Den Polizisten erkennst du an seinen Berichten
Fijáte 392 vom 29. August 2007, Artikel 1, Seite 1
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Den Polizisten erkennst du an seinen Berichten
Wer die Krimis des Sizilianers Andrea Camilleri liest, hat sich sicher auch schon über die gestelzte Sprache des Untergebenen von Commisario Montalbano gefreut: Catarè, der immer alles mit "seinen ganz eigenen Augen" gesehen haben will. Die Polizeisprache ist eine Sprache für sich, nicht nur in Sizilien, sondern auch in Guatemala. Die folgende Reportage von Paola Hurtado über den Polizeijargon ist am 12. August in der Tageszeitung Ein fester Bestandteil der Schreibkurse von Ana María Rodas bildet die Aufgabe, eine Nachricht in der "Polizeisprache" zu verfassen. Die Poetin und Gewinnerin des Guatemaltekischen Literaturpreises 2000 bittet die Teilnehmenden, verschiedene Begebenheiten in jenem künstlichen Stil der Polizeiberichte zu beschreiben. Als einleitende Beispiele zitiert sie blumige Sätze wie: "Es wurde ein Kadaver männlichen Geschlechts lokalisiert", (statt "eine männliche Leiche") oder kitschige Euphemismen wie "die festgenommene Person schleuderte sich gegen die Humanität des polizeilichen Elements" (statt "der Verhaftete griff den Polizisten an"). Zwischen dem Gelächter und den Witzen, die diese Aufgabe in der Klasse auslöst, versucht Rodas, eine eiserne Verfechterin einer präzisen Sprache, ihren SchülerInnen zu erklären, dass es verschiedene Ausdrucksformen gibt, aber nur eine, die sich Kommunikationslehrlinge nicht aneignen dürfen: die Gestelzte, die Unverständliche, die Polizeisprache. Es gibt nichts Besseres, um sich dieser Sprache anzunähern, als die Berichte, die jeden Morgen von den Kommissariaten der Diese Berichte werden in der Regel per Fax übermittelt, sie sind auf mechanischen Schreibmaschinen verfasst, denn viele Polizeistationen, vor allem im Landesinnern, verfügen noch nicht über einen Computer. Und oft entpuppen sie sich als wahrhafte Goldgruben in der Art und Weise, wie sie die umständliche und indirekte Art des guatemaltekischen Sprechens reflektieren. "Der ständige Gebrauch von Euphemismen ist uns eigen", gibt der Schriftsteller und ebenfalls Leiter von Schreibkursen, Arturo Monterroso zu. Wir greifen auf überkandidelte Begriffe zurück, um schlecht klingende oder groteske Wörter zu umgehen. In der Polizeisprache ist eigentlich alles schlecht klingend: der Tote, die Wunden, die Schlägerei, der Verhaftete, der Kadaver, die Prostituierte, der Betrunkene. Somit sind sämtliche Ereignisse prädestiniert dafür, in einer künstlichen Sprache berichtet zu werden, einer Sprache, die ans Komische, Zweideutige und letztendlich ans Unverständliche grenzt. Versuchen Sie sich einmal den Toten vorzustellen, über den in einem Polizeirapport aus Der poetische PolizistDas Büro für Öffentlichkeitsarbeit der PNC - ORIS - befindet sich in einem kühlen und hellen Raum im neuen Polizeigebäude in der Zone 1 der Hauptstadt. Hier können JournalistInnen die Zusammenfassungen der neuesten Polizeiberichte lesen. Man muss tief durchatmen, bevor man in einem Zug Dossiers liest wie jenes über eine Verfolgungsjagd in Carlos Caljú, Polzeisprecher und Chef der ORIS erklärt, dass solche Zusammenfassungen nicht von seinen Leuten stammten, sondern aus der Informationszentrale kämen, wo alle Rapporte aus dem ganzen Land gesammelt und in einem Schlussbericht zu Händen der Polizeidirektion zusammengestellt würden. Bescheiden erklärt Caljú, dass er bei seinen Angestellten grossen Wert auf Redaktionsstil und Orthographie lege. Neben dem, was die AgentInnen in der Polizeiakademie über Schreibstil und -struktur lernten, würde er, Caljú ihnen beibringen, dass "die Berichte einen Lead haben müssen, der die 7 W's beinhalte (was, wie, wann, wo, wer, warum und aus welcher Quelle). Carlos Caljú ist ein 43-jähriger Polizist mit 19 Jahren Diensterfahrung. Er studierte Kommunikationswissenschaften, ist Leseratte und Hobby-Poet. Die Verse seines jüngsten Gedichts mit dem Titel "Und wenn auch" scheinen nicht aus der Feder des Mannes in Uniform und polierten Stiefeln zu stammen, dem eben die Überführung eines gefährlichen Gefangenen gemeldet wird, sondern vielmehr aus dem Herzen eines verliebten Polizisten: "Mein schweigender, bebender Gedanke versteht den Grund deiner Abwesenheit nicht. Gestern warst du noch hier und hast mich geliebt, wie der Regen die Erde, wie der Himmel die Sterne. So, genau so liebe ich dich." Natürlich sei er verliebt, sagt Caljú, und zwar in die |
