über eine Beendigung des bewaffneten Konflikts zu verhandeln und fragte uns nach unserer Meinung dazu. Mein erster Gedanke war, dass dies eine Situation ist, wie wenn der Patron einem Bauern ein Geschäft vorschlägt und der Bauer von Anfang an weiss, dass er den Kürzeren ziehen wird. Welches Interesse sollen die Reichen daran haben, mit ihren Gegnern über die Abgabe von Privilegien zu diskutieren? Ich hegte starke Zweifel und Misstrauen gegenüber diesem Vorschlag. Auf der anderen Seite erinnerte ich mich an die schwierigen Zeiten, die wir im Urwald verbrachten, wo ich mich wie in einem dunklen Tunnel fühlte, aus dem es keinen Ausweg gab. Die Idee eines Dialogs mit der Regierung erschien mir ein bisschen so wie das Licht am Ende des Tunnels. Umsetzung der FriedensabkommenAufs Ganze gesehen ist die Umsetzung der Friedensabkommen unterschiedlich, minimal und unvollständig. Am wenigsten wurden die "substantiven" (im Vergleich zu den "operativen") Teilabkommen umgesetzt, mit denen die wirtschaftlichen und politischen Strukturen des repressiven, ausschliessenden, rassistischen und antidemokratischen Regimes verändert werden sollten, das in Guatemala herrscht. Doch das Militär und die Regierung hatten sich lange auf die Verhandlungen vorbereitet. Mit der ihnen eigenen doppelten Moral haben sie Strategien und Listen erfunden, damit ihre Machtstrukturen intakt blieben. Der guatemaltekische Staat war schon immer mafiös, Aufrichtigkeit, Gutgläubigkeit, Vertrauen und Ehrlichkeit haben in ihm keinen Platz. Die Guerilla ihrerseits ist ziemlich naiv und zu vertrauensselig in die Verhandlungen eingestiegen. Ein Teil der Verantwortung für die Nicht-Umsetzung geht auf das Konto der URNG. Ein grosser Fehler war, dass sie die Popularisierung der Abkommen der Regierung überliess, die ja im Grunde am allerwenigsten daran interessiert war, dass die Bevölkerung ihren Inhalt kennt. So wurde nicht nur die Bedeutung der Abkommen verzerrt wiedergegeben, sondern sie wurden dazu missbraucht, mächtige Gruppen innerhalb der Regierung zu begünstigen. Es wurden zum Beispiel eine Stelle für die Schlichtung von Landkonflikten (CONTIERRA), ein Land- und ein Friedensfonds (FONTIERRA und FONAPAZ) gegründet, die dicke Geschäfte mit Landkauf und -Verkauf abwickelten und dafür internationale Gelder einstrichen. Die DemobilisierungErwähnenswert ist an dieser Stelle das Abkommen über die Demobilisierung und die Eingliederung der URNG in die Legalität. Hier muss man zwei Aspekte je separat analysieren, einerseits die Demobilisierung und anderseits die Integration der Ex-KämpferInnen ins zivile Leben. Wichtig ist auch, diese Analyse sowohl aus Regierungs- wie aus Guerillaperspektive zu machen. Die Demobilisierung der Guerilla war für die Regierung und das Militär ein zentraler und strategischer Punkt, der meiner Meinung nach zu 95 Prozent gelungen ist. Es ging um die Vermittlung des Friedensschlusses als ein irreversibles Moment, um die Auflösung der Guerilla-Strukturen und die Abgabe der Waffen unter Aufsicht der UNO. Mit der Eingliederung sollten die ehemaligen KämpferInnen der URNG gleichberechtigt wie der Rest der Bevölkerung ins soziale, wirtschaftliche und politische Leben integriert werden. Hier stellt sich die Frage, von welcher Gleichberechtigung wir sprechen, wenn wir bedenken, dass 85 Prozent der guatemaltekischen Bevölkerung in Armut und extremer Armut lebt. Um die Eingliederung wirksam zu machen, durchliefen die in den Demobilisierungslagern