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"Ich wünsche mir, es gäbe einen Amokläufer der sich darauf spezialisiert, Militärs umzubringen"

Fijáte 234 vom 2. Mai 2001, Artikel 1, Seite 1

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"Ich wünsche mir, es gäbe einen Amokläufer der sich darauf spezialisiert, Militärs umzubringen"

Frage: Eure Beziehung zu VGFAMDEGUANF ist sehr eng, ihr habt ja auch hier euer Büro. Wie gestaltet sich diese Beziehung, gibt es so etwas wie 'Generationenkonflikte'?

Paco: Natürlich haben wir Probleme. Nicht nur mit FAMDEGUA sondern auch mit anderen Menschenrechtsorganisationen. Ich persönlich bin z.B. nicht damit einverstanden, dass Leute wie VGNineth MontenegroNF oder VGMario PolancoNF ihre Organisation für ihre politischen Ambitionen ausnützen. Ich finde, man muss die Arbeit in der Organisation strikt trennen vom persönlichen Engagement in der Partei. Sie haben alles Recht der Welt dazu, sich parteipolitisch zu engagieren, aber bitte nicht im Namen der Massakeropfer.

Frage: Andersrum lässt aber die URNG ein klares Engagement für die Opfer und deren Angehörige vermissen.

Paco: Klar ist es wichtig, sich dafür einzusetzen aber gleichzeitig braucht es auch eine gewissen Distanz. Viele der Organisationen entstanden während des Krieges und waren den Richtlinien der URNG unterstellt. Das war zu seiner Zeit auch richtig. Heute, wo sich die Situation verändert hat, braucht es aber eine Ablösung von diesen Strukturen. Die Abhängigkeit von der URNG hat vielen Organisationen in den letzten Jahren bloss geschadet.

Für die URNG bedeutet es aber, dass sie es nicht mehr einfach 'ihren' Organisationen überlassen kann, sich für die VGMenschenrechteNF stark zu machen. Das und die Tatsache, dass nicht mehr alle Leute mit ihrem Stil einverstanden sind, muss die URNG einfach akzeptieren.

Frage: Was machst du nebst deiner Arbeit in HIJOS?

Paco: Ich bin arbeitslos. Ich finde keine Arbeit. Für die Arbeit für Hijos bekomme ich kein Geld. Es ist eine Abmachung unter uns, dass alles Geld, das reinkommt, für Aktivitäten bestimmt ist.

Frage: Wie finanziert ihr euch?

Paco: Das meiste über Spenden oder über kleine Projekte, die aus dem Ausland unterstützt werden. Und wenn es nötig ist, sammeln wir unter unseren Mitgliedern Geld, z.B. für das Essen während unserer Aktivitäten. Wir haben aber auch nicht so viel Ausgaben wie viele Organisationen, eben weil wir keine Löhne bezahlen. (In diesem Moment schloss sich Raúl, ein weiteres Mitglied von HIJOS dem Gespräch an.)

Frage: Arbeitet ihr auch auf der Ebene psychosoziale Medizin?

Raúl: Für unsere Gruppe ist das ein wichtiges Thema, weil wir ja alle als VGKinderNF Dinge erlebt haben, die unsere psychische VGGesundheitNF beeinträchtigen. Das Problem ist, dass viele von uns Mühe haben mit dem Begriff 'psychosoziale Gesundheit' und sagen "Wir sind ja weder krank noch verrückt". Aber wir sind uns bewusst, dass wir auf diesem Gebiet Hilfe brauchen.

Frage: Sprecht ihr untereinander über eure Geschichten?

Raúl: Natürlich. Es ist eines der Hauptziele unserer Gruppe, einander zu erzählen, was wir erlebt haben und uns gegenseitig zu helfen, uns gegenseitig das Gefühl zu geben, dass wir nicht alleine sind. Wir hatten auch zweimal ein Treffen mit einer Psychologin. Das war ganz wichtig, um gewisse Mechanismen in uns selber aber auch innerhalb der Gruppe zu verstehen.

Frage: Was fühlt ihr, wenn ihr heute in der Zone 1 eine Militärpatrouille antrefft?

Paco: Ich ertrage es fast nicht und ich habe oft Lust, sie zu beschimpfen und schlimmeres. Aber ich habe Angst. Die sind bewaffnet und kommen immer in Gruppen daher.

Heute morgen haben wir über das Thema Gewalt gesprochen und kamen unweigerlich auf die VGSelbstjustizNF zu sprechen. Jemand sagte: "Als VerteidigerInnen der Menschenrechte müssen wir die Selbstjustiz verurteilen." Ich habe nur gelacht, denn ehrlich gesagt, wenn ich die Möglichkeit hätte, mich an einem Militär zu rächen, ich würde ihn töten, verstehst du? Mich erstaunt es, ehrlich gesagt, dass es nicht vorkommt dass sich die Leute ganz direkt bei ihren Peinigern rächen.

Raúl: Viele von uns tragen eine grosse Wut mit sich herum und wenn wir die Gelegenheit hätten, Selbstjustiz auszuüben, wer weiss was geschehen würde. Aber wir trauen uns nicht. Auf eine Art ist das auch ein Ergebnis der jahrelangen Repression. Die Leute auf dem Lande fürchten das Militär noch genauso wie während des Krieges. Und mit der ständigen Erinnerung an die brutalen Morde, die das Militär auf dem Land ausgeübt hat, sind die Leute nicht fähig, sich zu rächen.

Einer unserer Kollegen hatte einen detaillierten Plan ausgearbeitet, wie er die Militärs, die in unserer Nachbarschaft leben, umbringen könnte. Er plante auch die Art und Weise, wie er sie umbringen wollte, langsam und unter grossem Leiden. Manchmal kommen einem halt diese Ideen, sich zu rächen. Aber wenn wir darüber sprechen, merken wir, dass es etwas ist, sich das alles auszumalen und etwas ganz anderes, es auch auszuführen und ich glaube, darin unterscheiden wir uns grundsätzlich von "ihnen"(den Militärs), dass sie es konnten und wir können es nicht. Manchmal wünsche ich mir, es gäbe in Guatemala einen Amokläufer, der sich darauf spezialisiert, Militärs umzubringen.

Frage: Könnt ihr über all diese Gefühle mit den Leuten von FAMDEGUA sprechen?

Paco: Nein. Das ist wohl einer dieser Generationenkonflikte, die du vorhin angesprochen hast. Die Leute von FAMDEGUA finden uns sehr radikal, verstehen unseren schwarzen Humor nicht und finden ihn oft respekt- und geschmacklos. Es gibt Dinge, die uns beschäftigen, über die wir mit ihnen nicht sprechen können. Sicher haben sie zum Teil ähnliche Gefühle der Verzweiflung und Machtlosigkeit, aber sie gehen ganz anders damit um. Aber es ist normal, dass wir uns nicht immer verstehen, denn wenn wir genau gleich wären wie sie, würde es keine Entwicklung geben.


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