Die Macht der Illegalen Körperschaften und Klandestinen Strukturen
Fijáte 442 vom 26. August 2009, Artikel 1, Seite 1
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Die Macht der Illegalen Körperschaften und Klandestinen Strukturen
Claudia Samayoa, Menschenrechtsaktivistin und Koordinatorin der Einheit zum Schutz der MenschrechtsverteidigerInnen (UDEFEGUA), analysiert im folgenden Interview mit dem Centro de Estudios de Guatemala (CEG) die Ursprünge der in Guatemala operierenden Illegalen Körperschaften und Klandestinen Strukturen (Cuerpos Ilegales y Aparatos Clandestinos de Seguridad - CIACS) und erklärt, in welcher Beziehung sie zu den politischen und wirtschaftlichen Mächten stehen. C.E.G.: Was ist eine Illegale Körperschaft und was ist eine Klandestine Struktur? C.S.: Am einfachsten kann man sie über ihre Tätigkeiten definieren. Der Begriff Illegale Körperschaft bezeichnet Gruppen, die bestimmte Operationen durchführen; das können Angriffe auf und das Verschwinden lassen oder die Exekutionen von Personen sein. Man nennt sie auch deshalb Illegale Körperschaften, um hervorzuheben, dass während dem bewaffneten Konflikt naben der offiziellen Polizei eben auch diese Körperschaften agierten, die "parapolizeiliche" Strukturen waren. Auch verweist dieser Terminus auf paramilitärische Strukturen wie die "Mano Blanco" oder "Jaguar Justiciero", die eigentlich Exekutionsgruppen waren und Bedrohungslisten verbreiteten. Mit Klandestinen Strukturen ist eine Parallelapparat innerhalb der militärischen Strukturen gemeint, der von innen heraus den Geheimdienst zu kontrollieren und zu steuern versucht. Während dem internen bewaffneten Konflikt war dieser Apparat nicht einmal speziell klandestin, sondern einfach eine Parallelstruktur zum offiziellen Geheimdienst D2. Das berühmt-berüchtigt "Archivo" war zum Beispiel ein Teil dieser Strukturen. Erst mit der Unterzeichnung der Friedensabkommen wurden diese parallelen Geheimdienststrukturen klandestin, abgesehen davon, dass sie schon immer illegal waren. C.E.G.: Welche Verbindungen gibt es zwischen den Illegalen Körperschaften, den Klandestinen Strukturen und dem Justizsektor und welche Rolle spielt dabei die Straflosigkeit? C.S.: Um die aufstandsbekämpfenden Aktivitäten durchführen zu können, musste man die Straflosigkeit garantieren. Genau genommen war ein Ziel der Klandestinen Strukturen während des bewaffneten Konflikts die Kontrolle des Justizsystem, eben um Straflosigkeit garantieren zu können. Dies erreichten sie durch die systematische Gewaltanwendung gegen AnwältInnen, vor allem zwischen 1979 und 1983. Gleichzeitig gab das Verteidigungsministerium Empfehlungen ab, wer die Posten in den Gerichten besetzen sollte. In den Archiven des Militärs fanden sich auch Dokumente, die darauf hinweisen, das bewusst Militärs für eine juristische Karriere ausgewählt wurden, womit das Justizsystem infiltriert werden konnte. C.E.G: Mit diesen Strukturen verbindet man Menschenrechtsverletzungen, aber auch das Organisierte Verbrechen. Können Sie uns erklären, wie sie aufgebaut sind und wie sie operieren? C.S.: Die Klandestinen Strukturen bieten ihre Geheimdienste dem Organisierten Verbrechen an, damit dieses bestimmen kann, wo es operieren soll und welche Interessensgruppen zu kaufen sind. Die Klandestinen Strukturen garantieren ihm, so wie es zur Zeit der Aufstandsbekämpfung geschah, den Status Quo beizubehalten. Das bedeutet, dass man z.B. im Kongress die Verabschiedung von Gesetzen oder Wahlen beeinflussen kann, um von der Ernennung, bestimmter Beamter zu profitierten. Wie die Figuren eines Schachbrettes kontrollieren die Klandestinen Strukturen bestimmte Bereiche. Ein Beispiel ist die Korruption: Man vergibt Geld, um zu garantieren, dass z.B. eine bestimmte Person in die Anwaltskammer gewählt wird. Über das organisierte Verbrechen kommt man an diese Geld, da die Klandestinen Strukturen ohne Geld nicht funktionieren. Die Klandestinen Strukturen