Kriegsversehrte organisieren sich
Fijáte 240 vom 25. Juli 2001, Artikel 1, Seite 1
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Kriegsversehrte organisieren sich
Wie zahlreiche andere Punkte der Friedensabkommen, sind auch weite Teile der Übereinkünfte bezüglich Demobilisierung und Integration der ehemaligen Guerilla-KämpferInnen ins Zivilleben von der Regierung nicht umgesetzt worden. Eine Gruppe Demobilisierter hat es besonders schwer: Die Kriegsversehrten mit anhaltenden physischen und psychischen Behinderungen. 1999 griffen kriegsversehrte ehemalige Guerilla-KämpferInnen zur Selbsthilfe und gründeten die Asociación Guatemalteca de Personas con Discapacidad (AGPD) "Manuel Tot". Der selbstverwaltete Verband will soziale Prozesse vorantreiben und unterstützen, die auf die physische und psychische Rehabilitätion sowie die gesellschaftliche Reintegration der einstigen Guerilleros und Guerilleras hinauslaufen. Der folgende Artikel beruht auf einem Text, den die AGPD "Manuel Tot" speziell für den ¡Fijáte! geschrieben hat. Er wurde ergänzt mit Angaben aus dem Projektbeschrieb der Centrale Sanitaire Suisse, welche die AGPD massgeblich unterstützt. Nach Ende des bewaffneten Konflikts, der über drei Jahrzehnte dauerte, realisierte das guatemaltekische Gesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen die "Diagnose über die durch den Krieg bedingten behinderten Personen in Guatemala". Darin werden 1841 Fälle aufgezählt, die dem Kriterium "KriegsversehrteR" entsprechen. Dabei wurden sowohl die Kriegsversehrten der ehemaligen Guerilla, des Militärs aber auch der Zivilbevölkerung mitgezählt. Organisationen, die mit kriegsversehrten Personen arbeiten, sprechen aber von einer viel höheren Anzahl. Diese unterschiedlichen Statistiken hängen davon ab, wie weit man den Begriff 'kriegsversehrt' fasst. Nach Kriegsende gehörten die Kriegsversehrten vorerst zu denjenigen demobilisierten Guerilleros und Guerilleras, die von der eigens dafür gegründeten Stiftung Guillermo Toriello (FGT) bei ihrer Eingliederung ins zivile Leben unterstützt werden sollten. Angesichts des bürokratischen Verwaltungsapparates und der hierarchischen Strukturen innerhalb der FGT, fühlten sich die Kriegsversehrten darin kaum vertreten. Nach einigen internen Auseinandersetzungen, die zu keiner Verbesserung führten, gründeten sie schliesslich ihre eigene Organisation, die Asociación Guatemalteca de Personas con Discapacidad (AGPD) "Manuel Tot". Darin sind sowohl ehemalige KämpferInnen wie auch kriegsversehrte ZivilistInnen organisiert. Der Name Manuel Tot, auf den sich die Organisation bezieht, wurde gewählt, um den Freiheitskämpfer und Studenten der Rechtswissenschaften, Manuel Tot, zu ehren. Ursprünglich aus Alta Verapaz, rebellierte Tot im Jahre 1813 gegen die Ausbeutung, den Rassismus und die Unterdrükkung, die sein Volk unter der spanischen Krone zu erleiden hatte, wofür er verfolgt und gefoltert wurde. Die AGPD identifiziert sich mit Manuel Tot, weil er für soziale Veränderungen und für die Menschenrechte gekämpft hat und weil er Indígena war. Gegenwärtig zählt die AGPD 800 Mitglieder, die in 16 Departementen des Landes leben. Neben der konkreten Hilfe, die den Mitgliedern der Organisation angeboten wird, arbeitet die AGPD auch auf gesellschaftspolitischer Ebene gegen die stereotypen Bilder, die ein Grossteil der Bevölkerung von 'behinderten' Personen hat. Die AGPD kämpft dafür, dass Menschen mit Behinderungen nicht als Personen 'ohne Fähigkeiten' abgetan werden, sondern als Personen 'mit anderen Fähigkeiten' respektiert werden. Sie kämpft für die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Gleichstellung behinderter Personen im öffentlichen Leben. Diese Anerkennung zu erreichen ist nicht einfach, handelt es sich doch bei der Mehrheit der Mitglieder von AGPD nicht um irgendwelche Behinderte, sondern um hauptsächlich indigene, ehemalige KämpferInnen der URNG, was ihr Stigma gleich verdoppelt bzw. verdreifacht. Die Integration in ihre Herkunftsgemeinden gestaltet sich für die Kriegsversehrten äusserst schwierig. Als sie damals ihre Familien und ihre Dörfer verliessen und sich der URNG anschlossen, waren sie Menschen ohne Behinderung. Nachdem sie im Krieg verletzt wurden, lebten sie je nachdem in den Flüchtlingslagern in Mexiko, in den Widerstandsdörfern oder zusammen mit anderen intern Vertriebenen. Sie haben ihren Lebensrhythmus unterbrochen und konnten vielfach ihre kulturellen Traditionen nicht weiterleben. Auch jetzt, vier Jahren nach der Friedensunterzeichnung, haben es die Kriegsversehrten nicht geschafft, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Dies einerseits mangels Programmen, die ihnen helfen, ihre psychologischen Traumas zu überwinden und ihre körperliche Rehabilitation zu beschleunigen. Dazu kommt aber auch die obenerwähnte Diskriminierung seitens der guatemaltekischen Gesellschaft. Nach oben |