"Ja, ich fordere etwas von meinen Untergebenen, ich will nicht, dass wir fehlerhafte Kommuniqués verschicken", sagt der Polizeisprecher. "Aber leider stimmt es, dass in vielen Polizeistationen Leute für die Redaktion der Berichte abkommandiert werden, die keine Ahnung vom Schreiben haben, und dass deshalb oft ungeheuerliche Dinge verschickt werden". In den Redaktionsräumen von elPeriódico macht die Erzählung eines Polizeireporters die Runde, der, als er eines Tages die Berichte durchlas, auf die Beschreibung verschiedener, in einem Haus beschlagnahmter Gegenstände stiess. Dazu gehörte auch "ein Kreuz der Marke INRI". Carjú bricht über diese Anekdote in Gelächter aus. Das Bildungsniveau vieler Polizeiagenten lasse tatsächlich zu wünschen übrig, aber "die Polizei professionalisiert sich ständig und unterdessen hat die Hälfte der Agenten die Universität besucht". Es ist amüsant, in den Polizeirapporten zu blättern und auf unverständliche Texte zu stossen, aber auch auf Vorurteile wie "Der heute Ermordete gehörte zu einer Der gemeinsam Nenner dieser technokratischen Sprache ist ihr Hang zum Unverständlichen und zur Ambivalenz. Die funktionale Sprache hat eine abschreckende Wirkung, denn sie verstärkt die Zweifel der Lesenden ohne sie aufzulösen. Oder anders gesagt, wenn Polizeibeamte, PolitikerInnen oder FunktionärInnen der Presse gegenüber erste Stellungnahmen abgeben, vermitteln sie durch ihre Sprache dem gemeinen Fussvolk das Gefühl, völlige IgnorantInnen zu sein und verhindern damit jegliches Nachfragen über Inhalt und Sinn ihrer Worte. Es werden konfuse und mehrdeutige Information weitergeben und dabei Codes verwendet, die nur Insider verstehen, womit die eigene Macht des Sprechers/ der Sprecherin zum Ausdruck gebracht werde. Das grosse Problem dabei ist, dass sich die JournalistInnen von dieser Sprache blenden lassen und sie beim Schreiben ihrer Reportagen übernehmen. Ana María Rodas nennt diese Sprache "ein Klischee ohne jeglichen Inhalt" und weist auf die Gefahr hin, dass sie von der sozialen Mittelschicht unreflektiert übernommen wird, im Glauben, dies sei die korrekte Art und Weise, wie sich gebildete Menschen ausdrückten. Aber was ist eigentlich schlecht daran, wenn PolizistInnen auf diese ihnen eigene, barocke Art schreiben und sprechen und von den JournalistInnen darin kopiert werden? Die Antwort sei simpel, meint Monterroso: Ein schlecht geschriebener Polizeibericht berge nicht nur die Gefahr, falsch oder gar nicht verstanden zu werden, sondern er könne die Grundlage bilden für eine möglicherweise fehlerhafte Untersuchung und irrtümliche Verhaftung. Monterroso ist überzeugt, dass der Polizeijargon ein Abbild der generellen Art ist, wie in Guatemala gesprochen wird: Ausschweifend und umständlich, statt direkt zur Sache zu kommen, und beschönigend, weil "wir uns nicht trauen, die Sache beim Namen zu nennen". Der traurige Teil dieser Geschichte sei, dass man durch dieses Codieren die Realität überdecke und den Dingen ihre Wichtigkeit abspreche. Derweil die Wiederholung die Brisanz des Inhalts zerstöre. "Das ist gefährlich für eine Gesellschaft wie unsere, die abgebrüht ist und sich von nichts mehr überraschen lässt." "Jeden Moment, jede Sekunde - unermesslich. Selbst in deiner Abwesenheit werde ich dich weiter lieben." heisst es im Gedicht von Polizeisprecher Caljú, während er davon erzählt, dass sein Ziel sei, mindestens eine Person pro Kommissariat in einen Schreib- und Kommunikationskurs zu schicken. Dabei wird er von einem Untergebenen unterbrochen: "Mein Offizier, ich informiere: Lokalisierung eines männlichen Kadavers in der Zone 4 von |
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