versammelten ExKämpferInnen eine berufsspezifische Orientierung und Ausbildung. Dies ging alles sehr schnell, und die meisten Leute waren psychologisch nicht darauf vorbereitet und entschieden sich willkürlich oder aus Neugierde für den einen oder anderen Beruf, ohne sich bewusst zu sein, dass sie später davon leben mussten. Die Ausbildungen waren viel zu kurz, um das gelernte Handwerk danach auszuführen. Von diesen Produktivprojekten sind 90 Prozent gescheitert. Gründe dafür sind: fehlende Marktanalyse, zu kleines Startkapital (nebst dem Aufbau des Geschäfts oder der Werkstatt mussten die Leute ja auch ihre Familien ernähren), mangelnde Ausbildung und fehlende Erfahrung, vor allem auch im administrativen Bereich. Es gab Fälle, wo Leute in ländlichen Gegenden einen Lebensmittelladen eröffneten. DorfbewohnerInnen, die damals die Guerilla unterstützt hatten, liessen bei den Compañeros und Compañeras anschreiben und bezahlten ihre Schulden nie zurück mit dem Argument, das sei eine minimale Entschädigung für ihre damalige Unterstützung der Guerilla. Eine der grössten Schwächen des Demobilisierungsprozesses ist, dass die psychologische Betreuung der Ex-KämpferInnen vernachlässigt wurde. Viele von ihnen sind emotional geschädigt und leiden heute unter psychosomatischen Krankheiten und Depressionen oder sie flüchten sich in Alkohol und andere Drogen. Die Umwandlung der URNG in eine politische ParteiDas Recht, sich in eine politische Partei umzuwandeln, wurde der URNG in den Friedensabkommen zugestanden. Dies war denn auch das Hauptanliegen unserer Kommandanten, die per se schon zerstritten waren und in der Gründung einer Partei ihre je persönlichen Vorteile suchten. Sie wollten ein Stück des Kuchens, stellten jedoch das Rezept nicht mehr in Frage und schlugen damit eine Richtung ein, die sie in den Augen vieler Leute zu Komplizen des Feindes machte. Bis heute hat die URNG keine eigenständige politische Linie entwickelt, die eine Opposition vertritt, was man wiederum damit entschuldigt, nicht über die notwendigen Mittel zu verfügen. Sektierertum, Hegemonismus und Machtgelüste schwächten die URNG in grossem Masse, was zur Folge hatte, dass sie bei den letzten Wahlen (2003) auf dem sechsten Platz blieb. Viele Leute, die einst mit der URNG sympathisierten oder kollaborierten, sind heute frustriert und fühlen sich vernachlässigt. Wer sich dem blinden Gehorsam und der Unterordnung verweigerte, wurde aus den Parteistrukturen ausgeschlossen. Der Legalisierungsprozess von einer Guerilla in eine politische Partei wurde zu subjektiv und idealistisch angegangen. Man glaubte, die Tatsache, dass man Revolutionäre, Guerilleros/-as war und lang gekämpft hatte, genüge, damit das ganze Volk die Partei URNG unterstützen würde. Jede der vier Organisationen hatte das Gefühl, in der Region, wo sie als Guerilla aktiv war, über die Basis zu verfügen, die sie in einem Wahlkampf unterstütze. Dazu kamen die internen Machtkämpfe. Viele, die Charisma und Rückhalt in der Bevölkerung hatten und wegen der Sache in der Partei waren und nicht, weil sie sich einen Sitz im Gemeinderat oder im Kongress versprachen, wurden an den Rand gedrängt von jenen, die dann den Sitz einnahmen. Tatsächlich glaubten viele von uns, dass wir über die Teilnahme an den Wahlen die Macht erlangen und so die Veränderungen bewirken könnten, die wir mit den Waffen nicht erreicht hatten. Doch wir waren überhaupt nicht darauf vorbereitet, weder politisch noch psychologisch. Als Guerilla kritisierten wir die politischen Parteien als Farce, von den Reichen inszeniert, um das Volk zu spalten. Als wir dann unsere eigene Partei hatten, wurde eine Gruppe von Comapañeras und Compañeros nach Spanien geschickt, um von der rechten Regierung von Aznár Politikunterricht zu bekommen. Keine Ahnung, was die URNG aus diesen Erfahrungen für einen Gewinn gezogen hat... Nach oben |
