Ein Blick auf die Frauen - aus Frauensicht
Fijáte 259 vom 8. Mai 2002, Artikel 1, Seite 1
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Ein Blick auf die Frauen - aus Frauensicht
Viele der guatemaltekischen Frauenorganisationen tun ihr Möglichstes, um im Rahmen der Friedensverträge, die auch konkret die Situation der weiblichen Bevölkerung zum Thema haben, die Interessen und Bedürfnisse ihrer Geschlechtsgenossinnen zu vertreten. Anlässlich des diesjährigen Internationalen Tages der Frau widmete MINUGUA, die Mission der Vereinten Nationen für Guatemala, eine Ausgabe ihrer wöchentlichen Crónicas diesem Thema. Im folgenden geben wir Auszüge sowohl des Einleitungsartikels sowie zweier Interviews wieder, in denen zum einen der "Verteidigerin" der indigenen Frauen, zum anderen der Leiterin des Präsidialen Sekretariats der Frau die gleichen Fragen gestellt wurden: zwei Frauen - zwei Antworten. In den Abschnitten der Friedensverträge, die sich mit dem Thema "Frauen in Guatemala" auseinandersetzen, ist immer wieder die Rede von der Diskriminierung der Frau, die auf jeden Fall überwunden werden soll - u.a. hinsichtlich der Einbeziehung der weiblichen Bevölkerung in Entscheidungsprozesse. Auch "die besondere Verletzlichkeit und Wehrlosigkeit der indigenen Frau angesichts der doppelten Diskriminierung als Frau und Indígena, die durch die soziale Situation der Armut und Ausbeutung noch verstärkt wird", wird dabei problematisiert. Aufgrund dieser Bestandsaufnahme verpflichtete sich die Regierung, jegliche Form der Diskriminierung von Frauen zu beseitigen und die Beteiligung der weiblichen Bevölkerung in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes zu stärken. In diesem Zusammenhang finden sich in den Friedensverträgen eine Reihe von Vorschlägen, um gesetzliche, strukturelle und soziale Hindernisse auf dem Weg zum vorgenommenen Ziel zu entfernen. Die allgemeine Situation des Landes und die spezielle der Frauen hat in den Bereichen Soziales, Wirtschaft und Politik nur wenig Fortschritte vorzuweisen. Weder im Bildungssektor noch in Bezug auf die Armutssituation der Frau als Familienoberhaupt lassen sich deutliche Verbesserungen erkennen. Viele der Familien, denen eine Frau vorsteht, sind von der Arbeit der Kinder abhängig, was wiederum zu Lasten von deren Bildung geht. Immerhin wurde von verschiedenen Seiten, sowohl auf Regierungs- als auch auf Nichtregierungsebene, inzwischen ein Vorentwurf für Reformen des Arbeitskodexes erarbeitet, der in seinen 35 Artikeln die frauenspezifischen Vorgaben der Friedensverträge aufnimmt. Ein erster bedeutsamer Fortschritt ist beim Landbesitzgesetz zu verzeichnen, nach dem nun auch Frauen immerhin Mitbesitzerin eines Grundstücks sein können. Auch das (sogar gesetzlich verankerte) Nationale Programm reproduktiver Gesundheit bringt mit seiner integralen Konzeption Vorteile für die Frau mit sich: Neben der medizinischen Aufmerksamkeit für Frauen bezieht es die Teilnahme des Mannes in die Familienplanung und sexuelle Aufklärung mit ein. Hervorzuheben ist die Einrichtung des Präsidialen Sekretariats der Frau, das für die Beratung und Koordination der Politik und Öffentlichkeit zuständig ist, um die integrale Entwicklung der Frauen und die Förderung einer demokratischen Kultur voranzutreiben. In diesem Rahmen spielt die zivile Gesellschaft eine bedeutende Rolle, die seit der Einrichtung des Sekretariats und der Formulierung der Frauenpolitik zugegen ist. Als weiterer Fortschritt ist die