haben Leute in vielen verschiedenen Orten plaziert. Wie wir die letzten Jahre beobachten konnten, sind sie sehr mobil und arbeiten vermehrt für den Meistbietenden. Oft bieten sie eine Art bezahltes Killersystem an, welches Geheimdienstprozesse zur Eliminierung von Personen entwickelt. C.E.G.: UDEFEGUA hat verschiedentlich denunziert, dass die MenschenrechtsverteidigerInnen durch diese kriminellen Strukturen belästigt, bedroht und verfolgt werden. Warum sind die Menschenrechtsorganisationen und ihre Mitglieder ein Ziel für diese Körperschaften? C.S.: Der Grund ist sehr einfach. Während des Friedensprozesses gab es eine starke soziale Bewegung, die Prozesse antrieben, welche den Aufbau der Demokratie förderten. Man wollte die Partizipation in den Gemeinden fördern, bei städtischen Entwicklungsplänen mitreden, man wollte, dass Frauen, Kinder und Jugendliche mehr Rechte haben. Dies bewirkte Veränderungen sowie Reformvorschläge des Sicherheits- und Justizsystems, was erklärt, warum gewisse Gruppen Widerstand leisten. Diese Körperschaften reagieren nicht mit einer Aufstandsbekämpfung, weil es einen Aufstand geben würde, sondern sie antworten auf eine heterogene Bewegung, die sie dadurch herausfordert, dass sie in gewissen Bereichen versucht, Ordnung oder Institutionalisierung zu schaffen. C.E.G.: Welche MenschrechsverteidigerInnen wurden in den letzten Jahren am meisten von diesen Gruppen attackiert? C.S.: In der letzten Zeit greifen die Illegalen Körperschaften, die als bezahlte Killer arbeiten, vorwiegend GewerkschafterInnen und BäuerInnen an. Deshalb können wir auch davon ausgehen, dass es wohl die traditionellen Machtgruppen sind, die diese Körperschaften unter Vertrag nehmen. Die Klandestinen Strukturen handeln weiterhin auch gegen Menschen, die für die Prinzipien der Wahrheit und Justiz eintreten, die den Menschenhandel bekämpfen und die für die Rechte der Frauen und gegen sexuelle Gewalt einschreiten - Themen welche ebenfalls die Interessen der Gruppen berühren, die in der Vergangenheit operierten, sich aber in der Gegenwart verdeckt halten. Bezüglich der Freihandelsabkommen (TLC) reagierten sie ziemlich stark und griffen im gesamten Land jene Gruppen an, die sich dem TLC entgegenstellten. Im Moment beobachten wir Reaktionen gegen organisierte Jugendliche. Es sieht so aus, als wäre es eine Reaktion auf Jugendorganisationen, die vermeiden wollen, dass Jugendliche in eine mara (Bande) eintreten und die ausserdem die sozialen Säuberungen verurteilen. Laut statistischen Daten zählen wir zwischen Januar und Mitte Juni dieses Jahres schon 153 solche Aggressionen. Dies ist eine ziemlich hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass es letztes Jahr total 220 Angriffe waren. 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C.E.G.: Wieso war es nötig, die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) zu schaffen, um gegen diese Gruppen zu ermitteln und eine legale Verfolgung einzuleiten? C.S.: Es könnte hier einen tieferen Grund geben als die blosse Existenz der CIACS. Es war offensichtlich, dass sie mit ihren Aktivitäten auch ein Monster erschufen, welches fähig war, seine Dienste über ihre eigenen Interessen hinaus anzubieten. Mit der Zeit war es für viele BürgerInnen mit finanziellen Kapazitäten möglich, die Dienste dieser Gruppen zu erwerben und auf andere Interessen als die der Menschenrechtsverletzungen und des Organisierten Verbrechens anzuwenden. Dies erschuf eine Praxis, die nicht nur dem Justizsystem schadete, sondern auch dem Handelssystem und sogar den Familien, da jeder anfing, dieses System der Straflosigkeit, welches wie ein Krebs wuchert, zu benutzen. Als wir Menschrechtsorganisationen uns der Anstrengungen bewusst wurden, die nötig waren, um das Justizsystem zu stärken und wie wir diese Anstrengungen mit unserem Leben, unserer Sicherheit und mit dem Exil von RichterInnen, StaatsanwältInnen und AnwältInnen bezahlten, als wir uns also bewusst