Leadership eignet man sich nicht auf Auslandsreisen an, sondern im direkten Kontakt mit den Leuten und indem man auf ihre materiellen, moralischen, politischen und ideologischen Bedürfnisse eingeht. Als Erfolg - wenn man es denn als solchen bezeichnen kann - gilt sicher die Tatsache, dass die Partei URNG legal konstituiert ist, dass sie nach wie vor Neumitglieder werben kann und dass sie einen Vorschlag für einen Regierungsplan erarbeitet hat. Ausblick auf die Wahlen 2007Im September 2007 werden in Guatemala Wahlen durchgeführt. Bereits jetzt und trotz des Verbots, länger als sechs Monate vor den Wahlen mit der Propaganda zu beginnen, befinden sich die Parteien schon mitten im Wahlkampf. Die meisten von ihnen sind rechter Ausrichtung und verfolgen eine neoliberale Politik, begrüssen die Freihandelsabkommen, sind korrupt und haben Beziehungen zum organisierten Verbrechen, zur Wirtschaft und zu den Grossgrundbesitzern. Die Linke ist gespalten und geschwächt. Auf der einer Seite haben wir die Gruppierung Encuentro por Guatemala, angeführt von Nineth Montenegro, einer dissidenten Parlamentarierin, die zuerst der URNG und dann der Allianz Neue Nation ANN angehört hat. Auf der anderen Seite steht Pablo Monsanto, Ex-Mitglied der URNG-Führung, der sich von der URNG getrennt hat, um sich an die Spitze der ANN zu setzen und der kritisiert wird, weil er die Partei dreissig ehemaligen Offizieren der guatemaltekischen Armee geöffnet hat, über deren Vergangenheit man nichts Genaues weiss. Als dritte linke Gruppe haben wir die URNG, geschwächt und wegen ihrer hierarchischen Strukturen und sektiererischen Praktiken in Frage gestellt. Es gibt in Guatemala ein Sprichwort, das sehr gut zur aktuellen Situation passt: "Auch das Unglück hat (s)ein Gutes". Die URNG hat offenbar aus der Wahlniederlage und dem Austritt von Monsanto ihre Lektionen gelernt und sich der "Sozial-Politischen Linken Front" (unterdessen: Movimiento Amplio de Izquierdas MAIZ, die Red.) angeschlossen, einer Initiative, die versucht, Einzelpersonen und VertreterInnen von sozialen oder politischen Gruppierungen zusammen zu bringen, die eine demokratische und progressive Vision von einem neuen Guatemala haben. Es ist zu hoffen, dass die URNG diesen Kompromiss ernst nimmt und sich als eine von mehreren Organisationen versteht und nicht versucht, sich diese Initiative zu unterwerfen. Persönlicher Rück- und AusblickPersönlich habe ich in den letzten Jahren verschiedene Prozesse durchlaufen. Während der Phase der Demobilisierung und der Eingliederung war ich sehr frustriert und verspürte viele Ressentiments. Mit der Zeit habe ich die neue Realität akzeptiert und mich an sie gewöhnt. Ob sich der bewaffnete Kampf gelohnt hat? Unsere Ideale waren damals sehr schematisch und geprägt von politischen Modellen anderer Länder. Modelle, die durchaus ihre Richtigkeit hatten, aber nicht ganz mit unserer Realität eines multikulturellen und mehrsprachigen Guatemala kompatibel waren. Wenn wir eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung machen, sind sich wohl alle