Verabschiedung der Nationalen Politik zur Förderung und Entwicklung der guatemaltekischen Frauen - Gerechtigkeitsplan 2001/2006 zu nennen. Dieses Instrument vereint die Vorschläge diverser fachlicher Beratungen, die vom Nationalen Frauenforum vorangetrieben worden waren. CONAPREVI - die Koordination zur Prävention intrafamiliärer Gewalt und Gewalt gegen Frauen, die von VertreterInnen der Regierung und der zivilen Gesellschaft gebildet wird und in Form von Koordination, Beratung und als "Anstifterin" politischer Aktivitäten agiert, ist ebenso als positive Erscheinung erwähnenswert, wie die Verabschiedung des Gesetzes der Sozialen Entwicklung, mit seinem Fokus auf gesundheits-, bildungs- und arbeitspolitische Maßnahmen für Frauen. Auch die Ratifizierung des Fakultativen Protokolls der Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (CEDAW), sowie schliesslich, im Februar 2002 genehmigt, die Reformen des Gesetzes des Entwicklungsrates, in dem die Beteiligung der Frauen festgelegt und legitimiert wird, lassen hoffen. Was jedoch noch offen bleibt ist die Gesetzgebung hinsichtlich sexueller Belästigung - zu der aber bereits ein Vorschlag von der Ständigen Nationalen Kommission der Rechte der indigenen Frau von COPMAGUA vorliegt, und auch die Reformen im Zusammenhang des Arbeitskodexes bedürfen noch ihrer Erledigung. Allein an den voranstehenden "Erfolgsmeldungen" ist erkennbar, dass die Frauen bisher schon eine entscheidende Rolle gespielt haben. Sie haben es geschafft, gut organisiert und mit wesentlichen Beiträgen, wichtige Themen und Sorgen im Zusammenhang der Nationalen Agenda sowohl auf den Tisch als auch zu Entscheidungen zu bringen. In diesem Rahmen nehmen Frauen immer mehr in den verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens teil, diverse neue Frauenorganisationen sind entstanden, die einen neuen Standpunkt in Beziehung zum Staat vertreten. "Die Defensoría will Vorurteile über die indigenen Völker und Frauen abbauen."Seit der Einrichtung der Defensoría der indigenen Frau ist Juana Catinac die Verteidigerin der Frau, deren Funktion im Juli 1999 im Rahmen der Friedensverträge bestimmt wurde. Unter anderem ist die Defensoría für die Koordination von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zuständig, um Aktivitäten zur Prävention, Verteidigung und Beseitigung aller Formen von Gewalt gegen und Diskriminierung von indigenen Frauen unter einen Hut zu bringen. Weiter ist es ihre Aufgabe, Opfern von Gewalt die nötige Aufmerksamkeit sowie die sozialen Dienstleistungen zukommen zu lassen. MINUGUA: Welche grundsätzlichen Fortschritte kann die Defensoría der indigenen Frau verzeichnen? Juana Catinac: Als solche sind einige zu nennen: - Die Konsolidierung der verschiedenen Strukturen der Defensoría, damit den Frauen ein effizienter Service angeboten werden kann. - Die Einrichtung von Koordinationsmechanismen verschiedener Institutionen und Organisationen, um die Ziele der Defensoría umzusetzen. - Das Sichtbarmachen der Situation der indigenen Frau durch Aktionen, die wir speziell dafür lancieren, und der dabei gemachten Erfahrungen. - Den indigenen Frauen der 22 Departemente Information sowie Aus- und Weiterbildung hinsichtlich ihrer Rechte zu bieten, was zugleich eine Analyse ihrer kulturellen Identität ermöglicht. M: Welches sind die größten Herausforderungen für die Defensoría? J.C.: Laut Regierungsvereinbarung hinsichtlich der Schaffung der Defensoría soll diese auf lange Sicht den Bedarf des gesamten Landesgebietes abdecken, was jedoch aufgrund des zugesicherten Etats nicht möglich ist, der es weder erlaubt, die dafür notwendige logistische Kapazität noch die personelle Ausstattung zu bieten. Bislang konnte das wenige professionelle Personal trotz grosser Bemühungen nur in wenigen Bereichen die Erwartungen der Frauen in den Dörfern erfüllen. Seit Bestehen der Institution verfügen wir über den gleichbleibenden Haushalt von 2 Mio. Quetzales. Nach oben |
