Ermittlungsfortschritte im PARLACEN-Krimi
Fijáte 391 vom 15. Aug. 2007, Artikel 3, Seite 4
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Ermittlungsfortschritte im PARLACEN-Krimi
Guatemala, 03. Aug. Ein Abgeordneter des guatemaltekischen Kongresses ist der intellektuelle Täter des Mordes an den drei salvadorianischen Abgeordneten des Zentralamerikanischen Parlaments (PARLACEN) und ihres Chauffeurs, die am 19. Februar ermordet und in Brand gesteckt auf einer Finca ausserhalb der Hauptstadt Richtung El Salvador aufgefunden wurden. (siehe ¡Fijátes! 380 - 382) So lautet zumindest die aktuelle Hypothese der Staatsanwaltschaft, die nach bald sechs Monaten wenige Ermittlungsfortschritte vorweisen kann. Dabei war bereits Ende März die Rede davon, dass gegen jenen Abgeordneten, Manuel de Jesús Castillo Medrano, die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem genannten Verbrechen aufgenommen worden seien. Erst jetzt wurden Registrierungen der Telefonanrufe diverser, in der Zwischenzeit von Verdächtigen konfiszierter Mobiltelefone gekreuzt, um die Kontakte vor, während und nach der Tat nachzuvollziehen. Castillo hat demzufolge sowohl direkt als auch über einen Mittelsmann - der zeitweise als "der 3. Berg" bezeichnet wurde - mit den sieben involvierten Kriminalpolizisten, von denen vier recht schnell gefasst, ins Gefängnis El Boquerón, Santa Rosa, gesteckt und dort ebenfalls umgebracht worden waren, und auch mit den Mitgliedern einer Gruppe gesprochen, die inzwischen als Verbrechensbande aus dem Departement Jutiapa identifiziert wurde. Castillo Medrano war bei den letzten Wahlen mit der Partei Nationale Einheit der Hoffnung (UNE) als Abgeordneter in den Kongress gekommen. Ende 2005 wurde aber bekannt, dass er Verbindungen zum Drogenhandel pflegte und wurde deswegen aus der Partei ausgeschlossen. Diese Kontakte flogen auf, als Castillo dem mexikanischen Sänger Luis Miguel einen Hummer - ein militärisches Wüsten-Allzweckfahrzeug - abkaufte und nach der Herkunft des von Castillo investierten Geldes geforscht wurde. Wenig später veröffentlichte die Tageszeitung elPeriódico in einer Reportage Fotos von 11 bekannten Auftragsmördern. Zwei davon konnten in Verbindung mit den Morden an einem Abgeordneten und einem Bürgermeister aus Jutiapa gebracht werden - beide waren UNE-Mitglieder. Und alle 11 abgebildeten Männer waren schon einmal als Bodyguards von Castillo tätig gewesen. Seit seinem Rauswurf aus der Partei agiert Castillo als unabhängiger Abgeordneter und postuliert sich jetzt für das Bürgermeisteramt in Jutiapa. Der Stadt ist er bekannt für seine Grosszügigkeit zu Weihnachten und Stadtfesten, zu denen er Helikopterflüge verschenkt und kostenloses Bullenreiten veranstaltet. Seinem Bruder, Carlos Enrique, der derzeit der Bürgermeister des Munizips San José Acatempa, Jutiapa, ist, hängt gerade der Vorwurf der Geldwäsche von US-$ 135´377 an. Und zu guter Letzt beobachtet El Salvador fünf Drogenkartelle in Guatemala - eins davon mit Namen Medrano Castillo im Raum Jutiapa… Manuel Castillo leugnet derweil noch jede Verbindung, stellt sich der Staatsanwaltschaft für ihre Ermittlungen und hat zur Bestätigung seiner Unschuld, die Einsetzung der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) befürwortet. Der als "3. Berg" angeblich Identifizierte, Gamaliel Antonio Hernández Orozco, hat indes Anzeige wegen Verleumdung eingereicht, es würde eine schwarze Kampagne gegen ihn gefahren. Er kandidiert für die Partei des Nationalen Fortschritts (PAN) als Abgeordneter für Jutiapa. Das Ergebnis der Telefonüberprüfung spricht gemäss der zuständigen Ermittlungsbehörden gegen die bislang von Guatemala wie El Salvador aufrecht gehaltene These, es handele sich bei dem Mord an den vier Salvadorianern um eine Verwechslung mit Drogendealern. Vor allem die Regierung es Nachbarlandes hatte von Vornherein darauf beharrt, dass die drei ermordeten Abgeordneten - Eduardo D´Aubuisson, William Pichinte und Ramón González - ehrenhafte und saubere Männer gewesen seien. Guatemalas Präsident Berger sekundierte diese Behauptung bei der improvisierten Pressekonferenz Ende Juni in Belice, wo die beiden Kollegen anlässlich des Regionalen Präsidentengipfels jegliche Verbindung der Ermordeten mit dem organisierten Verbrechen ausschlossen. Doch das Internationale Zentrum für Menschenrechtsermittlungen (CIIDH) vermutet dahinter Absprachen zwischen den beiden Ländern. Alle Aktionen der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft hätten vor allem dazu beigetragen, die potentiell (mit)verantwortlichen Autoritäten auf beiden Seiten zu decken. Auf nicht ganz saubere Ermittlungspraktiken verweist auch der Versuch der Staatsanwaltschaft, dem Menschenrechtsprokurat (PDH) durch richterliche Anweisung den Zugriff auf den Fall zu entziehen. Und in El Salvador gilt es als offenes Geheimnis, dass D´Aubuisson und Pichinte Kontakte zu den Drogenkartells hatten. Aber dies will die Regierung offenbar möglichst verdecken, um politische Kosten für die Regierungspartei ARENA zu vermeiden. Denn zu dieser gehörten auch die Verstorbenen. Der Generalstaatsanwalt, Juan Luis Florido, hatte schon drei Wochen vor der Enthüllung der Telefondaten öffentlich verlautbart, der Fall sei "clarisimamente aufgeklärt". Dass er weder Informationen über die intellektuelle Täterschaft noch über ein mögliches Tatmotiv hatte, schien ihn dabei nicht zu verunsichern. Lange hatte sich die Staatsanwaltschaft auf dem Coup ausgeruht, Mitte März bei zwei Razzien vier Mitglieder der Verbrechensbande von Jutiapa, genauer aus Jalapatagua, gefasst zu haben. Drei davon wurden auf den Videoaufnahmen der Verkehrskontrollkameras bzw. der Überwachungskameras in der Tankstelle identifiziert, an der das Benzin zum Anzünden des Autos der Abgeordneten gekauft worden sein soll. Es handelt sich um zwei Cousins, Mario Javier Lemus Escobar und Obdulio Estuardo de León Lemus, und Carlos Amilcar Orellana Donis, dem rechten Arm des Drogenbosses Jorge Mario Paredes, der wiederum in Kontakt mit dem Drogenoberboss Otto Herrera steht. Die vierte Festgenommene ist Linda Castillo Orellana, Schwester von Carlos Orellana. Auf ihren Namen ist das Auto zugelassen, mit dem die drei anderen zu dem Ort gefahren sind, an den die Polizisten die Abgeordneten verschleppt hatten. Dort durchsuchten sie das salvadorianische Fahrzeug vermutlich nach Drogen oder Geld. Lange lancierte die Staatsanwaltschaft diese vier als die intellektuellen TäterInnen, was jedoch von den Behörden El Salvadors in Zweifel gezogen wurden, schliesslich würden sich intellektuelle TäterInnen ja wohl kaum am Ort des Geschehens zeigen und ihre Autos für die Ausführung des Verbrechens zur Verfügung stellen. Ein weiterer Gesuchter, Vanner Adílcar Morales Silva, der auf dem Tankstellenvideo erkannt wurde, ist am 19. April im Petén gefasst worden. Nach oben |
Die Auflistung der Telefongespräche im Rahmen des Mordes weisen darauf hin, dass Carlos Orellana gemeinsam mit Marvin Contreras Natareno die zweite Befehlsebene zwischen dem Abgeordneten Manuel Castillo und den Polizisten stellten, indem sie letztere ständig darüber auf dem Laufenden hielten, wo genau sich der Wagen der Salvadorianer nach dem Grenzübertritt aufhielt. Marvin Contreras, der wie die vier im Gefängnis ermordeten Polizisten Mitglied der Kriminalpolizei DINC war, hatte sich bereits im Februar gestellt und wurde wegen Verdachts auf Beteiligung an dem Verbrechen festgenommen. Die Tatsache, dass seine Festnahme offiziell erst vier Tage später stattfand, er aber bereits vorher verhört worden war, veranlasst seine Verteidigung dazu, die Staatsanwaltschaft der illegalen Festnahme zu beschuldigen. Diese gewährte dem lange Zeit einzigen Zeugen weder den beantragten besonderen Schutz noch die Umwandlung seiner Anklage von Mord in aussergerichtliche Hinrichtung. Stattdessen wird er jetzt zusätzlich noch der Verschwörung und illegalen Vereinigung angeklagt. Ein weiterer wegen des