wurden, dass etwas im Gange war, was man seit den 80er Jahren nicht mehr erlebt hatte, da war uns klar, dass die Gesellschaft die Kontrolle verloren hatte. Bedeutete der Verlust der Kontrolle über das Justizsystem ein Freibrief für das organisierte Verbrechen? Würde die Tatsache, früher oder später eine Regierung zu haben, welche direkt mit dem Drogenhandel in Verbindung steht, eine unabdingbare Realität sein? Wir entschieden uns, uns auf eines der Grundprobleme zu konzentrieren und machten den Vorschlag einer Kommission, die uns helfen sollte, einen Knoten zu lösen, von dem ausgehend man dann anderes mehr in Angriff nehmen konnte: Die Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt , die Landfrage ... da alle diese Themen letztendlich im Thema Justiz und Straflosigkeit zusammenlaufen. C.E.G.: Was hat die CICIG bisher zu Ermittlung und Verfolgung dieser Strukturen beigetragen? C.S.: Die Arbeit der CICIG hilft uns, die Funktionsweise dieser Körperschaften aufzudecken. Ein Beispiel: Die Gerichtsverhandlung von Enrique Ríos Sosa, Alfonso Portillo und Eduardo Arévalo Lacs wird uns aufzeigen, wie in diesem Fall die Klandestinen Strukturen vorgingen, um die ganze nationale Staatskasse zu bewegen. Das hilft uns zu verstehen, wie sie funktionieren, und dies wiederum wird uns erlauben, verschiedene Vorgänge miteinander zu verbinden. Diese Art der Ermittlung wird uns Teillösungen der Rätsel geben und uns in der Zukunft erlauben zu verstehen, wie diese Strukturen in der Vergangenheit funktionierten. Ob wir durch die CICIG wissen, wer die Köpfe waren, die diese Strukturen kommandierten? Vielleicht nicht. Aber was uns die CICIG wahrscheinlich anhand der Fälle erhellen kann, sind die verschiedenen Komponenten der verdeckten Macht. C.E.G.: Welche Verbindungen haben diese Strukturen mit der wirtschaftlichen und politischen Macht im Land? C.S.: Seit jeher funktionieren diese Strukturen mit Schmuggel, was Geldwäsche bedeutet und damit die Erschaffung von "sauberem" Kapital, welches Firmen erschuf, die seit 30 oder 40 Jahren funktionieren und von denen man seit 30 Jahren weiss, dass sie korrupt sind und den Staat korrumpieren. Guatemala hat ein Problem, welches wir korrigieren müssen: das Fehlen des historischen Gedächtnis. Wenn wir uns nicht einmal an die Nachrichten von vor zwei Wochen erinnern, wie erinnern wir uns dann an unsere jüngste Geschichte, die wir nicht einmal aufschreiben wollten? Um ein Beispiel zu nennen: Was passiert, wenn wir alle wissen, das wir unsere Kleidung in einem Geschäft kaufen, das Geld wäscht, und es dem Besitzer des Ladens trotzdem erlaubt ist, sich auf allen sozialen Ereignissen als Wohltäter zu zeigen? Dies ist nicht nur ein wirtschaftliches Phänomen. Ich glaube, wir müssen zugeben, dass es die gesamte guatemaltekische Gesellschaft betrifft. Und genauso haben wir zugelassen, das unsere politischen Parteien korrupt sind, dass sie schmutziges Geld bekommen und dann natürlich in politischer Schuld von Personen stehen, die Verbindung zu Klandestinen Strukturen haben. C.E.G.: Kann man tatsächlich von einer Aufdeckung der CIACS sprechen? C.S.: Wir können uns nur die Existenz eines Staates wünschen, der stark genug ist, um diese Klandestinen Strukturen zu kontrollieren und zu bekämpfen bis sie ganz verschwinden. Wir können hoffen, dass das organisierte Verbrechen irgendwann einmal keine Geheimdienststrukturen mehr benutzen kann, um politische Gewalt auszuüben oder Menschenrechtsverbrechen zu begehen. Ich glaube, dass wir jetzt die Kapazität haben, um einen Mörder ausfindig zu machen. Selbst wenn ein Mörder ein Auftragskiller ist, angestellt von einem Finquero - was wir ja am Fall von Israel Carías demonstrieren konnten -, kann man Gerechtigkeit erreichen, wenn die Staatsanwaltschaft den Willen hat, zu ermitteln und die ZeugInnenen anzuhören. Aber wenn es eine Klandestine Struktur ist, dann ist das etwas anderes. |
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