einig, dass der Preis zu hoch war im Vergleich zu den wenigen Früchten, die wir ernten konnten. Vor allem die Zivilbevölkerung musste teuer bezahlen. Dem gegenüber ist der individuelle Preis derer, die gekämpft haben - mit Ausnahme der Gefallenen - nichtig. Aber ... hat es sich wirklich gelohnt, sich diesem blutigen Kampf zu verschreiben? Vielleicht müssen wir die Frage anders herum stellen: Würde es sich heute zu leben lohnen, wenn wir nicht gekämpft hätten als es notwendig war? Welches Guatemala hätten wir heute, wenn wir nicht gekämpft hätten? Für mich persönlich, der ich in Armut geboren und aufgewachsen bin, der die Armut in all ihren Facetten kennt, wäre es eine grosse Beschämung, nicht gekämpft zu haben. Und das sage ich als Mestize. Für die indigene Bevölkerung war der Kompromiss noch viel grösser, sie hatten neben der Armut noch gegen den Rassismus und die Diskriminierung zu kämpfen - generell gesagt, gegen die Erniedrigung. Wir haben gekämpft und nicht erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Dies verpflichtet uns heute zu einem Leben in Würde und Stolz. Für mich reduzieren sich die 36 Jahre des bewaffneten Kampfes zu einer einzigen Schlacht - die wir weder gewonnen, aber auch nicht ganz verloren haben. Auch wenn wir damals die Situation nicht verändern konnten bin ich überzeugt davon, dass es eines Tages soweit kommen wird. Irgendwann wird sich die guatemaltekische Bevölkerung vom Krieg erholt haben und bereit sein - mit den dafür angemessenen Mitteln - für Veränderungen zu kämpfen. Das Ideal, für das wir gekämpft haben, scheint manchmal etwas verloren gegangen zu sein. Vielleicht ist es verschwunden, vielleicht haben wir es vergessen. Doch mit den Wahlerfolgen der sozialen und linken Bewegungen in Ländern wie Venezuela und Bolivien, eröffnen sich auch für Guatemala neue Horizonte. Einer davon ist die erwähnte Gründung der "Sozial-Politischen Linken Front". Wir müssen tagtäglich für unsere Ideale kämpfen, wo immer dies möglich ist. Persönlich mache ich das im Rahmen meiner Arbeit in einer Organisation, die sich in der Gemeindepolitik engagiert. Wir versuchen, Theorie und Praxis zusammenzubringen, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Mit Worten allein kann man nichts verändern, mit assistentialistischen Hilfsprojekten auch nicht. Deshalb versuchen wir, das Politische mit dem Materiellen zu verknüpfen. Wir sagen den Leuten immer, dass Projekte ein Mittel und kein Ziel sind, dass man Veränderungen politisch erreichen muss und man sich darauf früh genug vorbereiten muss. Für mich ist das eine Lebensaufgabe, die ich übernommen habe, als ich mich entschied, etwas für meine Leute zu tun. Ich erinnere mich an den compañero Felipe, mit dem ich zusammen eine zeitlang eine militärische Einheit der Guerilla geführt habe. Er sagte zu mir: "Wenn ich eines Tages sterben sollte - was man ja nie weiss - erwarte ich, dass du weiter kämpfst, denn auch wenn ich tot bin, sehe ich, was du machst." Diese Worte haben sich mir für immer eingeprägt; mit ihm zusammen sind 22 weitere compañeros unserer Einheit gefallen. Sie begleiten mich bei meiner täglichen Arbeit. Und immer, wenn mir etwas gelingt oder ich etwas für die Bevölkerung erreichen kann, weiss ich, dass sie sich mit mir freuen. Und wenn mir etwas nicht gelingt, bitte ich sie um Verzeihung - man kann ja nicht immer perfekt sein. Aber gemeinsam ziehen wir den Karren immer weiter. |
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