Verbrechens gesuchte DINC-Polizist, Carlos Humberto Orellana Aroche, wurde Ende Juli ebenfalls im Petén gefasst, wo er sich versteckt gehalten hatte. Nun ist nur noch der letzte der sieben DINC-Polizisten auf freiem Fuss: Von Jeiner Ercides Barillas Recinos fehlt bislang jede Spur. Durch die Aussagen einer Frau bei ihrer Verhaftung aus nicht weiter detaillierten Gründen Anfang August flog der Plan auf, dass Orellana und Contreras am 15. August im Untersuchungsgefängnis bei einem zu diesem Anlass organisierten Aufstand der mit inhaftierten Jugendbandenmitglieder ermordet werden sollten. Nun wurden die beiden Bedrohten in das Frauengefängnis Santa Teresa überführt. Entgegen aller gesetzlichen Vorgaben, dass Frauen und Männer getrennt zu inhaftieren seien, belegen die beiden als Schwerverbrecher Stigmatisierten nun den Bereich der Haftanstalt, in dem sich die Freizeiträume sowie die Räume für die Näh- und Backkurse der 170 Insassinnen befinden. Diese werden durch die Sonderbelegung nicht nur räumlich eingeschränkt, sondern fürchten zudem um ihre und die Sicherheit ihrer Kinder, die bei ihnen leben. Selbst die Direktorin von Santa Teresa hat keine Ahnung, was in jenem Teil des Gefängnisses vor sich geht und welche Sicherheitsmassnahmen bestehen, selbst ihr wird der Zugang verweigert. Sollte sich die Verantwortung Manuel Castillos und seiner "Crew" bestätigen fehlen jetzt nur noch das Tatmotiv und die Enthüllung der Rolle, die die ermordeten Abgeordneten spielten. Ähnlich widersprüchlich und brüchig wie bei der Verbrechenserklärung an den Salvadorianern erscheinen die Ermittlungsberichte in Bezug auf den Mord an den vier ermordeten DINC-Polizisten, die innerhalb von 72 Stunden gefasst und verhaftet und zwei Tage später tot waren. Brutalst ermordet in der hinter acht Sicherheitstüren abgeschiedenen Zelle des Gefängnisses El Boquerón. Die Staatsanwaltschaft will wissenschaftliche Beweise und ZeugInnenaussagen haben, mit denen sie zwölf Jugendbandenmitglieder dieser Tat beschuldigt. Der Grund: Die Polizisten seien "natürliche Feinde" der mareros, da sie gegen ihre Banden soziale Säuberungsaktionen durchgeführt hätten. Somit habe dieser vierfache Mord rein gar nichts mit dem Mord an den Abgeordneten zu tun. Zufällig gehörten die zwölf Beschuldigten dann auch noch zu den Häftlingen, die Anfang des Jahres Mitglieder der Gegenbande bei einer Anhörung mitten im Gerichtssaal niedergestochen und teilweise schwer verletzt hätten. Um nun die vier inhaftierten Polizisten zu töten, sollen die Häftlinge einen Aufstand organisiert haben. Diese Behauptung erscheint jedoch eher fraglich. So wurden die alarmierten Zivilpolizisten, bei ihrer Ankunft am Gefängnis nicht hineingelassen mit der Erklärung, der Aufstand sollte nicht noch mehr angestachelt werden, die Gefängniswachen würden die Sachen in den Griff bekommen. Auf dem Hof waren derweil Schüsse zu hören. Die herbeigeeilte Freiwillige Feuerwehr wurde ebenfalls an den Gefängnistoren zur Umkehr bewegt, bei dem Notruf habe es sich bloss um einen schlechten Scherz gehandelt. Doch auch die Staatsanwaltschaft von El Salvador bezweifelt die Schuld der Bandenmitglieder, ebenso das Menschenrechtsprokurat (PDH). Es seien keine Spuren für einen Aufstand gefunden worden, ausserdem seien alle Häftlinge in ihren Zellen gewesen, als die PDH ins Gefängnis kam. Diese liessen sich bislang von der PDH zu keiner Aussage in Bezug auf das Tatgeschehen bewegen. Vier von ihnen wurden im Mai vor Gericht zitiert, doch der entstehende Aufruhr der Insassen verhinderte ihren Auftritt vor der Richterin. Acht von den mareros wird inzwischen der Prozess gemacht, u.a. auch Jorge de León, mit Spitznamen "der Teuflische" - angeblich verfügt die Staatsanwaltschaft über Aussagen anderer Häftlinge, die nach dem vermeintlichen Aufstand im Februar den "Teuflischen" telefonieren gehört haben mit dem Kommentar: "Die Sache ist erledigt, Ihr könnt es in den Nachrichten sehen." Anfang Juni sind bereits ehemalige