M: Welche strategischen Aktionen stehen in diesem Jahr auf dem Programm der Defensoría? J.C.: Die Defensoría wird die Frauen bei der Verteidigung ihrer Rechte stärken und versuchen, die Gesellschaft zu sensibilisieren, damit diese dazu bereit ist, die Rechte der indigenen Frauen zu respektieren. Weiter will sie dazu beizutragen, festgefahrene Bilder und Vorurteile über die indigenen Völker und Frauen aufzuweichen. M: Inwiefern können die Zivilgesellschaft und der Staat dazu beitragen, die Defensoría zu unterstützen? J.C.: Die Gesellschaft allgemein sollte offen dafür sein, notwendige Veränderungen zu akzeptieren, damit Guatemala ein Land wird, das die Vielfalt und die fundamentalen Freiheiten jeden menschlichen Wesens anerkennt. Der Staat Guatemala sollte den guten Willen zeigen, allen existierenden Völkern auf guatemaltekischem Terrain nützlich zu sein und die Defensoría zu unterstützen, wenn diese Vorschläge für die öffentliche Politik und Gesetze zugunsten der Rechte der indigenen Frauen macht "Dieses Jahr müssen die Vereinbarungen hinsichtlich der Frauen in den Vordergrund gerückt werden"Mit dem Dekret 200-2000 schuf die Regierung das Präsidiale Sekretariat der Frau. Seine Aufgabe ist, hinsichtlich der öffentlichen Frauenpolitik eine beratende und koordinierende Funktion einzunehmen, um die integrale Entwicklung der guatemaltekischen Frauen und die Förderung einer demokratischen Kultur voranzutreiben. Dr. Lili Caravantes ist die Leiterin dieser Institution. MINUGUA: Welche grundsätzlichen Fortschritte bringt die Institutionalisierung der Frauenpolitik mit sich? Lili Caravantes: Wesentliche Fortschritte sind die Akzeptanz der Politik, die von Frauenorganisationen als eine Regierungspolitik beschlossen wurde und die auf eine Staatspolitik abzielt, die über eine Regierungsperiode hinausgeht. Dies wurde von diversen Regierungskörperschaften und Institutionen unterschrieben. Diese Frauenpolitik orientiert sich an der aktuellen Regierungspolitik, wie z.B. der geplanten Strategie zur Verminderung der Armut. Darin sind einige Grundlagen enthalten, an denen angesetzt werden kann im Hinblick auf eine Verbesserung der Situation der Frau M: Welches sind die größten Herausforderungen für die Institutionalisierung der Frauenpolitik? L.C.: Prioritäten hinsichtlich der Aktionen setzen, die von den verschiedenen Regierungsmitgliedern erfüllt werden sollen. Wenn dies nicht geschieht, ist es schwierig, eine konkrete Planung zu machen. Dazu gehört eine Evaluation des bisher Erreichten und der verfolgten Ziele, das Weiterführen der derzeitigen Regierungsaktivitäten und die Bereitstellung eines besonderen Budgets für die Institutionalisierung der Frauenpolitik. M: Welche Fortschritte kann das Präsidiale Sekretariat der Frau seit seiner Gründung vorweisen? L.C.: Zu diesen zählen u.a. die Bildung des Konsultivrates und das Vorantreiben der Konstitution der Einheit der Frau auf der höchsten Ebene in den verschiedenen Ministerien des Staates. Letzteres drückt sich z.B. im Rahmen der