Um auf die realen Bedürfnisse der Mitglieder eingehen zu können, führte die AGPD 'Manuel Tot' zunächst eine Erhebung zur sozioökonomischen Situation und der gesundheitlichen und psychischen Verfassung der Betroffenen in den zwei vom Krieg am stärksten betroffenen Departementen Quiché und Alta Verapaz durch. Zu erwartendes Fazit: Der Krieg hat nicht nur bei der Zivilbevölkerung, sondern auch bei den ehemaligen KämpferInnen der URNG neben körperlichen schwere emotionale Wunden hinterlassen. Viele Kriegsversehrte haben physische Verletzungen, Amputationen und Knochenbrüche, zusätzlich zum verbreiteten Verlust eines oder beider Augen oder des Gehörs. Bei einer grossen Anzahl Untersuchter wurde eine Indikation für chirurgische Eingriffe festgestellt: Viele Betroffene leiden unter Knochenverformungen, da die medizinische Versorgung im Krieg, die verfügbaren Prothesen oder andere Hilfsmittel nicht angemessen waren. Andere sind ganz oder halbseitig gelähmt und benötigen einen Rollstuhl. Gegenwärtig ist die ACPD 'Manuel Tot' in folgenden Programmen und Aktivitäten tätig: Psychologisch: Im Rahmen von viertägigen Besuchen in den Gemeinden finden Zusammenkünfte von Betroffenen und ihrer Angehörigen mit einer Psychotherapeutin statt. In Selbsthilfegruppen werden Personen zusammengefasst, deren Problematik ein spezifischeres Vorgehen verlangt (Frauen, Personen mit psychosomatischen Krankheiten). In Arbeitsgruppen werden Themen behandelt, die für die gesamte Gemeinde von Bedeutung sind: innerfamiliäre Gewalt, Menschenrechte, Aufarbeitung der Geschichte. Physisch: Es werden genaue Abklärungen zu den spezifischen Leiden der Betroffenen gemacht. Die Organisation übernimmt die Kosten für chirurgische Eingriffe in fünfzig als prioritär eingestuften Fällen und gewährleistet die physiotherapeutische Rehabilitation und die Versorgung mit den benötigten Medikamenten. Ausserdem werden GesundheitspromotorInnen in den Gemeinden ausgebildet. Politisch/kulturell: Veranstaltung von Sportanlässen und Zusammenkünften. Austausch und Zusammenarbeit mit anderen Behindertenverbänden, Menschenrechtsgruppen und Organisationen demobilisierter, kriegsversehrter Armeeangehöriger. Die Koordination der Betreuung von praktisch über das gesamte nationale Territorium verstreut lebenden Ex-Guerilla-KämpferInnen und der Kontakt mit Spitälern und andern Institutionen verlangt eine intensive Reisetätigkeit der elf - selbst kriegsversehrten- KoordinatorInnen von AGPD. Vielfach sind nur die Gemeindehauptorte, nicht aber die ländlichen, teils sehr abgelegenen und schlecht zugänglichen Siedlungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Dies hat leider zur Folge, dass sich AGPD gezwungen sah, ihre Tätigkeiten räumlich einzuschränken. Das Hochland rund um Quetzaltenango wird von ihnen nicht besucht, weshalb sich dort unterdessen eine eigenständige Organisation kriegsverletzter ExKämpferInnen gebildet hat. Die Zusammenarbeit mit Volksorganisationen, Menschenrechtsgruppen und Nichtregierungsorganisationen gestaltet sich oftmals schwierig, da behinderte Menschen für sie weder ein "Schwerpunktthema" noch eine "Zielgruppe" sind. Um so wichtiger ist es der AGPD, nicht in ein paternalistisches Abhängigkeitsverhältnis zu den bestehenden, meist karitativen Behindertenorganisationen zu geraten. Institutionen, die in diesem Bereich arbeiten, sind oft ausschliessend, d.h., sie arbeiten bis zu einem gewissen Punkt kommerziell und wer nicht bezahlen kann, wird nicht behandelt. (Einen ziemlichen Skandal löste im März dieses Jahres die Meldung aus, die durch eine jährlich stattfindende Fernsehaktion, die sog. Teleton, begünstigte Behindertenorganisation FUNDABIEM verfüge über Millionenbeträge, die auf den Banken angelegt seien, anstatt dass sie für humanitäre Zwecke eingesetzt werden. d. Red.) Auch die Regierung räumt den Forderungen der Behinderten keine Priorität ein. Im Gesundheitsministerium gibt es keine Abteilung, die sich speziell den Bedürfnissen behinderter Menschen annimmt. Es gibt auch keine städtebaulichen Pläne für die Abschaffung architektonischer Barrieren. Für die AGPD ist es wichtig, Druck auszuüben auf die Ministerien, die für die Umsetzung der in den Friedensabkommen festgesetzten Vereinbarungen zuständig sind. Dabei haben sie speziell das Gesundheits- und das Arbeitsministerium im Visier. Ihr Ziel ist es, konkrete Vorschläge ausarbeiten, die sich auf die guatemaltekische Verfassung und die Friedensabkommen abstützen. |
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