Autoritäten der Haftanstalt und sieben Gefängniswärter wegen Komplizenschaft und Verdeckens angeklagt worden. Das Menschenrechtsprokurat wies bereits Ende April in seinem vorläufigen Bericht auf die Komplizenschaft sowohl des Gefängnissystems als auch des Innenministeriums hin, da beide die jeweils angeforderte Sicherheit - zuerst der vier Parlamentarier auf ihrem Weg durch Guatemala und dann der vier Polizisten im Boquerón nicht gewährleistet hätten. Somit müsste nun doch Victor Figueroa zur Verantwortung gezogen werden. Der war zur Tatzeit stellvertretender Kriminalpolizeichef, kündigte nach der Inhaftierung der vier Polizisten kurzfristig und verliess mit seiner Familie das Land. Die Information, er solle nach einem Aufenthalt in Costa Rica in Venezuela eingereist sein, wurde nicht bestätigt, Figueroa erschien zu keiner der ihn als Zeugen aufrufenden Anhörungen und lässt sich durch seinen Anwalt immer damit entschuldigen, er befinde sich schliesslich im Ausland. Im ersten seiner offenen Briefe an den Präsidenten unterstrich er seine Unschuld und Bereitschaft, bei der Aufklärung des Falles zu helfen, wenn ihm und seiner Familie die nötige Sicherheit garantiert würde. In seinem zweiten Schreiben machte er schon heikle Andeutungen in Bezug auf dunkle Machenschaften diverser aktiver und nicht mehr aktiver Staatsfunktionäre - u.a. des Präsidenten Bergers selber. Die Staatsanwaltschaft hat indes keine Beweise gefunden, die Figueroa in den Abgeordnetenfall involviert, ist jedoch derzeit dabei, eine Anklage gegen ihn zu eröffnen wegen des Verschwindens von vier Personen bei unterschiedlichen Razzien, die von Figueroa geleitet worden waren. Und ZeugInnen wollen ihn am Nachmittag des Mordes an den Polizisten im Boquerón gesehen haben. Sowohl die Menschenrechtsorganisation Grupo de Apoyo Mutuo (GAM) als auch die PDH erinnerten zudem an die Aussagen einiger BesucherInnen der Häftlinge im Boquerón gleich im Anschluss an die Tat, dass sie nämlich ein dreiköpfiges Polizeikommando in das Gefängnis haben gehen sehen und kurz darauf im Innern Schüsse hörten. Offenbar kann auch die PDH auf einige ZeugInnen zurückgreifen, die sie aber aus Sicherheitsgründen nicht preisgibt. elPeriódico hat derweil schon im April auf interessante Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Demnach stammt nicht nur der ehemalige Direktor des Boquerón aus Jalpatagua, Jutiapa, sondern fast alle der am Tag des Polizistenmordes Diensthabenden Wärter auch, zumindest kommen sie aus dem Departement Jutiapa. Die Tageszeitung El Mundo aus El Salvador enthüllte ebenfalls brisante Details, und zwar über den Versuch der vier Polizisten, ihre Freiheit und Schuldentlastung zu verhandeln. Javier Figueroa fungierte hierbei als Mittelsmann zwischen den verzweifelten Polizisten und dem damaligen Innenminister Carlos Vielmann. Die Beweise, die die Polizei mit dem Verbrechen an den PARLACEN-Abgeordneten eindeutig in Verbindung brachten, lagen den obersten Autoritäten beider Länder in diesem Moment bereits vor, die Presse war noch nicht informiert. Während die vier Agenten von einer ganzen Mannschaft unterstützt wurden, brachte der Vorgesetzte der vier Involvierten, Luis Arturo Herrera, ihre Verteidigung vor: "Wir haben uns geirrt, uns wurde von einer Drogenladung berichtet, die wir hochnehmen wollten und wussten nichts von den Abgeordneten." Unter Androhung, in der Polizeistation einen Aufstand zu veranstalten oder aber sich gegenseitig umzubringen, forderten sie ihre Entlastung. Im Gegenzug boten sie an, die Köpfe des Drogenkartells aus Jutiapa umzubringen. Damit könnte das durch den Mord an den Salvadorianern beschmutzte Gesicht der Polizei wieder gereinigt werden. Dabei hatte Herrera just bei einem Polizeitraining in El Salvador die Technik gelernt, die er und seine Kollegen bei dem Überfall auf die Parlamentarier anwendeten, und war als hervorragender Schüler aus dem Kurs hervorgegangen. |
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