Gesetzgebung, aber auch in der Bereitstellung von internationalen Geldern und in der Stimmbeteiligung in nationalen und internationalen Gremien aus. M: Unterscheidet sich die Aufmerksamkeit der Frauenpolitik gegenüber der Frau indigener und der mit Ladino-Herkunft? Wenn ja, in welcher Form drückt sich dies aus? L.C.: Das ist Bestandteil der öffentlichen Politik. Unsere Herausforderung ist es, den interkulturellen Fokus auf diese Aspekte zu richten, die sich herausbilden. Wir wissen, dass es Besonderheiten für die indigenen Frauen gibt, die in der Planung und Umsetzung einer frauengerechten Politik berücksichtigt werden müssen. M: Welches sind die vorrangigen Ziele der Frauenpolitik für dieses Jahr? L.C.: Im Rahmen der Friedensverträge müssen dieses Jahr bestimmte Vereinbarungen hinsichtlich der Frauen in den Vordergrund gerückt werden. Gemeinsam mit dem SEPAZ (Sekretariat für den Frieden) haben wir eine Auswahl getroffen. Dazu gehört die Umsetzung der vom Frauenforum durchgeführten Analyse bezüglich der Beteiligung der Frauen, konkret die Beteiligung von Frauen in allen Entwicklungsräten (consejo de desarrollo). Weiter die Förderung von Gesundheits- und Alphabetisierungsprogrammen für Frauen, die Beteiligung der Frauen an landwirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen, die frauenspezifische Reform des Arbeitsrechtes und mehr. M: Verfügt das Sekretariat über Kommunikationsmechanismen mit dem Nationalen Frauenforum und der Defensoría der indigenen Frau? Wie sehen diese aus und wie werden sie eingesetzt? L.C.: Ja, die drei Institutionen arbeiten zusammen am Entwicklungsplan zur Beteiligung der Frauen. Wir erarbeiten derzeit ein gemeinsames Kooperationsabkommen zu den Themen Gewalt, den Rechten der indigenen Frau und der Partizipation von Frauen. Ausserdem helfen wir bei der Evaluation der Politik und der Frauenbeteiligung mit, die vom Frauenforum durchgeführt wird. M: Inwiefern sollten die Zivilgesellschaft und der Staat dazu beitragen, die Frauenpolitik zu unterstützen? L.C.: Eines der wichtigsten Dinge von Seiten des Staates ist es, die Ziele voranzutreiben, die jedem Regierungssektor in Hinblick auf die Frauenpolitik entsprechen. Dazu gehören bestimmte Friedensverträge und die Arbeit bestimmter Institutionen. Aber auch die Bereitstellung von Ressourcen und die Stärkung institutioneller Mechanismen, sowie die Information der Gesellschaft. Auf Seiten der Zivilgesellschaft ist die Diskussion darüber anzutreiben, was staatliche Frauenpolitik ist, welche Grundbedingungen erfüllt werden müssen, damit Frauen am politischen Geschehen teilnehmen können. Es ist auch Aufgabe der Zivilgesellschaft den laufenden Prozess aufmerksam zu überwachen. M: Welche Botschaft haben Sie für die guatemaltekischen Frauen an diesem Internationalen Tag der Frau? L.C.: Unsere Herausforderung ist es, die Mechanismen unserer Rolle als Vermittlerin zwischen Staat und Gesellschaft zu stabilisieren. Man muss den Fortschritt des politischen Willens messen können, den die jetzige Regierung in der Unterstützung zeigt, um die Ziele in den Friedensverträgen hinsichtlich der Thematik der Frauen zu erreichen. Der ständige Druck der Frauenorganisationen hatte nicht nur die Schaffung des Sekretariats und die inzwischen vermehrte Präsenz von Frauen in den verschiedenen Regierungsinstanzen zur Folge, sondern garantiert auch die Kontinuität der Prozesse, die vom Staat in diese Richtung initiiert wurden. |
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