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Den Polizisten erkennst du an seinen Berichten

Fijáte 392 vom 29. August 2007, Artikel 1, Seite 1

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Den Polizisten erkennst du an seinen Berichten

"Ja, ich fordere etwas von meinen Untergebenen, ich will nicht, dass wir fehlerhafte Kommuniqués verschicken", sagt der Polizeisprecher. "Aber leider stimmt es, dass in vielen Polizeistationen Leute für die Redaktion der Berichte abkommandiert werden, die keine Ahnung vom Schreiben haben, und dass deshalb oft ungeheuerliche Dinge verschickt werden".

In den Redaktionsräumen von elPeriódico macht die Erzählung eines Polizeireporters die Runde, der, als er eines Tages die Berichte durchlas, auf die Beschreibung verschiedener, in einem Haus beschlagnahmter Gegenstände stiess. Dazu gehörte auch "ein Kreuz der Marke INRI". Carjú bricht über diese Anekdote in Gelächter aus. Das Bildungsniveau vieler Polizeiagenten lasse tatsächlich zu wünschen übrig, aber "die Polizei professionalisiert sich ständig und unterdessen hat die Hälfte der Agenten die Universität besucht".

Es ist amüsant, in den Polizeirapporten zu blättern und auf unverständliche Texte zu stossen, aber auch auf Vorurteile wie "Der heute Ermordete gehörte zu einer VGJugendbandeNF, was aus seinem Tatoo zu schliessen ist, das da heisst "Ein Hund, der den Tod in sich trägt". Es fehlt auch nicht an einer gewissen Empathie: "Und wegen dem bedauerlichen Zustand, in dem er sich befand, trank er einen Viertelliter Paraquat". (Das Insektizid Paraquat wird immer wieder als Mittel zum Selbstmord aus Verzweiflung, oft Liebeskummer, verwendet, da es billig und fast in jedem bäuerlichen VGHaushaltNF vorhanden ist, die Red.) Oder die Sarkastischen: "Überrascht griff er mit Schlägen und Fusstritten seine Erzeugerin an, während er auf dem Arm ein Tatoo mit dem Text 'Perdón, madre mía' ("Verzeih, meine Mutter") trug". Oder die Wirren: "Verhaftet wurde die Person, die die 500 Quetzales gestohlen hat und die Leiche". Oder die nicht Einzuordnenden: "Er wurde dabei überrascht, wie er seine Lebenspartnerin angriff, ohne ihr dabei sichtbare Schläge zuzufügen. Als er davon abgebracht werden konnte, wendete er sich gegen die Polizisten und zerstörte die Uniform eines Beamten der PNC, weshalb er einem Richter überstellt wurde". Wurde nun der Mann verhaftet, weil er seine Partnerin schlug oder weil er die Uniform des Polizisten zerrissen hatte?

Der gemeinsam Nenner dieser technokratischen Sprache ist ihr Hang zum Unverständlichen und zur Ambivalenz. Die funktionale Sprache hat eine abschreckende Wirkung, denn sie verstärkt die Zweifel der Lesenden ohne sie aufzulösen. Oder anders gesagt, wenn Polizeibeamte, PolitikerInnen oder FunktionärInnen der Presse gegenüber erste Stellungnahmen abgeben, vermitteln sie durch ihre Sprache dem gemeinen Fussvolk das Gefühl, völlige IgnorantInnen zu sein und verhindern damit jegliches Nachfragen über Inhalt und Sinn ihrer Worte.

Es werden konfuse und mehrdeutige Information weitergeben und dabei Codes verwendet, die nur Insider verstehen, womit die eigene Macht des Sprechers/ der Sprecherin zum Ausdruck gebracht werde. Das grosse Problem dabei ist, dass sich die JournalistInnen von dieser Sprache blenden lassen und sie beim Schreiben ihrer Reportagen übernehmen.

Ana María Rodas nennt diese Sprache "ein Klischee ohne jeglichen Inhalt" und weist auf die Gefahr hin, dass sie von der sozialen Mittelschicht unreflektiert übernommen wird, im Glauben, dies sei die korrekte Art und Weise, wie sich gebildete Menschen ausdrückten.

Aber was ist eigentlich schlecht daran, wenn PolizistInnen auf diese ihnen eigene, barocke Art schreiben und sprechen und von den JournalistInnen darin kopiert werden? Die Antwort sei simpel, meint Monterroso: Ein schlecht geschriebener Polizeibericht berge nicht nur die Gefahr, falsch oder gar nicht verstanden zu werden, sondern er könne die Grundlage bilden für eine möglicherweise fehlerhafte Untersuchung und irrtümliche Verhaftung.

Monterroso ist überzeugt, dass der Polizeijargon ein Abbild der generellen Art ist, wie in Guatemala gesprochen wird: Ausschweifend und umständlich, statt direkt zur Sache zu kommen, und beschönigend, weil "wir uns nicht trauen, die Sache beim Namen zu nennen". Der traurige Teil dieser Geschichte sei, dass man durch dieses Codieren die Realität überdecke und den Dingen ihre Wichtigkeit abspreche. Derweil die Wiederholung die Brisanz des Inhalts zerstöre. "Das ist gefährlich für eine Gesellschaft wie unsere, die abgebrüht ist und sich von nichts mehr überraschen lässt."

"Jeden Moment, jede Sekunde - unermesslich. Selbst in deiner Abwesenheit werde ich dich weiter lieben."

heisst es im Gedicht von Polizeisprecher Caljú, während er davon erzählt, dass sein Ziel sei, mindestens eine Person pro Kommissariat in einen Schreib- und Kommunikationskurs zu schicken. Dabei wird er von einem Untergebenen unterbrochen: "Mein Offizier, ich informiere: Lokalisierung eines männlichen Kadavers in der Zone 4 von VGMixco…NF" Caljú nickt kulant und fährt mit den Erläuterungen seiner Träume fort.


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